Am Freitag startete das goolkids-Projekt „Rollstuhlsport macht Schule“ in der RegnitzArena in Hirschaid in die neue Saison. Im Rahmen einer Pressekonferenz gab
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Inklusionstage mit goolkids
Neue Saison von „Rollstuhlsport macht Schule“
Am Freitag startete das goolkids-Projekt „Rollstuhlsport macht Schule“ in der RegnitzArena in Hirschaid in die neue Saison. Im Rahmen einer Pressekonferenz gab der Förderkreis goolkids gemeinsam mit der Sparkasse Bamberg als Partner zudem einen Ausblick auf die kommenden Monate.
Gegründet 2015 mit dem Schwerpunkt auf Integration, entstand zwischenzeitlich innerhalb des Förderkreises goolkids auch das Projekt ginaS, mit dem sich die Verantwortlichen neben Integration auch sehr stark für Inklusion engagieren. Beim Inklusionstag am Freitag (27. September) konnten Schülerinnen und Schüler der Grund- und Mittelschule Hirschaid einen Einblick gewinnen, was Inklusion in Sachen Rollstuhlsport bedeutet.
Sie erfuhren spielerisch, welchen Herausforderungen sich Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer im Alltag gegenübersehen. Mittels eines Parcours kann im Rahmen des Projektes durch aktives Auspropieren ein Gefühl für den Rollstuhl entstehen und dafür, wie mit diesem Hindernisse überwunden werden können.
„Wir stehen für Chancengleichheit und Vielfalt“
Im Namen des goolkids-Vorstands schilderte Wolfgang Heyder den ersten Berührungspunkt, der zu diesem Projekt führte. Heyder ist damals im Rahmen seiner Tätigkeit als Funktionär bei Gothas Basketballern in Kontakt mit den Thuringia Bulls, einem Rollstuhlbasketballverein im thüringischen Elxleben, gekommen, die damals bereits aktiv den Rollstuhlsport in die Schulen der Region brachten.
Vor drei Jahren startete goolkids, ebenfalls damals in Hirschaid, damit, in Bayern Inklusion durch den Sport in die Schulen zu bringen. Es ging schon damals darum, eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, deshalb wurde von Anfang an das Thema nicht nur in der Region Bamberg, sondern bayernweit umgesetzt.
Zum Start wurde damals auch die Rollstuhlbasketball-Mannschaft der Thuringia Bulls ins Boot geholt und unter Anleitung zweier Rollstuhlprofibasketballer hatten damals in Hirschaid Schüler die Möglichkeit, Inklusion zu erleben.
Das Projekt erfordert auch finanzielle Unterstützung durch einen starken Partner, der mit der Sparkasse Bamberg damals gefunden wurde. Dies sei damals auch der erste Berührungspunkt mit der Thematik gewesen und er sei mit der Entwicklung sehr zufrieden, betonte Thomas Schmidt, Vorstandsmitglied der Sparkasse Bamberg. Deswegen sei sein Haus gerne wieder dabei. „Wir stehen für mehr als Geld. Wir stehen für Chancengleichheit und Vielfalt“, so Schmidt, der im Anschluss einen Scheck über 10.000 Euro überreichte.
„Seit Mitte der 90-er Jahre spielen wir schon gemeinsam Rollstuhlbasketball“
Schulleiterin Sibylle Kretschmar freute sich am Freitag auch darüber, dass ein neuer Turnus startete und ihre Schule wieder dabei sein darf. Denn sie sei sehr dankbar, wie sich das Projekt entwickelt habe und betonte als positiven Effekt, dass Schüler durch das Zusammentreffen mit Menschen mit Beeinträchtigung auch Empathie entwickelten.
Lisca Dogan, die Projektleiterin von ginaS, betonte das Ziel, das Thema Inklusion weiter in den Vordergrund zu rücken. Besonders möchte man für Kinder die Tür aufmachen, die bisher keine Berührungspunkte mit dem Thema Rollstuhl haben. Denn es gebe mit derartigen Projekten die Möglichkeit, andere Perspektiven aufgezeigt zu bekommen. „Eben nicht nur die Perspektive, was gibt es für Schwierigkeiten und Hindernisse, sondern auch die Perspektive, was kann man Positives für ein gemeinsames Miteinander in der Gesellschaft mitnehmen.“
Das Projekt dient also auch dazu, durch Rollstuhlsport Barrieren im Kopf abzubauen und Berührungsängsten zu begegnen und Empathie zu entwickeln. Das wird auch dadurch verstärkt, das im Rahmen des Projekts immer in Teams geübt wird, bei dem ein zweiter Schüler den Rollstuhl absichert, während ein Schüler den Parcours absolviert.
