Die Zeitung im Mittelpunkt einer Ausstellung
CONDITIO HUMANA – Wahrheitsgewebe und Lügengewebe
Der Kunstverein Bamberg e. V. präsentiert vom 21. September bis zum 2. November 2025 die Ausstellung „CONDITIO HUMANA – Wahrheitsgewebe und Lügengewebe“ mit den drei ausstellenden Künstler:innen Teresa Casanueva, CROW und Thomas Michel. Das Stadtecho hat mit der Kuratorin Sylvia Michel und den Künstlern gesprochen.
Mitte August 1835 erreichte die New York Sun einen Auflagenrekord. Grund dafür war eine Serie von sechs Zeitungsartikeln, die ab dem 25. August 1835 in der Zeitung veröffentlicht wurden. In ihnen wurde sensationell behauptet, dass Leben und Zivilisation auf dem Mond entdeckt worden seien und dass ein gewisser Sir John Herschel angebliche astronomische Entdeckungen beschrieben habe. Mit einem riesigen Teleskop am Kap der Guten Hoffnung habe er Wesen wie Fledermausmenschen, einhörnige Ziegen sowie Wohnhäuser und Tempelbauten beobachtet. Die Artikel waren pseudowissenschaftlich formuliert und durch die angebliche Quelle „Edinburgh Journal of Science” wurde den Lesern suggeriert, dass es sich hierbei um unzweifelhaft glaubwürdige Informationen handele. Die Geschichte verbreitete sich rasant, war kurzzeitig in aller Munde und wurde schnell auch von anderen Zeitungen aufgegriffen und weiterverbreitet. Am 16. September 1835 gab die Sun die Fälschung dann zu. Dieser sogenannte “Moon Hoax” zeigt eindrücklich, wie der Unterhaltungswert von Falschinformationen genutzt wird und so zur Manipulation verführt. Ein Prinzip, das bis heute wirkt, sich durch Social Media noch drastisch verstärkt hat und seinen Ursprung unter anderem in der Zeitung hat.
Die Zeitung im Mittelpunkt
Die Ausstellung „CONDITIO HUMANA – Wahrheitsgewebe und Lügengewebe“ stellt die Zeitung in den Mittelpunkt – mal direkt, mal als Metapher. Die Zeitung ist hier dargestellt als Zulieferer von Fakten und Lügen, Unterstützerin der Aufklärung und zugleich Sprachrohr von Propaganda. In dieser Ambivalenz soll sich ein Spannungsfeld eröffnen, das den komplexen Umgang mit Informationen in der Gegenwart sichtbar macht: Informationen können Orientierung und Wissen stiften, doch ebenso leicht zu Desinformation, Fake News oder Propaganda verzerrt werden. Damit möchte die Ausstellung einen Diskursraum schaffen, in dem nicht nur die Wahrheit, sondern auch ihre Verfälschungen thematisiert werden.
Vom 21. September bis zum 2. November 2025 sind im Kesselhaus Arbeiten der Künstlerin Teresa Casanueva und der Künstler CROW und Thomas Michel zu sehen, die sich in ihren Werken mit diesen Themen auseinandersetzen. Neben der ästhetischen Auseinandersetzung markieren auch die Auswirkungen auf die offene Gesellschaft und die Demokratie einen wesentlichen Schwerpunkt der Schau. Kuratiert wird sie von Sylvia Michel, der Leiterin des Kunstvereins Bamberg. Der Titel der Ausstellung „CONDITIO HUMANA“ verweist auf die Philosophin Hannah Arendt. Ihrer Auslegung des Begriffs nach, gliedert sich das menschliche Leben in die Dimensionen Handeln, Arbeiten und Herstellen. Gerade das politische Handeln bildet für Arendt eine unverzichtbare Bedingung des Menschseins. Die Ausstellung möchte damit auf die Verantwortung des Einzelnen verweisen, politisches Denken nicht zu delegieren oder aufzugeben, sondern sich das eigenständige und reflektierte Denken zu bewahren. So wird der Titel selbst zu einem programmatischen Hinweis: Er soll sich nicht nur als Name, sondern auch als Einladung zum kritischen Denken verstehen. So soll er den Werken der Ausstellung einen Rahmen geben, aber auch dazu auffordern, in Anknüpfung an Arendt, die conditio humana in der Gegenwart neu zu denken.
Vom Erlebnis zur Ausstellung
„Die Idee für diese Ausstellung ist nicht neu“, erzählt der Künstler Thomas Michel. „Sie wurde bereits vor drei Jahren geboren.“ Hintergrund waren die Veränderungen in der Gesellschaft, die Angriffe auf die offene Debatte von allen Seiten und die Auswirkungen des postfaktischen Zeitalters. Ausschlaggebend waren aber auch persönliche Erfahrungen von Michel. In Gesprächen mit seinen Kindern oder Freunden wurden immer wieder Themen wie Fake News oder Angriffe auf die Meinungsfreiheit thematisiert. Mit seinen Gedankenskizzen für eine Ausstellung kam Thomas Michel auf den Kunstverein Bamberger zu und rannte bei der damaligen Vorsitzenden Barbara Kahle offene Türen ein. Jetzt, drei Jahre später und mit der Künstlerin Teresa Casanueva und dem Künstler CROW im Schlepptau, wurde aus der Idee nun Realität.
