Frei­luft­thea­ter der ande­ren Art

Bam­ber­ger Gassenspiele

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Szene der Bamberger Gassenspiele aus "Königsmord und kleinere Bamberger Sünden"
Szene aus "Königsmord und kleinere Bamberger Sünden", Foto: Andreas Benker
Chris­ti­ne Hart­na­gel ist Inten­dan­tin, Schau­spie­le­rin, Regis­seu­rin, Schnei­de­rin, Autorin, Grün­de­rin der Bam­ber­ger Gas­sen­spie­le. Seit über 15 Jah­ren betreibt sie das Frei­luft­thea­ter, bei dem Bam­ber­ger Stra­ßen und Plät­ze als Kulis­se die­nen. Unter ande­rem vom Erz­bi­schöf­li­chen Palais vor­bei am Dom übers Pfahl­plätz­chen und hin­un­ter zum Fluss füh­ren die Mit­glie­der des 14-köp­fi­gen Ensem­bles das Publi­kum immer sams­tag­abends, um an die­sen Orten die Sze­nen des aktu­el­len Stücks „Königs­mord und klei­ne­re Sün­den“ zu spie­len. Der ande­re Dau­er­bren­ner der Gas­sen­spie­le, die Lie­bes­ge­schich­te „Wie der Hen­ker zu sei­nem Weib kam“ ist im der­zei­ti­gen Spiel­plan der Coro­na-Pan­de­mie zum Opfer gefal­len. „Königs­mord“, das von den mit­tel­al­ter­li­chen Erleb­nis­sen eines Mönchs, einer Mül­le­rin, eines Stadt­wäch­ters und Till Eulen­spie­gels han­delt, wird seit eini­gen Wochen aber wie­der gezeigt. Wir haben mit Chris­ti­ne Hart­na­gel gesprochen.

Wie hat sich die Coro­na-Pan­de­mie auf den Betrieb der Bam­ber­ger Gas­sen­spie­le ausgewirkt?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Wie alle ande­ren Thea­ter, die sich aus Ein­tritts­gel­dern finan­zie­ren, sind auch die Gas­sen­spie­le im März auf null gesetzt wor­den. Das heißt, wir haben seit März null Ein­nah­men gehabt, bis Mit­te Juni, als wir wie­der ange­fan­gen haben zu spie­len. Das ist bei einem klei­nen Thea­ter wie dem unse­ren Wahn­sinn. Wir arbei­ten nicht in einer Grö­ßen­ord­nung, in der man Rück­la­gen bil­den kann, son­dern im Prin­zip leben wir von der Hand in den Mund. Wenn dann drei Mona­te völ­lig aus­fal­len, ohne dass man sich dar­auf vor­be­rei­ten kann, ist das ziem­lich heftig.

Christine Hartnagel, die Leiterin der Gassenspiele
Chris­ti­ne Hart­na­gel, Foto: S. Quenzer

War­um machen Sie die­se Art des Thea­ters, bei der Ensem­ble und Publi­kum gemein­sam durch die Stadt ziehen?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Weil Bam­berg eine traum­haf­te Kulis­se dar­stellt, die kein Büh­nen­bild­ner schö­ner machen könn­te, um die Stadt im Stück mit drin zu haben.

Hät­ten Sie auch in einer weni­ger ansehn­li­chen Stadt ein sol­ches Thea­ter gegründet?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Ver­mut­lich nicht.

Auf der Home­page schrei­ben Sie vom Charme der Gas­sen­spie­le. Was macht die­sen Charme aus?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Charme und Witz ist, was uns bei den Gas­sen­spie­len am Her­zen liegt. Wir wol­len kein Ersatz sein für eine Stadt­füh­rung bei der so vie­le Jah­res­zah­len, Namen und his­to­ri­sche Hin­ter­grün­de wie mög­lich vor­kom­men. Die Leu­te sol­len sich wohl­füh­len. Wenn wir neue Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler ein­ar­bei­ten sage ich ihnen immer zuerst, dass sie mit dem Publi­kum flir­ten müs­sen können.

Das heißt?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Das Publi­kum muss sich auf­ge­ho­ben füh­len, als ob man mit dem bes­ten Freund durch die Stadt geht. Das ver­su­chen wir mit Herz­lich­keit und Auf­ge­schlos­sen­heit zu errei­chen. Und mit Nähe – was in Coro­na­zei­ten nicht ein­fach ist!

Spie­len Sie das Publi­kum an?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Ja, wir spie­len es nicht nur an, unser Publi­kum spielt mit. Die Leu­te ste­hen nicht nur da und schau­en, sie sind mit­ein­ge­bun­den und wer­den ani­miert, alles Mög­li­che unter­wegs mit uns zu machen, also zum Bei­spiel ein Gebet mit­spre­chen oder ein Lied sin­gen. Unse­re Leu­te kön­nen dabei schon gut ein­schät­zen, wer mit­ma­chen und wer sich lie­ber raus­hal­ten möchte.

