Der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken (BBK) geht in seiner aktuellen Gruppenausstellung auf ein gesellschaftlich und politisch sehr relevantes Thema ein.
... weiter
Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken e.V.
Villa Dessauer: Gruppenausstellung „Die Grenze“
Der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken (BBK) geht in seiner aktuellen Gruppenausstellung auf ein gesellschaftlich und politisch sehr relevantes Thema ein. Unter dem Titel „Die Grenze“ widmen sich 32 Künstler:innen Grenzen in der Welt, im Körper und in der Kunst.
Judith Bauer-Bornemann, Doris Bocka, Thomas Brix, Christine Engels, Franziska Erb-Bibo, Reinhard Feldrapp und Henrike Franz – Friedemann Gottschald, Thomas Gröhling, Christine Gruber, Gerhard Hagen, Jannina Hector und Nina Heinlein – Kathrin Hubl, Lucie Kazda, Rüdiger Klein, Georg Köstner, Ruth Loibl, Alexandre Madureira und Thomas Michel – Gerhard Nerowski, Veronika Riedl, Katrin Schinner, Harriet Schmid, Gudrun Schüler, Michaela Schwarzmann und Christiana Sieben – Hubert Sowa, Lisa Stöhr, Werner Tögel, Cordula Utermöhlen und Ute Westien zeigen derzeit Werke in der Villa Dessauer.
Anlass ist die BBK-Ausstellung „Die Grenze“, die noch bis 19. Januar 2025 zu sehen sein wird. Mit Gerhard Schlötzer, Vorsitzender des Verbands, haben wir über den Begriff der Grenze in seinen künstlerischen Ausprägungen und über einige der gezeigten Werke gesprochen.
Herr Schlötzer, die letztjährige Gruppenausstellung des BBK trug den Titel „Zeitenwende“, für die aktuelle haben Sie mit „Die Grenze“ einen ähnlich gewichtigen Titel gewählt. Warum?
Gerhard Schlötzer: Die Grenze ist ein universelles Thema. Es kann in unterschiedlichen Betrachtungsweisen bestehen und ist so gut wie überall vorhanden. Wir vom BBK stehen bei der Planung von Ausstellungen immer vor dem Widerspruch, auf der einen Seite ein möglichst griffiges Thema zu haben, das sich gut inhaltlich bearbeiten lässt. Auf der anderen Seite können wir durch die Zahl unserer Mitglieder aber nur auf ein begrenztes Angebot an Bearbeitungen eines Themas zugreifen. „Die Grenze“ ist keine kuratierte Ausstellung, die frei wäre in der Wahl ihrer Künstler. Wir wollen unsere Leute präsentieren. Sie sind alle Profis, arbeiten aber natürlich jeweils an ihren eigenen Themen, die nicht unbedingt mit den Themen, die wir uns für unsere Ausstellungen ausgewählt haben, zusammenpassen müssen. Deswegen versuchen wir, Themen zu wählen, bei denen unsere Leute die Möglichkeit haben, neu angefertigte oder bereits existierende Werke unterzubringen.
Was müssen diese Werke haben, um für die Ausstellung ausgewählt zu werden?
Gerhard Schlötzer: Zunächst sollte es sich um gute Kunst handeln, die Werke sollen für die Bamberger Gesellschaft eine gewisse Relevanz haben und das Thema der Ausstellung sollte auf die eine oder andere Weise aufgegriffen werden. Damit können sich die Leute dann bewerben und eine gewählte Jury stellt aus den eingereichten Werken dann eine möglichst stimmige Ausstellung zusammen, bei der auch die Korrespondenz der Werke untereinander und mit dem Ausstellungsraum eine wichtige Rolle spielt. Eine gewisse Interpretationsoffenheit im Kontakt mit den Betrachtern ist auch von Vorteil, denn diese sind neben dem Thema, dem Künstler, der Technik und dem Material wichtige Beteiligte beim Zustandekommen von Kunst. Deshalb bieten wir auch viele Begleitveranstaltungen für das Publikum an, die einzelne Aspekte des Themas „Grenze“ beleuchten und auf die Werke näher eingehen.


Was verbindet der BBK mit dem Begriff der Grenze?
Gerhard Schlötzer: Wir verbinden mit dem Begriff eine gewisse Weite. Alle Menschen sind im Lauf des Lebens Grenzen ausgesetzt. Vor allem im Verhalten zu anderen Menschen sind ständige Grenzziehungen oder Grenzüberschreitungen an der Tagesordnung. Insofern ist es ein umfassendes Thema, das sich für uns auch, aber nicht nur auf politische Grenzen bezieht. Und was die beteiligten Künstler mit dem Begriff verbinden, kann man in der Ausstellung sehen.
Sie sprechen die politische Dimension des Begriffs an. Wie geht die Ausstellung darauf ein?
Gerhard Schlötzer: Oft trennen Grenzen nicht nur Bereiche, wenn sie eine gewisse Durchlässigkeit haben, kann man in ihrer Nähe auch die Einflüsse beider Sphären wahrnehmen. Darauf geht zum Beispiel Gerhard Hagen in einer älteren Fotoarbeit zur Außengrenze der EU ein, einmal mit Aufnahmen aus Rumänien, einmal von der Insel Lampedusa. Ein weiteres Beispiel wäre die Arbeit „Grenzgang“ von Reinhard Feldrapp, für die er sich seit den 1970er Jahren intensiv mit der deutsch-deutschen Grenze auseinandersetzte. Auch Thomas Gröhling ließ sich von dieser ehemaligen politischen Grenze inspirieren. In seinen Holzstelen stellt er Tiere und Pflanzen dar, denen er bei seinen Wanderungen entlang dieses jetzt grünen Bandes begegnete. Veronika Riedl zeigt mit ihrer Arbeit „Die Grenze der Humanität“ mehrere bootförmige Skulpturen. Dass Boote extrem verletzliche Transportmittel für zum Beispiel die Flucht über das Mittelmeer von Afrika nach Europa sind, wird hier durch das Material der Skulpturen verdeutlicht, sie bestehen aus leicht zerbrechlichem Porzellan.
Man kann Grenzen in der Kunst auch auf einer sehr reduzierten Ebene verstehen, der des Materials oder der Abgrenzung des einen Inhalts zum anderen, unabhängig davon, was der Inhalt darstellt. Zeigt die Ausstellung Werke, die den Grenz-Begriff auf dieser Meta-Ebene behandeln?
Gerhard Schlötzer: Das machen ganz viele Teilnehmer der Ausstellung, wie Doris Bocka zum Beispiel in ihrem Gemälde „Love and Peace“. Eine Aufhebung zwischenmenschlicher Grenzen legt das Werk inhaltlich nahe, was die Machart angeht, überlagern hineingekratzte zeichnerische Formen gemalte Flächen und durchdringen deren Grenzen. Auch Christine Gruber arbeitet in dieser Richtung. Ihr geht es um die Farbwirkungen, die aus dem malerischen Arbeitsprozess entstehen. Farbklänge entstehen bei ihr durch das Aneinandergrenzen von Farbflächen.
Lisa Stöhrs Gemälde „Spintronics“ sind rund und drehbar. Was geschieht mit der Eingeschränktheit des Materials, wenn es aus mehreren Perspektiven betrachtet werden kann?
Gerhard Schlötzer: Stöhr hat auf drehbare Stahlgestelle runde Gemälde gehängt, die nicht die Grenzen eines gängigen rechteckigen Bildausschnitts haben. Sie hat, anders gesagt, eine drehbare Scheibe bemalt. Dies bewirkt, dass die abstrakten Farbflächen, die abgebildet sind, keinen Bezug zu irgendwelchen Bildkanten haben können, was noch dadurch verstärkt wird, dass man das runde Gemälde auf der Staffelei immer weiter drehen kann. Hinzu kommt, dass Farbe, die auf einer vertikalen Fläche aufgetragen ist, nach unten verläuft. So entstehen weitere bildinterne Grenzen, auf die Stöhr im dann folgenden malerischen Prozess zusätzlich eingeht. In der Ausstellung kann das Publikum den Gedanken dann fortführen, die Gemälde weiter drehen und sie aus weiteren Winkeln betrachten. Wenn man ein Werk aus mehr als einer Richtung anschauen kann, bekommt es größere Geschlossenheit. Es ist ein alter Trick der Malerei, ein Gemälde im Entstehungsprozess zwischenzeitlich auf den Kopf zu stellen oder in einem Spiegel zu betrachten. Sonst kann es passieren, dass herkömmliche Gestaltungspräferenzen zu Ungleichgewichten in der Komposition führen.
Judith Bauer-Bornemanns Stoff-Figuren, die aus mehreren Körpern anderer Figuren zusammengenäht zu sein scheinen, und Kathrin Hubls Werk „Vernähte Wunden“ gehen das Grenzthema hingegen körperlich an.
Gerhard Schlötzer: Hubls Werk ist eine dreiteilige, geschnitzte Arbeit. Einige Stellen des Holzreliefs sind rot eingefärbt, andere fleischfarben. Es entsteht der Eindruck von Wunden, beziehungsweise durch eingezogene Fäden der einer genähten, aber noch nicht geheilten Wunde. Die Arbeit hat einerseits eine gewisse Abstraktheit, legt aber auch eine Assoziation zum Medizinischen nahe. Eine Grenzüberschreitung kann man insofern sehen, als dass eine Wunde die Grenze der Haut, die ihrerseits die Grenze zwischen Selbst und Umwelt markiert, durchbricht. Es findet eine schmerzhafte Öffnung der Grenze und gleichzeitig der Versuch ihrer Heilung statt.
Alexandre Madureira stellt ein Gemälde seiner Partnerin aus, das sie kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes zeigt. Wie passt das zum Thema der Grenze?
Gerhard Schlötzer: Die Grenzsituation, die Geburt, liegt hier bereits zurück. Madureira beschreibt diesen Moment als Schwelle zwischen Erwartung und Realität, Innen und Außen, als den Übergang der Schwangerschaft zur Rolle der Mutterschaft. Und für den Vater ist es natürlich auch ein Grenzübertritt von einer Rolle in die andere.
Bei Thomas Michels Arbeit „Dunkle Triade“ könnte man Grenzüberschreitung anhand von Brutalität erkennen. Drei finstere Gestalten stehen bis zu den Knöcheln im Blut. Kann so eine Grenzüberschreitung dazu dienen, mehr Publikum anzuziehen?
Gerhard Schlötzer: Diese drei Figuren stellen für Michel die drei zerstörerischen und weltgefährdenden Persönlichkeitstypen Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie dar. Das versucht er in eine Bildform zu bringen, indem er die drei Figuren stehend auf einer blutüberströmten Landkarte zeigt. Aber auch in der Kunst gibt es Menschen, die ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, nämlich um ihre Botschaften durch Skandalisierung zu verbreiten oder sozusagen als Skandalisierungs-Unternehmer aufzutreten. Das größere Problem liegt aber nicht in der Kunst, sondern in der Gesellschaft. Denn solche Verhaltensweisen werden oftmals mit Erfolg belohnt. Grenzüberschreitung wird also thematisiert, aber nicht so sehr durch das Blut, sondern eher durch die Kritik an solchem Verhalten.
