Mit jährlich etwa 8.000 Neuerscheinungen machen Kinderbücher einen der größten Anteile des Buchmarkts in Deutschland aus. Die Chance, diesem Genre inhaltlich Neues
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Kinderbuch
Hanni hat Nikoläuse
Mit jährlich etwa 8.000 Neuerscheinungen machen Kinderbücher einen der größten Anteile des Buchmarkts in Deutschland aus. Die Chance, diesem Genre inhaltlich Neues beizusteuern, ist entsprechend gering. Trixy Royecks, Innenarchitektin und Bühnen- und Kostümbildnerin am ETA Hoffmann Theater, und Schriftstellerin Judith Merchants gemeinsames Projekt „Hanni hat Nikoläuse“ könnte aufgrund seiner thematischen Nische aber ein Erfolg werden.
In „Hanni hat Nikoläuse“ geht es um ein kleines Mädchen namens Hanni, auf dessen Kopf sich Nikoläuse ansiedeln. Nach anfänglicher Ablehnung findet Hanni Gefallen an den Besuchern und am Ende trennt sie sich erst nach von ihrer Mutter und einem Arzt geleisteter Überzeugungsarbeit von ihnen.
Judith Merchants Text und Trixy Royecks Illustrationen erzählen Hannis Geschichte auf 12 großflächigen Seiten. Wir haben die Illustratorin zum Gespräch getroffen.
Frau Royeck, wie kam es, dass Sie als Bühnen- und Kostümbildnerin ein Kinderbuch illustriert haben?
Trixy Royeck: Ich bin mit der Autorin Judith Merchant schon seit Schulzeiten befreundet. Bisher haben wir uns immer etwa einmal im Jahr zum Kaffee getroffen und uns über aktuelle Projekte ausgetauscht. Letztes Jahr erzählte sie mir von einer Kindergeschichte, die sie geschrieben hatte. Das ging so weit, dass ich schon bei diesem Treffen angefangen habe, Skizzen der Hauptfigur Hanni zu machen. Wenn mir Gestaltungsfragen gestellt werden, setzt sich mein Kopf immer direkt in Schwung und ich beginne, mir zu überlegen, wie etwas aussehen könnte. Wir haben also angefangen, ein bisschen rumzuspinnen, wie das Cover aussehen könnte, und haben gemerkt, dass wir die gleichen Vorstellungen haben.
Wie sahen diese aus?
Trixy Royeck: Primär geht es um die Nikoläuse, die Hanni auf dem Kopf hat. Wie müssen sie aussehen? Sollen es süßliche, amerikanisierte Nikoläuse sein oder eigenständig gestaltete Charaktere. Und es geht um die Frage, wie man mit Hanni und den Nikoläusen die potentielle Käuferschaft, sprich Eltern, aber auch ihre Kinder anspricht und auf einen Blick klar macht, dass es kein Buch über fiesen Läusebefall ist, sondern dass es um ein fantasiebegabtes Mädchen geht, das sich diese fantastische Welt auf ihrem Kopf vorstellt. So sind Judith und ich zusammengekommen und irgendwann kam die Anfrage ihres Verlags, ob ich die Gestaltung übernehmen wolle.
Hatten Sie schon vorher den Wunsch, ein Kinderbuch zu illustrieren?
Trixy Royeck: Ich glaube, es ist der Traum von vielen Gestalterinnen und Gestaltern, ein Buch zu illustrieren, aber ich habe vorher illustrierte Bücher eher betrachtet und von deren Gestaltung geschwärmt, als dass ich in Betracht gezogen hätte, es selber zu machen. Und bei der Illustration eines Kinderbuchs kommt hinzu, dass es ein etwas spezielleres Projekt ist. Man muss die Illustrationen nämlich sowohl mit Erwachsenenaugen als auch mit Kinderaugen betrachten und beiden gerecht werden.
Gab es dazu gestalterische Vorgaben der Autorin?
