Die Musica Canterey Bamberg pflegt das musikalische Erbe einer etwas weiter zurückliegenden europäischen Kulturepoche und führt regelmäßig vor allem Chorwerke aus Zeiten der Renaissance und des Barock auf. Oft dringt der gemeinnützige Verein dabei in musikalisch weniger bekannte Welten vor.
Mitte der 1960er Jahre traf sich in Bamberg regelmäßig eine kleine Gruppe Musikinteressierter, um ihrer damals noch sehr ungewöhnlichen musikalischen Vorliebe nachzugehen und sich mit Musik des 16. Jahrhunderts auseinanderzusetzen und sie aufzuführen. „Das war ein völliges Novum“, sagt Norbert Köhler, „kaum jemand hat damals ältere Musik aus den Zeiten vor Bach und Händel gemacht.“ Trotzdem, und auch ein bisschen gerade deswegen, blieb man aber dabei und gründete 1969 den Verein „Musica Canterey Bamberg e. V.“, dessen erster Vorsitzender Norbert Köhler seit 2015 ist. „Auch wenn sich das inzwischen geändert hat – damals waren wir das einzige Ensemble weit und breit, das sich der Musik der Renaissance verschrieben hat.“
Ein Weg, den die Musica Canterey, was so viel heißt wie Sängergruppe, bis heute kaum verlassen und lediglich ins Barockzeitalter erweitert hat. Der musikinteressierten Öffentlichkeit mag die Musik jener Ära heute nicht mehr so unbekannt sein wie vor 50 Jahren. Das Zurechtfinden in den Werken und Notenmaterialien des 15., 16. und 17. Jahrhunderts kommt aber nach wie vor oft einem Erforschen gleich, sofern noch keine gedruckten Ausgaben vorliegen.
Vor allem Gerhard Weinzierl, seit 1972 künstlerischer Leiter, sei es zu verdanken gewesen, dass ein entsprechender Forscherdrang eingeführt und später weitergegeben wurde und zu immer neuen Entdeckungen führte.
„Gerhard Weinzierl hatte großes musikwissenschaftliches Interesse und machte die Alte Musik, je tiefer er sich mit ihr beschäftigte, immer mehr zu seinem musikalischen Schwerpunkt“, sagt Norbert Köhler. „Er promovierte schließlich über das Messen-Schaffen des Hoforganisten Georg Arnold, der in den Diensten der Bamberger Fürstbischöfe stand, und widmete sich in den 1980er und 1990er Jahren sehr intensiv dem Werk weiterer Komponisten am Bamberger und Würzburger Hof. Außerdem war er mein Musiklehrer am Kaiser-Heinrich-Gymnasium, als ich dort 1978 Abitur machte. Ich durfte anschließend im damals noch sehr kleinen Chor der Musica Canterey mitsingen und lernte neben meinem Schulmusik-Studium viel von ihm, was die Chorarbeit und Erschließung unbekannter Werke angeht.“
In diesen frühen Jahren war die Musica Canterey noch ganz Chor, deren damals 18 Mitglieder vor allem Stücke des 16. Jahrhunderts sangen. Musik, die nicht auf große Klangpracht ausgelegt war, wie Norbert Köhler sagt. „Dann stellte sich aber heraus, dass die Musik des Frühbarock, also Anfang des 17. Jahrhunderts, etwa mit Werken von Claudio Monteverdi oder Heinrich Schütz ganz andere Möglichkeiten eröffnen konnte, in erster Linie auch mit Beteiligung von Instrumenten und Vokalsolisten. Der Chor ist immer noch das Rückgrat des Vereins, aber die Musica Canterey ist schon längst auch Veranstalterin. Denn wir laden immer wieder externe Profis ein oder bieten auch rein instrumentale Programme.“
Schub Anfang der 1980er
Ein Ereignis, das dem Verein zumindest in der Publikumsgunst große Aufmerksamkeit bescherte, war ein Konzert im Jahr 1986. Gerhard Weinzierl führte die bekannte „Marienvesper“ von Claudio Monteverdi in der St. Martinskirche auf. Eine hiesige Erstaufführung, die das Bamberger Publikum offensichtlich zu schätzen wusste. „Die Kirche war gerappelt voll“, sagt Norbert Köhler. „Die Leute standen bis über den Grünen Markt an. Unsere Erkenntnis war also damals: mit dieser Musik kann man durchaus ein größeres Publikum erreichen.“
Weitere Bekanntheit erhielt die Alte Musik in Bamberg 1988 durch die Gründung der „Tage Alter Musik in Bamberg“. Dieses alle zwei Jahre und 2024 zum nächsten Mal stattfindende Festival beleuchtet jeweils ein Thema mit mehreren Konzerten näher. Historische Aufführungs-Räume zum Beispiel in der Neuen Residenz und in Kirchen der Altstadt bieten den passenden Hintergrund.
Die Öffnung der Sängergruppe hin zur Barockmusik habe dem Verein auf jeden Fall einen regelrechten Schub verliehen. Anfang der 1980er Jahre war das Ensemble auf etwa 30 Mitglieder angewachsen. Diese Zahl ist bis heute ungefähr konstant.