Das könnte Sie auch interessieren...
Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken
BBK-Ausstellung „Die Grenze“
Der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken widmet sich in seiner Jahresausstellung „Die Grenze“ in der Villa Dessauer ab 30. November der Grenze als gesellschaftlichem und künstlerischem Phänomen. 32 Künstler:innen aus dem gesamten Regierungsbezirk bearbeiten das Thema auf individuelle Weise.
Menschliches Zusammenleben ist ohne Grenzen nicht möglich, je enger es vermeintlich wird, desto wichtiger scheinen sie zu werden, schreibt der BBK Oberfranken in einer aktuellen Mitteilung zur Ausstellung „Die Grenze“. Grenzen werden weiter oder enger gezogen. Sie werden definiert, um auszugrenzen und im Gegenzug Identität zu stiften. Sie werden eingehalten oder überschritten.
Nichteinhaltung von Grenzen führe hingegen oft zu Konflikten. Das suggeriere, dass Grenzen erst durch ihre Überschreitung oder Einhaltung real werden. Was wiederum die Frage aufwerfe: Existieren Grenzen als objektive Realität in Natur und Kosmos oder gibt es sie nur im Handeln zwischen Menschen?
Grenzen spielen unterdessen auch in der Kunst und Ästhetik eine bedeutende Rolle: Die Grenzen des Formates, die Oberfläche der Leinwand als Grenze zwischen imaginärem Bildraum und realem Betrachterraum und deren Durchdringung in beide Richtungen sind ständige Subthemen bildnerischen Schaffens. Künstler:innen begehen dementsprechend gezielte Grenzüberschreitungen über Gattungen oder moralische Grenzen hinweg, um die konkreten sozialen und politischen Fragen der Weltgesellschaft aufzugreifen, um Fragen zu stellen wie: Wo ist die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst? Gibt es eine Grenze zwischen Kunst und Leben?
Philosophische, politische, soziale oder persönliche Dimensionen von Grenzen
Auch die 32 oberfränkischen Künstler:innen, die der BBK in diesem Winter in seiner Jahresausstellung in der Villa Dessauer in Bamberg zeigt, setzen sich mit den philosophischen, politischen, sozialen oder persönlichen Dimensionen von Grenzen auseinander. Die gezeigten Werke sind das Resultat eines Entstehungsprozesses, bei dem die Beteiligten in Dialog treten mit persönlichen Mitteln und Techniken und dabei oft neue Wege einschlagen, um das Thema auszudrücken.
Dieses Jahr ist eine Ausstellung laut BBK-Mitteilung mit einer besonders großen Zahl an überraschenden und berührenden Werken entstanden. Führungen und Veranstaltungen begleiten die Schau.
Es stellen aus: Judith Bauer-Bornemann, Doris Bocka, Thomas Brix, Christine Engels, Franziska Erb-Bibo, Reinhard Feldrapp, Henrike Franz, Friedemann, Gottschald, Thomas Gröhling, Christine Gruber, Gerhard Hagen, Janina Hector, Nina Heinlein, Kathrin Hubl, Lucie Kazda, Rüdiger Klein, Georg Köstner, Ruth Loibl, Alexandre Madureira, Thomas Michel, Gerhard Nerowski, Veronika Riedl, Katrin Schinner, Harriet Schmid, Gudrun Schüler, Michaela Schwarzmann, Christiana Sieben, Hubert Sowa, Lisa Stöhr, Werner Tögel, Cordula Utermöhlen und Ute Westien.
Einen ausführlichen Bericht zur Ausstellung „Die Grenze“ können Sie demnächst im Stadtecho Bamberg und auch hier auf dem Webecho lesen.
Das könnte Sie auch interessieren...
Kunst über Kunst
„All over“: Sven Drühl in der Villa Dessauer
Der Berliner Künstler Sven Drühl hat sich der Darstellung von Naturansichten verschrieben, vornehmlich zeigen seine Werke Berge, Wassermotive und Wald. Zur Motivsuche für seine Gemälde aus ungewöhnlichen Werkstoffen wie Öl, Lack und Silikon begibt er sich aber nicht ins Gebirge. Bereits bestehende Abbildungen von Natur, wie die europäische oder japanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, dienen ihm als Vorlage. Im Interview haben wir mit ihm über seine Ausstellung in der Villa Dessauer (bis 27. Oktober), seine Technik, Aneignung, die Abwesenheit von Menschen, die Spuren der Romantik und Computerspielwelten gesprochen.
Herr Drühl, was bedeutet der Ausstellungs-Titel „All Over“? Handelt es sich um einen Abschluss oder eine Retrospektive?
Sven Drühl: Ich kenne die Villa Dessauer bereits von einer Ausstellung aus dem Jahr 2013. Damals wurde allerdings nur das untere Stockwerk bespielt und als ich dem Bamberger Kunstverein für meine aktuelle Ausstellung zusagte, habe ich mich ein bisschen verschätzt. Ich dachte nämlich, mir stünde auch nur die untere Etage zur Verfügung. Diesmal geht die Ausstellung aber über zwei Stockwerke – in diesem sehr großen Haus. Also haben wir beschlossen, nicht nur aktuelle Arbeiten zu zeigen, sondern Arbeiten aus meinen unterschiedlichen Werkphasen. Der Titel bezieht sich also auf eine Überblickausstellung.
Was wird entsprechend zu sehen sein?
Sven Drühl: Ich zeige unterschiedliche Serien. Es gibt zum Beispiel die Shin Hanga-Serie, bei der ich mich auf japanische Holzschnitte aus dem frühen 20. Jahrhundert beziehe. In einem Raum zeige ich zudem erstmals alle meine Lithografien, also auch solche, die ich noch nie museal gezeigt habe. Und einige ältere Architekturarbeiten, die ich mit nach Bamberg bringe, habe ich auch schon acht Jahre nicht mehr ausgestellt.
Warum haben Sie sich für Ihre Landschaftsdarstellungen für das Vorgehen des Abmalens entschieden?
Sven Drühl: Abmalen ist der falsche Begriff. Es geht um Remixe. Ähnlich wie DJs in den Clubs der 1990er Jahre anfingen, Remixe von bestehenden Songs anzufertigen, und oftmals Dinge zusammenbrachten, die vorher so nicht zusammengehörten, gehe auch ich vor. Zum Beispiel basiert ein fünf Meter breites Triptychon auf drei unterschiedlichen Holzschnitten des japanischen Künstlers Kawase Hasui. Von diesen Werken nehme ich mir Teile und kompiliere sie malerisch zu einem neuen Bild.
Sie bilden die Vorlagen allerdings nicht in Gänze ab. Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ausschnitte aus, die sie zitieren?
Sven Drühl: Bis vor vier oder fünf Jahren habe ich in der Regel Kompositionen mit Vordergrund, Hintergrund, Himmel und so weiter gesetzt, um die Gemälde präzise als Landschaftsansichten zu markieren. Dann habe ich aber zum Teil angefangen, so weit reinzuzoomen, dass es keine Himmel-Linie mehr gab. Daran reizt mich, dass das Motiv nicht mehr auf den ersten Blick eindeutig zum Beispiel als Berg erkennbar ist, sondern eher ein abstraktes Muster von einem Berg entsteht. 20 Jahre lang war bei meinen Gemälden sofort klar: Das ist Wasser, das ein Berg. Nun habe ich diese Eindeutigkeit manchmal aufgelöst und die Leute stehen davor und fragen: Du machst jetzt Abstraktes? Dann sage ich Ihnen, dass sie näher hinschauen sollen und meist verstehen sie.

Worin besteht der Reiz, abzubilden, was bereits abgebildet wurde?
Sven Drühl: Auch in früheren Zeiten nahmen Künstler bereits Bezug auf Gemälde, die es schon gab. Das tue ich auch – ich beziehe mich auf Werke, die schon existieren, um den Blick auf sie zu erweitern. Und durch meine Materialien wie Silikon, Lack und Öl wird es sowieso immer etwas ganz anderes. Es ist ein Neudurchspielen und Neu-in-Kontext-Setzen. Auch reizvoll dabei ist, dass ich Dinge aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten zusammenbringen kann. Ich kann ein Gemälde des Matterhorns aus dem 19. Jahrhundert mit einem japanischen Holzschnitt der 1930 Jahre verbinden und so etwas Neues herstellen. Im Zuge meiner Shin Hanga-Serie habe ich das kulturelles Pingpong genannt, weil dabei überhaupt nicht mehr klar ist, worum es sich bei den Originalen handelt. Hinzu kommt, dass die Künstler der Shin Hanga-Kunstrichtung ihren Werken bereits Zitate westlicher Kunst beigemischt hatten. Sie kannten das Licht des Impressionismus und der Romantik. Gleichzeitig gab es in der westlichen Kunst den Japonismus, etwa bei Gustav Klimt oder Egon Schiele. Die Bälle fliegen hin und her und man kann nicht mehr auflösen, wo was herkommt.
Geht das nicht in Richtung dessen, was man heute kulturelle Aneignung nennt?
Sven Drühl: Als ich in den frühen 2000er Jahren mit diesem Ansatz anfing, gab es den Begriff und die dazugehörige Debatte noch nicht. Damals wurde das, was man heute Aneignung nennt unter dem Begriff „Zitat“ gefeiert. Da ging es darum, dass man die Vorlagen auf- und stark macht. Man verstand das Zitat nicht als Ausnutzen von etwas, sondern als Hommage. Und in der Bildenden Kunst oder der Malerei hat es den Rückgriff auf bestehende Motivik wie gesagt eigentlich immer schon gegeben. Dieser Blick hat sich natürlich mittlerweile gewandelt, aber ich wurde mit dieser Debatte bisher nicht konfrontiert, weil sie für meine Werke auch nicht wirklich greift.
Wieso haben Sie sich für Landschaftsmalerei und speziell Gebirgsansichten als Vorlagen für Ihre Gemälde entschieden?
Sven Drühl: Das Remixen würde tatsächlich auch mit anderen Vorlagen funktionieren, aber ich wollte so wenig Narration in den Arbeiten haben, wie möglich. Sobald man Menschen mit abbildet oder Architektur hat man eine Erzählung drin. Ich wollte alles erzählungsfrei halten, offen, sodass jeder in dem Gemälde etwas erblicken und es mit eigenen Emotionen füllen kann. Diese Motive stellen einfach ein sehr neutrales Feld dar.
Was für ein Menschenbild steckt dahinter?
Sven Drühl: Es ist mir wichtiger, keine Narration zu haben, als keine Menschen. Wenn ich einen Menschen in der Landschaft habe, fragt man sich sofort, was der da macht, wo er hingeht und so weiter. Das will ich nicht. Ich will, dass man über Landschaft nachdenkt, nicht über den Menschen. Sonst ist man wieder in diesem Romantik-Ding: Der kleine Mensch in der erhabenen Landschaft und so weiter. Ich will einen reinen Blick, weswegen das Landschaftsthema auch so gut geeignet ist. Als ich damit anfing, war Landschaft das uncoolste Thema, das man machen konnte. Alles in der Kunst war zynische und ironische Provokation oder es dominierten Fotografie und Video. Das mit der provokativen Malerei wie bei Martin Kippenberger und Co. war mir aber irgendwann zu kindisch und ich vollzog einen Schwenk, reduzierte alles, auch die Provokation, und bin in das Landschaftsthema eingestiegen.