Trixy Royeck: Als es dann klar war, dass ich das Buch illustrieren würde, haben wir ziemlich eng zusammengearbeitet. Es war weniger eine Vorgabe von Judith, als eine gemeinsame Überlegung, wie der Text im Raum, den die Illustrationen auf den Seiten des Buchs öffnen, aufgeteilt sein sollte. Oder anders gesagt: Was ist auf welcher Seite zu sehen, wie lässt sich Atmosphäre schaffen und was gibt es zu entdecken.
Besteht bei der Illustration die Gefahr, zu sehr eigenen Vorstellungen von kindgerechter Gestaltung anzuhängen, und nicht so sehr an die Wünsche der Kinder zu denken?
Trixy Royeck: Die Gefahr besteht absolut. Aber ich habe sie bei mir nicht gesehen, weil ich als Innenarchitektin und Bühnen- und Kostümbildnerin ja immer für die Augen und die Wahrnehmung anderer gestalte. Bei einem Kinderbuch weiß ich von Anfang an aber auch, dass es sowohl für die Kinder als auch für die Erwachsenen funktionieren muss. „Hanni hat Nikoläuse“ ist geeignet für Kinder ab drei Jahren. Dass heißt, den Kindern wird das Buch meistens noch vorgelesen. Dem Erwachsenenauge muss das Buch also auch ein wenig Spaß bereiten, es muss auch Dinge entdecken können. Kinder merken das, werden mitgezogen und haben somit auch Spaß. Liest man einem Kind ein Buch vor, das man selber nicht ansprechend findet, fällt es deutlich schwerer, dem Kind das Buch positiv zu vermitteln. Also habe ich versucht, die Illustrationen aus beiden Richtungen zu betrachten.
Haben Sie sozusagen Marktforschung betrieben und Kinder nach ihrer Meinung zu den Illustrationen gefragt?
Trixy Royeck: Ja. Meine eigenen und Kinder von Freunden und Bekannten habe ich zu Rate gezogen – gerade an Punkten, an denen Judith oder der Verlag und ich nicht einig darüber waren, wie etwas aussehen sollte. Ich habe bei den Kindern also in gewisser Weise verifiziert, was ich gestaltet hatte.
Der Markt für Kinderbücher ist riesig, um nicht zu sagen überfüllt. Was hebt „Hanni hat Nikoläuse“ aus der Masse hervor?
Trixy Royeck: Sein Thema. Wir haben gesucht, aber es scheint im Kinderbuchmarkt noch keine Nische für das Thema „Kopfläuse“ zu geben – zumindest nicht in dem Umfang, dass sich die Autorin davon hätte abhalten lassen, das Thema zu bestücken. Was ich spannend zu sehen finde, ist, wie Kinderärzte oder Kindergärten auf das Buch reagieren werden. Können sie das Buch gut einsetzen, gerade wenn es Läusebefall gibt? Ist das Buch dann vielleicht sogar hilfreich oder wird es primär aufgrund seiner Geschichte gelesen?
Kinderbücher haben oft eine Moral. Was ist die Moral dieser Kindergeschichte? Hat es die Botschaft, Kindern die Angst vor Kopfläusen zu nehmen?
Trixy Royeck: Ich weiß nicht, ob Kinderbücher eine Moral brauchen. Ich finde es immer gut, wenn man Geschichten mehrfach deuten kann.
Meinen Sie damit uneindeutige Dinge wie ein offenes Ende oder Ironie? Sollte Kinderliteratur nicht eindeutige Botschaften transportieren?
Trixy Royeck: Nein, das finde ich nicht. Ich kenne viele Eltern, die zwar schon sagen, dass Kinder keine Ironie verstehen, das komme erst im Alter von so und so vielen Jahren. Ich erlebe das aber anders. Ich denke, das kommt ganz auf den Haushalt an, in dem ein Kind aufwächst und was die Eltern für einen Humor haben und wie sie Geschichten erzählen. Bei „Hanni“ gibt es, denke ich, mehrere Interpretationsweisen. Vielleicht nimmt es tatsächlich die Angst und den Ekel vor Läusen. Und es geht auch um Freundschaft, denn die Nikoläuse entwickeln auf Hannis Kopf so eine Art Eigenleben und sie rutscht in die Geschichte der Nikoläuse rein und freundet sich mit ihnen an – anstatt sie mit einem Shampoo loszuwerden.
