Im Por­trät

Kevin Kra­wi­etz erobert die Welt­spit­ze im Tennis

6 Min. zu lesen
Kevin Krawietz gehört zu den erfolgreichsten fränkischen Tennisspielern
Kevin Krawietz

Rück­blen­de: 4. Novem­ber 2018, Ecken­tal, das frän­ki­sche „Ten­nis-Mek­ka“, Cen­ter Court im House of Sports: Kevin Kra­wi­etz und Andre­as Mies wer­den für ihren Dop­pel­sieg gefei­ert, heim­sen 80 ATP-Punk­te ein und bekom­men einen Sie­ger­scheck über 2670 Euro. Geläch­ter im Fran­ken­land, als Andre­as Mies bei der Fra­ge auf ein Wie­der­se­hen 2019 äußer­te: „Hof­fe, dass wir so gut sind, dass wir nicht müs­sen!“ Wohl nie­mand, auch nicht sein Cobur­ger Dop­pel­part­ner Mies, träum­te in die­sem Moment von der gro­ßen wei­ten Top-Ten­nis-Welt. Aber exakt auf den Tag genau ein Jahr spä­ter, am 4. Novem­ber 2019, wur­de Kevin Kra­wi­etz als Sieb­ter der Dop­pel-Welt­rang­lis­te geführt (zum Ver­gleich: Ende 2018 stand er auf Rang 71). Ein Ten­nis-Traum wur­de wahr.

217 Tage nach dem Sie­ger­ju­bel auf dem Tep­pich­bo­den von Ecken­tal (Tur­nier­grün­der Mar­kus Gie­gold: „Ein Erfolg in der Dimen­si­on war sicher­lich für nie­man­den wirk­lich abseh­bar, da muss wie so oft im Sport auch schon immer viel Gutes zusam­men­kom­men.“) lagen Kevin Kra­wi­etz und Andre­as Mies mit aus­ge­streck­ten Armen und Bei­nen im Sand von Paris. Unfass­bar – die inter­na­tio­na­len „Nobo­dys“, bei die­sem Grand Slam-Tur­nier unge­setzt, besieg­ten in Roland Gar­ros die bei­den Fran­zo­sen Jere­my Char­dy und Fabri­ce Mar­tin in 85 Minu­ten mit 6:2, 7:6.

Der Sie­ger­scheck war auf das 217-Fache des Ecken­ta­ler Preis­gel­des aus­ge­stellt: 580 000 Euro. Ein neu­es Top-Ten­nis-Duo war ent­stan­den, das seit­dem auch inten­siv von der natio­na­len und inter­na­tio­na­len Ten­nis-Medi­en­welt beach­tet und wert­ge­schätzt wird. Kein Wun­der, denn „Kra­Mies“ schrie­ben Ten­nis­ge­schich­te der beson­de­ren Art: Seit 82 Jah­ren hat­te kein deutsch-deut­sches Ten­nis-Dop­pel mehr einen Grand-Slam-Titel eingefahren.

In der Retro­spek­ti­ve der Höhe­punkt eines ver­rück­ten Ten­nis­jah­res, das mit Ernüch­te­rung begann, denn Kra­wi­etz und Mies kamen im Janu­ar nicht ein­mal als Duo ins Haupt­feld der Aus­tra­li­an Open und muss­ten sich bei­de mit spiel­stär­ke­ren Part­nern behel­fen. Doch die­se Auf­tei­lung hat­te schnell ein Ende, als sie ihren sie­ben Chal­len­ger-Tur­nier­sie­gen ihren ers­ten Gewinn beim ATP-Hal­len­tur­nier in New York hin­zu­füg­ten. Letzt­lich bil­de­te die­ser Erfolg den Start­schuss für ein Erfolgs­jahr, das neben dem Titel in Paris im Okto­ber noch einen wei­te­ren Titel in Ant­wer­pen bescherte.