Wollen Sie entsprechend auch verhindern, dass in Ihren Werken diese romantischen Naturdarstellungen und ihre Erhabenheit erkannt wird?
Sven Drühl: Ich will sie verhindern, bediene sie aber gleichzeitig. Es ist so ein Inbetween. Ich will keine Erzählung, weiß aber, dass sobald man ein Dreieck malt mit einer blauen Fläche darüber, das Publikum einen Berg zu erkennen meint. Dabei können natürlich auch diese großen Gefühle auftauchen, wie sie vielleicht im Angesicht eines Gemäldes aus der Romantik entstehen. Ich verstehe mich als konzeptueller Maler. Konzeptkunst ist allerdings oft sehr spröde und bietet nicht so viel an, außer den Theorie-Überbau. Darum möchte ich in meinen Werken, neben der theoretischen Ebene, die ich durchaus auch einziehe, mit dem, was abgebildet ist, ebenso eine Art Verführungsqualität haben. Dabei stört es mich nicht, wenn die Leute sagen: Was für ein wunderschönes Bergbild, das macht mich ganz ruhig – ein Kommentar, bei dem viele zeitgenössische Künstler übrigens eine Krise kriegen würden. Und wer sich tiefer mit meinen Gemälden auseinandersetzen möchte, bekommt auf einer zweiten Ebene, auf der ich die jeweilige Vorlage zitiere und zum Beispiel Fragen nach kultureller Zusammensetzung stelle, Theorie dazu geliefert.
Vor fast genau 250 Jahren (5. September 1774) wurde Caspar David Friedrich geboren. Im ganzen Land gibt es derzeit sehr erfolgreiche Ausstellungen mit seinen Gemälden. Bedeutet das nicht, dass es im Publikum nach wie vor ein Bedürfnis nach den guten alten Darstellungen von natürlicher Erhabenheit oder Natur als Seelenlandschaft gibt?
Sven Drühl: Ja, natürlich, so eine Sehnsucht besteht, aber eine Romantik-Renaissance gab es auch schon in den 1990ern. Mit den Impressionisten und Expressionisten funktioniert es genauso. Das sind Blockbuster-Schauen. Mir geht es aber nicht um die Romantiker, ich zitiere nicht nur Friedrich oder andere Große dieser Zeit. Ich zitiere auch Maler des 19. Jahrhunderts, die keiner kennt. Ich möchte nicht so ein Museumshighlight oder einen Best-of-Katalog der Romantik erstellen.

Legen Sie dabei auch den eigenen Gefühlshaushalt hinein?
Sven Drühl: Ja, manchmal. Also nicht die eigenen Gefühle im Sinne von, mir ist gerade nach der und der Stimmung. Bei den Lackgemälden habe ich meistens zuerst den Unterbau eines Berges fertig, dann füge ich noch den Himmel hinzu. Dabei denke ich sehr lange über die Farbgebung nach. Denn mit Farben lassen sich Emotionen transportieren. Mache ich den Himmel blau, wirkt er anders, als wenn ich ihn orange färbe. Wobei ich gerne Farben wähle, die eine eher unterkühlte Ausstrahlung habe. So holen die Gemälde das Publikum nicht allzu sehr rein. Deshalb muss ich mir zwar öfter Vorwürfe anhören, bei mir sei Vieles so unterkühlt, aber das ist eine bewusste Setzung.
Fügen Sie auch selbst gestaltete Teile hinzu?
Sven Drühl: Ganz selten. Von meinen etwa 400 Gemälden habe ich vielleicht in fünf Eigenes eingearbeitet.
Gibt es bei Ihnen dann trotzdem so etwas wie eine künstlerische Handschrift?
Sven Drühl: Ja natürlich, eine ganz Deutliche. Es ist in der zeitgenössischen Malerei zwar schwer, einen erkennbaren Stil zu etablieren. Aber ich denke, meine Handschrift ist ganz klar meine Herangehensweise: Landschaftsdarstellungen aus Silikon, ÖL und Lack. Das sind keine klassischen Verfahren der Malerei, solche Materialien verwendet sonst niemand. Dieses Vorgehen habe ich quasi erfunden und damit ein so starkes Alleinstellungsmerkmal erreicht, dass die Leute schon vor 20 Jahren meine Bilder erkannt haben. Auch meine neueren Werke der zweiten großen Serie der Lackbilder – entstanden in den letzten acht Jahren –, die ohne Silikon auskommen und keine kunsthistorischen Zitate verwenden, haben eine spezielle Technik, die sich kaum nachmachen lässt. Bei diesen Gemälden beziehe ich mich auf Hintergründe aus Computerspielwelten.
Wie kam der Schritt weg von historischen Gemälden hin zu Computerspielwelten als Vorlage?
Sven Drühl: Ich fragte mich nach so vielen Jahren mit Landschaften, wo es noch Potenzial für Innovation im künstlerischen Zugriff auf diese Motive gibt. In der zeitgenössischen Kunst gibt es diesen meiner Meinung nach aber schon lange nicht mehr. Wenn in einem Computerlabor aber 50 Nerds sitzen und für ein Computerspiel Landschaften programmieren, führt das dazu, dass ein völlig neues Bild von Landschaft generiert wird.
Woher bekommen Sie diese Hintergründe?
Sven Drühl: Ich arbeite mit zwei Firmen aus den USA zusammen, die mir Zugriff auf Zwischenschritte ihrer Vektordateien geben. Wenn in so einem Spiel zum Beispiel ein Hubschrauber durch eine Landschaft fliegt, muss diese natürlich generiert werden. Das geschieht, indem tausende Landschaftsfotos eingespeist werden. Aus einem dann generierten Fundus rein virtueller Vorlagen übersetze ich Fragmente in Malerei. Der Witz dabei ist, dass diese Landschaftsgemälde realistischer scheinen als die, die ich aus historischen Gemälden gemixt habe, die also eine reale Vorlage hatten. Aber diese virtuellen Landschaften, die ich jetzt verwende, gibt es nicht. Die Vorlagen meiner vorherigen Arbeiten waren Abstraktionen von Realität, die ich ein zweites Mal abstrahiert habe. Eine Abstraktion zweiter Ordnung könnte man sagen. Nun gibt es keine Vorlagen mit realem Vorbild mehr, sondern nur noch virtuelle. Diese male ich aber so, als würde die Landschaft existieren.
Sind Sie also der Retter der Landschaftsmalerei?
Sven Drühl: Nein, so sehe ich mich gar nicht, ich bin kein Retter und will auch keiner sein. Es macht mir aber unglaublich Spaß, Landschaften zu malen. Ich gehe immer noch sehr gerne ins Atelier und denke darüber nach, wie ich das Konzept vorantreiben und wie ich Vorlagen erneuern kann. Denn Landschaftsdarstellungen haben immer noch eine Relevanz, wenn auch nicht mehr mit den alten Mitteln. Ich kann mich heute nicht mehr in die Landschaft setzen und losmalen, das ging im 19. Jahrhundert besser. Also gehe ich neu ran und mache Kunst über Kunst.
Ihre jüngsten Schöpfungen sind dreidimensionale Darstellungen von Gebirgszügen. Was hat es damit auf sich?
Sven Drühl: Oft hat man riesige Ausstellungsräume, kann seine Gemälde aber nur flach an die Wand hängen. Das ist als Maler oft frustrierend. Darum habe ich diesen Schritt hin zum Dreidimensionalen unternommen, um den Raum besser in den Griff zu bekommen und das Konzept der Landschaftsmalerei erneut zu erweitern. Dafür erschaffe ich Bronzwerke nach Gipsreliefs. Diese Gipse werden mir von einem Geologen angefertigt, der Ähnliches zum Beispiel auch für große Alpin-Museen macht. Sind die Reliefs fertig, komme ich mit Fräse, Hammer und Meißel und verfremde beziehungsweise zerstöre Teile davon, um den Eindruck zu erwecken, dass ein Blick in die Zukunft gezeigt wird: Alles Eis und Hänge sind abgerutscht und der Berg durch den Klimawandel erodiert. Für diese Arbeiten gehe ich allerdings von realen Bergen aus und nicht von kunstgeschichtlichen Darstellungen.
Betreiben Sie Bergsteigen?
Sven Drühl: Das kann ich nicht behaupten. Ich bin schon gerne in den Bergen unterwegs, bin aber kein Bergsteiger oder Bergwanderer. Das macht mein Knie nicht mit.
Das könnte Sie auch interessieren...
Historisches Museum, Sammlung Ludwig, Villa Dessauer
Positive Bilanz: Kulturelle Bildung bei den Museen der Stadt Bamberg
Die Publikums-Bilanz der Museen der Stadt Bamberg des letzten Jahres ist positiv. Immer mehr Personen besuchen die Ausstellungen im Historischen Museum, in der Sammlung Ludwig und der Villa Dessauer, immer mehr Schulklassen buchen Mitmach-Führungen und Museumswerkstätten.
Anfang Dezember eröffneten die Museen der Stadt Bamberg ihre letzte Ausstellung des Jahres 2023. Noch bis 28. Januar zeigt das Historische Museum die Weihnachtsausstellung „Eine runde Sache? Wie Lauscha die Weihnachtskugel erfand“. Die Schau bildet den Abschluss „eines anspruchsvollen Ausstellungsjahrs“, wie die Museen mitteilten. Unter dem Jahr liefen unter anderem auch „Die magische Nuss Krakatuk“, „Fake Food – Essen zwischen Schein und Sein“, „Instant Paradise – Swaantje Güntzel“ und „Feldforschung“ von Rosa Brunner. „Unsere Bemühung wurden mit sehr guten Besuchszahlen belohnt“, sagt Museumsdirektorin Kristin Knebel. „Schon jetzt ist die Zahl der Museumsbesuche aus dem Jahre 2022 übertroffen worden. Und wir freuen uns, dass wir so viele Menschen, darunter viele Bambergerinnen und Bamberger, und vor allem auch Kinder und Jugendliche erreichen können. Denn letztlich lebt ein Museum ja genau von ihnen, ohne ihr Interesse wäre unsere Arbeit nutzlos.“
Zuspruch auch bei Kultureller Bildung
Die Museen der Stadt Bamberg begreifen bei jeder Ausstellung laut Selbstbeschreibung Bildung und Vermittlung als elementare Aufgabe. Ihre kulturellen Bildungsangebote sollen sich an den unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen, Motivationen und Erwartungen des Publikums orientieren. Auch sollen Besucherinnen und Besucher einbezogen werden, um einen einladenden und anregenden Bildungsort zu schaffen. Mit unterschiedlichen, zielgruppenspezifischen und inklusiven Methoden und Formaten sollen auch Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, kultur- und kunstgeschichtliche Themen spielerisch zu entdecken und zu vertiefen, selbst aktiv zu werden und ihr kritisches Denken zu entwickeln.
„Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung in den Museen, insbesondere was die jungen Besucherinnen und Besucher betrifft“, sagt Eleonora Cagol, wissenschaftliche Volontärin und zuständig für die Kulturelle Bildung der Museen der Stadt Bamberg. „Die neuen Kindergarten- und Schulprogramme, die wir seit September 2022 anbieten, werden von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern mit großer Begeisterung aufgenommen. Vom 10. Dezember 2022 bis zum 10. Dezember 2023 haben wir für mehr als 75 Klassen mit insgesamt mehr als 1.500 Schülerinnen und Schülern Mitmach-Führungen und Museumswerkstätten organisiert. Hinzu kommen die Klassen, die unsere Museen und Ausstellungen selbstständig besucht haben.“
Das könnte Sie auch interessieren...
„Ich war nicht absichtlich radikal, ich habe nur auf Probleme hingewiesen“
Swaantje Güntzel: Werkschau von in der Villa Dessauer
In ihrer bisher größten Einzelausstellung zeigt die Hamburger Konzeptkünstlerin Swaantje Güntzel Werke aus 20 Jahren ihrer Arbeit in der Villa Dessauer. Hauptthemen der Schau „INSTANT PARADISE“ sind das gestörte Verhältnis von Menschen und Natur und die Publikums-Reaktionen auf Kunst, die es sich zu eigen macht. Wir haben mit Swaantje Güntzel über Haustierhaltung gesprochen, über Verdrängung und darüber, warum sie sich manche ihrer Werke von künstlicher Intelligenz schaffen lässt.
Frau Güntzel, was hat es mit dem Ausstellungstitel „INSTANT PARADISE“ auf sich?
Swaantje Güntzel: Die Idee ist, die Welt, die wir geschaffen haben, zu sezieren und künstlerisch herauszuarbeiten, wie stark gleichzeitig der Wunsch ist, sich von dem Alltag, der diese Welt bedingt, zu dissoziieren. Ich habe versucht, die Klammer so zu setzen, dass man merkt, wie nah wir eigentlich an der Realität sind, mit der wir im Moment zu tun haben, während wir aber eigentlich hoffen, uns nicht mit ihr auseinanderzusetzen zu müssen. Gleichzeitig erliegen wir der Illusion, dass die Welt, die wir gestaltet haben, paradiesisch ist, uns auf dem Weg dahin aber selbst schaden.
Was heißt das genau?
Swaantje Güntzel: Sieht man sich unser Verhältnis zur Natur an, sieht man, dass wir stark von der Illusion getrieben sind, etwas zu suchen, das wir romantisieren können. Aber eigentlich haken wir nur Instanzen ab, während uns egal ist, was wir am Schluss finden. Um es plakativ zu sagen: Wenn wir auf Instagram Natur betrachten, erliegen wir schnell der Annahme, wir hätten Natur auch erlebt, während es eigentlich ein technischer Vorgang war.

Die Frage, warum wir nicht merken, dass das, was wir der Natur antun, wir uns letztlich selbst antun, ist etwas, das mich seit Jahren beschäftigt. Darum scheint es uns auch so schwer zu fallen, Lösungen zu finden. Wir haben eine Realität kreiert, die aus zwei parallelen Universen besteht: einem, in dem wissenschaftlich nachweisbar ganz viel passiert zu dem wir uns eigentlich verhalten müssten. Und ein Universum, das wir abgespalten haben, in dem wir weiter so tun, als ob alles in Ordnung wäre und die Dinge ignorieren, die wir eigentlich wahrnehmen müssten. Darin schaffen wir immer neue künstliche Bilder darüber, was zum Beispiel Umgang mit Natur ist. Es geht in der Ausstellung entsprechend nicht zuletzt sehr viel um unser Verhältnis zur Kreatur.
Ein Werk heißt „Paradise dissected“ und zeigt eine Installation mit verschiedenen Käfig-Systemen zur Kleintierhaltung. Was sagt es über unser Verhältnis zu diesen Tieren?
Swaantje Güntzel: In der Installation wird die Frage aufgeworfen, wie weit Menschen gehen, um sich vom Tier unterhalten zu lassen. Der Hamster selbst spielt dabei letztendlich nur eine untergeordnete Rolle. Dasselbe gilt für die Dinge, die in der Kleintierhaltung als Spielzeuge oder Accessoires angeboten werden, sie werden genutzt damit der Mensch auf seine Kosten kommt, nicht das Tier. Hier ist es mir wichtig so zu überzeichnen, dass das ganze System fast schon satirisch wirkt und derart in seiner Bedeutung kippt, dass man sich fragt, ob so etwas nicht viel mehr über uns aussagt als über das Tier. Auch wenn ich leider oft viel näher an der Realität dran bin als mir lieb wäre.
Für die Ausstellung haben Sie Werke aus 20 Jahren Ihres Schaffens ausgewählt. Unter welchen Gesichtspunkten haben Sie die Wahl getroffen?
Swaantje Güntzel: Das wichtigste war, dass ich noch vor der Auswahl entschieden habe, brandaktuelle neue Arbeiten und älteren Arbeiten gemeinsam zu zeigen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass viele meiner Werke jetzt eine größere Aktualität haben als zum Zeitpunkt ihres Entstehens und zudem viele Themen, wie zum Beispiel die Klimakrise erst jetzt die angemessene öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.
Warum bespielen Sie seit 20 Jahren das Thema des Verhältnisses zur Natur?
Swaantje Güntzel: Ich glaube, das ist das Thema, das mich in meinem Leben am meisten beschäftigt hat. Schon als ich klein war, habe ich gemerkt, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen Erkenntnis und Handeln, auch wenn ich das als Kind nicht formulieren konnte. Ich habe mich damals im Rahmen meiner Möglichkeiten engagiert und bin zum Beispiel von Tür zu Tür gegangen, um Unterschriften gegen Robbenschlachten zu sammeln. Später habe ich kleine Skulpturen verkauft und das Geld an Greenpeace gespendet. Als ich mich dann entschied, ganz in die Kunst zu gehen, fragte ich mich, mit welchen Themen ich mich intensiv beschäftigen möchte. Da war klar, welches ich wähle. Und wenn man sich fragt, wie unsere ökologische Realität aussieht, was sie über uns aussagt und worauf sie hinausläuft, ist man vollzeitbeschäftigt.
Welche Werke sind aktueller geworden?
Swaantje Güntzel: Über unseren Umgang mit Tieren habe ich schon vor 15 Jahren gearbeitet, wie zum Beispiel im Kontext des Werks „Paradise dissected“. Die Frage war immer, in welche Beziehung wir uns zum Tier setzen und wie viel Wille dem Tier eigentlich gelassen wird. Diese Fragen sind heute aktueller denn je. In der Ausstellung beschäftige ich mich zum Beispiel mit der Darstellung der Kreatur auf Social Media wie Tik-Tok und Instagram. Es gibt ein ganzes Genre über Haus- und Wildtiere, die in bestimmten Videos mit Accessoires geschmückt oder mit Dingen angezogen werden, die man ganz sicher so nicht in freier Wildbahn findet. Hamster tragen Krönchen und Pantoffeln, Otter einen Pyjama und Hunde Popstar-Outfits.
Zudem gibt es die Kategorie der sogenannten Rescue Videos. Darin filmen sich Menschen, wie sie Tiere, meist Hunde und Katzen, die sie am Straßenrand oder im Wald finden mit nach Hause nehmen und sie so aus ihrer Sicht retten. Die Aussage dahinter ist immer: Das Tier hat nur eine Chance zu überleben, weil es vom Mensch gerettet wird. In der Dramaturgie des Videos wird das Tier dann, um in die vermeintlich bessere, gute Welt beim Menschen aufgenommen zu werden, gebadet. Dieser Akt gleicht oft einer Art Taufe, fast wie ein rite de passage. Dazu wird es in der Ausstellung auch eine eigene neue Serie geben.
Gibt es auch Werke, die schlecht gealtert sind?
Swaantje Güntzel: Nein. Es war tatsächlich so, dass ich mich kaum entscheiden konnte, was ich alles mit nach Bamberg nehme, weil alles gepasst hätte.

Schlägt sich in der Ausstellung auch nieder, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Natur immer schlechter geworden ist?
Swaantje Güntzel: Ja. Es wird tatsächlich immer überdrehter. Meine Beschäftigung mit den Käfig- und Tunnelsystemen aus der Kleintierhaltung waren damals so etwas wie ein Anlauf und eine Bestandsaufnahme. Den Grad der Vermenschlichung des Tiers in der Inszenierung auf Social Media empfinde ich inzwischen als sehr bedenklich. Interessant ist dabei sicherlich auch zu sehen, wie BetrachterInnen auf meine Arbeiten, in denen ich diese Themen aufgreife, reagieren. Vielleicht war ich, ohne dass es mir klar war, immer schon einen kleinen Schritt schneller, weil ich das alles so absurd fand, während in meinem Umfeld oft noch gedacht wurde, solche Dinge seien in Ordnung. Am Ende sind wir ja alle umgeben von eingesperrten Meerschweinchen und Kaninchen aufgewachsen.
Eines Ihrer Werke heißt „Können Sie nicht mal was Schönes machen“. Ist es eine Fortführung solcher Diskussionen?
Swaantje Güntzel: Ja. Es ist eine Werkreihe, die ich als Antwort auf die Reaktion des Publikums auf meine Kunst begonnen habe. Dafür habe ich Bildmaterial benutzt, das vermeintlich aufwühlende Themen zeigt, wie zum Beispiel eine Ansicht des Braunkohletagebaus, und habe dann kitschige Aufkleber von Dingen, die wir als schön empfinden, wie von Einhörner, Regenbögen und so weiter darauf geklebt. Mir wurde von Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit an vorgeworfen, dass die Arbeiten, die sich mit unserer ökologischen Realität und unserer Beziehung zum Tier befassen, zu verstörend seien. In Teilen fand ich das nur schwer nachvollziehbar, weil ich ja letztendlich nur die von uns gemachte Realität abbilde.
Ich bin ja auch nicht die erste Künstlerin, die sich mit diesen Themen beschäftigt. Als ich allerdings vor 20 Jahren damit anfing, hingen die hedonistischen Neunziger vielleicht noch zu sehr in der Luft und man musste erst mal realisieren, dass wir auf dem Weg in etwas sehr Ungutes sind. Vermutlich sind die Reaktionen auf meine Arbeit deswegen oft so ablehnend und immer wieder mit dem Vorwurf verbunden, es sei zu verstörend und radikal, flankiert von Sätzen wie: Können Sie nicht mal was Schönes machen? Am Ende ist es jedoch auf zwei Ebenen entlarvend: Einmal – was soll Kunst eigentlich, was glaubt man, von ihr einfordern zu dürfen? Und was sagen solche Sätze darüber aus, wie wir uns mit der Realität beschäftigen? Wir leisten uns den Luxus, ihr ausweichen zu können.
Wurde also das Werk als radikal angesehen oder sein Thema der Umweltzerstörung?