Wie das Projekt innerhalb des Förderkreises in den letzten Jahren gewachsen ist, zeigt auch die hohe Resonanz für die neue Saison. 12 Termine stehen bereits jetzt fest, so Wolfgang Heyder.
Am Freitag wurde neben dem Absolvieren des Parcours auch der Ball in die Hand genommen. Ehrenamtlich begleitet Günther Vogel, jahrzehntelang im Rollstuhlbasketball tätig, das Projekt, und bezeichnet Rollstuhlbasketball als die erste inklusive Sportart. „Seit Mitte der 90-er Jahre spielen wir schon gemeinsam Rollstuhlbasketball.“
Der Auftakt mit begeisterten Kindern und engagierten Verantwortlichen zeigt, dass Projekte wie die Inklusionstage förderlich dafür sein können, frühzeitig aufzuzeigen, dass es keinen Unterschied macht, ob man Sport mit jemandem mit oder mit jemandem ohne Handicap macht.
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crowdfunding-Kamgapne für Inklusions-Projekt
„Rollstuhlsport macht Schule“
Der Förderkreis goolkids und die VR Bank Bamberg-Forchheim haben heute in einem Pressegespräch über ein gemeinsames Crowdfunding-Projekt informiert, durch das sechs Aktivrollstühle finanziert werden sollen. Diese sind dazu gedacht, Schülerinnen und Schülern bei Projekttagen in Schulen das Thema Inklusion zu vermitteln.
Mit einem Fußballspiel zwischen dem FC Eintracht Bamberg und der SpVgg Bayreuth wurde 2015 der Förderkreis goolkids quasi aus der Taufe gehoben. Mittlerweile entstand innerhalb des Förderkreises auch das Projekt ginaS und die Verantwortlichen engagieren sich neben Integration auch sehr stark für Inklusion.
Viele Projekte wie ein Menschenkicker-Turnier, Hallenfußballturniere oder Benefiz-Golfturniere wurden seit dem Start auf die Beine gestellt, jedes Jahr findet außerdem die Sportgala statt, dank der jedes Mal eine große Spendensumme generiert werden kann und die für dieses Jahr auf den 29. Oktober angesetzt ist.
„Kinder lernen am besten, wenn sie etwas erleben“
Am vergangenen Samstag fand zum 2. Mal das machMIT-Sportfest von goolkids statt, bei dem sich jede und jeder Interessierte informieren und ausprobieren konnte. Unter anderem bestand die Gelegenheit, Rollstuhlbasketball zu spielen und zu versuchen, sich in den Alltag auf den Rollstuhl Angewiesener hineinzuversetzen.
Auch Bambergs Dritter Bürgermeister Wolfgang Metzner versuchte sich und schilderte heute neben seiner Erfahrung vom Wochenende auch die aus seiner Zivildienstzeit, als die Zivis sich an einem Tag während der Zivildienstschulzeit gegenseitig durch Bamberg schoben, um die Barrieren selbst zu erleben. „Kinder lernen am besten, wenn sie etwas erleben“, wie er als Lehrer im Hauptberuf wisse. Und eine der wichtigsten Eigenschaften sei Empathie, die sich durch solche Erfahrung entwickeln könne. Das goolkids-Projekt müsse daher gefördert werden, „weil es über den Sport hinaus gerade bei jungen Menschen was bewirkt im Kopf.“
Während Metzner die Stadt Bamberg repräsentierte, war sein Parteifreund und Bundestagsabgeordneter Andreas Schwarz (SPD) als Botschafter von goolkids vor Ort und betonte, dass er die Rolle sehr gerne ausfülle, da bei goolkids Macher am Werk seien. Er könne sich noch gut an den Tag erinnern, als Robert Bartsch ihm vor dem Start von goolkids die Vision aufgedröselt habe. Sport sei eine der Möglichkeiten, mit denen man Menschen integrieren könne und man sehe, wie der Weg von goolkids von Erfolg gekrönt sei.