Kevin Krawietz und Andreas Mies nach ihrem Turniersieg in Eckental
Kevin Kra­wi­etz und Andre­as Mies nach ihrem Tur­nier­sieg in Eckental

Sei­ne Eltern haben ihn von Kin­des­bei­nen an inten­siv unterstützt

„Nach New York sind sie in alle ATP-Tur­nie­re rein­ge­kom­men – dass die­se Ent­wick­lung, die immer Schritt für Schritt ver­lief, sich jedoch so rasant stei­gern wür­de, damit war nicht zu rech­nen. Sie hat­ten sich auch in der Zeit davor immer vor­ge­tas­tet, und das Tur­nier in Ecken­tal hat bewie­sen, dass Poten­zi­al da ist“, lässt Kevin Kra­wi­etz‘ Vater Rudi die Zeit des Auf­stiegs Revue pas­sie­ren. Sei­nem Vater hat der Ten­nis-Auf­stei­ger aus Witz­manns­berg, einem Orts­teil von Ahorn im Land­kreis Coburg, sehr viel zu ver­dan­ken. Er, der in sei­ner akti­ven Fuß­bal­ler-Zeit beim FC Bam­berg in der Bay­ern­li­ga den Kas­ten hüte­te (von 1980 bis 1985) und es spä­ter im Squash sogar zu deut­schen Titeln schaff­te, schlepp­te sei­nen Spröss­ling schon sehr früh mit zum Squash und Ten­nis („so mit drei­ein­halb Jah­ren war er dabei und mit fünf mach­te er einen Schnupperkurs“). 

Auch sei­ne Mut­ter Ingrid war maß­geb­lich betei­ligt, sie fuhr Kevin vier bis fünf Mal pro Woche zu jeder Trai­nings­ein­heit, ob nach Coburg, Bam­berg, Bay­reuth oder zu Clau­dia Por­wick nach Fürth.

Es kam, wie es kom­men muss­te: Der Jugend­li­che vom TC Weiß-Rot Coburg, der sechs Jah­re für den TC Groß­hes­se­lo­he in der Bun­des­li­ga auf­ge­schla­gen hat und ab 2020 das Team des Deut­schen Meis­ter Grün-Weiß Mann­heim ver­stärkt, stand bereits mit zwölf Jah­ren in Bay­ern und bei der „Deut­schen“ auf dem Sie­ger­trepp­chen ganz oben. Mit 16 Jah­ren gab es den deut­schen Titel im Dop­pel und als „abso­lu­tes Sah­ne­häub­chen“ den Junio­ren-Erfolg (mit dem Fran­zo­sen Pierre-Hugues Her­bert) in Wim­ble­don 2009. Vom Tref­fen mit Roger Fede­rer beim Sie­ger­ban­kett in Lon­don schwärmt Kra­wi­etz noch heute

Kevin Kra­wi­etz wur­de damals als Neun­ter der Welt­rang­lis­te im Junio­ren-Dop­pel-Bereich geführt. Aus die­ser Zeit kennt ihn auch Max Hof­mann (TC Bam­berg), der sich mit ihm auf dem Platz duel­lier­te und nun mit ihm geschäft­lich ver­bun­den ist. „Ich freue mich rie­sig für Kevin, dass er als einer der weni­gen aus Ober­fran­ken den Sprung in die Ten­nis-Welt­spit­ze geschafft hat, vor allem weil er auf und neben dem Platz wirk­lich ein Klas­se-Typ ist. Immer nett, ent­spannt und sym­pa­thisch, wie sagt man so schön auf Neu-Deutsch: Er ist ein­fach „down-to-earth“ geblie­ben. Ich ken­ne Kevin noch ganz gut aus mei­ner Jugend auf dem Ten­nis­platz, wir haben öfters gegen­ein­an­der gespielt. Am Anfang konn­te ich ihn auf Grund des Alters­un­ter­schieds (er ist schließ­lich fast vier Jah­re jün­ger als ich) noch meis­tens gut in Schach hal­ten, doch im Lau­fe der Zeit hat sich das Blatt dann schnell gewen­det. Frü­her war Kevin ein Heiß­sporn und konn­te immer wie­der auch mal ziem­lich emo­tio­nal auf dem Platz wer­den. Da konn­te schon das eine oder ande­re Mal der Schlä­ger in die Ecke flie­gen. Wenn man aber jetzt sieht, wie abge­brüht er gegen die ganz Gro­ßen des Ten­nis­sports auf dem Platz auf­tritt, ist das schon wirk­lich eine mega­tol­le Entwicklung.“

Ange­sichts der jugend­li­chen Erfol­ge blieb ihm gar kei­ne ande­re Wahl, als ins Leis­tungs­zen­trum, die „Ten­nis Base“ in Ober­ha­ching, zu wech­seln. Ers­te Erfol­ge bei ITF-Future-Tur­nie­ren und ein Empor­klet­tern auf ATP Nr. 270 im Ein­zel gestal­te­ten die ers­te Pha­se im Her­ren­be­reich posi­tiv, doch es folg­ten schwie­ri­ge Zeiten.