Swaantje Güntzel: Ich war nicht absichtlich radikal, ich habe nur auf Probleme hingewiesen. Zu den Vermeidungsstrategien dessen, worauf ich hinweise, gehörte es aber wohl, meine Werke radikal zu nennen. Das ist luxuriös und bildet ab, wo wir im Diskurs stehen und wie wir uns erlauben, uns mit Umweltzerstörung nicht auseinandersetzen zu müssen oder zu können. Ich habe mich dabei eigentlich immer nur als eine Art Chronistin gesehen, die die Dinge festhält.
Haben sich diese Reaktionen im Lauf der Zeit geändert? Herrscht immer noch Verstörung oder mittlerweile eher Genervtheit vom Thema?
Swaantje Güntzel: Die Ablehnung der Anfänge wurde zwischenzeitlich abgelöst von einem vermeintlichen Interesse. Ein paar Jahre lang kamen die Leute mit einer großen Aufgeschlossenheit und wollten verstehen, worum es geht. Je klarer dann aber wurde, dass Klimawandel nicht nur ein Phänomen am anderen Ende der Welt ist, sondern dass man sich auch selbst bewegen muss und sein eigenes Selbstverständnis hinterfragen muss, fing es an zu kippen. Da wurden die Reaktionen wieder aggressiver.
Bieten Ihre Werke Lösungen der Problematik des Themas an?
Swaantje Güntzel: Ich habe mich als Künstlerin eigentlich nie in der didaktischen oder pädagogischen Rolle gesehen. Weil ich mich aber schon so lange mit dem Thema beschäftige, bin ich ein wenig in dieser Rolle gelandet. Ich glaube aber nicht, dass Aufklärung meine primäre Aufgabe ist. Ich versuche, über die Möglichkeiten, die ich als Künstlerin habe, wenn es auch in einer für viele unbequemen Form ist, Dinge so aufzubereiten, dass ich mich subjektiv dazu äußern kann. Ein wichtiger Teil ist dabei, künstlerisch zu hinterfragen, in welcher Weise wir der Verantwortung für unser Handeln ausweichen. Das möchte ich in meinen Werken spiegeln – genau wie ich auch die ökologische Realität spiegele. Das eine bedingt das andere.
Für die Grafikreihe „Space Heroines“ haben Sie Darstellungen von Superheldinnen von einer künstlichen Intelligenz anfertigen lassen. Ist es nicht ein Ausweichen vor Ihrer eigenen, in diesem Fall künstlerischen Natur, wenn man einen Algorithmus arbeiten lässt?
Swantje Güntzel: Nein. Als Konzeptkünstlerin ist das für mich kein Widerspruch. 2022 habe ich ich eine Artist-in-Science Residence bei der European Space Agency in Darmstadt absolviert. In dieser Zeit wurde mir immer klarer, dass der Weltraum sehr stark von männlichen Heldengeschichten und einem männlichen Selbstverständnis der Raumeroberung geprägt ist. Der erste Teil der Arbeit „Space Heroines“ bestand entsprechend darin, eine weibliche Superheldin zu entwerfen, die dem etwas entgegenzusetzen hatte und sich im All für das Gute einsetzt und Weltraumschrott beseitigt. Dafür schrieb ich mehrere GrafikerInnen an, und fragte, ob sie mir eine Heldin entwickeln können. Dabei stand ich aber unter großem Zeitdruck und bin im Verlauf meiner Anfrage zu keinem Ergebnis gekommen. Ich musste dann entscheiden, wie ich diese Heldin anders entwickeln kann, also ohne die Hilfe von anderen.
Warum haben Sie sie nicht selbst gezeichnet?
Swaantje Güntzel: Weil ich keine Zeichnerin bin. In gewisser Weise habe ich sie dann aber doch selbst erschaffen, indem ich eine KI benutzt habe. Als Konzeptkünstlerin greife ich sowieso sehr viel auf solche ausgelagerten Möglichkeiten zurück. Das ist ja die Idee des konzeptuellen Arbeitens. Die Idee steht im Vordergrund und man sucht sich Wege, sie zu übersetzen.
Sollte man als Künstlerin oder Künstler aber nicht Wert darauf legen, dass es in der Kunst etwas gibt, ein menschlicher Funke vielleicht, das eine KI nicht erschaffen oder kopieren kann und sich entsprechend von ihr fernhalten?
Swaantje Güntzel: Wenn man die KI bedient und versucht, sie zu steuern, gibt man ihr durchaus etwas ein. Diese Eingabe war sogar das eigentlich Spannende. Zuerst gab ich Schlagwörter wie „Heldin“, „Comicstil“ und „Weltraum“ ein. Dabei stellte ich aber sofort fest, und hier tat sich eine zweite Ebene der Arbeit auf, dass die KI unter „Heldin“ immer eine blonde, weiße, junge schlanke, übersexualisierte Figur versteht. Um diverse Figuren zu erreichen, musste ich die KI immer um das Gegenteil dessen bitten, was sie als Standard für das Konzept „Heldin“ festlegt. Diese zweite Ebene bestand also darin, die KI so zu bedienen, dass ein diverseres und kein sexistisches Ergebnis rauskommt.
„INSTANT PARADISE“ wirft einen Blick in die Vergangenheit. Welche Themen wollen Sie in Zukunft angehen?
Swaantje Güntzel: Was mich derzeit sehr beschäftigt, sind die erwähnten Ausweichwege, die Schlupflöcher, mit denen wir uns erlauben, der Umweltzerstörung und ihrer Handlungsnotwendigkeit zu entgehen. Mein Werk „When are we fucking done raising awareness?“ ist eine Reaktion darauf. Man kann immer einen Grund finden, warum bestimmte Dinge für einen selbst nicht zutreffen. Das geht aber nur, wenn man durch eine Meta-Ebene geschützt ist, wie zum Beispiel diejenige, die die Politik vorlebt. Sie handelt nicht so konsequent, wie sie müsste oder könnte, wie man an der aktuellen Verhandlung um das Pariser 1,5 Grad-Abkommen sieht.
Der Rest hat sich in eine Richtung entwickelt, in der die Auseinandersetzung mit unserer ökologischen Realität ein Kulturkampf geworden ist. Ich sehe da eine unfassbare Entwicklung rückwärts, die aber immer salonfähiger wird. In Zukunft, denke ich, werde ich mich also noch mehr damit beschäftigen, wie sehr wir die Vermeidung der Auseinandersetzung mit der Realität zu einer Kunst gemacht haben.

Das könnte Sie auch interessieren...
BBK-Jahresausstellung zum 200. Todestag von E.T.A. Hoffmann
„unheimlich fantastisch oder total real“
Vor 200 Jahren starb E.T.A. Hoffmann – ein Anlass, dem nun auch der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken, der BBK, eine Ausstellung widmet. Für „unheimlich fantastisch oder total real“ sind noch bis 27. November die Werke von 24 Mitgliedern des Verbands in der Villa Dessauer zu sehen. Thematisch gibt es das E.T.A.-Übliche, inhaltlich zeigt die Schau aber abwechslungsreiche und neuartige Interpretationen davon.
Einigen Werken der Ausstellung „unheimlich fantastisch oder total real“ sieht man an, dass sie nicht speziell für das E.T.A. Hoffmann-Thema angefertigt, vom BBK aber für die Ausstellung ausgewählt wurden, weil sie zufällig gut dazu passen. Thomas Brixs Zeichnung „Heil-Land“ aus dem Jahr 2021 ist ein Beispiel dafür, Christine Grubers „Floria Tosca“, 2005, ein anderes. Ersteres kann im Sinne der Automatenthematik aus Hoffmanns „Der Sandmann“ ausgelegt werden; in Zweiterem hat der BBK das Unheimlich-Fantastische, das viele Werke E.T.A.s durchdringt, ausgemacht.
Andere Werke, wie Gerhard Hagens „Berganza Reloaded“ (2022) oder Ute Westiens „Elexiere des Teufels“, wurden unterdessen eigens für die Schau in der Villa Dessauer angefertigt. Insgesamt 24 Künstlerinnen und Künstler zeigt die Ausstellung, namentlich: Kerstin Amend-Pohlig, Mathias Börner, Chris Engels, Henrike Franz, Barbara Gröne-Trux, Andrea Landwehr-Ratka, Ruth Loibl, Cornelia Morsch, Wolfgang Müller, Stephan Pfeiffer, Gert Ressel, Veronika Riedl, Waltraud Scheidel, Nelly Schrott, Maria Söllner, Hubert Sowa und Cordula Utermöhlen.
Auch Walli Bauer und Thomas Michel haben Neugeschaffenes beigesteuert. Wir haben die beiden zum Gespräch über „unheimlich fantastisch oder total real“ getroffen.

Frau Bauer, Herr Michel, warum hat sich auch der BBK Oberfranken für seine Jahresausstellung dem Thema des 200. Todestages von E.T.A. Hoffmann angeschlossen?
Thomas Michel: Das war für den BBK die Chance, auch einmal auf einen größeren thematischen Zug aufzuspringen und außerdem einen Wiedererkennungswert zu erzeugen, mit der Ausstellung „Unheimlich fantastisch“, die in der Staatsbibliothek zu sehen war.
Walli Bauer: Wir wollten uns mit der Ausstellung einerseits anhängen an das große Bamberger Kulturthema 2022, den 200. Todestag von E.T.A. Hoffmann. Andererseits sollte es aber auch die Möglichkeit bieten, künstlerisch freier darüber zu denken und damit zu arbeiten.
Im Angesicht dieser Freiheit, die der BBK im Umgang mit dem Thema gegeben hat, haben sich die 24 KünstleriInnen dann aber doch an den üblichen E.T.A. Hoffmann-Motiven wie gespaltene Persönlichkeit, Universalgenie, Automat und dem Hund abgearbeitet. Was zeigt die Ausstellung, was andere noch nicht gezeigt haben?
Thomas Michel: Ich denke, das sieht man an den Werken und ihren verschiedenen Genres. 24 Künstlerinnen und Künstler, die sich dem Thema widmen, war noch nicht da. Es gibt einige Künstlerinnen und Künstler, die sich intensiv und neuartig mit E.T.A. Hoffmann auseinandergesetzt haben.
Walli Bauer: Der BBK hatte das Thema ausgeschrieben, das heißt, man konnte sich bewerben und sich auf das Thema einlassen oder eben nicht. Was mich an Hoffmann interessiert hat, war, mich auf den Mann einzulassen, um nachzugraben, wer er war, was er fühlte und was er dachte. Hoffmann war ein mehrfach begabter Künstler, so gesehen eben anders als andere. Auf jeden Fall war er ein empfindsamer Mensch, der sich von seiner Umwelt sehr oft nicht verstanden fühlte und oft aneckte, was man in seiner Bamberger Zeit sehr gut beobachten kann. Heute würde man vielleicht sagen, er war sozial nicht angepasst. Das ist Thema meiner Holzschnitte.
Haben es 24 Künstlerinnen und Künstler geschafft, in „unheimlich fantastisch oder total real“ ein vollständiges Bild von E.T.A. Hoffmann zu zeichnen?
