Berufs­ver­band Bil­den­der Künst­le­rin­nen und Künst­ler Ober­fran­ken e.V.

Vil­la Des­sau­er: Grup­pen­aus­stel­lung „Die Grenze“

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Grenze
Veronika Riedls „Die Grenze der Humanität“. Foto: Sebastian Quenzer
Der Berufs­ver­band Bil­den­der Künst­le­rin­nen und Künst­ler Ober­fran­ken (BBK) geht in sei­ner aktu­el­len Grup­pen­aus­stel­lung auf ein gesell­schaft­lich und poli­tisch sehr rele­van­tes The­ma ein. Unter dem Titel „Die Gren­ze“ wid­men sich 32 Künstler:innen Gren­zen in der Welt, im Kör­per und in der Kunst.

Judith Bau­er-Born­emann, Doris Bocka, Tho­mas Brix, Chris­ti­ne Engels, Fran­zis­ka Erb-Bibo, Rein­hard Feld­rapp und Hen­ri­ke Franz – Frie­de­mann Gott­schald, Tho­mas Gröh­ling, Chris­ti­ne Gru­ber, Ger­hard Hagen, Jan­ni­na Hec­tor und Nina Hein­lein – Kath­rin Hubl, Lucie Kaz­da, Rüdi­ger Klein, Georg Köst­ner, Ruth Loibl, Alex­and­re Madu­rei­ra und Tho­mas Michel – Ger­hard Nerow­ski, Vero­ni­ka Riedl, Kat­rin Schin­ner, Har­riet Schmid, Gud­run Schü­ler, Michae­la Schwarz­mann und Chris­tia­na Sie­ben – Hubert Sowa, Lisa Stöhr, Wer­ner Tögel, Cor­du­la Uter­möh­len und Ute Westi­en zei­gen der­zeit Wer­ke in der Vil­la Dessauer.

Anlass ist die BBK-Aus­stel­lung „Die Gren­ze“, die noch bis 19. Janu­ar 2025 zu sehen sein wird. Mit Ger­hard Schlöt­zer, Vor­sit­zen­der des Ver­bands, haben wir über den Begriff der Gren­ze in sei­nen künst­le­ri­schen Aus­prä­gun­gen und über eini­ge der gezeig­ten Wer­ke gesprochen.



Herr Schlöt­zer, die letzt­jäh­ri­ge Grup­pen­aus­stel­lung des BBK trug den Titel „Zei­ten­wen­de“, für die aktu­el­le haben Sie mit „Die Gren­ze“ einen ähn­lich gewich­ti­gen Titel gewählt. Warum?

Ger­hard Schlöt­zer: Die Gren­ze ist ein uni­ver­sel­les The­ma. Es kann in unter­schied­li­chen Betrach­tungs­wei­sen bestehen und ist so gut wie über­all vor­han­den. Wir vom BBK ste­hen bei der Pla­nung von Aus­stel­lun­gen immer vor dem Wider­spruch, auf der einen Sei­te ein mög­lichst grif­fi­ges The­ma zu haben, das sich gut inhalt­lich bear­bei­ten lässt. Auf der ande­ren Sei­te kön­nen wir durch die Zahl unse­rer Mit­glie­der aber nur auf ein begrenz­tes Ange­bot an Bear­bei­tun­gen eines The­mas zugrei­fen. „Die Gren­ze“ ist kei­ne kura­tier­te Aus­stel­lung, die frei wäre in der Wahl ihrer Künst­ler. Wir wol­len unse­re Leu­te prä­sen­tie­ren. Sie sind alle Pro­fis, arbei­ten aber natür­lich jeweils an ihren eige­nen The­men, die nicht unbe­dingt mit den The­men, die wir uns für unse­re Aus­stel­lun­gen aus­ge­wählt haben, zusam­men­pas­sen müs­sen. Des­we­gen ver­su­chen wir, The­men zu wäh­len, bei denen unse­re Leu­te die Mög­lich­keit haben, neu ange­fer­tig­te oder bereits exis­tie­ren­de Wer­ke unterzubringen.