„Es ist eine Gratwanderung“
Pro Jahr führt die Musica Canterey drei oder vier Programme mit Chorbeteiligung auf. Nach einem Passionsprogramm kurz vor Ostern erarbeitet der Verein derzeit Werke des englischen Komponisten William Byrd, der vor genau 400 Jahren starb. Premiere ist am 9. Juli im Rahmen eines Gottesdienstes im Kölner Dom und am 23. Juli tritt Musica Canterey damit in der Hallstadter Pfarrkirche auf.
Die Zusammenstellung solcher Programme obliegt Norbert Köhler. „Ich entwickle Programme, die stringent sind und einen roten Faden haben. Ich möchte keine beliebigen Zusammenstellungen. Liebeslieder aus zwei Jahrhunderten wäre mir zu oberflächlich.“ Diese Zielsetzung hat dazu geführt, dass Köhler in den mittlerweile 25 Jahren als Chorleiter des Vereins nur selten etwas mehrmals aufgeführt hat. „Wenn ich Konzert-Programme zusammenstelle, entdecke ich immer wieder Kompositionen, die ich bisher nicht auf dem Schirm hatte. Dank Internet geht dies heute natürlich deutlich leichter als in meiner Anfangszeit.“
Wer sich der Alten Musik annimmt, muss sich allerdings mit oft nur wenig aussagekräftigen Notentexten dieser Zeit auseinandersetzen. „Zum Beispiel Tempo- oder Dynamik-Angaben fehlen in damaligen Partituren völlig, Notenwerte sind anders als heute notiert. Diese Dinge müssen wir uns immer wieder anhand von Erfahrung, Quellenforschung und Aufnahmen professioneller Ensembles erarbeiten. Es ist eine Gratwanderung, manchmal kann man sich dem vermeintlich richtigen Klang bloß annähern. Wir erheben dabei nicht den Anspruch, alles richtig oder originalgetreu zu machen. Wir versuchen eine Interpretationsweise anzustreben, die dem vermuteten Originalklang möglichst nahekommt.“
Darum sei der früher gängige Begriff der „historischen Aufführungspraxis“ auch nicht ganz zutreffend. Inzwischen spricht man meist von „historisch informierter Aufführungspraxis“. Wenn Notenmaterial aber teilweise unvollständig ist oder nur andeutungsweise Auskunft über die Umsetzung gibt, und man die Lücken in der Erarbeitung eines alten Stückes füllen muss, entsteht dabei dann nicht zwangsläufig so etwas wie ein eigener Klang?
„Ich will das nicht überbewerten, aber einen Chorsound entstehen zu lassen, ist anspruchsvolle Arbeit. Es klingt zum Beispiel recht laienhaft, wenn die Aussprache von Vokalen nicht einheitlich gefärbt ist oder Konsonanten nicht präzise platziert werden. Man versucht, einen schönen homogenen Chorklang zu erzeugen, aber ich möchte nicht behaupten, dass wir einen eigenen Sound hätten. Allerdings setzen wir uns auch immer wieder mit historischen Stimmungen auseinander, in denen Akkorde reiner als in unserer modernen Stimmung klingen, was einen ganz besonderen Reiz ausmacht.“
Zukunftsperspektive
Mit diesem Anspruch im Chorklang nimmt die Musica Canterey allerdings in Kauf, manche potentiellen Interessentinnen und Interessenten abzuschrecken. Entsprechend fehlt es derzeit an Nachwuchs.
„Man muss schon Chorerfahrung vorweisen, wenn man bei uns mitwirken möchte, im Idealfall sogar vom Blatt singen können. Wir sind zwar Amateure, aber versiert im schnellen Erfassen von Notentexten. Und ja, es herrscht Nachwuchsmangel, vor allem an jungen Sängerinnen und Sängern. Von den Leuten, die dabei sind, waren etwa ein Drittel schon Mitglied, als ich vor 25 Jahren die Chorleitung übernahm. Unser Altersdurchschnitt ist höher als wir es uns wünschen. Viele vor allem junge Leute sind in der heutigen schnelllebigen Zeit nicht bereit, sich in einem längeren Prozess mit einer so spezifischen Musik abzugeben. In einem Pop-Chor finden sie leichter Zugang.“
Hinzu kommt eine zumindest personelle Konkurrenz mit anderen Chören der Stadt. „Es gibt nur eine begrenzte Zahl von Kandidaten, die sich einem Chor anschließen wollen, der auf hohem Niveau arbeitet. Leute also, die nicht nur niederschwellig singen, sondern sich auch herausfordernden Aufgaben stellen wollen. Aber diese Konkurrenz muss man nicht negativ sehen: Es gibt durchaus eine freundschaftliche Verbundenheit und personelle Überschneidungen zwischen den Chören, die sich zum Beispiel in der Zusammenarbeit bei der in zweijährigem Turnus stattfindenden Bamberger Chornacht widerspiegelt.“
In den letzten Jahren hat die Musik der Musica Canterey aus ihrem Nischendasein aber ein wenig herausgefunden, auch wenn es der Verein nicht ganz aufgeben möchte. „Wir wollen auch heute noch bewusst Werke aufführen, die andere nicht im Programm haben. Wir brauchen nicht auch noch eine Bach-Passion anbieten, das machen schon andere qualifizierte Chöre in Bamberg.“