Thomas Michel: E.T.A. Hoffmann ist schon ein spezielles Thema, mit dem man sich schon umfangreich auseinandersetzen kann. Aber das Thema konnte ja sehr frei angegangen werden, man musste sich nicht allzu deutlich an Hoffmann abarbeiten oder ein vollständiges Bild schaffen. Es ging eher darum zu schauen, dass man in den Rahmen des Themas einen Ansatz integriert, der weiter geht.
Auf eine Facette von Hoffmanns Schaffen geht die Ausstellung allerdings nicht ein, nämlich auf sein Schaffen als Karikaturist. Wieso verkennt ihn die Ausstellung in dieser Richtung?
Thomas Michel: Jede Künstlerin, jeder Künstler hat Hoffmann anders aufgegriffen. Ich glaube auch, dass man Karikatur sehr zeitgenössisch aufgreifen kann, wie zum Beispiel in der Manga-Community. Karikatur ist aber ein sehr spezielles Metier, und selbst herausragende Künstlerinnen und Künstler, die gegenständlich arbeiten, sind nicht unbedingt gute Karikaturistinnen und Karikaturisten. Auch umgekehrt muss es nicht zwangsläufig so sein. Wilhelm Busch und Loriot kamen auch nicht aus der Kunstszene. Deshalb bitte ich in diesem Punkt für die BBK-Künstlerinnen und ‑Künstler um gewisse Nachsicht. Außerdem haben wir Gert Ressel mit seinem Gemälde „Der Vielseitige“. Dessen entfremdete Figuren gehen schon in die Richtung der Karikatur.

Kann man für seine Kunst heute noch Ärger bekommen so wie E.T.A. Hoffmann für seine Karikaturen?
Thomas Michel: Es ist schwierig. Es gibt ja in der Kunst nur noch ganz wenige Tabus, die man noch brechen könnte. Es sei denn, man kommt aus dem globalen Süden und stellt auf der Documenta aus.
Walli Bauer: Es gibt wohl wenig, das noch kritische, politische Grenzgänge zeigt. Arbeiten, die sich mit politischen Themen auseinandersetzen, sollten sensibel umgesetzt werden.
Herr Michel, Sie haben zur Ausstellung unter anderem das Gemälde „Olimpia“, das das Doppelgängerthema aus „Der Sandmann“ aufgreift, beigesteuert. Was sprach Sie daran an?
Thomas Michel: Was ich beim Sandmann total faszinierend finde, ist das Thema mit den Automaten. Die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert waren, was das angeht, schon ziemlich weit entwickelt – es gab Musikautomaten oder Schreibautomaten. Hinzu kam für mich das Urthema oder die Urangst der unbelebten Materie oder Puppe, die zum Leben erweckt wird. Dann habe ich mir überlegt, was die Entsprechung zu den Automaten im 21. Jahrhundert ist. Das sind für mich humanoide Roboter oder künstliche Intelligenz. Deswegen habe ich die Vorlage, dieses Frauengesicht, das das Gemälde zeigt, einer biometrischen Datenbank entnommen, die mit einem Algorithmus aus Millionen von Gesichtern neue erschafft und diese per Zufallsgenerator dem Betrachter zeigt, der sich durch diese Datenbank scrollt. So gesehen spielt der Zufall auch bei der Auswahl eine große Rolle. Aber egal, welche Vorlagen ich verwende, es geht dabei immer um einen Transformationsprozess.
Das Spannende daran ist zu beobachten, was passiert, wenn man ein glattes virtuelles Digitalbild in reale physische Farbmaterie in Öl auf Leinwand übersetzt. Das Bild bekommt dann etwas wesentlich Authentischeres. Vieles an der vom Algorithmus erzeugten Vorlage musste ich noch korrigieren oder ergänzen, zum Beispiel die Brustpartie unterhalb des Halses oder den oberen Haarbereich. Auch die Farben sind kompositorisch und psychologisch bewusst gewählt. Weiß steht für Reinheit, rot für die Liebe beziehungsweise das Begehren und rückt das Gemälde farbenpsychologisch näher an den Betrachter heran.
Was hat es mit den Textblöcken unterhalb der Gemälde auf sich, die sagen: She stole my memories. Believe me, she is a transhuman fake?
Thomas Michel: Die Textblöcke setzen ein Dreiergespräch zwischen den beiden Bildnissen und dem Betrachter in Gang. Die beiden Porträts bezichtigen sich gegenseitig, ein Fake zu sein und der Betrachter muss dazu irgendwie einen Standpunkt finden. Es geht um Original und Fälschung und die Manipulierbarkeit des Betrachters. Das Wort „transhuman“ spielt auf die philosophische Bewegung des Transhumanismus an, wo diskutiert wird, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz in Bezug auf die menschliche Zukunft angewandt wird, das Klonen, so wie die beiden Bilder geklont sind, spielt dabei eine wichtige Rolle.
Wieso mutet das Gesicht, das dieser Algorithmus ausgerechnet hat, asiatisch an?
Thomas Michel: Letztendlich habe ich das Gesicht ausgewählt, das mir am ausdrucksstärksten erschien. Hautfarbe und Herkunft und so weiter haben dabei aber keine Rolle gespielt. Dass eine Asiatin den Idealvorstellungen der internationalen Männerwelt entspricht, kann man durchaus so stehen lassen, das war mir während des Auswahlprozesses aber gar nicht bewusst.

Frau Bauer mit ihrem Holzschnitt „E.T.A. Hoffmann tritt neben sich“ haben auch Sie sich des Themas des Doppelgängers angenommen.
Walli Bauer: Ich wollte damit näher auf den Menschen E.T.A. Hoffmann eingehen, auf den unverstandenen E.T.A. oder den traurigen eigentlich. Man sieht seinen Umriss hinter seinen vergrößerten Schatten in einer anderen Farbe. Hoffmann ist hier in verschiedenen Stimmungslagen zu sehen. Er existierte sozusagen wie eine zweite Person neben sich. Nicht nur als Ehemann und Jurist und Künstler, sondern auch jemand, der, wie eine gespaltene Persönlichkeit, seine wahnhaften oder utopischen Geschichten während er sie schrieb vielleicht auch durchlebt hat. Ein Mensch, der neben sich steht.

Das könnte Sie auch interessieren...
Großes Bamberger Gewölk und weitere notwendige Plastik
Ausstellung Dieter Froelich
Im Mai kehrt der Plastiker Dieter Froelich, bis März diesen Jahres Stipendiat der Villa Concordia, mit der Ausstellung „Großes Bamberger Gewölk und weitere notwendige Plastik (1989–2022)“ nach Bamberg zurück. In Kooperation mit dem Kunstverein zeigt er ab 21. Mai in der Villa Dessauer Arbeiten aus 30 Jahren Schaffenszeit. Wir haben mit ihm über die Vorteile der Plastik gegenüber der Malerei, Gemeinsamkeiten von Kochen und Kunst, seine Zeit in Bamberg und das Unaussprechliche in seinen Werken gesprochen.

Herr Froelich, der Titel Ihrer Ausstellung lautet „Großes Bamberger Gewölk und weitere notwendige Plastik“. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „notwendig“?
Dieter Froelich: Damit ist eine subjektive Notwendigkeit gemeint. Ich arbeite jetzt seit mehr als 30 Jahren als Plastiker. Dabei haben sich bestimmte Handlungsmaximen herausgearbeitet und sind gereift. Es gibt für mich bestimmte, ich will nicht sagen, Zwangsläufigkeiten – ich könnte auch anders – Schritte, die aufeinander folgen müssen, sobald man beim Arbeiten einen bestimmten Weg eingeschlagen hat. Diese Schritte bestimmt man aber nicht immer selber. Früher, in den 1980ern, im Studium hieß es immer „was will das Material“, aber diese Auffassung ist ein wenig antiquiert. Das Material will natürlich überhaupt nichts. Es ist immer der Geist, der dahintersteht, der etwas will. „Notwendige Plastik“ heißt darum für mich, dass es bestimmte, und das ist eigentlich eine romantische Haltung, Dinge gibt, die ich machen will oder machen muss. Hinzu kommen Notwendigkeiten von Schönheit oder Wahrheit, wenn man so will.
Welche Handlungsmaximen meinen Sie?
Dieter Froelich: Es ist schwierig, das in Worte zu fassen. Je älter ich werde, je länger ich es mache, desto schwerer fällt es mir. Handlungsmaximen bilden sich heraus. Ich behandle sowohl in der Plastik als auch beim Kochen, das ich auch als plastische Handlung verstehe, Archetypen. In der Plastik ist es eigentlich immer so, dass man die Dinge zu kennen meint. Ich bin kein großer Anhänger von Originalität, der Künstler muss etwas schaffen, das vorher noch nie zu sehen war. Das halte ich für großen Nonsense. Wenn man Glück hat, passiert es zwar, dass es originell wird. Aber meine Handlungsweise ist eher, dass ich mir die Dinge meiner Umgebung aneigne, indem ich sie plastisch nachvollziehe.
Das heißt?
Dieter Froelich: Zum Beispiel das „Große Bamberger Gewölk“ hat die Darstellung kleiner Wölkchen in der Oberen Pfarre als Vorbild. Diese Wölkchen haben mich sehr fasziniert und ich habe sie plastisch nachvollzogen und so entstand das „Große Bamberger Gewölk“. Beziehungsweise es entsteht noch.
Das titelgebende Werk der Ausstellung ist noch nicht fertig?
Dieter Froelich: Nein, bisher, Anfang April, ist es noch nicht ganz fertig. Ich habe das unterschätzt. Es ist ein 20-teiliger Wolkenhaufen, den ich auf eine Stellage montiere. Und dann müssen die einzelnen Wolken noch vergoldet werden. Schon die letzten Wochen in Bamberg habe ich fast nichts anderes getan, als am Gewölk zu arbeiten und seit meiner Rückkehr nach Hannover bin ich ausschließlich damit beschäftigt. Jedes Ding hat halt seine Zeit.
Wir sprechen Anfang April, die Ausstellung beginnt am 21. Mai. Wird das Werk bis dahin fertig werden?
Dieter Froelich: Das wollen wir hoffen (lacht)! Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es fertig wird, aber ich werde es auf jeden Fall zeigen – auch wenn es nicht fertig werden sollte. Denn, wo die klassische Plastik früher noch einen sozusagen Endpunkt hatte, ist es ja heutzutage eher so, dass durchaus auch prozessual ausgestellt wird. Zwar entspricht dies eigentlich nicht meiner Handlungsweise, aber ein Fragment verweist ja auf ein Ganzes. Und das Gewölk muss unbedingt in Bamberg gezeigt werden, denn hier hat es seinen Ursprung.
Neben dem „Bamberger Gewölk“ zeigen Sie in der Ausstellung weitere Plastiken der letzten 30 Jahre. Wie viele sind in dieser Zeit entstanden? Hunderte, tausende?
