Die Stadtbücherei Bamberg und ihre Zweigstellen hatten 2020 zwar weniger Öffnungstage als 2019, dafür aber einen höheren Tagesschnitt an Entleihungen. Christiane Weiß,
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Stadtbücherei Bamberg
„Büchereien sind mehr als nur Bücherlager”
Die Stadtbücherei Bamberg und ihre Zweigstellen hatten 2020 zwar weniger Öffnungstage als 2019, dafür aber einen höheren Tagesschnitt an Entleihungen. Christiane Weiß, die Leiterin der Bücherei, konnte vor allem einen Zuwachs des Interesses an Kinder- und Jugendliteratur verzeichnen. Wie dieser Zuwachs zustande kommt, erklärt sie im Interview.
Frau Weiß, wie hat die Stadtbücherei die zurückliegenden Monaten erlebt?
Christiane Weiß: Bis zum 15. März letzten Jahres lief alles normal. Danach hatten wir den ersten Lockdown und alles hat sich umgekrempelt, die Bücherei hatte geschlossen und es herrschte große Unsicherheit. Aber dann haben wir angefangen, die Räumlichkeiten pandemietauglich zu machen, alle Sitzmöbel weggeräumt, alles gereinigt und ein Hygienekonzept eingeführt. Mit anderen Worten haben wir alles getan, damit das Virus nirgendwo anheften kann, dadurch der Bücherei aber auch leider ihre ganze Aufenthaltsqualität weggenommen.
Anfang Mai konnten wir mit zitternden Herzen und hohen Auflagen wieder öffnen. Aber die Bücherei war sozusagen nackt – es gab keinen einzigen schönen Sessel mehr, dafür riesige Abstände, einen extra Eingang und Einlassbeschränkungen. Und kleine Kinder waren überhaupt nicht erlaubt. Das hat uns wehgetan und das hat den Kunden wehgetan. Aber wir haben dazugelernt und konnten dann im Sommer, als die Infektionszahlen sanken, die eine oder die andere Regel entschärfen und die Bücherei langsam für uns und unsere Benutzer „zurückerobern“.
Was passierte als Ende Oktober erneut der Lockdown verordnet wurde?
Christiane Weiß: Als am 30. Oktober der Lockdown-Light begann, waren Büchereien noch ausgenommen und konnten offen bleiben. Das hat uns natürlich sehr gefreut. Am 26. November, es war ein Donnerstagabend, erfuhren wir allerdings, dass zum 1. Dezember, dem Dienstag, wieder alles geschlossen wird. Das ist bekanntermaßen seitdem so geblieben. Als Mitte März die Schließung der Bücherei verordnet worden war, wurden wir in den Tagen davor von den Kunden, die sich eindecken wollten, noch regelrecht überrannt. Das wollten wir nicht wieder erleben. An jenem Wochenende Ende November vor dem Lockdown sollten sich auch alle nochmal mit verschiedenen Medien eindecken können, aber diesmal in verantwortlichen Bahnen. Das haben wir mit zusätzlichen Öffnungsstunden ganz geordnet unter Einhaltung der AHA-Regeln geschafft. Und im Zeitraum von Freitag bis Montag haben wir elf Prozent unseres Gesamtbestandes – das sind über 12.000 Medien – an unserer Benutzer entliehen. Die Zahl der Gesamtentleihungen 2020 betrug übrigens 563.400 Medien.
Zum 21. Januar hat die bayerische Staatsregierung den Abholdienst “Click and Collect” für Büchereien wieder erlaubt. Dabei kann man online beispielsweise ein Buch, das man ausleihen möchte, bestellen und dann vor Ort in der Bücherei abholen. Wie läuft es damit?
Christiane Weiß: Wir konnten sofort auf die Erlaubnis reagieren, weil wir, der Bibliothekenverband, und auch viele andere, sich bereits stark für die Einführung von Click and Collect eingesetzt und die nötigen Konzepte schon ausgearbeitet hatten. Diese Leihmöglichkeit hat sehr viel Druck genommen und wird sehr gut angenommen.
Ist die Stadtbücherei von den Kürzungen im städtischen Kulturbudget betroffen?
Christiane Weiß: Ja. Das Budget der Stadtbücherei wurde für 2021 aufgrund der Corona-Pandemie um 2,5 Prozent gekürzt. Das trifft uns schon hart. Zudem hatten wir im letzten Jahr zusätzliche Einnahmenminderungen bei gleichzeitigen Tariferhöhungen im Personalkostenbereich.
Wie hat sich in Pandemiezeiten das Ausleihverhalten entwickelt?
Christiane Weiß: Wir hatten 2019 293 Öffnungstage, an denen wir im Schnitt pro Tag 1.900 Entleihungen verzeichnen konnten. 2020 hatten wir 227 Öffnungstage, also 66 weniger als 2019. Pro Tag hatten wir 2020 aber im Schnitt 2.400 Entleihungen, was einem Plus von 26,3 Prozent entspricht.
Wie kam diese Steigerung zustande?
Christiane Weiß: Die Steigerungen liegen bei der Kinder- und Jugendliteratur, bei den Gesellschaftsspielen, bei Kinderhörbüchern und allgemein bei den digitalen Medien. Es wurden also vermehrt Medien ausgeliehen, mit denen Eltern ihre Kinder, die nicht in den Kindergarten oder in die Schule gehen können, unterhalten können.