An das gro­ße Geld war nicht zu den­ken und im Lau­fe der Jah­re wur­de Kra­wi­etz bis auf einen Rang um die 600 durch­ge­reicht. Ein har­ter Weg, der auch finan­zi­ell, was Flug, Hotels, Aus­rüs­tung et cete­ra betrifft, stei­nig war. Hät­te Kevin nicht einen so unbän­di­gen Wil­len gezeigt, sei­ne Fami­lie ihn nicht so gestützt und Bro­se-Chef Micha­el Sto­schek nicht der­art mit Spon­so­ren-Unter­stüt­zung die Tour­nee-Rei­sen ermög­licht, dann gäbe es kei­nen Paris-Sie­ger Krawietz.

Die­ses Tal wur­de über­lebt und als Licht­blick ent­pupp­te sich der ers­te Dop­pel­er­folg in Marok­ko 2015 (mit dem Nürn­ber­ger Maxi­mi­li­an Mar­te­rer). 2016 kam der Dop­pel­sieg in Ecken­tal in hei­mi­schen Gefil­den. Als er dann Ende des Jah­res wie­der zu sei­nem Ex-Trai­ner Klaus Lan­gen­bach, der ihn schon von 2009 bis 2013 betreu­te, zurück­kehr­te, nahm die Schritt-für-Schritt-Ent­wick­lung, wie es der Vater tref­fend beschrieb, ihren Lauf. Schon ein hal­bes Jahr spä­ter war der Sprung im Dop­pel unter die Top 100 und im Ein­zel auf Platz 211 geschafft.

Ange­sichts der Tat­sa­che, dass es kein leich­tes Unter­fan­gen ist, bei Tur­nie­ren Ein­zel und Dop­pel unter einen Hut zu brin­gen, waren es letzt­lich die Erfolgs­er­leb­nis­se (ins­ge­samt 17 gewon­ne­ne Chal­len­ger-Tur­nie­re) und das damit erwor­be­ne Selbst­ver­trau­en, die dazu führ­ten, dass die Ein­zel­kon­kur­ren­zen immer mehr in den Hin­ter­grund rück­ten. Das Erfolgs­jahr 2019 und die aktu­el­le Plat­zie­rung (Ein­zel: ATP 618; Dop­pel: ATP 13) bele­gen die rich­ti­ge Ent­schei­dung für das Doppel.

Ein Blick auf das Preis­geld darf natür­lich nicht feh­len. Die im Jah­re 2020 ein­ge­spiel­ten knapp 83.000 Dol­lar – zuletzt in Mar­seil­le Halb­fi­na­le und in Dubai Vier­tel­fi­na­le – sorg­ten dafür, dass der im Janu­ar 28 Jah­re alt gewor­de­ne Kra­wi­etz die Ein-Mil­lio­nen-Dol­lar-Gren­ze geknackt hat, was natür­lich nicht heißt, dass am zwei­ten März-Wochen­en­de bei der Davis­cup-Qua­li­fi­ka­ti­on gegen Weiß­russ­land zwei Dop­pel-Mil­lio­nä­re den Punkt im Dop­pel sicher­ten. Einer­seits ste­hen die­sen Preis­gel­dern hohe Kos­ten gegen­über, ande­rer­seits tre­ten Krawietz/​Mies nicht abge­ho­ben auf, im Gegen­teil, Boden­stän­dig­keit und Offen­heit kenn­zeich­nen die New­co­mer, die zudem dafür sorg­ten, dass das Dop­pel wie­der mehr Beach­tung fin­det. Spek­ta­ku­lä­re Ball­wech­sel am Netz und ein hohes Tem­po sind attrak­tiv und seit Krawietz/​Mies 2019 wie­der bekannter.