Dieter Froelich: Das weiß ich nicht. Aber eines ist sicher: der Ausstellungsraum, die Villa Dessauer, so schön er ist, bringt schon viel mit. Er ist für eine Ausstellung nicht ganz so schwer zu erobern wie das Kesselhaus in Bamberg. Das hat eine extrem starke architektonische Sprache mit seinem Interieur. Eine gleiche Last herrscht im Grunde in der Villa Dessauer – wenn auch nicht so brutal wie im Kesselhaus, sondern eher großbürgerlich verfeinert. Von daher muss man sehr behutsam vorgehen. Ich werde darum auch sparsam und akzentuiert handeln.
Sie haben in den 1980er zuerst mit Malerei angefangen und wechselten dann zur Plastik. Warum unternahmen Sie damals diesen Schritt?
Dieter Froelich: Der Grund dafür war, dass ich mit der Malerei, die ich damals hier in Hannover studierte, sehr unzufrieden war. Dann wechselte ich an die Städelschule in Frankfurt. Während meines Studiums dort wuchs meine Unzufriedenheit mit der Malerei in ihrer Abstraktheit und ich wechselte in die Bildhauerklasse von Michael Croissant.
Was ist entsprechend mit Plastik ausdrückbar, das mit Malerei nicht geht?
Dieter Froelich: Ich drücke nichts aus. Das ist das alte Klische, dass sich der Künstler etwas ausdenkt und die anderen müssen erraten, was er meint. Das gibt es zwar heute wieder mit diesen ganzen unsäglichen Arbeiten, die für oder gegen etwas sind. Malen für den Frieden zum Beispiel, den wir zwar dringend brauchen, aber als Künstler ist man da völlig machtlos. Ich halte das für gelinde gesagt nicht möglich, um nicht zu sagen groben Unfug. Es lässt sich aus dem Material nicht ablesen, ob es für etwas oder gegen etwas ist. Man kann das textlich machen, zum Beispiel indem man sagt „das große Bamberger Gewölk widme ich dem ukrainischen Volk, weil es sich so tapfer schlägt“, aber man muss aufpassen, dass man nicht in den Kitsch verfällt. Wirklich Kunst hat immer einen freiheitlichen Impetus und erfüllt das auch, ohne dass man noch eine Meinung draufsetzt.
Dann frage ich so herum: Warum liegt Ihnen die Plastik näher am Herzen?
Dieter Froelich: Es ist einfach die Ausdehnung der Plastik. Ich glaube, ich habe eine extrem starke Affinität zu Dingen. Ich denke, nein ich fühle, dass eine Plastik von realer und sinnlicher Gegenwart ist, während Malerei immer ein extrem abstraktes Moment in sich trägt. Diese Gegenwart ist mir sehr nahe. Deswegen bin ich zur Plastik gekommen. Außerdem hat sie durch die reale Gegenwart eine gewisse Transzendenz.
Was meinen Sie mit Transzendenz?
Dieter Froelich: Das ist etwas, das über das Werk hinausweist. Wenn einem Werk diese Kompenente fehlt, ist es keine Kunst. Kunst ist immer etwas, das auch über sich hinausweist, auf etwas anderes, auf etwas besseres vielleicht, in meinem Verständnis jedenfalls. Aber vielleicht bin ich da konservativ. Ich meine nämlich auch, dass Kunst die Funktion hat, durch Schönheit Wahrheit zu zeigen. Aber das ist im Moment nicht ganz so en vogue.
Welche Wahrheiten können das sein?
Dieter Froelich: Wenn man die mit Worten ausdrücken könnte, müsste ich keine Kunst machen. Wir sprechen hier, und das ist das Absurde, über den nichtsprachlichen Bereich. Von da könnte man übrigens einen Bogen spannen in den Glauben und die Kirche. Glauben wäre ja nicht zu verstehen, ohne das Unaussprechliche. Bei der Kunst ist das genauso. Kunst und Kirche stecken im Grunde zurzeit ähnlich in der Krise. Die Leute laufen ihnen weg. Viele Menschen brauchen keinen Gott mehr, genau wie sie keine Kunst mehr brauchen. Sie sind ihre eigene Kunst – man schaue sich nur mal Tattoos an. Die Selbstinszenierung ist im Grunde anstelle des Künstlers getreten. Was früher auf Künstler projeziert wurde – sei anders, sei kreativ, erfinde dich selbst – ist heute an jeden gerichtet. Man muss auf jeden Fall kreativ sein, sonst ist man niemand. Mit dem Glauben ist es ähnlich. Viele haben sich ihren eigenen Gott geschaffen.
Für Ihre Plastiken empfinden Sie oft Gegenstände des Alltags nach, wie Geschirr, Möbelstücke oder Madonnenfiguren. Wodurch qualifizieren sich Gegenstände für Ihre Arbeit?
Dieter Froelich: Auch das ist sehr schwer zu beschreiben, weil dann könnte ich ja gezielt auf die Suche danach gehen. Ich denke, es ist eher so eine Beziehung, die sich aufbaut. In der Regel, ich denke, das kann ich so verallgemeinern, sind es aber recht einfache Gegenstände, bei denen es, wie gesagt, zum Archetypischen hingeht. Um bei der Oberen Pfarre zu bleiben: Es ist doch schön zu sehen, wie jemand so etwas Grundsätzliches wie eine Wolke abbildet und welche Vorstellungen er von der Wolke hat. Vergleichen Sie einmal die Wolken aus dem Barock mit welchen aus dem Rokoko, wie wir sie in Vierzehnheiligen finden. An beiden Formen läßt sich die dahinter stehende Auffassung von Welt ablesen. Hinter jeder Form steht eine Idee.
In der Villa Dessauer werden Sie auch eine Version der Maske des Bamberger Reiters zeigen – allerdings farbig gefasst. Was hat es damit auf sich?
Dieter Froelich: Ähnlich wie die Skulpturen der griechischen Antike waren auch die Plastiken der Bamberger Kathedrale farbig gefasst. Es gibt eine Dissertation von Walter Hartleitner, „Zur Polychromie der Bamberger Domskulptur“, die 2011 in der University Press of Bamberg erschien. Nach diesen Erkenntnissen habe ich versucht, die Farbigkeit des Reiterkopfes nachzuvollziehen, mit vergoldeter Krone, kastanienbraunen Haaren, leicht rosiger Gesichtsfarbe und roten, wie geschminkten, Lippen. Er sieht schon ganz sexy aus.

Welche Erinnerungen haben Sie an Bamberg?
Dieter Froelich: Das sind in erster Linie Erinnerungen an die wunderbare Villa Concordia, wo man als Stipendiat monatelang ungestört arbeiten kann. Das ganze Team war sehr bemüht, uns Stipendiaten den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Und was ich an Bamberg wirklich schätze, sind die freundlichen Leute.
Dafür sind Franken allerdings nicht überall bekannt.
Dieter Froelich: Ich weiß, die Franken freuen sich eher nach innen. Vielleicht waren es auch Zugezogene. Aber ich habe gerade in der Concordiastraße relativ viele Leute angesprochen und mich vorgestellt und da ist so etwas wie Nachbarschaft entstanden. In der Großstadt, auch wenn Hannover nicht allzu groß ist, bekommt man das nicht ganz so einfach. Was aber wirklich eine Zumutung ist, sind die ganzen Touristen. Ich finde es erstaunlich, dass sich eine Stadt wie Bamberg im Stadtmarketing mehr oder weniger nur auf das Bier kapriziert. Denn wenn man mit Bier wirbt, muss man sich nicht wundern, wenn Biertrinker kommen und die Stadt bevölkern. Die reichlichen Kulturschätze, die Bamberg hat, könnte man ein bisschen besser herausstellen. Allein die Sammlung des Diözesanmuseums ist von unglaublicher Qualität, um nur einen Ort von vielen zu nennen.
Am 30. Juni halten Sie einen Vortrag zum Thema „Kochen als Kunstgattung“. Was erwartet das Publikum hierbei?
Dieter Froelich: Ich werde einen Überblick geben über das Kochen als Kunstgattung, bebildert, von den Römern bis heute, und darüber sprechen, wie sich das Genre entwickelt hat. Und danach gibt es etwas zu essen.
Was werden Sie servieren?
Dieter Froelich: Das verrate ich nicht. Die Handlungsmaxime hier ist: Beim Kochen liegt mein Herz eher auf der Seite der einfachen Speisen. Prinzipiell koche ich immer gerne Dinge, die den Leuten erstmal vielleicht fremd sind. Aber damit meine ich nicht Heuschrecken oder so. Ich koche das Fremde im Eigenen. Dinge, für die man gar nicht weit weg gehen braucht. Man kann innerhalb der eigenen Speisenkultur viel entdecken.
Warum ist Kochen Kunst?
Dieter Froelich: Sie ist es nicht grundsätzlich. Wie alles kann sich auch das Kochen, wenn es über sich selbst hinausgeht, wenn es auf ein Anderes verweist, zu Kunst werden.
Das könnte Sie auch interessieren...
Nach 22 Jahren als Direktorin der Museen der Stadt Bamberg
Dr. Regina Hanemann nimmt Abschied
Am 1. September 1999 trat sie die Stelle an, am 1. Januar 2022 ging sie in den Ruhestand. Als Direktorin der Museen der Stadt Bamberg, namentlich Historisches Museum, Villa Dessauer und Sammlung Ludwig, hat Dr. Regina Hanemann die Geschicke der örtlichen Kulturszene 22 Jahre lang mitbestimmt. Im Interview erzählt die geborene Oberbayerin, warum sie die Stelle anfangs eigentlich nicht wollte, von Macho-Reaktionen aus der Bevölkerung und warum man immer alles anders machen sollte als die Vorgänger.
Frau Dr. Hanemann, 1999 haben Sie die Stelle der Direktorin der Museen der Stadt Bamberg angetreten. Warum hatten Sie sich damals in Bamberg beworben?
Regina Hanemann: Ich hatte in Bamberg studiert und danach eigentlich gedacht, dass ich an einen Ort, in dem ich bereits zum Studium so lange Jahre war, nicht zurückkehren möchte, sondern andere Orte kennenlernen. Eine Freundin schickte mir die damalige Stellenausschreibung zur Leitung der Museen der Stadt Bamberg zu. Mir war damals allerdings bekannt, in was für einem schlechtem Zustand zum Beispiel das Historische Museum war, eine ewige Baustelle. Diesen Augiasstall, dachte ich mir, soll jemand anders ausmisten und wollte mich nicht bewerben. Aber mein Mann, der auch hier studiert hat und großer Bambergfan war und ist, hat mich dann überredet, mich doch zu bewerben. Ich tat es und wie es scheint, gefiel dem Stadtrat meine Bewerbung. Was ihm im Lauf der Jahre aber nicht gefiel, war, dass ich immer direkt darauf hingewiesen habe, was im Museum alles im Argen lag.
Wie wurde dieses Missfallen zum Ausdruck gebracht?
Regina Hanemann: Zuweilen wurde gelacht, wenn ich mit einem neuen Antrag ankam und zum Beispiel neue Vitrinen brauchte. Ich wurde angestellt, um die Museen zu verbessern, aber wenn ich konkrete Vorschläge unterbreitete, war so gut wie nie genug Geld da. Das wird auch meiner Nachfolgerin so gehen. Auch sie soll Berge versetzen, aber ohne Geld. Wie man diesen Widerspruch auflösen kann, weiß ich bis heute nicht. Das heißt, eigentlich wüsste ich es schon, aber dazu bräuchte es auf der politischen Ebene eine klare Linie und eine klare Idee zum Stellenwert des kulturellen Erbes.