Eine Künstlerin, zwei Künstler – drei Perspektiven
Die 1963 in Havanna (Kuba) geborene Künstlerin Teresa Casanueva begann 1983 ihr Kunststudium an der Hochschule in Havanna. Im Rahmen des Studentenaustauschs zwischen den sozialistischen Ländern durfte sie einen Teil ihres Studiums an der Kunsthochschule Halle absolvieren. Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel, befand sie sich gerade auf einem Besuch in Kuba. Aus Angst, nicht mehr nach Deutschland zurückkehren zu können, reiste sie umgehend nach Halle zurück. Dort entschied sie sich, in Deutschland zu bleiben und ihr Studium zu beenden. Seit 2010 hat sie in Berlin ihre neue Heimat gefunden, wo sie als bildende Künstlerin lebt und arbeitet. In ihren Werken setzt sich Teresa Casanueva mit dem Überwinden von Grenzen, Räumen und Zeit, mit gesellschaftlichen Missständen und persönlichen Brüchen auseinander. Oft nutzt sie eine poetische Bildsprache und stellt in ihren Zeichnungen und Malereien eine neue Sicht auf Körper, Dinge und gebaute Strukturen dar. Zentral sind außerdem Fragestellungen zu Freiheit und Offenheit sowie zum Verhältnis von Wahrheit, Manipulation und Medien in gesellschaftlichen Umbrüchen.
Der zweite Künstler der Ausstellung ist CROW aus Leipzig, der in vielen Disziplinen der Kunst zuhause ist. Zunächst erlangte er internationale Bekanntheit als Sänger und Songwriter der Power-Metal-Band Medusa´s Child, bevor er sich der bildenden Kunst zuwandte. Er lebte und arbeitete viele Jahre in Shanghai und Tokio, wo er großformatige Gemälde, Fotografien, Installationen sowie multimediale Performances entwickelte. Im Jahr 2020 kehrte CROW nach Deutschland zurück und arbeitet seitdem in seinen Ateliers in Leipzig und Bamberg. Seit 2024 ist er Professor an der University of Fine Arts Ningbo und der University of Fine Arts Shanghai. Sein künstlerisches Schaffen umfasst Malerei, Fotografie, Performance und Installation und zeichnet sich durch fachübergreifende Ansätze aus.
Sein zentrales Thema ist die Vielschichtigkeit des menschlichen Seins. Dabei reflektiert er das komplexe Zusammenspiel von Identität, Emotion und gesellschaftlichen Bedingungen.
Der Künstler und Designer Thomas Michel wurde in Darmstadt geboren und lebt und arbeitet in Bamberg. Von 1988 bis 1993 studierte er Industriedesign an der FH München und brachte sich nebenbei autodidaktisch das Malen bei. Seit 1994 ist er als freischaffender Künstler und Designer tätig und präsentiert seine Werke regelmäßig in Einzel- und Gruppenausstellungen. Michels Werke rücken das menschliche Sehen und Wahrnehmen in den Fokus – insbesondere im Zeitalter des Digitalen, in dem Wahrheit und Wirklichkeit immer mehr verschwimmen. Sie setzen das menschliche Individuum in ein Spannungsfeld zwischen humanitären Krisen, ökologischen Katastrophen und populistischer Manipulation. Im Zentrum seines Schaffens stehen das menschliche Sehen und die Wahrheitsfindung, die in der heutigen Zeit zunehmend gefährdet sind.
Aus diesem Grund greift Michel in seiner Arbeit wiederholt auf klassische Techniken wie die Tempera- und die Öllasurmalerei der Renaissance zurück. Diese traditionellen Methoden verbindet er mit zeitgenössischen digitalen Medien, um reflektierte und zeitgemäße Bilder zu schaffen.
Die drei Künstler kennen sich bereits von anderen gemeinsamen Ausstellungen, und sie verbindet auch eine gemeinsame Geschichte: Sie alle haben persönliche Erfahrungen mit totalitären Systemen und deren Umgang mit Meinungsfreiheit gemacht, sei es direkt oder indirekt. Casanueva, CROW und Michel kennen sich also mit Sprechverboten und Zensur aus. Selbst die Kuratorin der Ausstellung, Sylvia Michel, Vorsitzende des Kunstvereins, hatte in ihrer Jugend in der DDR einschlägige Erfahrungen machen müssen.
Das Kesselhaus als perfekter Raum
„Das Kesselhaus war von Anfang an unser Wunschort für die Ausstellung”, sagt Thomas Michel. Gerade aufgrund seiner besonderen Architektur setzte es sich klar gegen die Villa Dessauer durch, die ebenfalls vom Kunstverein genutzt wird. Ecken, Kanten, kleine Nischen und Gelasse werden direkt in die Ausstellung integriert. Etwa drei Viertel der Kunstwerke wurden direkt für das Kesselhaus entwickelt. „Allein von der Dimension einiger Arbeiten ist das Kesselhaus perfekt für die Ausstellung“, sagt Michel und weist auf ein großdimensioniertes Objekt, das von der Decke hängt.
Die Ausstellung „CONDITIO HUMANA – Wahrheitsgewebe und Lügengewebe“ möchte vor allem Fragen aufwerfen und die Betrachter zum Nachdenken anregen. Sie soll nicht nur ästhetisch unterhalten, sondern auch eine tiefere Auseinandersetzung bewirken. Die behandelten Themen sollen den Betrachtern ihre Privilegien und die Errungenschaften unserer Gesellschaft bewusst machen. Die Werke sollen daran erinnern, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern vom Diskurs und offenem Dialog lebt. In einer Zeit, in der Demokratie zur scheinbaren Normalität geworden ist, möchte die Ausstellung dazu anregen, die Grundwerte neu zu reflektieren und wachsam gegenüber ihren Gefährdungen zu sein. Die Macher wünschen sich, dass das Kesselhaus zu einem Raum wird, der für geistige Freiheit und kritisches Denken steht.