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Katar

Posi­ti­ves und Negatives

Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Exper­ten­mei­nun­gen zur WM 2022 in Katar

For­scher der Uni­ver­si­tät Bay­reuth üben Kri­tik an der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft in Katar, wei­sen aber auch auf posi­ti­ve Effek­te der umstrit­te­nen WM 2022 hin. Die Ana­ly­sen rei­chen von „Schau­platz der Kri­tik ara­bi­scher Zuschau­er an den poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen im Mitt­le­ren Osten“ über „Höhe­punkt des Miss­brauchs der Sport- und Event­kul­tur“ bis hin zu „Lehr­stück in Staats- und Verbandsversagen“.

Ges­tern Abend ging die Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft in Katar zu ende, Welt­meis­ter ist Argen­ti­ni­en. In einer Mit­tei­lung hat die Uni­ver­si­tät Bay­reuth die Ein­schät­zung von drei Pro­fes­so­ren zur WM 2022 wiedergegeben.

Prof. Dr. Rüdi­ger See­se­mann, Lehr­stuhl für Islam­wis­sen­schaft, weist auf unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven hin. „Als Islam­wis­sen­schaft­ler, der die loka­len kul­tu­rel­len und sprach­li­chen Refe­ren­zen in Zusam­men­hang mit der Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft ent­zif­fern kann, fällt mir vor allem auf, wel­che Dis­kre­panz zwi­schen der Wahr­neh­mung der WM aus west­li­cher und ara­bi­scher Per­spek­ti­ve besteht. Katar hat 2022 die tra­di­tio­nel­le ara­bi­sche Gast­freund­schaft beschwo­ren und cir­ca 200 Mil­li­ar­den Euro inves­tiert, um eine mög­lichst per­fek­te WM abzu­wi­ckeln. Die­se Leis­tung ver­schwand in West­eu­ro­pa hin­ter der Kri­tik an der men­schen­recht­li­chen Situa­ti­on von Arbeits­mi­gran­ten und LGBTQ-Per­so­nen. Natür­lich war es wich­tig, die­se gra­vie­ren­den Pro­ble­me anzu­spre­chen und auf Ver­än­de­run­gen zu bestehen, doch lei­der bra­chen sich in vie­len Äuße­run­gen auch anti­ara­bi­sche und anti­is­la­mi­sche Vor­ur­tei­le Bahn.“

See­se­mann gibt eben­falls zu beden­ken: „Der FIFA geht es pri­mär um wirt­schaft­li­che Inter­es­sen und nicht um Moral. Aber ihr Prä­si­dent Gian­ni Infan­ti­no hat­te zumin­dest in einem Punkt recht: Aus den Vor­wür­fen an die Adres­se Katars sprach viel Selbst­ge­rech­tig­keit und Über­heb­lich­keit. Den Men­schen in der ara­bisch-isla­mi­schen Welt ist nicht ent­gan­gen, dass die­se Vor­wür­fe aus Län­dern kamen, die ande­re Tei­le der Welt kolo­ni­siert und aus­ge­beu­tet haben und in denen Homo­se­xu­el­le bis vor kur­zem noch straf­recht­lich ver­folgt wurden.“

Der Islam­wis­sen­schaft­ler macht auch auf Aspek­te auf­merk­sam, die sei­ner Mei­nung nach in den hie­si­gen Medi­en so gut wie kei­ne Beach­tung fan­den. „Die WM bot nicht nur eine Büh­ne für das Schau­lau­fen ara­bi­scher Mon­ar­chen, son­dern sie war auch Schau­platz der Kri­tik ara­bi­scher Zuschau­er an den poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen im Mitt­le­ren Osten. Das Lied Raja­wi Filas­ti­ni, in dem den ara­bi­schen Herr­schern vor­ge­wor­fen wird, die Paläs­ti­nen­ser im Stich zu las­sen, wur­de zur inof­fi­zi­el­len WM-Hym­ne und in allen Sta­di­en und auf den Stra­ßen gesun­gen. Das uner­war­tet gute Abschnei­den Marok­kos hat eben­falls unver­kenn­ba­re poli­ti­sche Dimen­sio­nen, etwa die isla­mi­schen Gebe­te und sym­bo­li­schen Hand­lun­gen vie­ler Spie­ler oder die Arti­ku­la­ti­on von afri­ka­ni­scher und ber­be­ri­scher Iden­ti­tät, die den ara­bi­schen Natio­na­lis­mus rela­ti­viert. Die­se Poli­ti­sie­rung des Fuß­balls wird viel nach­hal­ti­ge­re Wir­kung auf die Regi­on aus­üben als die One Love-Bin­de je haben könnte.“