goolkids-Vorstandsvorsitzende Anna Niedermaier nutzte die Möglichkeit, sich für die Partnerschaft bei der VR Bank Bamberg-Forchheim zu bedanken, die einer der Unterstützer der ersten Stunde sei. Zum Rollstuhlbasketball-Projekt betonte sie: „Wir wollen die Eindrücke den Kindern auf spielerische Art und Weise aufzeigen.“
Barrieren überwinden – vor allem im Kopf
Von der VR Bank begrüßte eingangs Vorstandsvorsitzender Joachim Hausner die Anwesenden und freute sich, dass über die im Frühjahr gestartete Crowdfunding-Plattform bereits mehr als 60.000 Euro an Unterstützungsgeldern eingesammelt werden konnten und die Bank selbst mittlerweile 17.000 Euro dazugeben konnte.
Jasmin Scholz vom Marketing der Bank erläuterte das Crowdfunding, für das die VR Bank eine Plattform bereitstelle, auf der Projektstarter und Menschen, die bereit sind, Projekte zu unterstützen, zusammengebracht werden. Darüber hinaus stocke die VR Bank jede Spende um jeweils den Spendenbetrag bis zu einem Betrag von 50 Euro auf.
Namens des goolkids-Vorstands schilderte Wolfgang Heyder, wie der Förderkreis in den letzten Jahren gewachsen ist. Er betonte die hohe Resonanz, die die ersten Rollstuhlprojekte in Schulen hervorrufen, allerdings fehle es noch an eigenen Aktivrollstühlen. Die derzeitigen Aktivrollstühle sind nur ausgeliehen, wie Projektleiter Lukas Parzych erläuterte.
Im Rahmen des goolkids-Crowdfunding-Projektes auf der Plattform der VR Bank Bamberg-Forchheim wurde als Ziel ein Spendenbetrag von 10.000 Euro ausgegeben. Hiermit solle sechs Aktivrollstühle finanziert werden, mit überschüssigem Geld würde das Projekt „Rollstuhlsport macht Schule“ ausgeweitet werden können, eventuell auch personell.
Lukas Parzych betonte, wie gut die Fußball- und die Basketballinklusionsmannschaften mittlerweile funktionieren und dass man neben dem Spaßfaktor auch das Überwinden von Barrieren sehe, zum einen die Barrieren, die mit dem Rollstuhl zu überwinden seien, dazu aber auch die Barrieren im Kopf. Und genau dies wollen er und alle weiteren Verantwortlichen auch beim Projekt „Rollstuhlsport macht Schule“ erreichen.
Ein großes Highlight wird im kommenden Jahr auf Bamberg zukommen, wenn die Stadt im Vorfeld der Special Olympics World Games als Host Town mit von der Partie sein und Sportlerinnen und Sportler aus Bahrain beherbergen darf. Darauf ging der Sportreferent der Stadt Bamberg, Dr. Mathias Pfeufer, ein. Auch dies wurde in hohem Maße durch die Erfolge von goolkids und dem Netzwerk, das der Förderkreis in Sachen Inklusion aufgebaut hatte, möglich.
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Selbstverteidigung mit Handicap
Trainerin Karin Thiel
Karin Thiel gibt Unterricht in Selbstverteidigung. Das tut sie gleichermaßen für Menschen mit wie auch für Menschen ohne Behinderung. Sie selbst leidet an Multipler Sklerose und sitzt im Rollstuhl. In diesem Zustand Trainerin zu sein, ist kein leichtes, aber ein mutiges Unterfangen. Es gibt ihr und anderen Kraft und schenkt Lebensfreude.
Schon immer wollte Karin Thiel eine Kampfsportart lernen, aber sie hat sich nie getraut. Sie fühlte sich körperlich nicht stark genug. Erst das Ausbrechen ihrer Krankheit hat sie dazu gebracht, ihrem Wunsch nachzugehen. Dabei gab es keinen unmittelbaren Anlass, wie etwa einen Angriff, dem sie ausgesetzt gewesen wäre. Vielleicht aber spürte die den Impuls, dass man plötzlich mehr an sich, an seine Wünsche und Träume denkt, dass man aus einem Schattendasein tritt und Mut fasst, sich zu verwirklichen.