Was müs­sen die­se Wer­ke haben, um für die Aus­stel­lung aus­ge­wählt zu werden?

Ger­hard Schlöt­zer: Zunächst soll­te es sich um gute Kunst han­deln, die Wer­ke sol­len für die Bam­ber­ger Gesell­schaft eine gewis­se Rele­vanz haben und das The­ma der Aus­stel­lung soll­te auf die eine oder ande­re Wei­se auf­ge­grif­fen wer­den. Damit kön­nen sich die Leu­te dann bewer­ben und eine gewähl­te Jury stellt aus den ein­ge­reich­ten Wer­ken dann eine mög­lichst stim­mi­ge Aus­stel­lung zusam­men, bei der auch die Kor­re­spon­denz der Wer­ke unter­ein­an­der und mit dem Aus­stel­lungs­raum eine wich­ti­ge Rol­le spielt. Eine gewis­se Inter­pre­ta­ti­ons­of­fen­heit im Kon­takt mit den Betrach­tern ist auch von Vor­teil, denn die­se sind neben dem The­ma, dem Künst­ler, der Tech­nik und dem Mate­ri­al wich­ti­ge Betei­lig­te beim Zustan­de­kom­men von Kunst. Des­halb bie­ten wir auch vie­le Begleit­ver­an­stal­tun­gen für das Publi­kum an, die ein­zel­ne Aspek­te des The­mas „Gren­ze“ beleuch­ten und auf die Wer­ke näher eingehen.

Grenze
Lisa Stöhrs „Es dreht sich“. Foto: Sebas­ti­an Quenzer
Tho­mas Gröh­lings „Ent­de­ckung Raum“. Foto: Sebas­ti­an Quenzer


Was ver­bin­det der BBK mit dem Begriff der Grenze?

Ger­hard Schlöt­zer: Wir ver­bin­den mit dem Begriff eine gewis­se Wei­te. Alle Men­schen sind im Lauf des Lebens Gren­zen aus­ge­setzt. Vor allem im Ver­hal­ten zu ande­ren Men­schen sind stän­di­ge Grenz­zie­hun­gen oder Grenz­über­schrei­tun­gen an der Tages­ord­nung. Inso­fern ist es ein umfas­sen­des The­ma, das sich für uns auch, aber nicht nur auf poli­ti­sche Gren­zen bezieht. Und was die betei­lig­ten Künst­ler mit dem Begriff ver­bin­den, kann man in der Aus­stel­lung sehen.



Sie spre­chen die poli­ti­sche Dimen­si­on des Begriffs an. Wie geht die Aus­stel­lung dar­auf ein?

Ger­hard Schlöt­zer: Oft tren­nen Gren­zen nicht nur Berei­che, wenn sie eine gewis­se Durch­läs­sig­keit haben, kann man in ihrer Nähe auch die Ein­flüs­se bei­der Sphä­ren wahr­neh­men. Dar­auf geht zum Bei­spiel Ger­hard Hagen in einer älte­ren Foto­ar­beit zur Außen­gren­ze der EU ein, ein­mal mit Auf­nah­men aus Rumä­ni­en, ein­mal von der Insel Lam­pe­du­sa. Ein wei­te­res Bei­spiel wäre die Arbeit „Grenz­gang“ von Rein­hard Feld­rapp, für die er sich seit den 1970er Jah­ren inten­siv mit der deutsch-deut­schen Gren­ze aus­ein­an­der­setz­te. Auch Tho­mas Gröh­ling ließ sich von die­ser ehe­ma­li­gen poli­ti­schen Gren­ze inspi­rie­ren. In sei­nen Holz­ste­len stellt er Tie­re und Pflan­zen dar, denen er bei sei­nen Wan­de­run­gen ent­lang die­ses jetzt grü­nen Ban­des begeg­ne­te. Vero­ni­ka Riedl zeigt mit ihrer Arbeit „Die Gren­ze der Huma­ni­tät“ meh­re­re boot­för­mi­ge Skulp­tu­ren. Dass Boo­te extrem ver­letz­li­che Trans­port­mit­tel für zum Bei­spiel die Flucht über das Mit­tel­meer von Afri­ka nach Euro­pa sind, wird hier durch das Mate­ri­al der Skulp­tu­ren ver­deut­licht, sie bestehen aus leicht zer­brech­li­chem Porzellan.