„Die WM 2022 ist ein Lehr­stück in Staats- und Verbandsversagen“

Die­se Arm­bin­den-Akti­on hält Prof. Dr. Mar­kus Kur­scheidt, Lehr­stuhl Sport­wis­sen­schaft II, für „gut gemein­te Sym­bol­po­li­tik“. Er ist nach eige­nen Wor­ten „fas­sungs­los“ über die eben zu Ende gegan­ge­ne WM. „Kor­rup­ti­on bei der Ver­ga­be und bis ins Euro­päi­sche Par­la­ment, teils schon geheim­dienst­li­che Beein­flus­sungs­prak­ti­ken mit gekauf­ten Fans, Influen­cern und Pro­mi­nen­ten als WM-Bot­schaf­ter, Demo­kra­tie- und Men­schen­rechts­fra­gen, geschön­te Umwelt­bi­lanz – alles ver­hal­ten oder sogar wohl­wol­lend beglei­tet von den Fuß­ball­ver­bän­den. Die FIFA Welt­meis­ter­schaft 2022 in Katar stellt den Höhe­punkt des Miss­brauchs der Sport- und Event­kul­tur dar. Es macht fas­sungs­los, wie unver­fro­ren die FIFA und Katar vor der Welt­öf­fent­lich­keit ihr Sports- und Green­wa­shing verfolgen.“

Der Exper­te für Ver­eins- und Ver­bands­struk­tu­ren im Sport stellt zudem fest: „Alle rele­van­ten Insti­tu­tio­nen schei­nen davor kapi­tu­liert zu haben. Die WM 2022 ist ein Lehr­stück in Staats- und Ver­bands­ver­sa­gen. Mit­un­ter sind auch die Medi­en auf die Mani­pu­la­tio­nen her­ein­ge­fal­len. In dem Zuge gelang es immer wie­der, berech­tig­te und durch­aus kon­struk­ti­ve Kri­tik als euro­zen­trisch, dis­kri­mi­nie­rend oder impe­ria­lis­tisch zu dis­kre­di­tie­ren. Wir haben eine unge­kann­te Ver­dre­hung von Tat­sa­chen und Argu­men­ten erlebt, die letzt­lich dann wie­der von der Fas­zi­na­ti­on des Fuß­balls ver­drängt wur­de. Man kann auch nicht mehr von Über­kom­mer­zia­li­sie­rung oder Miss­ma­nage­ment des Fuß­balls spre­chen. Hier war das Geld Mit­tel zum Zweck. Dabei ging es um knall­har­te geo­po­li­ti­sche Macht­po­li­tik und per­sön­li­che Berei­che­run­gen, die an orga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät erinnern.“

Kur­scheidt sagt außer­dem: „Ich kom­me mir wie ein Kli­ma­for­scher des Fuß­balls vor. Allen Befun­den zum Trotz steu­ert der Welt­fuß­ball auf sei­nen Unter­gang zu. Wir unter­su­chen die fort­schrei­ten­de Kli­ma­er­wär­mung im Welt­fuß­ball und war­nen mit unse­ren Befun­den vor dem Unter­gang der Fuß­ball­welt, wenn nicht schleu­nigst gehan­delt wird. Die Ver­ant­wort­li­chen schaf­fen der­weil einen Arbeits- und Bera­ter­kreis nach dem ande­ren und han­geln sich von einer Pres­se­kon­fe­renz zur nächs­ten, statt die Pro­ble­me stra­te­gisch und kon­se­quent anzu­ge­hen. Und zwar auf einer soli­den Wer­te­ba­sis und im Schul­ter­schluss mit den Fans und Akti­ven als der größ­ten und wich­tigs­ten Anspruchs­grup­pe. Wür­den die Eis­bä­ren beim Kli­ma­wan­del mit­re­den, wären wir schon viel wei­ter. Glei­ches gilt für die Fans und Fuß­ball­ba­sis, die sich immer wei­ter von den Ver­bands­spit­zen und dem gro­ßen Welt­fuß­ball ent­frem­det fühlen.“

Wie posi­tio­nie­re ich mich im Hin­blick auf die Dis­kus­sio­nen rund um die WM?

