Der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken (BBK) geht in seiner aktuellen Gruppenausstellung auf ein gesellschaftlich und politisch sehr relevantes Thema ein. Unter dem Titel „Die Grenze“ widmen sich 32 Künstler:innen Grenzen in der Welt, im Körper und in der Kunst.
Judith Bauer-Bornemann, Doris Bocka, Thomas Brix, Christine Engels, Franziska Erb-Bibo, Reinhard Feldrapp und Henrike Franz – Friedemann Gottschald, Thomas Gröhling, Christine Gruber, Gerhard Hagen, Jannina Hector und Nina Heinlein – Kathrin Hubl, Lucie Kazda, Rüdiger Klein, Georg Köstner, Ruth Loibl, Alexandre Madureira und Thomas Michel – Gerhard Nerowski, Veronika Riedl, Katrin Schinner, Harriet Schmid, Gudrun Schüler, Michaela Schwarzmann und Christiana Sieben – Hubert Sowa, Lisa Stöhr, Werner Tögel, Cordula Utermöhlen und Ute Westien zeigen derzeit Werke in der Villa Dessauer.
Anlass ist die BBK-Ausstellung „Die Grenze“, die noch bis 19. Januar 2025 zu sehen sein wird. Mit Gerhard Schlötzer, Vorsitzender des Verbands, haben wir über den Begriff der Grenze in seinen künstlerischen Ausprägungen und über einige der gezeigten Werke gesprochen.
Herr Schlötzer, die letztjährige Gruppenausstellung des BBK trug den Titel „Zeitenwende“, für die aktuelle haben Sie mit „Die Grenze“ einen ähnlich gewichtigen Titel gewählt. Warum?
Gerhard Schlötzer: Die Grenze ist ein universelles Thema. Es kann in unterschiedlichen Betrachtungsweisen bestehen und ist so gut wie überall vorhanden. Wir vom BBK stehen bei der Planung von Ausstellungen immer vor dem Widerspruch, auf der einen Seite ein möglichst griffiges Thema zu haben, das sich gut inhaltlich bearbeiten lässt. Auf der anderen Seite können wir durch die Zahl unserer Mitglieder aber nur auf ein begrenztes Angebot an Bearbeitungen eines Themas zugreifen. „Die Grenze“ ist keine kuratierte Ausstellung, die frei wäre in der Wahl ihrer Künstler. Wir wollen unsere Leute präsentieren. Sie sind alle Profis, arbeiten aber natürlich jeweils an ihren eigenen Themen, die nicht unbedingt mit den Themen, die wir uns für unsere Ausstellungen ausgewählt haben, zusammenpassen müssen. Deswegen versuchen wir, Themen zu wählen, bei denen unsere Leute die Möglichkeit haben, neu angefertigte oder bereits existierende Werke unterzubringen.
Was müssen diese Werke haben, um für die Ausstellung ausgewählt zu werden?
Gerhard Schlötzer: Zunächst sollte es sich um gute Kunst handeln, die Werke sollen für die Bamberger Gesellschaft eine gewisse Relevanz haben und das Thema der Ausstellung sollte auf die eine oder andere Weise aufgegriffen werden. Damit können sich die Leute dann bewerben und eine gewählte Jury stellt aus den eingereichten Werken dann eine möglichst stimmige Ausstellung zusammen, bei der auch die Korrespondenz der Werke untereinander und mit dem Ausstellungsraum eine wichtige Rolle spielt. Eine gewisse Interpretationsoffenheit im Kontakt mit den Betrachtern ist auch von Vorteil, denn diese sind neben dem Thema, dem Künstler, der Technik und dem Material wichtige Beteiligte beim Zustandekommen von Kunst. Deshalb bieten wir auch viele Begleitveranstaltungen für das Publikum an, die einzelne Aspekte des Themas „Grenze“ beleuchten und auf die Werke näher eingehen.


Was verbindet der BBK mit dem Begriff der Grenze?
Gerhard Schlötzer: Wir verbinden mit dem Begriff eine gewisse Weite. Alle Menschen sind im Lauf des Lebens Grenzen ausgesetzt. Vor allem im Verhalten zu anderen Menschen sind ständige Grenzziehungen oder Grenzüberschreitungen an der Tagesordnung. Insofern ist es ein umfassendes Thema, das sich für uns auch, aber nicht nur auf politische Grenzen bezieht. Und was die beteiligten Künstler mit dem Begriff verbinden, kann man in der Ausstellung sehen.
Sie sprechen die politische Dimension des Begriffs an. Wie geht die Ausstellung darauf ein?
Gerhard Schlötzer: Oft trennen Grenzen nicht nur Bereiche, wenn sie eine gewisse Durchlässigkeit haben, kann man in ihrer Nähe auch die Einflüsse beider Sphären wahrnehmen. Darauf geht zum Beispiel Gerhard Hagen in einer älteren Fotoarbeit zur Außengrenze der EU ein, einmal mit Aufnahmen aus Rumänien, einmal von der Insel Lampedusa. Ein weiteres Beispiel wäre die Arbeit „Grenzgang“ von Reinhard Feldrapp, für die er sich seit den 1970er Jahren intensiv mit der deutsch-deutschen Grenze auseinandersetzte. Auch Thomas Gröhling ließ sich von dieser ehemaligen politischen Grenze inspirieren. In seinen Holzstelen stellt er Tiere und Pflanzen dar, denen er bei seinen Wanderungen entlang dieses jetzt grünen Bandes begegnete. Veronika Riedl zeigt mit ihrer Arbeit „Die Grenze der Humanität“ mehrere bootförmige Skulpturen. Dass Boote extrem verletzliche Transportmittel für zum Beispiel die Flucht über das Mittelmeer von Afrika nach Europa sind, wird hier durch das Material der Skulpturen verdeutlicht, sie bestehen aus leicht zerbrechlichem Porzellan.