Man kann Gren­zen in der Kunst auch auf einer sehr redu­zier­ten Ebe­ne ver­ste­hen, der des Mate­ri­als oder der Abgren­zung des einen Inhalts zum ande­ren, unab­hän­gig davon, was der Inhalt dar­stellt. Zeigt die Aus­stel­lung Wer­ke, die den Grenz-Begriff auf die­ser Meta-Ebe­ne behandeln?

Ger­hard Schlöt­zer: Das machen ganz vie­le Teil­neh­mer der Aus­stel­lung, wie Doris Bocka zum Bei­spiel in ihrem Gemäl­de „Love and Peace“. Eine Auf­he­bung zwi­schen­mensch­li­cher Gren­zen legt das Werk inhalt­lich nahe, was die Mach­art angeht, über­la­gern hin­ein­ge­kratz­te zeich­ne­ri­sche For­men gemal­te Flä­chen und durch­drin­gen deren Gren­zen. Auch Chris­ti­ne Gru­ber arbei­tet in die­ser Rich­tung. Ihr geht es um die Farb­wir­kun­gen, die aus dem male­ri­schen Arbeits­pro­zess ent­ste­hen. Farb­klän­ge ent­ste­hen bei ihr durch das Anein­an­der­gren­zen von Farbflächen.


Lisa Stöhrs Gemäl­de „Spin­tro­nics“ sind rund und dreh­bar. Was geschieht mit der Ein­ge­schränkt­heit des Mate­ri­als, wenn es aus meh­re­ren Per­spek­ti­ven betrach­tet wer­den kann?

Ger­hard Schlöt­zer: Stöhr hat auf dreh­ba­re Stahl­ge­stel­le run­de Gemäl­de gehängt, die nicht die Gren­zen eines gän­gi­gen recht­ecki­gen Bild­aus­schnitts haben. Sie hat, anders gesagt, eine dreh­ba­re Schei­be bemalt. Dies bewirkt, dass die abs­trak­ten Farb­flä­chen, die abge­bil­det sind, kei­nen Bezug zu irgend­wel­chen Bild­kan­ten haben kön­nen, was noch dadurch ver­stärkt wird, dass man das run­de Gemäl­de auf der Staf­fe­lei immer wei­ter dre­hen kann. Hin­zu kommt, dass Far­be, die auf einer ver­ti­ka­len Flä­che auf­ge­tra­gen ist, nach unten ver­läuft. So ent­ste­hen wei­te­re bild­in­ter­ne Gren­zen, auf die Stöhr im dann fol­gen­den male­ri­schen Pro­zess zusätz­lich ein­geht. In der Aus­stel­lung kann das Publi­kum den Gedan­ken dann fort­füh­ren, die Gemäl­de wei­ter dre­hen und sie aus wei­te­ren Win­keln betrach­ten. Wenn man ein Werk aus mehr als einer Rich­tung anschau­en kann, bekommt es grö­ße­re Geschlos­sen­heit. Es ist ein alter Trick der Male­rei, ein Gemäl­de im Ent­ste­hungs­pro­zess zwi­schen­zeit­lich auf den Kopf zu stel­len oder in einem Spie­gel zu betrach­ten. Sonst kann es pas­sie­ren, dass her­kömm­li­che Gestal­tungs­prä­fe­ren­zen zu Ungleich­ge­wich­ten in der Kom­po­si­ti­on führen.



