Christine Hartnagel ist Intendantin, Schauspielerin, Regisseurin, Schneiderin, Autorin, Gründerin der Bamberger Gassenspiele. Seit über 15 Jahren betreibt sie das Freilufttheater, bei dem
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Freilufttheater der anderen Art
Bamberger Gassenspiele
Christine Hartnagel ist Intendantin, Schauspielerin, Regisseurin, Schneiderin, Autorin, Gründerin der Bamberger Gassenspiele. Seit über 15 Jahren betreibt sie das Freilufttheater, bei dem Bamberger Straßen und Plätze als Kulisse dienen. Unter anderem vom Erzbischöflichen Palais vorbei am Dom übers Pfahlplätzchen und hinunter zum Fluss führen die Mitglieder des 14-köpfigen Ensembles das Publikum immer samstagabends, um an diesen Orten die Szenen des aktuellen Stücks „Königsmord und kleinere Sünden“ zu spielen. Der andere Dauerbrenner der Gassenspiele, die Liebesgeschichte „Wie der Henker zu seinem Weib kam“ ist im derzeitigen Spielplan der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. „Königsmord“, das von den mittelalterlichen Erlebnissen eines Mönchs, einer Müllerin, eines Stadtwächters und Till Eulenspiegels handelt, wird seit einigen Wochen aber wieder gezeigt. Wir haben mit Christine Hartnagel gesprochen.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf den Betrieb der Bamberger Gassenspiele ausgewirkt?
Christine Hartnagel: Wie alle anderen Theater, die sich aus Eintrittsgeldern finanzieren, sind auch die Gassenspiele im März auf null gesetzt worden. Das heißt, wir haben seit März null Einnahmen gehabt, bis Mitte Juni, als wir wieder angefangen haben zu spielen. Das ist bei einem kleinen Theater wie dem unseren Wahnsinn. Wir arbeiten nicht in einer Größenordnung, in der man Rücklagen bilden kann, sondern im Prinzip leben wir von der Hand in den Mund. Wenn dann drei Monate völlig ausfallen, ohne dass man sich darauf vorbereiten kann, ist das ziemlich heftig.

Warum machen Sie diese Art des Theaters, bei der Ensemble und Publikum gemeinsam durch die Stadt ziehen?
Christine Hartnagel: Weil Bamberg eine traumhafte Kulisse darstellt, die kein Bühnenbildner schöner machen könnte, um die Stadt im Stück mit drin zu haben.
Hätten Sie auch in einer weniger ansehnlichen Stadt ein solches Theater gegründet?
Christine Hartnagel: Vermutlich nicht.
Auf der Homepage schreiben Sie vom Charme der Gassenspiele. Was macht diesen Charme aus?
Christine Hartnagel: Charme und Witz ist, was uns bei den Gassenspielen am Herzen liegt. Wir wollen kein Ersatz sein für eine Stadtführung bei der so viele Jahreszahlen, Namen und historische Hintergründe wie möglich vorkommen. Die Leute sollen sich wohlfühlen. Wenn wir neue Schauspielerinnen und Schauspieler einarbeiten sage ich ihnen immer zuerst, dass sie mit dem Publikum flirten müssen können.
Das heißt?
Christine Hartnagel: Das Publikum muss sich aufgehoben fühlen, als ob man mit dem besten Freund durch die Stadt geht. Das versuchen wir mit Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit zu erreichen. Und mit Nähe – was in Coronazeiten nicht einfach ist!
Spielen Sie das Publikum an?
Christine Hartnagel: Ja, wir spielen es nicht nur an, unser Publikum spielt mit. Die Leute stehen nicht nur da und schauen, sie sind miteingebunden und werden animiert, alles Mögliche unterwegs mit uns zu machen, also zum Beispiel ein Gebet mitsprechen oder ein Lied singen. Unsere Leute können dabei schon gut einschätzen, wer mitmachen und wer sich lieber raushalten möchte.
Ist der Fortlauf einer Aufführung auf die Beteiligung des Publikums angewiesen oder würde es auch ohne gehen?
Christine Hartnagel: Es muss auch ohne gehen, wenn das Publikum mal sozusagen streikt. Aber es gibt Momente, in denen sich eine Aufführung anders entwickelt, wenn das Publikum mitmacht.
Kann es passieren, dass je nach Rückmeldung des Publikums das Stück einen anderen Verlauf nimmt?
Christine Hartnagel: Nein, zumindest nicht komplett. Es gibt immer wieder kleine Sequenzen, in denen wir das Publikum brauchen und auf eine Rückmeldung angewiesen sind. Ein Beispiel: Unser Stück „Wie der Henker zu seinem Weib kam“, spielt am Ende in einem Gasthaus, was übrigens einer der Gründe ist, aus dem wir das Stück zurzeit nicht aufführen können. Dort stellt sich die Frage, ob die Frau im Stück, Marie, seine Frau wird oder ob sie an den Galgen kommt. Bevor diese Entscheidung fällt, fragt sie aber ins Publikum, ob sie jemand der Anwesenden heiraten möchte. Da kann es durchaus passieren, dass der eine oder andere im Publikum von unserer Marie derart angetan ist, dass er zustimmt. Wir können das Stück aber nicht zu Ende spielen, wenn sie sich auf so ein Heiratsangebot einlässt. Am Ende muss sie sich mit dem Henker verheiraten.
Wie ist der ungefähre Ablauf? Spielen Sie auch im Laufen oder nur an den Stationen?
Christine Hartnagel: Im Publikum sollten nicht mehr als 45 Leute sein, sonst wird es stimmlich zu schwierig. Die Szenen spielen wir nur an den Stationen, das Stück geht aber durch. Unsere Darstellerinnen und Darsteller bleiben die ganze Zeit in ihrer Rolle.
Sie spielen Ihre Stücke teilweise schon seit Beginn der Gassenspiele. Wird es nicht irgendwann langweilig, immer dieselben Stücke zu spielen?
Christine Hartnagel: Erstaunlicherweise nicht. Das Stück „Königsmord und kleinere Bamberger Sünden“ spielen wir tatsächlich schon von Anfang an. Aber jede Vorstellung ist komplett anders. Die Inszenierungen sind zwar durchchoreografiert und vorgegeben, dadurch, dass wir das Publikum aber so intensiv miteinbeziehen, wird jede Vorstellung anders. Unterwegs passiert viel.
Wären auch Stücke mit aktueller Thematik denkbar oder muss es für die Gassenspiele immer ein mittelalterlicher Hintergrund sein?
Christine Hartnagel: Unsere Stücke sind schon immer irgendwie historisch. Bei der Kulisse bietet sich das natürlich auch an. Und selbst, wenn wir zum Beispiel versuchen würden, eine Corona-Thematik mit reinzubringen, würde in unserem Corona-Stück mit Sicherheit die Pest auftauchen und wir wären wieder historisch.
Ziehen Sie während der Aufführungen auch durch die Sandstraße? Kommt es dort zu Aufeinandertreffen mit Leuten, die abends ausgehen?
Nein, durch die Sandstraße ziehen wir ganz bewusst nicht. Was sollen wir da? Man trifft natürlich auf andere Menschen, aber mit Feiernden haben wir wenig Kontakt. Wir treffen eher andere Führungen, es kann schon vorkommen, dass wir in einer Aufführung mehreren Kollegen anderer Anbieter über den Weg laufen.
Weitere Informationen Bamberger Gassenspiele
Nächste Aufführungen „Königsmord und kleinere Bamberger Sünden“:
25. Juli und jeden Samstag im August um 21 Uhr
Treffpunkt Vorplatz Jakobskirche