Für den Wiedereinstieg in einen zumindest einigermaßen geregelten Aufführungsbetrieb hat sich das Theater im Gärtnerviertel für die in der Region einzigartige Inszenierungsform „Theater im Vorbeigehen“ entschieden. Bei „TiG – En passant“ gibt es kurze Stücke, nicht länger als eine halbe Stunde, drei Mal pro Abend vorgetragen von jeweils zwei Ensemblemitgliedern vor einem zahlenmäßig reduzierten Publikum. Theaterleiterin Nina Lorenz hat uns nähere Auskunft darüber gegeben.
In welchem Zustand befindet sich das Theater im Gärtnerviertel, nicht zuletzt finanziell, nach mehreren Monaten Stillstand? Wie geht es dem Ensemble?
Nina Lorenz: Das Theater im Gärtnerviertel blickt zuversichtlich in die Zukunft und wir haben den Optimismus nicht verloren. Und eigentlich war der Stillstand nur ein Teilstillstand, da während des Lockdowns die Arbeit in unserem Theater weiter ging. Es gab viel zu organisieren, zu verschieben, zu besprechen und zu gestalten. So haben wir zu unserer in den nächsten Februar 2021 verschobenen „Dreigroschenoper“ die „Dreigroschenhappen“ produziert und damit die Reihe TiG-Online begründet, in der wir dann auch im wöchentlichen Rhythmus Inszenierungen aus vergangenen Spielzeiten online präsentiert haben.
Wir haben in der Zeit des Lockdowns eine unglaubliche Welle an Solidarität, Zuspruch, Ermutigung und auch finanzieller Unterstützung erhalten. Aus den verschiedensten Bereichen gingen Spenden im TiG ein, die zum Überleben beigetragen haben. Allen voran der TiG-Freundeverein, aber auch der Richard-Wagner-Verband, die Corona Bühne, die Stadtwerke, der Rotarier Club, Spenden von Zuschauerinnen und Zuschauern. An dieser Stelle sei es mir erlaubt, mich herzlich bei unserem Publikum und allen Spenderinnen und Spendern zu bedanken. Durch diese Unterstützung konnten und können wir bis Ende des Sommers weiterarbeiten und unser Ziel, bei Vorstellungen die vollen Gehälter an die Ensemblemitglieder zu zahlen, verwirklichen. Damit geben wir die Spenden direkt weiter. Das ist uns ein großes Anliegen. Denn im TiG gibt es keine Festanstellungen und somit auch keine Möglichkeit des Kurzarbeitergeldes. Das bedeutet, nicht spielen zu können, heißt schlichtweg kein Geld zu verdienen. Für die Ensemblemitglieder war der Lockdown deshalb eine harte Zeit, da keiner auftreten und spielen konnte, auch wenn es viel Arbeit im Hintergrund und hinter der Bühne gab und die konkrete existenzielle Bedrohung durch fehlende Einnahmen ist ein schwerer Schlag. Es galt, für jeden viele Erkundigungen für mögliche finanzielle Unterstützung einzuholen und Anträge zu stellen. Alle neuen Informationen über mögliche Anträge wurden untereinander sofort weitergereicht.
Wir im TiG versuchen so schnell wie möglich wieder Vorstellungsmöglichkeiten zu schaffen und mit Hilfe der eingegangenen Spenden die Höhe der Gagen zu halten und dadurch die Spenden direkt an das Ensemble weiter zu geben. Da wir erstmal mit deutlich weniger Einnahmen rechnen müssen, durch die stark reduzierten Zuschauergruppen, aber trotzdem die Honorare für das Ensemble halten wollen wie vor Coronazeiten, sind wir nicht nur auf die Spenden, auf die wir eine gewisse Zeit zurückgreifen können, angewiesen, sondern auch auf weitere finanzielle Unterstützung und Anträge.
Welche Gefühle verbinden Sie mit der Tatsache, dass beispielsweise Flugreisen mit vollgepackten Passagierreihen wieder möglich sind, während bei Kulturveranstaltungen im Publikum immer noch Abstände eingehalten werden müssen?
Nina Lorenz: Diese Regelung ist sehr schwer nachvollziehbar und zeigt deutlich, wo die Interessen der Regierung liegen, beziehungsweise wo sie eindeutig nicht liegen.
Wie entstand die Idee zu „TiG – En passant“?
Nina Lorenz: Uns hat die Frage, wie es weitergeht und wie wir Theater machen können, wenn es ab Juli wieder Öffnungen gibt, sehr beschäftigt. Werner Lorenz ist auf die wunderbare Idee von „TiG – en passant“ gekommen. Kurze Minidramen mit einer Dauer von knapp 30 Minuten, dreimal hintereinander gespielt, für kleine Zuschauergruppen. Und wir haben diese Idee dann zügig in die Tat umgesetzt.
Hat das Theater im Gärtnerviertel damit aus der Not eine Tugend gemacht ?