Judith Bau­er-Born­emanns Stoff-Figu­ren, die aus meh­re­ren Kör­pern ande­rer Figu­ren zusam­men­ge­näht zu sein schei­nen, und Kath­rin Hub­ls Werk „Ver­näh­te Wun­den“ gehen das Grenz­the­ma hin­ge­gen kör­per­lich an.

Ger­hard Schlöt­zer: Hub­ls Werk ist eine drei­tei­li­ge, geschnitz­te Arbeit. Eini­ge Stel­len des Holz­re­li­efs sind rot ein­ge­färbt, ande­re fleisch­far­ben. Es ent­steht der Ein­druck von Wun­den, bezie­hungs­wei­se durch ein­ge­zo­ge­ne Fäden der einer genäh­ten, aber noch nicht geheil­ten Wun­de. Die Arbeit hat einer­seits eine gewis­se Abs­trakt­heit, legt aber auch eine Asso­zia­ti­on zum Medi­zi­ni­schen nahe. Eine Grenz­über­schrei­tung kann man inso­fern sehen, als dass eine Wun­de die Gren­ze der Haut, die ihrer­seits die Gren­ze zwi­schen Selbst und Umwelt mar­kiert, durch­bricht. Es fin­det eine schmerz­haf­te Öff­nung der Gren­ze und gleich­zei­tig der Ver­such ihrer Hei­lung statt.



Alex­and­re Madu­rei­ra stellt ein Gemäl­de sei­ner Part­ne­rin aus, das sie kurz nach der Geburt des gemein­sa­men Soh­nes zeigt. Wie passt das zum The­ma der Grenze?

Ger­hard Schlöt­zer: Die Grenz­si­tua­ti­on, die Geburt, liegt hier bereits zurück. Madu­rei­ra beschreibt die­sen Moment als Schwel­le zwi­schen Erwar­tung und Rea­li­tät, Innen und Außen, als den Über­gang der Schwan­ger­schaft zur Rol­le der Mut­ter­schaft. Und für den Vater ist es natür­lich auch ein Grenz­über­tritt von einer Rol­le in die andere.



Bei Tho­mas Michels Arbeit „Dunk­le Tria­de“ könn­te man Grenz­über­schrei­tung anhand von Bru­ta­li­tät erken­nen. Drei fins­te­re Gestal­ten ste­hen bis zu den Knö­cheln im Blut. Kann so eine Grenz­über­schrei­tung dazu die­nen, mehr Publi­kum anzuziehen?

Ger­hard Schlöt­zer: Die­se drei Figu­ren stel­len für Michel die drei zer­stö­re­ri­schen und welt­ge­fähr­den­den Per­sön­lich­keits­ty­pen Nar­ziss­mus, Machia­vel­lis­mus und Psy­cho­pa­thie dar. Das ver­sucht er in eine Bild­form zu brin­gen, indem er die drei Figu­ren ste­hend auf einer blut­über­ström­ten Land­kar­te zeigt. Aber auch in der Kunst gibt es Men­schen, die ähn­li­che Ver­hal­tens­wei­sen an den Tag legen, näm­lich um ihre Bot­schaf­ten durch Skan­da­li­sie­rung zu ver­brei­ten oder sozu­sa­gen als Skan­da­li­sie­rungs-Unter­neh­mer auf­zu­tre­ten. Das grö­ße­re Pro­blem liegt aber nicht in der Kunst, son­dern in der Gesell­schaft. Denn sol­che Ver­hal­tens­wei­sen wer­den oft­mals mit Erfolg belohnt. Grenz­über­schrei­tung wird also the­ma­ti­siert, aber nicht so sehr durch das Blut, son­dern eher durch die Kri­tik an sol­chem Verhalten.

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