Prof. Dr. Tim Strö­bel, Pro­fes­sur für Mar­ke­ting und Sport­ma­nage­ment, glaubt, dass die WM 2022 als eines der umstrit­tens­ten Sport­events in die Geschich­te ein­ge­hen wird. „Dabei wer­den weni­ger die sport­li­chen Leis­tun­gen in Erin­ne­rung blei­ben, die bei die­sem Event eigent­lich im Mit­tel­punkt ste­hen, son­dern viel­mehr Dis­kus­sio­nen um Kor­rup­ti­on, Men­schen­rech­te oder Arbeits­be­din­gun­gen auf WM Baustellen.“

Die­se Aspek­te hät­ten gera­de auch im Mar­ke­ting Spu­ren hin­ter­las­sen. „Medi­en berich­ten kri­tisch. Spon­so­ren ver­mei­den auf­merk­sam­keits­wirk­sa­me Auf­trit­te oder zie­hen sich sogar ganz zurück. Von Ver­bän­den und Fuß­ball­spie­lern wird erwar­tet, Stel­lung zu bezie­hen, neben und sogar auf dem Platz.“

Gemäß dem Mar­ke­ting­ex­per­ten hät­ten sich die betei­lig­ten Mar­ken früh­zei­tig fra­gen müs­sen: Wie posi­tio­nie­re ich mich im Hin­blick auf die Dis­kus­sio­nen rund um die WM? „Dabei waren die­se Dis­kus­sio­nen zu erwar­ten, die WM wur­de vor vie­len Jah­ren ver­ge­ben und wur­de von Anfang an kri­tisch gese­hen. Zeit genug, eine Stra­te­gie zu ent­wi­ckeln und das Mar­ken­ma­nage­ment ent­spre­chend auszurichten.“

In die­sem Zusam­men­hang sei aller­dings zu berück­sich­ti­gen, dass die WM ein glo­ba­les Mega-Event dar­stel­le. Betei­lig­te Spon­so­ren­mar­ken ver­su­chen daher, zum Bei­spiel ihre Kom­mu­ni­ka­ti­on an ent­spre­chen­de Markt­ge­ge­ben­hei­ten anzu­pas­sen. Auf­grund der Digi­ta­li­sie­rung und der welt­wei­ten Bericht­erstat­tung kann die­se Stra­te­gie aber schnell zu einem Ver­lust an Authen­ti­zi­tät füh­ren. Aus Sicht des Mar­ken­ma­nage­ments hät­te man kla­re Zei­chen set­zen kön­nen, sogar müs­sen. Die Dis­kus­si­on um die One Love-Bin­de sei bei­spiel­haft dafür.

„Die Idee war rela­tiv kurz­fris­tig gedacht, muss­te auf­grund sport­li­cher Zwän­ge und zuneh­men­den Drucks der FIFA von DFB und ande­ren Ver­bän­den zurück­ge­nom­men wer­den. Das hat natür­lich Ein­fluss auf die Wahr­neh­mung der Mar­ke, ins­be­son­de­re auch dadurch, dass vie­le Akteu­re an die­ser Wahr­neh­mung betei­ligt sind. Mar­ken­ma­nage­ment ist kein iso­lier­ter und voll­stän­dig kon­trol­lier­ba­rer Pro­zess, son­dern wird von ver­schie­de­nen Akteu­ren dyna­misch und aktiv mit­ge­stal­tet. Aus Sicht des DFB ist es daher jetzt ent­schei­dend, rele­van­te Akteu­re, wie Fans und Spon­so­ren, aber eben auch die Medi­en, Spie­le­rIn­nen und die Poli­tik mit­zu­neh­men und Mög­lich­kei­ten zu bie­ten, die Mar­ke mit­zu­ge­stal­ten. Die­ses Vor­ge­hen bringt vie­le Her­aus­for­de­run­gen mit sich, bie­tet aber auch eine enor­me Chan­ce für die Zukunft.“