Bleibt die Ursa­chen­for­schung nach der ganz beson­de­ren Stär­ke von Kevin Kra­wi­etz im Dop­pel. Wer es am bes­ten beur­tei­len kann, ist sicher Vater Rudi: „Er hat die­sen Team­ge­dan­ken und spielt ger­ne in der Mann­schaft, dazu kommt die sehr gute Reak­ti­ons­fä­hig­keit am Netz, er hat kei­ne Angst. Neben dem Auf­schlag ist es noch das gewis­se Gespür in ent­schei­den­den Situa­tio­nen. Wenn es eng wird, macht er das Ding, das ist kaum erklär­bar. Beim Davis­cup in Madrid wehr­ten sie eini­ge Match­bäl­le ab.“

Bron­ze-Erfolg bei der ZDF-Sportler-Wahl

Apro­pos „Mann­schaft“: Die ZDF-Wahl „Sport­ler des Jah­res“ hat immer noch einen enorm hohen Stel­len­wert; als „Kra­Mies“ ein­ge­la­den wur­den, war dies schon eine enor­me Wert­schät­zung. Und sie­he da: Drit­ter bei der „Mann­schaft des Jah­res“ hin­ter den Ski­sprin­gern und dem Ruder-Achter.

Natür­lich fehl­ten auch loka­le Ehrun­gen nicht: „Bot­schaf­ter für Stadt und Land Coburg“. Eine gro­ße Ehre auf ande­rer Ebe­ne war die Beru­fung ins deut­sche Davis­cup-Team, davon träumt jeder Ten­nis­spie­ler. Der Anruf von Bun­des­trai­ner Micha­el Kohl­mann dürf­te wohl lebens­lang im Gedächt­nis blei­ben. Bei der End­run­de in Madrid schrie­ben sie dann auch gleich Geschich­te: Gegen Grie­chen­land spiel­ten sie beim 20:18 den längs­ten Tiebreak.

Krawietz/​Mies sind seit Novem­ber 2019 eine fes­te Grö­ße: Die Nomi­nie­rung für den ATP-Cup in Aus­tra­li­en Anfang des Jah­res und das Heim­spiel gegen Weiß­russ­land war zu erwar­ten. Dass die Erfolgs­wel­le der bei­den nach dem Paris-Tri­umph ein­mal abebb­te, ver­steht sich von selbst. Der Erwar­tungs­druck wuchs enorm, plötz­lich stan­den sie im Fokus und es gin­gen eini­ge enge Matches ver­lo­ren. Kei­ne leich­te Zeit, als sie neben Wim­ble­don noch wei­te­re Erst­run­den-Nie­der­la­gen weg­ste­cken muss­ten. Ein Sport­ler-Leben bringt nun ein­mal Höhen und Tie­fen mit sich, nur wer auch schwie­ri­ge Zei­ten meis­tert, kommt wie­der nach ganz oben. „Wei­ter­ma­chen“ lau­tet das Mot­to und bei den US-Open lief es mit dem Halb­fi­nal­ein­zug wie­der deut­lich bes­ser. Der Sieg in Ant­wer­pen push­te das Dop­pel, das im August 2017 den ers­ten gemein­sa­men Auf­tritt hat­te (Sieg in Meer­busch), Rich­tung ATP-Fina­le Lon­don. Der ver­pass­te Ein­zug unter die Top 4 war für das Duo kei­nes­wegs ent­täu­schend, allein das Errei­chen die­ses Events ist ein Rie­sen­er­folg, der der Lohn für das gran­dio­se Ten­nis­jahr 2019 war.

Zurück zu den Wur­zeln: Es ist der Drei­klang „Eltern­haus – Durch­hal­te­ver­mö­gen – nach­hal­ti­ges Spon­so­ring“, der Kevin Kra­wi­etz in die Welt­spit­ze kata­pul­tiert hat. Auch wenn er nun in Are­nen mit 20.000 Plät­zen spielt, das Ecken­ta­ler House of Sports ist ein Mark­stein in sei­nem Ten­nis-Leben und am 4. Novem­ber 2018 glich es einem Hexen­kes­sel mit Klatsch-Pap­pen und Trom­mel­wir­bel à la Bas­ket­ball-Events. Ein pas­sen­des Bild für die Erfol­ge, die danach kamen.

Weiterer Artikel

Kir­chen­sto­rys

Kurz­film-Wett­be­werb

Nächster Artikel

TiG – En passant

Das Thea­ter im Gärt­ner­vier­tel kehrt mit Mini­dra­men zurück