Profitieren Sie in gewisser Weise von der Pandemie?
Christiane Weiß: Ja, ein Stück weit. Nie war die Bedeutung von Büchereien klarer als jetzt. Büchereien sind mehr als nur Bücherlager, in denen man sich etwas ausleiht. Sie sind, wenn sie offen haben dürfen, eben auch Orte der Begegnung, Orte, wo man, ohne irgendetwas konsumieren oder bezahlen zu müssen, einfach hingehen kann. Als wir im Sommer den Zugang lockern konnten, gab es viele Menschen, die die Zugangsdauer von einer halben Stunde voll genutzt haben. Vielfach wurde gesagt: Ich bin so glücklich, durch die Reihen gehen zu können und die Bücher anschauen zu können.
Ihr Online-Angebot umfasst auch Musik- und Filmstreaming-Möglichkeiten sowie E‑Audios und E‑Books. Wird sich der Büchereibetrieb in Zukunft ausschließlich online abspielen?
Christiane Weiß: Nein, überhaupt nicht. Wir haben unser Online-Angebot seit 2012 und haben immer wieder positive Rückmeldungen beispielsweise zum E‑Book-Angebot erhalten. Aber das ersetzt nicht das haptische Gefühl, ein Buch in der Hand zu haben. Büchereien müssen ohnehin das gesamte Medienspektrum wiederspiegeln. Viele nutzen e‑Medien auf Reisen, gedruckte Bücher zu Hause.
Dabei möchte ich übrigens erwähnen, dass wir nachhaltig arbeiten. Die Bücher, die wir kaufen, sind ja nicht für eine Person zum Ausleihen gedacht und werden danach weggeworfen. Sie bleiben fünf bis zehn Jahre bei uns. Außerdem kann man ein Buch, zumindest bei Tageslicht, ohne jede Elektronik nutzen.
Aber kennt die junge Generation das Gefühl, ein Buch in der Hand zu halten, noch ausreichend, verbindet sie damit noch ausreichend Wert, um ein gedrucktes Buch einem E‑Book vorzuziehen?
Christiane Weiß: Ich denke schon. Die Ausleihzahlen, die wir momentan haben, gerade auch im Bilderbuchbereich, sprechen dafür. Natürlich haben Kinder sehr viel mit digitalen Dingen zu tun. Aber es ist diese Langsamkeit, mit der man selber entscheiden kann, wann man die Seite umblättert, die ein gedrucktes Buch einem E‑Book voraushat. Und auch die Eltern genießen das. Die Haptik eines Bilderbuches, das die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern auf dem Schoß anschauen, ist nicht mit dem Umgang mit einem E‑Book zu vergleichen. Ich denke, die Bedeutung eines Buches wird sich nicht verlieren.
Spüren Sie trotzdem die Konkurrenz zum Online-Handel, der ja auch die Möglichkeit des Ausleihens von Medien anbietet?
Christiane Weiß: Amazon bietet zwar die Möglichkeit, E‑Books auszuleihen, allerdings kann man sie nur auf Amazon-Endgeräten ansehen. Das ist ein goldener Käfig. Die Stadtbücherei macht auch all denjenigen ein Angebot, die sich solche Geräte oder kommerzielle Ausleihkonditionen nicht leisten können. Es ist Teil unseres Auftrags, für alle Menschen da zu sein, auch für die, denen es finanziell nicht so gut geht. Daneben sind unsere Angebote anonym und werbefrei nutzbar. Benutzer- und Benutzungsdaten werden bei uns streng geschützt.
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„Click & Collect“
Erzbischof Schick für kontaktlose Ausleihe in Büchereien
Dr. Ludwig Schick unterstützt die Forderung, dass in Bibliotheken kontaktlose Ausleihen ermöglicht werden sollten. Lesen sei wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung, betont der Bamberger Erzbischof.
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick unterstützt die Forderung, dass in Bibliotheken Bücher online bestellt und kontaktlos abgeholt werden können, wie das Erzbistum Bamberg mitteilt. „Click & Collect muss wieder in öffentlichen Büchereien möglich sein“, sagte Schick und betonte: „Gerade jetzt im Lockdown, in dem Büchereien geschlossen sind, darf das Lesen von Büchern nicht vernachlässigt oder gar verlernt werden.“ Vor allem dürfe man sich das Lesen von Büchern nicht abgewöhnen oder es nur Menschen ermöglichen, die sich Bücher kaufen können.
„Lesen macht lebenstauglich“
Lesen sei wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung, für die Schul- und Berufsausbildung und für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, für das Verständnis von Kultur und für interkulturelle Beziehungen. Das Nutzen von Internet und sozialen Netzwerken könne das Lesen von Büchern nicht ersetzen. „Kein anderes Medium erweitert so nachhaltig die Sprach- und Schreibfähigkeit, ermöglicht die Selbst- und Fremdwahrnehmung und stärkt die Gemeinschaftsfähigkeit wie das Buch, das man in Händen hält, in dem man vor- und zurückblättern kann, über das man sich austauscht und diskutiert“, so Schick. Deshalb unterstütze er die Aktion Click & Collect des St. Michaelsbund, der in Bayern mit vielen Haupt- und Ehrenamtlichen die katholischen öffentlichen Büchereien betreibt. „Was für den Einzelhandel möglich ist, sollte auch für Büchereien zugelassen werden“, sagte Schick und fügte hinzu: „Lesen macht lebenstauglich.“