Worin liegen die grundsätzlichen gestalterischen Unterschiede zwischen der Illustrierung eines Kinderbuchs und der eines Bühnen- oder Kostümbilds?
Trixy Royeck: Bei einem Buch findet alles zweidimensional statt. Das heißt, man betrachtet den Raum, das Set und die Kostüme sozusagen nur von einer Seite. Blickwinkel ändern sich natürlich von Buchseite zu Buchseite, aber zweidimensional bleibt er doch. Außerdem musste ich beim Buch nicht so viele Kompromisse machen wie am Theater. An der Produktion eines Theaterstücks sind viel mehr Leute beteiligt, auf deren Vorstellungen man eingehen muss. Hinzu kommen technische Einschränkungen wie die der Maße der Bühne oder Vorgaben des Stücks. Man könnte also sagen, dass ich für das Buch viel weniger Einschränkungen hatte.
Welche Rolle spielte beim Illustrieren die Tatsache, dass die Illustrationen kindgerecht sein sollten?
Trixy Royeck: Ich habe weniger abstrakt und dafür erkennbarer, weicher und farbenfroher gearbeitet. Ich hatte zu Beginn überlegt, mehr mit einer Collage-Technik zu arbeiten. Aber Collagen sind sehr artifiziell und insofern nicht ganz so einfach erlebbar für ein Kind. Wobei ich denke, dass Kinder auch hier ziemlich frei sind und eigentlich alle möglichen Gestaltungsweisen annehmen.
Welche Hoffnungen haben Sie, was den Erfolg des Buchs betrifft?
Trixy Royeck: Ich würde mich sehr freuen, wenn das Buch es in viele Kinderzimmer und Kindergärten schafft. Ich finde die Geschichte einfach total erzählenswert. Und ich hoffe, dass es auch den Eltern gefällt.
Würden Sie sagen, dass Sie einen persönlichen gestalterischen Stil haben?
Trixy Royeck: Auch wenn Freunde und Kollegen das anders sehen, behaupte ich immer, keinen Stil zu haben. Ich glaube auch, dass man nicht unbedingt einen erkennbaren Stil haben muss, um damit als Alleinstellungsmerkmal weitere Aufträge zu generieren – schon aus dem Grund, dass zum Beispiel im Theater jede Inszenierung andere Bedingungen hat und anderes Aussehen verlangt.
Worin besteht der Reiz, mit Bühnen- und Kostümbild oder der Illustration eines Kinderbuchs, den Hintergrund zur eigentlichen Attraktion – der Handlung des Stücks oder der Erzählung des Buchs – zu gestalten?
Trixy Royeck: Man kann einen Raum, der eine Atmosphäre und bestenfalls eine eigene Geschichte transportiert, schaffen, der das ganze Thema unterstreicht und dem Betrachter die Möglichkeit bietet, in die Geschichte einzutauchen. Es können Assoziationsräume geöffnet werden, welche den Eindruck der Erzählung verstärken. Es bietet sich die Möglichkeit, der Inszenierung mit dem Aussehen von Bühne und Kostüm weitere, in diesem Fall optische, Erzählstränge hinzuzufügen. Man kann Charakteristika der Figuren unterstreichen oder infrage stellen. Das muss man zwar alles ganz behutsam behandeln, aber es kann wunderbar funktionieren.
Wie tief ist man als Bühnen- und Kostümbildnerin in den Probenprozess eingespannt?
Trixy Royeck: Schon ziemlich intensiv. Die Proben sind ein langer Prozess, in dem sich sehr viel entwickelt und auch ändern kann – teilweise an der Textgrundlage, teilweise am Spiel des Ensembles, teilweise am Bühnenbild und Kostümbild. Das Bühnenbild steht zwar meistens schon vor Probenbeginn fest, aber es muss immer wieder überprüft werden, ob es noch funktioniert und es muss hin und wieder angepasst werden. Genauso ist das bei den Kostümen. Dementsprechend ist es notwendig, den Probenprozess zu begleiten, um die Inszenierung bestmöglich zu unterstützen.