Die Chance nutzen
Mit 28 Jahren merkte Karin Thiel, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Immer wieder stolperte und stürzte sie. Die Diagnose: Multiple Sklerose. Trotz allem blieb sie optimistisch und auch kämpferisch. Sie gründete eine Familie, zog ihren Sohn auf und stand bis zur Erwerbsunfähigkeit im Arbeitsleben. Begonnen hat ihre Karriere in der Selbstverteidigung 2005, als Karin Thiel auf einer Mutter-Kind-Kur weilte. Hier gab eine Therapeutin einen Antigewalttrainings-Kurs. Die junge Mutter nutzte die Chance, nahm teil und fand Gefallen. Der Grundstein war gelegt.
Zwei Jahre später nahm sie an weiteren Kursen in Ulm, Kitzingen und Bamberg teil. So baute sie ihr Wissen und Können immer weiter aus. Schließlich legte sie als erste Frau und als erste Rollstuhlfahrerin in ganz Bayern im Behindertensport die Prüfung zur Fachübungsleiterin ab. Seither agiert sie ehrenamtlich selbst als Kursleiterin – und das nicht nur in Bamberg und Umgebung, sondern auch beispielsweise in Rosenheim, Starnberg, München oder Nürnberg. Sie trainiert Menschen mit und ohne Handicap, geht in Kindertagesstätten oder in karitative Einrichtungen.
Sportliche und verbale Elemente
Karin Thiels Oberkörper funktioniert gut, die Beine allerdings nicht mehr. Wie vermittelt sie in dieser etwas schwierigen Verfassung die Verteidigungstechniken? „Manches kann ich zeigen, andere Dinge erkläre ich theoretisch. Außerdem arbeite ich mit Hilfsmitteln, wie Schlagstöcken. Auch den Rollstuhl kann man, mit der richtigen Handhabe, als Verteidigungsinstrument einsetzen. Und verbal trainieren wir auch“, sagt Karin Thiel. Ein Teil der Techniken entspringen dem Kae-In-Sog-In – was aus dem Koreanischen übersetzt „Vielfalt“ heißt. Diese speziell für Menschen mit Behinderung entwickelte Selbstverteidigung mischt Elemente verschiedenster Kampfkünste – beispielsweise Karate, Judo, Jiu Jitsu oder Taekwondo – und passt sie den Fähigkeiten der einzelnen Teilnehmer an.
Meist macht Karin Thiel Paarübungen, bei Rollstuhlfahrern ist der Partner häufig die Begleitperson. So aufgestellt führt sie die Sportwilligen an Bewegungs-Übungen heran. Erfahrungsgemäß sind die Teilnehmer zunächst einmal zögerlich. Karin Thiel schafft es aber schnell, sie aus der Reserve zu locken. Wie? Die Trainerin lacht: „Wenn die Runde nicht so richtig in Schwung kommt, sage ich immer: Denkt an jemanden, den ihr überhaupt nicht mögt. So einen gibt es immer!“ Und schon tauen die Teilnehmer auf und werden mutiger. Aber einen Aspekt stellt sie auch von vornherein klar: „Wir möchten nicht diejenigen sein, die aggressiv sind und anfangen zu stänkern. Nur dann, wenn es nötig ist, wehren wir uns. Und zwar richtig.“
Das ist nur ein Teil ihrer Lehrmethode. Weil Karin Thiel nicht nur eine dynamische und selbstbewusste, sondern auch eine einfallsreiche und kreative Frau ist, hat sie viele Übungseinheiten selbst erfunden. So bindet sie beispielsweise verbale Einheiten in ihre Kurse ein. Laut zu werden, deutlich seine Haltung auszudrücken und gezielt zu diskutieren sind wichtige sprachliche Elemente.
Verteidigung macht Eindruck
Karin Thiel macht vielen Menschen Mut. Sie schöpft aus ihren eigenen Reserven und gibt das, was sie selbst im Laufe der Jahre aufgebaut hat, ab: physische und psychische Kraft. Wichtig ist dabei erst einmal – egal ob behindert oder nicht – eine aufrechte Körperhaltung und eine energetische Körperspannung aufzubauen. Wer kraftvoll, gestreckt und gerade geht, symbolisiert seinem Gegenüber, dass er Selbstbewusstsein und ‑vertrauen in sich hat. Diese Grundeinstellung verdeutlicht innere Stärke und ist schon einmal die halbe Miete. Dabei vermittelt Karin Thiel, dass es immer einen Weg für eine Lösung gibt. „Das geht nicht, das bekomme ich nicht hin!“ gibt es bei ihr nicht. Gemeinsam mit ihren Teilnehmern findet sie einen Weg.