Man kann Grenzen in der Kunst auch auf einer sehr reduzierten Ebene verstehen, der des Materials oder der Abgrenzung des einen Inhalts zum anderen, unabhängig davon, was der Inhalt darstellt. Zeigt die Ausstellung Werke, die den Grenz-Begriff auf dieser Meta-Ebene behandeln?
Gerhard Schlötzer: Das machen ganz viele Teilnehmer der Ausstellung, wie Doris Bocka zum Beispiel in ihrem Gemälde „Love and Peace“. Eine Aufhebung zwischenmenschlicher Grenzen legt das Werk inhaltlich nahe, was die Machart angeht, überlagern hineingekratzte zeichnerische Formen gemalte Flächen und durchdringen deren Grenzen. Auch Christine Gruber arbeitet in dieser Richtung. Ihr geht es um die Farbwirkungen, die aus dem malerischen Arbeitsprozess entstehen. Farbklänge entstehen bei ihr durch das Aneinandergrenzen von Farbflächen.
Lisa Stöhrs Gemälde „Spintronics“ sind rund und drehbar. Was geschieht mit der Eingeschränktheit des Materials, wenn es aus mehreren Perspektiven betrachtet werden kann?
Gerhard Schlötzer: Stöhr hat auf drehbare Stahlgestelle runde Gemälde gehängt, die nicht die Grenzen eines gängigen rechteckigen Bildausschnitts haben. Sie hat, anders gesagt, eine drehbare Scheibe bemalt. Dies bewirkt, dass die abstrakten Farbflächen, die abgebildet sind, keinen Bezug zu irgendwelchen Bildkanten haben können, was noch dadurch verstärkt wird, dass man das runde Gemälde auf der Staffelei immer weiter drehen kann. Hinzu kommt, dass Farbe, die auf einer vertikalen Fläche aufgetragen ist, nach unten verläuft. So entstehen weitere bildinterne Grenzen, auf die Stöhr im dann folgenden malerischen Prozess zusätzlich eingeht. In der Ausstellung kann das Publikum den Gedanken dann fortführen, die Gemälde weiter drehen und sie aus weiteren Winkeln betrachten. Wenn man ein Werk aus mehr als einer Richtung anschauen kann, bekommt es größere Geschlossenheit. Es ist ein alter Trick der Malerei, ein Gemälde im Entstehungsprozess zwischenzeitlich auf den Kopf zu stellen oder in einem Spiegel zu betrachten. Sonst kann es passieren, dass herkömmliche Gestaltungspräferenzen zu Ungleichgewichten in der Komposition führen.
Judith Bauer-Bornemanns Stoff-Figuren, die aus mehreren Körpern anderer Figuren zusammengenäht zu sein scheinen, und Kathrin Hubls Werk „Vernähte Wunden“ gehen das Grenzthema hingegen körperlich an.
Gerhard Schlötzer: Hubls Werk ist eine dreiteilige, geschnitzte Arbeit. Einige Stellen des Holzreliefs sind rot eingefärbt, andere fleischfarben. Es entsteht der Eindruck von Wunden, beziehungsweise durch eingezogene Fäden der einer genähten, aber noch nicht geheilten Wunde. Die Arbeit hat einerseits eine gewisse Abstraktheit, legt aber auch eine Assoziation zum Medizinischen nahe. Eine Grenzüberschreitung kann man insofern sehen, als dass eine Wunde die Grenze der Haut, die ihrerseits die Grenze zwischen Selbst und Umwelt markiert, durchbricht. Es findet eine schmerzhafte Öffnung der Grenze und gleichzeitig der Versuch ihrer Heilung statt.
Alexandre Madureira stellt ein Gemälde seiner Partnerin aus, das sie kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes zeigt. Wie passt das zum Thema der Grenze?
Gerhard Schlötzer: Die Grenzsituation, die Geburt, liegt hier bereits zurück. Madureira beschreibt diesen Moment als Schwelle zwischen Erwartung und Realität, Innen und Außen, als den Übergang der Schwangerschaft zur Rolle der Mutterschaft. Und für den Vater ist es natürlich auch ein Grenzübertritt von einer Rolle in die andere.
Bei Thomas Michels Arbeit „Dunkle Triade“ könnte man Grenzüberschreitung anhand von Brutalität erkennen. Drei finstere Gestalten stehen bis zu den Knöcheln im Blut. Kann so eine Grenzüberschreitung dazu dienen, mehr Publikum anzuziehen?
Gerhard Schlötzer: Diese drei Figuren stellen für Michel die drei zerstörerischen und weltgefährdenden Persönlichkeitstypen Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie dar. Das versucht er in eine Bildform zu bringen, indem er die drei Figuren stehend auf einer blutüberströmten Landkarte zeigt. Aber auch in der Kunst gibt es Menschen, die ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, nämlich um ihre Botschaften durch Skandalisierung zu verbreiten oder sozusagen als Skandalisierungs-Unternehmer aufzutreten. Das größere Problem liegt aber nicht in der Kunst, sondern in der Gesellschaft. Denn solche Verhaltensweisen werden oftmals mit Erfolg belohnt. Grenzüberschreitung wird also thematisiert, aber nicht so sehr durch das Blut, sondern eher durch die Kritik an solchem Verhalten.