Ist der Fort­lauf einer Auf­füh­rung auf die Betei­li­gung des Publi­kums ange­wie­sen oder wür­de es auch ohne gehen?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Es muss auch ohne gehen, wenn das Publi­kum mal sozu­sa­gen streikt. Aber es gibt Momen­te, in denen sich eine Auf­füh­rung anders ent­wi­ckelt, wenn das Publi­kum mitmacht.

Kann es pas­sie­ren, dass je nach Rück­mel­dung des Publi­kums das Stück einen ande­ren Ver­lauf nimmt?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Nein, zumin­dest nicht kom­plett. Es gibt immer wie­der klei­ne Sequen­zen, in denen wir das Publi­kum brau­chen und auf eine Rück­mel­dung ange­wie­sen sind. Ein Bei­spiel: Unser Stück „Wie der Hen­ker zu sei­nem Weib kam“, spielt am Ende in einem Gast­haus, was übri­gens einer der Grün­de ist, aus dem wir das Stück zur­zeit nicht auf­füh­ren kön­nen. Dort stellt sich die Fra­ge, ob die Frau im Stück, Marie, sei­ne Frau wird oder ob sie an den Gal­gen kommt. Bevor die­se Ent­schei­dung fällt, fragt sie aber ins Publi­kum, ob sie jemand der Anwe­sen­den hei­ra­ten möch­te. Da kann es durch­aus pas­sie­ren, dass der eine oder ande­re im Publi­kum von unse­rer Marie der­art ange­tan ist, dass er zustimmt. Wir kön­nen das Stück aber nicht zu Ende spie­len, wenn sie sich auf so ein Hei­rats­an­ge­bot ein­lässt. Am Ende muss sie sich mit dem Hen­ker verheiraten.

Wie ist der unge­fäh­re Ablauf? Spie­len Sie auch im Lau­fen oder nur an den Stationen?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Im Publi­kum soll­ten nicht mehr als 45 Leu­te sein, sonst wird es stimm­lich zu schwie­rig. Die Sze­nen spie­len wir nur an den Sta­tio­nen, das Stück geht aber durch. Unse­re Dar­stel­le­rin­nen und Dar­stel­ler blei­ben die gan­ze Zeit in ihrer Rolle.

Sie spie­len Ihre Stü­cke teil­wei­se schon seit Beginn der Gas­sen­spie­le. Wird es nicht irgend­wann lang­wei­lig, immer die­sel­ben Stü­cke zu spielen?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Erstaun­li­cher­wei­se nicht. Das Stück „Königs­mord und klei­ne­re Bam­ber­ger Sün­den“ spie­len wir tat­säch­lich schon von Anfang an. Aber jede Vor­stel­lung ist kom­plett anders. Die Insze­nie­run­gen sind zwar durch­cho­reo­gra­fiert und vor­ge­ge­ben, dadurch, dass wir das Publi­kum aber so inten­siv mit­ein­be­zie­hen, wird jede Vor­stel­lung anders. Unter­wegs pas­siert viel.

Wären auch Stü­cke mit aktu­el­ler The­ma­tik denk­bar oder muss es für die Gas­sen­spie­le immer ein mit­tel­al­ter­li­cher Hin­ter­grund sein?

Chris­ti­ne Hart­na­gel: Unse­re Stü­cke sind schon immer irgend­wie his­to­risch. Bei der Kulis­se bie­tet sich das natür­lich auch an. Und selbst, wenn wir zum Bei­spiel ver­su­chen wür­den, eine Coro­na-The­ma­tik mit rein­zu­brin­gen, wür­de in unse­rem Coro­na-Stück mit Sicher­heit die Pest auf­tau­chen und wir wären wie­der historisch.

Zie­hen Sie wäh­rend der Auf­füh­run­gen auch durch die Sand­stra­ße? Kommt es dort zu Auf­ein­an­der­tref­fen mit Leu­ten, die abends ausgehen?

Nein, durch die Sand­stra­ße zie­hen wir ganz bewusst nicht. Was sol­len wir da? Man trifft natür­lich auf ande­re Men­schen, aber mit Fei­ern­den haben wir wenig Kon­takt. Wir tref­fen eher ande­re Füh­run­gen, es kann schon vor­kom­men, dass wir in einer Auf­füh­rung meh­re­ren Kol­le­gen ande­rer Anbie­ter über den Weg laufen.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen Bam­ber­ger Gassenspiele

www.schau-und-spiel.de

Nächs­te Auf­füh­run­gen „Königs­mord und klei­ne­re Bam­ber­ger Sünden“:

25. Juli und jeden Sams­tag im August um 21 Uhr

Treff­punkt Vor­platz Jakobskirche

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