Die Präsidentschaftswahl in Russland steht im März 2024 an. Zu diesem Anlass werfen Forschende der Universität Bamberg einen Blick auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in der russischen Politik und Gesellschaft.
Am 15. März findet die Präsidentschaftswahl in Russland statt. Voraussichtlicher Sieger mit zunehmend autoritärem und diktatorischem Herrschaftsstil ist Amtsinhaber Wladimir Putin.
Im Vorfeld der Wahl haben Forschende der Universität Bamberg Einschätzungen über das heutige Russland, das System Putins und die Wahl abgegeben.
Zum aktuellen Zustand Russlands hat sich Johannes Grotzky geäußert. Er ist an der Bamberger Universität Honorarprofessor für Osteuropawissenschaften, Medien und Kultur, und war langjähriger Moskau-Korrespondent beim Bayerischen Rundfunk. „Von der „gelenkten Demokratie“ aus dem Beginn seiner ersten Präsidentschaft vor 23 Jahren wurde Russland unter Putin zu einem autoritär geführten Staat“, sagt Grotzky. „Mit dem Überfall der russischen Armee am 24. Februar 2022 hat Russland alle Vereinbarungen über Gewaltverzicht in Europa gebrochen. Doch trotz internationaler Sanktionen, trotz eines hohen Blutzolls im Krieg gegen die Ukraine erfreut sich Putin bei der Mehrheit der Bevölkerung anhaltender Beliebtheit. Oppositionelle Medien sind unter staatlichem Druck verstummt, oppositionelle Politiker sind eingekehrt oder emigriert. Deshalb wird Putin voraussichtlich unangefochten die bevorstehende Präsidentenwahl gewinnen können.“
Ein Grund für solche Beliebtheit können sogenannte Narrative sein. Über den Einfluss derartiger gesellschaftlicher Erzählungen auf den Wahlausgang sagte Claus-Christian Carbon, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre: „Narrative haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen – wir konstruieren unsere Realität anhand solcher Narrative. Sie können polarisieren, starke Emotionen auslösen und Wert- und Identitätsvorstellungen etablieren. Narrative des Krieges, der Abwehr, der nationalen und religiösen Identität, der Macht und der Überlegenheit – Putins Traum eines von ihm geeinten Großrussland. All das wird eine wichtige Rolle bei der anstehenden Wahl in Russland spielen und darüber entscheiden, wie stark Menschen hinter Putin und seinen Entscheidungen stehen.“
Simulation eines Wahlkampfs
Daniel Göler, Professor für Geographische Migrations- und Transformationsforschung, äußerte sich zur Frage „Was wird sich nach der Präsidentschaftswahl ändern?“ wie folgt: „Nichts. Wandel wäre für den Kreml in jeglicher Hinsicht fatal und wird dementsprechend unterbunden. Die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen sind gegenwärtig extrem starr und langfristig zementiert. Sie erinnern zunehmend an sowjetische Muster. Der russische Entwicklungspfad der letzten Dekaden kann aus geographischer Perspektive getrost als „Lock-in“ eingeordnet werden. Mit dem politischen und ökonomischen Stillstand wächst die Unzufriedenheit in den Regionen. Das Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie nimmt zu. Die zentrifugalen Kräfte im Land können zum Zerfall der Föderation führen.“
Was lehrt uns Putins Wahlkampf für den Wert eines demokratisch fairen Wahlkampfes? Auf diese Frage antwortete Olaf Hoffjann, Professor für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Organisationskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. „Wir werden in Russland die Simulation eines Wahlkampfs erleben. Putin will den Anschein einer Demokratie aufrechterhalten und veranstaltet dazu diese Wahlkampfshow. Die Negativfolie der russischen Wahlkampf-Simulation zeigt noch einmal deutlich, was Sinn und Zweck eines demokratischen Wahlkampfes sind. Es geht um einen freien und fairen Wettbewerb der Ideen, bei dem politische Wettbewerber ihre Unterschiede deutlich machen, damit die Bürgerinnen und Bürger informiert ihre Wahlentscheidung treffen können. Und dafür braucht es den Respekt vor dem politischen Gegner und vor der Wahrheit.“