Beleidigungen und tätliche Angriffe gehören nicht nur für behinderte Menschen zu Gegebenheiten, die psychische Spuren hinterlassen. Um diese nicht dauerhaft mit sich herumtragen zu müssen, ist es wichtig, Signale frühzeitig zu erkennen und ihnen etwas entgegenzusetzen: sich wehren. Vielen Kursteilnehmern hat Karin Thiel so den Weg zu einem selbstbestimmten Leben geebnet.
Das zeigt auch das schöne Beispiel einer Rollstuhlfahrerin, die traurig und eingeschüchtert zum Kurs kam. Ihr Mann, auch gehbehindert, und sie erfuhren immer Beleidigungen durch den Nachbarn. Der betrat unerlaubt das Grundstück des vermeintlich hilflosen Ehepaares, beschimpfte beide Partner und schubste sie sogar.
Karin Thiel arbeitete mit der Frau an dem Problem. Sie gab ihr Möglichkeiten an die Hand, wie sie dagegen ankommt. Selbstbewusst sein ist ein Schlüsselwort, dann dem Störenfried verbal den Wind aus den Segeln nehmen. „Da darf man schon einmal laut und grob werden“, sagt Karin Thiel. „Es gibt viele Möglichkeiten, auch relativ einfache und ein bisschen witzige Methoden: zum Beispiel den Gartenschlauch anstellen und den ungebetenen Gast per Wasserstrahl vertreiben.“ Im Endeffekt kann sich neben all diesen Methoden ebenso eine rechtliche Beratung vorteilhaft auswirken. Auch in dieser Richtung wird Karin Thiel, in Kooperation mit einem Rechtsanwalt, tätig.
Die Rollstuhlfahrerin hat es jedenfalls geschafft, sich gegen den ungeliebten Nachbarn zu behaupten. Karin Thiel hat sie eine Woche nach Kursende angerufen und nachgefragt, ob das Problem gelöst sei. „Der?“, hieß es am anderen Ende der Telefonleitung, „dem habe ich deutlich meine Meinung gesagt. Dabei saß ich kerzengerade im Rollstuhl und mein Mann stand neben mir. Wir haben ihn fest angesehen und gesagt, dass wir uns sein Verhalten nicht mehr gefallen lassen. Mein Mann hat dann noch recht bestimmt mit seiner Gehhilfe in seine Richtung gewiesen. Da ist er abgedampft und wurde nicht mehr gesehen.“
Warum Selbstverteidigung?
Wenn man sich verteidigen kann – und das kann man auch als behinderter Mensch sehr gut – ist man fähig, dem Angreifer etwas entgegenzusetzen. „Die Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu mir“, sagt Karin Thiel. „Manche haben Angst, alleine zum Beispiel nachts unterwegs zu sein, andere haben schlechte Erfahrungen gemacht und sind beleidigt worden. Das muss man sich nicht bieten lassen.“ Lebhaft und humorvoll vermittelt die 54-Jährige ihr Wissen. Ihr Temperament überträgt sich auf die Runde. Was sie ganz besonders authentisch macht, ist, dass sie selbst ein Handicap hat. Dabei demonstriert Karin Thiel, dass man gut damit leben kann.
Insbesondere Menschen mit Handicap sind in verschiedenen Lebenslagen mehr gefordert als Menschen ohne. Allein schon der Alltag ist für sie deutlich schwieriger zu bewältigen. Oft kommt noch eine fehlende Wertschätzung, Respektlosigkeit und Anerkennung seitens der Mitmenschen dazu. „Es gibt aber auch das Gegenteil: übertriebene Anteilnahme“, weiß Karin Thiel aus eigener Erfahrung. Mitleid und das Abnehmen aller anfallenden Handgriffe sind ebenfalls keine gute Reaktion, Behinderten zu begegnen. Gerade aber für nicht-wertschätzende Attacken sind Trainings, wie die Selbstverteidigungskurse von Karin Thiel, eine gezielte Stärkung der Teilnehmer, auf solche Reaktionen zu reagieren. Diese sollen lernen, dass sie genauso wertig wie andere Menschen sind, dass sie natürlich Stärken und Schwächen haben und einfach „ganz normal“ sind.
Mit Spaß und Action trotz Beeinträchtigungen zu trainieren und dabei die Selbstkontrolle zu verbessern sind Ziele, die am Ende jeder Kurseinheit stehen. Egal ob mit oder ohne Handicap, ein weiteres Ziel besteht darin, Übergriffe einzuschätzen, die richtige Abwehrmethode herauszufiltern und Anfeindungen gestärkt entgegenzutreten. Um das optimal zu schaffen, muss man erst einmal seine Grenzen kennen. Bei behinderten Menschen sind diese meist offensichtlich. So kann jemand, der wie Karin Thiel im Rollstuhl sitzt, sich nicht durch Tritte verteidigen. Hier setzt die Trainerin individuell an und überlegt sich Methoden, die passgenau auf den jeweiligen Teilnehmer zugeschnitten sind. Theoretische Lerninhalte wechselt sie mit praktischen Übungen ab. Das Niveau steigt vom Anfängerkurs zum Aufbaukurs, indem sich die Herausforderungen verändern. Wichtig ist Karin Thiel auch, dass über Sorgen, Ängste und negative Erfahrungen gesprochen wird. „Vertrauen zu sich und den anderen zu entwickeln, sind Grundvoraussetzungen, um in der Offensive stark zu sein.“
Behinderung als Chance
Karin Thiel sieht ihre Behinderung als Chance. Allein ihr bunter Rollstuhl drückt schon Lebensbejahung aus. „Dadurch, dass ich mir bewusst bin, dass ich krank bin, aber für meinen Körper und mich etwas tue, steuere ich der Krankheit entgegen. Ich werde gelenkiger, werde nicht faul und auch geistig – immer im Austausch mit den vielen Menschen, die in meine Kurse kommen – bleibe ich rege. Wach in jeder Hinsicht, sei es geistig oder körperlich, zu sein, zeigt mir, dass ich mich selbst schätze. Und wenn ich mich achte, achtet mich auch meine Umwelt. Selbstverteidigung bedeutet dabei für mich Freude, Freiheit und Spaß.“
So viel Zeit Karin Thiel auch in die Antigewalttrainings steckt, ihre einzige Facette ist dieser Sport nicht. So besuchte sie in der Vergangenheit Krankenhäuser als Klinikclown. Bis heute formt sie Luftballonfiguren, um Kinder in Kindertagesstätten oder Kranke in Kliniken zu erfreuen. Außerdem berät sie Fachpersonal, pflegende Angehörige und Betroffene hinsichtlich der Hilfsmittelwahl, zum Beispiel welche genau man benötigt und welche Art die richtigen sind. Sie gibt Rollstuhlkurse für Begleitpersonen, denn es ist gar nicht so einfach, sich mit Rollstuhl samt Insassen durch die Stadt zu bewegen. Wie überwindet man Gehsteigkanten, wie kommt man kraftsparend einen Berg hinauf oder geht es, Rolltreppe zu fahren? Das sind nur einige Fragen von vielen.
Immer verbindet Karin Thiel diese Dinge mit Witz, guter Laune und Ideenreichtum. So hat sie schon Rollstuhl-Spiele und Rollstuhl-Züge in der Bamberger Innenstadt initiiert. Sie demonstriert damit, wie normal und mitunter auch lebensbejahend ein Leben mit Behinderung sein kann. Und sie zeigt, wie man die Angst vor unvorhergesehenen Situationen verlieren kann. „Auch wir Rollstuhlfahrer müssen lernen, dass Hilfe nicht von selbst kommt. So müssen wir den Mund aufmachen und einfach fragen, ob uns jemand hilft. Wir denken, das müsste jeder sehen. Aber dem ist nicht so. Das Kind beim Namen genannt helfen viele Passanten gerne, wenn sie direkt auf das Problem angesprochen werden.“
Natürlich ist ein Leben im Rollstuhl kein Zuckerschlecken, aber es ist machbar. Es kann ungesehene Möglichkeiten eröffnen: Sei es einen Selbstverteidigungskurs zu besuchen, einfach nur Mut zu schöpfen, beweglich zu bleiben oder Gemeinschaft zu erleben. Karin Thiel macht’s vor.