Kristina Steinhauf und Katharina Scheidig haben genug von gängigen Urnen. Zu unansehnlich, unpersönlich und nicht ausreichend nachhaltig sind ihnen die Begräbnisbehälter. Mit ihrem Projekt „urnfold“, das ihnen den Sieg bei der „Social Innovators Challenge 2021“ eingebracht hat, wollen die beiden Urnen auf den Markt bringen, die individuell gestaltet werden können und einen persönlicheren Abschied ermöglichen.
Die Social Innovators Challenge ist ein von den Universitäten Bamberg und Würzburg ausgetragener Ideenwettbewerb, bei dem Studierende der beiden Hochschulen innovative, nachhaltige, unternehmerische Initiativen zur Verbesserung gesellschaftlicher Missstände einreichen können. Kristina Steinhauf und Katharina Scheidig bewarben sich Anfang vergangenen Jahres mit „urnfold“.
Die Idee, optisch ansprechende Urnen herzustellen, die individuell geschmückt werden können, was im besten Falle zudem Trauerarbeit erleichtern kann, und die aufgrund ihres Materials, nachhaltig produzierten Papiers, ökologisch verträglich sind, überzeugte die Jury der Challenge.
Kristina Steinhauf und Katharina Scheidig setzten sich mit „urnfold“ gegen 12 andere Innovationsteams durch und arbeiten nun an der Marktreife ihrer Urnen.
Probleme auf dem Urnenmarkt
Angefangen hat alles mit einem Trauerfall. Im Jahr 2014 starb Kristina Steinhaufs Vater und sollte in einer Urne beigesetzt werden. Diese musste im Bestattungsinstitut ausgesucht werden. Zahlenmäßig habe es durchaus eine gewisse Bandbreite unter den zur Verfügung stehenden Urnen gegeben, aber „mir ist aufgefallen, wie hässlich diese Urnen alle waren“, sagt Kristina Steinhauf, „es gab über 30 zur Auswahl, aber meiner Mutter und mir hat nicht eine gefallen. Die eine sah aus wie eine Milchkanne, die andere war mit Strass-Steinen besetzt, auf der dritten war das Recycling-Zeichen abgebildet – eine schlimmer als die andere.“
Eine der Urnen habe außerdem wie eine billige Holzschachtel ausgesehen und wurde zusammen mit Wasserfarben verkauft. Das gab Kristina Steinhauf zu denken. „Ich machte damals eine Ausbildung zur Geigenbauerin und dachte mir, so ein Kistchen kann ich auch bauen, nur besser. Auf meine Frage, ob ich die Urne für meinen Vater auch selber herstellen dürfte, schaute der Bestatter aber komisch, denn anscheinend kommt es nicht oft vor, dass jemand diesen Wunsch äußert.“
Aber möglich war es doch. Die Anforderungen zu erfüllen, dass die Urne Maße habe, die eine Kapsel, die die Asche enthält, fassen können, biologisch abbaubar sein muss und sich an ihr Schnüre befestigen lassen, an denen sie letztendlich ins Grab hinabgesenkt wird, schien machbar. „So habe ich eine Urne für meinen Vater gebaut.“
Die Erkenntnis, dass es auf dem Urnenmarkt aber scheinbar nicht auf ansprechendes Design ankommt, sondern Gestaltung im Sinne eines unpersönlichen Einerleis ausreichend ist, ließ Kristina Steinhauf nicht wieder los. „Ich habe danach online recherchiert, um zu überprüfen, ob es nur an diesem einen Bestattungsinstitut lag, aber auch dort fast nur Urnen gefunden, die mir nicht gefallen haben. Warum muss so etwas Persönliches wie eine Urne in scheinbar normierte Gestaltungsvorgaben gepresst werden?“
Auch Katharina Scheidig musste ähnliche Erfahrungen mit Urnen und ihrem enttäuschenden Äußeren machen. Leute seien in Urnen gelandet, bei deren Anblick sie sich sozusagen im Grab umgedreht hätten.
Während eines Lockdown-Spaziergangs im Hain im letzten November kam das Thema zwischen Katharina Scheidig und Kristina Steinhauf, die seit über zehn Jahren befreundet sind, wieder auf. „Wir hatten bereits darüber geredet“, sagt Kristina Steinhauf, „wie es uns wundert, dass noch niemand auf die Idee gekommen war, individualisierbare Urnen anzubieten.“
Einen Grund für diese Marktlücke und das sich Zufriedengeben mit lieblos-normiert gestalteten Urnen sehen die beiden in dem, was man Probleme einer zugrundeliegenden Trauerkultur nennen könnte. „Einerseits“, sagt Kristina Steinhauf, „beschäftigt man sich natürlich nur ungern mit Fragen der Urnenauswahl, außer man findet sich auf einmal in einer Situation wieder, in der man eine Urne auswählen muss. Dann fehlt aber womöglich die emotionale Kapazität, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.“
Sie selbst habe es erlebt. Man ist beim Bestatter, wählt notgedrungen eine Urne aus, ist dann froh, wenn man es hinter sich hat und sich danach nicht mehr darum kümmern muss. „Ich denke, dieses Nicht-Kümmern ist ein Grund, warum sich so wenige mit persönlicheren Urnen auseinandergesetzt haben.“
Diese Notgedrungenheit scheint sich auch in einem gewissen Druck in der Preisgestaltung im Urnenbereich bemerkbar zu machen. „Wenn jemand „nur“ 80 Euro für eine Urne gezahlt hat, kommen schnell Kommentare, ob die verstorbene Person den Hinterbliebenen denn nicht mehr wert gewesen ist. In der Bestattungs-Branche scheint es verbreitet zu sein, den Leuten auf diese Weise ein schlechtes Gewissen einzureden und sie so zu höheren Ausgaben zu bringen.“
Auch dem wolle man entgegenwirken. Der Preis der Urnen von „urnfold“ ist noch nicht klar, aber „wir wollen gezielt nicht die Situation der Leute ausnutzen, die eine Urne brauchen. Der Mehrwert unserer Urnen liegt in ihrer Nachhaltigkeit und ihrem individuellen Wert.“
Solche Überlegungen flossen in einen Prototypen von „urnfold“ ein, den Kristina Steinhauf und Katharina Scheidig über Silvester bauten. Hinzu kam das Ziel der Nachhaltigkeit. Genaugenommen sind aufgrund der Tatsache, dass sie sich mit der Zeit im Boden auflösen und unterirdisch zersetzt werden, alle Urnen, auch die gängigen aus Metall, biologisch abbaubar.
„Selbstverständlich wird in der Erde auch das Blech anderer Urnen abgebaut, aber das dauert viel länger als unser Papiermaterial. Papier zersetzt sich schneller und hat außerdem eine bessere CO2-Bilanz.“
Lange habe man entsprechend nach einem Papierhersteller gesucht, bei dessen Papiererzeugung die gesamte Produktionskette möglichst nachhaltig ist.
Gefaltet und Instagram-kompatibel
Dass man in einer Situation im Bestattungsinstitut, wie oben beschrieben, möglicherweise eigentlich keine Nerven für die Auswahl einer Urne hat, geschweige denn diese zu schmnücken oder zu bemalen, individualisierbare Urnen also eine zusätzliche emotionale Belastung darstellen können, sind sich Steinhauf und Scheidig bewusst. „Darum müssen unsere Urnen auch nicht unbedingt gestaltet werden“, sagt Kristina Steinhauf, „wir schaffen lediglich das Angebot. Die Urnen funktionieren im Sinne der Sache ja auch so.“
Bisheriges positives Feedback bestätige dies. In den Urnen von „urnfold“ sei zwar noch niemand beigesetzt worden, aber aus der Bestatterszene habe es bereits Rückmeldungen gegeben, die Urnen online gesehen und Gefallen an ihnen gefunden zu haben. Denn auch in Bestattungskreisen zeichne sich eine gewisse Unzufriedenheit mit gängigem Urnendesign ab. Die ästhetischen Überlegungen hinter dem Falten-Design, das Kristina Steinhauf und Katharina Scheidig ihren Urnen verliehen haben, fasst Katharina Scheidig so zusammen:
„Das Aussehen kommt hauptsächlich von klassischen Papierverarbeitungstechniken des Produktdesigns. Es gibt ein paar grundlegende Falttechniken, die es ermöglichen, Papier durch Faltung sehr stabil und belastbar zu machen. Darüber hinaus würde ich japanisches und skandinavisches Design, vor allem Keramik, als Inspirationsquelle nennen. Kristina hat ein Jahr in Japan gelebt und an Universitäts-Kurse zu Keramik und Design besucht und ich bin viel in skandinavischen Ländern gereist. Wir mögen die einfachen Materialien, die jedoch durch ihre Art der Verarbeitung sehr vielseitig und hochwertig wirken.“
Dieses ruhige, natürlich oder naturbelassen anmutende Falten-Design der Urnen von „urnfold“ liegt zudem ganz im Einklang mit aktuellen optischen Trends, bei denen dezidiert ungekünstelte Formen und Farben eine wichtige Rolle spielen und nun auch im Bereich der Bestattungsgefäß-Ästhetik angekommen zu sein scheinen.
Denn, den Urnen ist eine gewisse Instragram-Kompatibilität zueigen – beziehungsweise eine Kompatibilität mit Sehgewohnheiten und ‑vorlieben, die vor allem von dieser Bildplattform bestimmt werden. Ein Effekt dessen ließe sich zum Beispiel darin ausmachen, dass gängige Urnenmodelle auch in der Bestatterszene scheinbar zunehmend als optisch altbacken wahrgenommen werden.
„Wir haben zwar nicht darauf abgezielt, dass unsere Urnen cool auf Instagram wirken, aber ihre Gestaltung soll durchaus zeitgemäßer Ästhetik entsprechen und unseren ästhetischen Geschmack und den unserer Generation widerspiegeln. Wir wollen etwas anbieten, das man auch in der Öffentlichkeit zeigen könnte.“
Außerdem spiele auch die Absicht eine Rolle, den Tod, zumindest in diesem Zusammenhang, aus seiner Hässlichkeit zu befreien und ihn ein wenig zu enttabuisieren – zugunsten eines offeneren Umgangs mit dem Thema. Unter Umständen könne die Möglichkeit, die Urnen individuell zu gestalten, sogar bei der emotionalen Verarbeitung des Verlustes eines nahesteheden Menschen helfen. Ansätze, die aus der Kunsttherapie bekannt sind. Kreative Betätigung kann kreative Bewältigung und somit ein effektiver Ansatz in der Trauerarbeit sein.
„Ich habe es bei der Urne, die ich für meinen Vater gemacht habe, selbst gemerkt. Man setzt sich mit der Person und seiner Beziehung zu ihr nochmal ganz anders auseinander, wenn man die Urne eigenhändig gestaltet und sich dazu überlegt, was der verstorbenen Person wohl gefallen hätte oder was sie und ihre Persönlichkeit am besten wiedergeben könnte.“