Nina Lorenz: Auf der einen Seite ja, das kann man so sagen, denn es galt flexibel, erfinderisch und phantasievoll mit der neuen Lage umzugehen und nicht abzuwarten, bis wieder bessere Zeiten kommen und erst ab Herbst wieder weiter zu machen. Auf der anderen Seite ist es uns ein großes Anliegen, gerade jetzt, wo wieder Öffnungen möglich sind, vom Digitalen wieder ins Analoge wechseln zu können, mit Theater Präsenz und Flagge zu zeigen und den Künstlerinnen und Künstlern zu ermöglichen, in ihrer Kunst zu arbeiten und damit Geld zu verdienen. Es ist uns wichtig, den gesellschaftspolitischen Dialog wieder aufzunehmen und es ist als Theater in dieser Stadt unser Auftrag, auch in Krisenzeiten so bald als möglich mit und durch das Theater wieder in Live-Kontakt mit unserem Publikum zu treten und Raum für kulturellen Austausch zu bieten.
In der Ankündigung schreiben Sie, „En passant“ sei zum Wiedereinstieg ins Theaterleben gedacht. Schwingt darin die Sorge mit, in Vergessenheit geraten zu sein?
Nina Lorenz: Dass wir nicht in Vergessenheit geraten sind, haben wir durch den großartigen Zuspruch in der schweren Krisenzeit deutlich erfahren dürfen. Sehr oft haben wir von unserem Publikum die ermutigenden Worte „Wir kommen wieder“ gehört und uns sehr darüber gefreut. Wiedereinstieg ist eher als Zeit nach dem Lockdown gemeint, nach der Abstinenz für alle von der, wie ich finde, systemrelevanten Theaterkultur, die einen systemrelevanten Raum und Rahmen für Fragen, Diskussionen, Austausch vor und nach einer Theatervorstellung bietet.
Hat das Theater im Gärtnerviertel mit dieser Art der Theateraufführung ein Alleinstellungsmerkmal in der Region?
Nina Lorenz: Ja, das denke ich. Es gibt wohl zur Zeit nichts Vergleichbares hier in der Region.
Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Stückwahl einer Urlaubsszene und zweier Dialoge zwischen Mann und Frau getroffen?
Nina Lorenz: Die erste Frage war, was in der Kürze der Zeit machbar ist? Welche Szenen lassen sich in so kurzer Probenzeit gut erarbeiten. Jedes Schauspielerpaar hat dann unter den vorgegebenen Bedingungen eine Szene vorgeschlagen und daraus sind die „En passant“- Abende entstanden. Jedes Paar studiert seine Szene in Eigenregie ein, kümmert sich auch in Eigenregie um Kostüm, Requisite und Bühnenbild.
Wieso haben Sie sich für diese Art der Aufführung entschieden, anstatt reguläre Aufführungen zu versuchen?
Nina Lorenz: Wir hatten zwei reguläre Wiederaufnahmen im Juli auf dem Spielplan: „The Purple Rose of Cairo“ im Odeon Kino und „Cyrano“ in der Gärtnerei Hohe. Wir haben lange überlegt, ob wir diese beiden Produktionen zeigen können, uns aber dann dagegen entschieden, da bei bereits inszenierten Stücken die Corona-Maßnahmen wie das Einhalten von Abständen der Schauspieler von 1,5 Metern auf der Bühne und im Backstage-Bereich oder keine gemeinsamen Requisiten oder Bühnenbildteile haben zu dürfen, für uns nicht umsetzbar waren und eine Uminszenierung einen zu großen Aufwand erfordert hätte. Außerdem waren etliche Vorstellungen bereits ausverkauft und wir hätten nur etwa 35 Zuschauerinnen und Zuschauern Platz bieten können, so dass wir eine Auswahl hätten treffen müssen. Auch das war nicht machbar. Und eine neue Inszenierung unter Coronamaßgaben noch im Juli herauszubringen, war zeitlich nicht möglich, da wir lange nicht proben durften. Dafür bieten wir „TiG – en passant“ an.
Wie sieht das Hygienekonzept des Theaters im Gärtnerviertel genau aus?
Nina Lorenz: Das TiG-Hygienekonzept ist nach den vorgegebenen Maßnahmen gestaltet und beinhaltet neben getrennten Einlass- und Auslassregeln alle Vorgaben von 1,5 Metern Mindestabstand sowohl im Zuschauerraum wie auf der Bühne, nummerierten und personalisierten Sitzplätzen, Desinfektion aller nötigen Bereiche im Halbstundentakt, regelmäßige Lüftung der Räume bis hin zu Schautafeln, Markierungen und Wegweisern und vieles mehr.
Was ist für den Rest des Jahres geplant?
Nina Lorenz: Wir haben uns entschieden, ganz normal in die neue Spielzeit 2020 /2021 zu starten und eröffnen am 25. September mit der Science-Fiction-Tragikomödie „Ab jetzt“ von Alan Ayckbourn. Wir sind dafür noch auf der Suche nach einem geeigneten größeren Spielort. Vielleicht hat jemand eine Idee, wir freuen uns über jeden Tipp.
Programm TiG – En passant:
Von Oben herab – Eine Reisewarnung für Balkonien
1. Juli: 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
2. Juli: 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
3. Juli, 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
Der Bär
8. Juli: 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
9. Juli, 19.30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
10. Juli: 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
Dialog zwischen Julia und einer Amme aus „Romeo und Julia“
15. Juli: 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
16. Juli: 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
17. Juli: 19:30 Uhr /20:10 Uhr /20:50 Uhr
Weitere Informationen: