Indi­vi­dua­li­sier­ba­re Urnen aus Papier

Urn­fold

5 Min. zu lesen
urnfold
Eine verzierte Urne von urnfold, Foto: Katharina Scheidig
Kris­ti­na Stein­hauf und Katha­ri­na Schei­dig haben genug von gän­gi­gen Urnen. Zu unan­sehn­lich, unper­sön­lich und nicht aus­rei­chend nach­hal­tig sind ihnen die Begräb­nis­be­häl­ter. Mit ihrem Pro­jekt „urn­fold“, das ihnen den Sieg bei der „Social Inno­va­tors Chall­enge 2021“ ein­ge­bracht hat, wol­len die bei­den Urnen auf den Markt brin­gen, die indi­vi­du­ell gestal­tet wer­den kön­nen und einen per­sön­li­che­ren Abschied ermöglichen. 

Die Social Inno­va­tors Chall­enge ist ein von den Uni­ver­si­tä­ten Bam­berg und Würz­burg aus­ge­tra­ge­ner Ideen­wett­be­werb, bei dem Stu­die­ren­de der bei­den Hoch­schu­len inno­va­ti­ve, nach­hal­ti­ge, unter­neh­me­ri­sche Initia­ti­ven zur Ver­bes­se­rung gesell­schaft­li­cher Miss­stän­de ein­rei­chen kön­nen. Kris­ti­na Stein­hauf und Katha­ri­na Schei­dig bewar­ben sich Anfang ver­gan­ge­nen Jah­res mit „urn­fold“.

Die Idee, optisch anspre­chen­de Urnen her­zu­stel­len, die indi­vi­du­ell geschmückt wer­den kön­nen, was im bes­ten Fal­le zudem Trau­er­ar­beit erleich­tern kann, und die auf­grund ihres Mate­ri­als, nach­hal­tig pro­du­zier­ten Papiers, öko­lo­gisch ver­träg­lich sind, über­zeug­te die Jury der Challenge.

urnfold
Von links: Katha­ri­na Schei­dig und Kris­ti­na Steinhauf

Kris­ti­na Stein­hauf und Katha­ri­na Schei­dig setz­ten sich mit „urn­fold“ gegen 12 ande­re Inno­va­ti­ons­teams durch und arbei­ten nun an der Markt­rei­fe ihrer Urnen.

Pro­ble­me auf dem Urnenmarkt

Ange­fan­gen hat alles mit einem Trau­er­fall. Im Jahr 2014 starb Kris­ti­na Stein­haufs Vater und soll­te in einer Urne bei­gesetzt wer­den. Die­se muss­te im Bestat­tungs­in­sti­tut aus­ge­sucht wer­den. Zah­len­mä­ßig habe es durch­aus eine gewis­se Band­brei­te unter den zur Ver­fü­gung ste­hen­den Urnen gege­ben, aber „mir ist auf­ge­fal­len, wie häss­lich die­se Urnen alle waren“, sagt Kris­ti­na Stein­hauf, „es gab über 30 zur Aus­wahl, aber mei­ner Mut­ter und mir hat nicht eine gefal­len. Die eine sah aus wie eine Milch­kan­ne, die ande­re war mit Strass-Stei­nen besetzt, auf der drit­ten war das Recy­cling-Zei­chen abge­bil­det – eine schlim­mer als die andere.“

Eine der Urnen habe außer­dem wie eine bil­li­ge Holz­schach­tel aus­ge­se­hen und wur­de zusam­men mit Was­ser­far­ben ver­kauft. Das gab Kris­ti­na Stein­hauf zu den­ken. „Ich mach­te damals eine Aus­bil­dung zur Gei­gen­baue­rin und dach­te mir, so ein Kist­chen kann ich auch bau­en, nur bes­ser. Auf mei­ne Fra­ge, ob ich die Urne für mei­nen Vater auch sel­ber her­stel­len dürf­te, schau­te der Bestat­ter aber komisch, denn anschei­nend kommt es nicht oft vor, dass jemand die­sen Wunsch äußert.“

Aber mög­lich war es doch. Die Anfor­de­run­gen zu erfül­len, dass die Urne Maße habe, die eine Kap­sel, die die Asche ent­hält, fas­sen kön­nen, bio­lo­gisch abbau­bar sein muss und sich an ihr Schnü­re befes­ti­gen las­sen, an denen sie letzt­end­lich ins Grab hin­ab­ge­senkt wird, schien mach­bar. „So habe ich eine Urne für mei­nen Vater gebaut.“

Die Erkennt­nis, dass es auf dem Urnen­markt aber schein­bar nicht auf anspre­chen­des Design ankommt, son­dern Gestal­tung im Sin­ne eines unper­sön­li­chen Einer­leis aus­rei­chend ist, ließ Kris­ti­na Stein­hauf nicht wie­der los. „Ich habe danach online recher­chiert, um zu über­prü­fen, ob es nur an die­sem einen Bestat­tungs­in­sti­tut lag, aber auch dort fast nur Urnen gefun­den, die mir nicht gefal­len haben. War­um muss so etwas Per­sön­li­ches wie eine Urne in schein­bar nor­mier­te Gestal­tungs­vor­ga­ben gepresst werden?“

Auch Katha­ri­na Schei­dig muss­te ähn­li­che Erfah­run­gen mit Urnen und ihrem ent­täu­schen­den Äuße­ren machen. Leu­te sei­en in Urnen gelan­det, bei deren Anblick sie sich sozu­sa­gen im Grab umge­dreht hätten.

Wäh­rend eines Lock­down-Spa­zier­gangs im Hain im letz­ten Novem­ber kam das The­ma zwi­schen Katha­ri­na Schei­dig und Kris­ti­na Stein­hauf, die seit über zehn Jah­ren befreun­det sind, wie­der auf. „Wir hat­ten bereits dar­über gere­det“, sagt Kris­ti­na Stein­hauf, „wie es uns wun­dert, dass noch nie­mand auf die Idee gekom­men war, indi­vi­dua­li­sier­ba­re Urnen anzubieten.“

Einen Grund für die­se Markt­lü­cke und das sich Zufrie­den­ge­ben mit lieb­los-nor­miert gestal­te­ten Urnen sehen die bei­den in dem, was man Pro­ble­me einer zugrun­de­lie­gen­den Trau­er­kul­tur nen­nen könn­te. „Einer­seits“, sagt Kris­ti­na Stein­hauf, „beschäf­tigt man sich natür­lich nur ungern mit Fra­gen der Urnen­aus­wahl, außer man fin­det sich auf ein­mal in einer Situa­ti­on wie­der, in der man eine Urne aus­wäh­len muss. Dann fehlt aber womög­lich die emo­tio­na­le Kapa­zi­tät, sich mit sol­chen Fra­gen zu beschäftigen.“

Sie selbst habe es erlebt. Man ist beim Bestat­ter, wählt not­ge­drun­gen eine Urne aus, ist dann froh, wenn man es hin­ter sich hat und sich danach nicht mehr dar­um küm­mern muss. „Ich den­ke, die­ses Nicht-Küm­mern ist ein Grund, war­um sich so weni­ge mit per­sön­li­che­ren Urnen aus­ein­an­der­ge­setzt haben.“

Die­se Not­ge­drun­gen­heit scheint sich auch in einem gewis­sen Druck in der Preis­ge­stal­tung im Urnen­be­reich bemerk­bar zu machen. „Wenn jemand „nur“ 80 Euro für eine Urne gezahlt hat, kom­men schnell Kom­men­ta­re, ob die ver­stor­be­ne Per­son den Hin­ter­blie­be­nen denn nicht mehr wert gewe­sen ist. In der Bestat­tungs-Bran­che scheint es ver­brei­tet zu sein, den Leu­ten auf die­se Wei­se ein schlech­tes Gewis­sen ein­zu­re­den und sie so zu höhe­ren Aus­ga­ben zu bringen.“

Auch dem wol­le man ent­ge­gen­wir­ken. Der Preis der Urnen von „urn­fold“ ist noch nicht klar, aber „wir wol­len gezielt nicht die Situa­ti­on der Leu­te aus­nut­zen, die eine Urne brau­chen. Der Mehr­wert unse­rer Urnen liegt in ihrer Nach­hal­tig­keit und ihrem indi­vi­du­el­len Wert.“

Sol­che Über­le­gun­gen flos­sen in einen Pro­to­ty­pen von „urn­fold“ ein, den Kris­ti­na Stein­hauf und Katha­ri­na Schei­dig über Sil­ves­ter bau­ten. Hin­zu kam das Ziel der Nach­hal­tig­keit. Genau­ge­nom­men sind auf­grund der Tat­sa­che, dass sie sich mit der Zeit im Boden auf­lö­sen und unter­ir­disch zer­setzt wer­den, alle Urnen, auch die gän­gi­gen aus Metall, bio­lo­gisch abbaubar.

„Selbst­ver­ständ­lich wird in der Erde auch das Blech ande­rer Urnen abge­baut, aber das dau­ert viel län­ger als unser Papier­ma­te­ri­al. Papier zer­setzt sich schnel­ler und hat außer­dem eine bes­se­re CO2-Bilanz.“

Lan­ge habe man ent­spre­chend nach einem Papier­her­stel­ler gesucht, bei des­sen Papier­er­zeu­gung die gesam­te Pro­duk­ti­ons­ket­te mög­lichst nach­hal­tig ist.

Gefal­tet und Instagram-kompatibel

Dass man in einer Situa­ti­on im Bestat­tungs­in­sti­tut, wie oben beschrie­ben, mög­li­cher­wei­se eigent­lich kei­ne Ner­ven für die Aus­wahl einer Urne hat, geschwei­ge denn die­se zu schm­nü­cken oder zu bema­len, indi­vi­dua­li­sier­ba­re Urnen also eine zusätz­li­che emo­tio­na­le Belas­tung dar­stel­len kön­nen, sind sich Stein­hauf und Schei­dig bewusst. „Dar­um müs­sen unse­re Urnen auch nicht unbe­dingt gestal­tet wer­den“, sagt Kris­ti­na Stein­hauf, „wir schaf­fen ledig­lich das Ange­bot. Die Urnen funk­tio­nie­ren im Sin­ne der Sache ja auch so.“

Bis­he­ri­ges posi­ti­ves Feed­back bestä­ti­ge dies. In den Urnen von „urn­fold“ sei zwar noch nie­mand bei­gesetzt wor­den, aber aus der Bestat­ter­sze­ne habe es bereits Rück­mel­dun­gen gege­ben, die Urnen online gese­hen und Gefal­len an ihnen gefun­den zu haben. Denn auch in Bestat­tungs­krei­sen zeich­ne sich eine gewis­se Unzu­frie­den­heit mit gän­gi­gem Urnen­de­sign ab. Die ästhe­ti­schen Über­le­gun­gen hin­ter dem Fal­ten-Design, das Kris­ti­na Stein­hauf und Katha­ri­na Schei­dig ihren Urnen ver­lie­hen haben, fasst Katha­ri­na Schei­dig so zusammen:

„Das Aus­se­hen kommt haupt­säch­lich von klas­si­schen Papier­ver­ar­bei­tungs­tech­ni­ken des Pro­dukt­de­signs. Es gibt ein paar grund­le­gen­de Falt­tech­ni­ken, die es ermög­li­chen, Papier durch Fal­tung sehr sta­bil und belast­bar zu machen. Dar­über hin­aus wür­de ich japa­ni­sches und skan­di­na­vi­sches Design, vor allem Kera­mik, als Inspi­ra­ti­ons­quel­le nen­nen. Kris­ti­na hat ein Jahr in Japan gelebt und an Uni­ver­si­täts-Kur­se zu Kera­mik und Design besucht und ich bin viel in skan­di­na­vi­schen Län­dern gereist. Wir mögen die ein­fa­chen Mate­ria­li­en, die jedoch durch ihre Art der Ver­ar­bei­tung sehr viel­sei­tig und hoch­wer­tig wirken.“

Die­ses ruhi­ge, natür­lich oder natur­be­las­sen anmu­ten­de Fal­ten-Design der Urnen von „urn­fold“ liegt zudem ganz im Ein­klang mit aktu­el­len opti­schen Trends, bei denen dezi­diert unge­küns­tel­te For­men und Far­ben eine wich­ti­ge Rol­le spie­len und nun auch im Bereich der Bestat­tungs­ge­fäß-Ästhe­tik ange­kom­men zu sein scheinen.

Denn, den Urnen ist eine gewis­se Instra­gram-Kom­pa­ti­bi­li­tät zuei­gen – bezie­hungs­wei­se eine Kom­pa­ti­bi­li­tät mit Seh­ge­wohn­hei­ten und ‑vor­lie­ben, die vor allem von die­ser Bild­platt­form bestimmt wer­den. Ein Effekt des­sen lie­ße sich zum Bei­spiel dar­in aus­ma­chen, dass gän­gi­ge Urnen­mo­del­le auch in der Bestat­ter­sze­ne schein­bar zuneh­mend als optisch alt­ba­cken wahr­ge­nom­men werden.

„Wir haben zwar nicht dar­auf abge­zielt, dass unse­re Urnen cool auf Insta­gram wir­ken, aber ihre Gestal­tung soll durch­aus zeit­ge­mä­ßer Ästhe­tik ent­spre­chen und unse­ren ästhe­ti­schen Geschmack und den unse­rer Gene­ra­ti­on wider­spie­geln. Wir wol­len etwas anbie­ten, das man auch in der Öffent­lich­keit zei­gen könnte.“

Außer­dem spie­le auch die Absicht eine Rol­le, den Tod, zumin­dest in die­sem Zusam­men­hang, aus sei­ner Häss­lich­keit zu befrei­en und ihn ein wenig zu ent­ta­bui­sie­ren – zuguns­ten eines offe­ne­ren Umgangs mit dem The­ma. Unter Umstän­den kön­ne die Mög­lich­keit, die Urnen indi­vi­du­ell zu gestal­ten, sogar bei der emo­tio­na­len Ver­ar­bei­tung des Ver­lus­tes eines nahe­ste­he­den Men­schen hel­fen. Ansät­ze, die aus der Kunst­the­ra­pie bekannt sind. Krea­ti­ve Betä­ti­gung kann krea­ti­ve Bewäl­ti­gung und somit ein effek­ti­ver Ansatz in der Trau­er­ar­beit sein.

„Ich habe es bei der Urne, die ich für mei­nen Vater gemacht habe, selbst gemerkt. Man setzt sich mit der Per­son und sei­ner Bezie­hung zu ihr noch­mal ganz anders aus­ein­an­der, wenn man die Urne eigen­hän­dig gestal­tet und sich dazu über­legt, was der ver­stor­be­nen Per­son wohl gefal­len hät­te oder was sie und ihre Per­sön­lich­keit am bes­ten wie­der­ge­ben könnte.“

Weiterer Artikel

Bas­ket­ball

Bro­se Bam­berg will gegen Frank­furt Play­off­chan­ce wahren

Nächster Artikel

Neue Coro­na-Basis­schutz­maß­nah­men ab heu­te in Kraft 

Bay­ern setzt auf Umsicht und Eigenverantwortung