Es wurde gelacht? Fühlt man sich da in seiner Arbeit gewürdigt?
Regina Hanemann: Ach, na ja. Man hat schon Respekt vor dem Stadtrat, weil da Volkes Stimme spricht und man es mit 44 verschiedenen Meinungen und 44 Rückmeldungen zu tun hat. Man sieht es ja zurzeit während Corona: Die Kultur steht bei der Budgetplanung nicht an erster Stelle und auch in Museen ist die Arbeit schon sehr mühselig geworden. Ich habe über die Zeit gelernt, dass man nicht immer das Ganze fordern kann. Am Anfang bin ich angetreten und habe Sachen gesagt wie „ich brauche eins-komma-soviel Millionen für all das, was ich machen will“. Aber so geht das natürlich nicht. Da habe ich einfach die Abläufe der Politik nicht so gut verstanden.
Änderte sich das im Lauf der Zeit?
Regina Hanemann: Zusammen mit Werner Hipelius, dem damaligen Bamberger Bürgermeister und Kulturreferent, habe ich es dann so ausgemacht, dass wir die Finanzierung in kleinen Schritten angehen. Die Ausstellungen „Das Jüdische in Bamberg“ und „Die Lebensader Regnitz“ haben wir als Dauerausstellungen deklariert, was die Finanzierung und die Einrichtung der Ausstellungen vereinfacht. Ich muss allerdings sagen, dass diese Anstrengungen und das Fast-Fertigstellen des Historischen Museum den Bambergerinnen und Bambergern in den 22 Jahren meiner Amtszeit kaum aufgefallen sind – im Gegensatz zu den Touristen. Nur zehn Prozent unseres Publikums kommen aus Bamberg.
Carola Schmidt, die neue Direktorin des Diözesanmuseums, hat im Stadtecho-Interview einen ähnlichen Eindruck geschildert. Sie sagte, dass sich die Bambergerinnen und Bamberger nicht besonders bewusst zu sein scheinen, welche kulturellen Schätze die Museen am Domberg beherbergen. Sehen Sie das für die Museen der Stadt auch so?
Regina Hanemann: Ja, aber so etwas ist nicht ungewöhnlich. Das kenne ich als Klage von eigentlich allen Museen und das Thema „Nicht-Besucher“ wird auf vielen Museumstagungen diskutiert. Vielleicht ist das systemimmanent und eine Geisteshaltung heutzutage. Vor 100 Jahren waren die Leute noch stolzer auf ihre Museen. Sie hatten ein Gefühl dafür, dass das ihre eigene Geschichte und ihr eigener Besitz ist, der da vorgezeigt wird. Das scheint verlorengegangen zu sein.
Wenn Sie Ihre 22 Jahre als Direktorin der Museen der Stadt Bamberg mit einigen Adjektiven zusammenfassen müssten, was würden Sie sagen?
Regina Hanemann: Das erste, was mir einfällt, ist jetzt kein Adjektiv, aber ich war immer unter Volldampf. Man rennt immer wie im Galopp auf das nächste Projekt zu. Adjektive wären, auch wenn es ein bisschen platt ist, schön, zufrieden und erfüllend.
Was aus den 22 Jahren bereuen Sie?
Regina Hanemann: Es hat mir immer leid getan, wenn ich einmal sehr streng mit den Mitarbeitern sein musste. Aber so richtig bereuen tue ich nichts. Oder ich habe es vergessen.
Hat die Stelle Sie verändert?
Regina Hanemann: In gewisser Weise. Man arbeitet 22 Jahre im Team mit Menschen, die einem nahe stehen, von denen man aber die Chefin ist. Daran musste ich mich gewöhnen. Und ich habe lernen müssen, Vorwürfe und Kritik zu ertragen. Man kann es nicht allen recht machen, das musste ich auch erstmal begreifen. Obwohl, teilweise gab es wirklich völlig ungerechtfertigte persönliche Kritik – „mit Ihnen wird das nichts“ oder „Sie haben die falschen Klamotten an“ und so weiter.
Können solche Vorwürfe daran gelegen haben, dass Sie die erste Frau im Amt der Direktorin waren?
Regina Hanemann: Das kann gut sein. Das ist schon lange her und ich habe das damals nicht so empfunden, weil ich es mir nicht vorstellen konnte, dass die Vorwürfe daran liegen könnten. Das war vor „metoo“. Aber ich glaube, einem Mann wäre das nicht passiert.
Wofür haben Sie jetzt Zeit, was vorher nicht drin war?
Regina Hanemann: Ich freue mich sehr darauf, jetzt mehr Zeit für andere Museen zu haben. Ich würde zum Beispiel gerne einfach mal zwei Wochen im Ruhrpott rumfahren und mir die ganzen Museen anschauen, die es dort gibt. Und was ich auch wahnsinnig gern tue, ist in Urlaub zu fahren, um zwei Wochen nur zu lesen. Das ist für mich der schönste Urlaub. Aber das erlaubt mein Mann nicht. Er will im Urlaub auch irgendwelche Aktivitäten machen, wie wandern zu gehen.
Sie spielen Bariton-Horn im Posaunenchor der Erlösergemeinde Bamberg und in der Bigband der städtischen Musikschule. Kann man Sie da jetzt öfter hören?
Regina Hanemann: Das konnte man vorher schon. Die Big Band musste in letzter Zeit zwar viele Auftritte ausfallen lassen, aber im Posaunenchor konnte man mich schon viele Sonntage im Gottesdienst mitspielen hören.
Was werden Sie an den drei Museen, Historisches Museum, Villa Dessauer, Sammlung Ludwig, am meisten vermissen?
Regina Hanemann: Ich werde es schon vermissen, jetzt keinen Zugriff mehr zu haben auf die Bestände der Museen. Ich gehe zum Beispiel Inventarlisten durch, die für die eine oder andere Abteilung vielleicht noch lückenhaft sind. Dabei sehe ein ums andere Mal, was wir für tolle Objekte in den Beständen haben und kann gleichzeitig diese Lücken schließen. Toll!
Was werden Sie nicht vermissen?
Regina Hanemann: Ich werde es nicht vermissen, eine Chefin zu sein, also die eine Person, die andere anschieben und ihnen sagen muss „macht dies oder das, so oder so“. Und was ich auch ganz sicher nicht vermissen werde, sind nächtliche Telefonanrufe aus dem Museum, dass es einen Wasserschaden im Depot gibt, wie mehrmals geschehen.
Sie haben es schon angesprochen: Das Historische Museum war 1999 in keinem guten Zustand. Was hieß das genau?
Regina Hanemann: Es war in einem furchtbaren. Mein Vorgänger hat sich in erster Linie mit Ausstellungen beschäftigt und das Museum damit zugegebenermaßen im Ansehen gehoben. Die Pflege des Bestands und des Depots hat er aber zurückfallen lassen. Es gab neun sehr schlechte Depots, in manche hat es reingeregnet und es gab Inventare ohne Standorte der Objekte. Als ich das in meiner ersten Woche gesehen habe, war ich kurz davor, gleich wieder alles hinzuschmeißen. Aber zusammen mit einer tapferen Volontärin, die heute meine Stellvertreterin ist, habe ich einfach angefangen, diesen Saustall aufzuräumen.
In welchem Zustand übergeben Sie das Museum?
Regina Hanemann: In 500 Prozent besserem Zustand als es war.
Haben Sie Tipps für Ihre Nachfolgerin Kristin Knebel?
Regina Hanemann: Sie braucht einen langen Atem. Der lange Atem lohnt sich hier. Ich habe dicke Bretter vorgebohrt in Richtung, was man noch alles bräuchte. Sie muss schauen, dass sie weiter bohrt und darf wahrscheinlich auch nicht gleich zu große Geldsummen zur Finanzierung verlangen.
Frau Knebel hat eine inhaltliche Neuausrichtung der Museen angekündigt. Was halten Sie davon?
Regina Hanemann: So etwas muss man sagen, wenn man neu anfängt. Man muss sagen „ich mache alles anders“. Alle zehn oder 20 Jahre muss sowieso alles umgekrempelt werden. Eine Institution, die so wenige Mitarbeiter hat, wird außerdem ganz stark geprägt von der Person, die die Institution führt. Ich kenne Frau Knebels genaue Pläne nicht, aber ich wünsche ihr alles Gute. Ich habe auch fast alles anders gemacht als alle meine Vorgänger seit 1838.
Aber könnten Sie eine solche Aussage nicht auch insofern auffassen, als dass da jemand vorhat, Ihr Vermächtnis umzuwerfen?
Regina Hanemann: Nein. Es handelt sich ja vor allem nicht um mein persönliches Vermächtnis, sondern ich habe es für die Stadt und das Museum getan. Was ich meiner Nachfolgerin auf keinen Fall antun werde, ist, was mein Vorgänger mir angetan hat, nämlich reinzupfuschen. Mir wurden ja Hindernisse in den Weg gelegt, ich konnte gar nicht so hoch springen.
Auf welche Ausstellung der 22 Jahre sind Sie am stolzesten?
Regina Hanemann: Es gibt das Sprichwort „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz“. Stolz ist nicht so sehr meins, aber worüber ich doch froh bin, sind die beiden schon genannten Dauerausstellungen, die wir im Museum haben, also „Das Jüdische in Bamberg“ und „Lebensader Regnitz“. Worüber ich mich auch freue, ist die Ausstellung „100 Meisterwerke“, mit der wir den Bambergerinnen und Bambergern in einer kleinen, aber feinen Auswahl zeigen konnten, was sie in und mit diesem Museum haben. Mit dieser Ausstellung haben wir das Historische Museum außerdem sozusagen zu seinem Ursprung zurückführen können. Es wurde 1838 als städtische Kunstsammlung mit eigenen Beständen gegründet.
Was oder wen hätten Sie gerne einmal ausgestellt?
Regina Hanemann: Ich hätte gerne mal eine Ausstellung zu den Treus gemacht, dieser großen Bamberger Maler-Familie aus dem 18. Jahrhundert. Aber deren Gemälde hätten wir uns von anderen Sammlungen ausleihen müssen. Dazu muss ich allerdings generell sagen, dass wir Gemäldeausstellungen nur aus den Beständen des Historischen Museums zusammensetzen können. Unsere Gebäude sind nämlich nach wie vor in einem so bedenklichen Zustand, dass uns andere Museen wegen der klimatischen Voraussetzungen kaum etwas leihen würden. Von daher kann ich mir für Ausstellungen wünschen, was ich will, ich bekomme es nicht.
Wie hat sich die Bamberger Museumslandschaft in Ihrer Zeit verändert?
Regina Hanemann: Es hat sich einiges verändert. Als ich anfing, gab es noch ein Museum für Büromaschinen und eines für Hologramme. Neu ist aber zum Beispiel die Vernetzung der Museen am Domberg, die sogenannte Domberg-Kooperation. Diese finde ich eine tolle Entwicklung. Auch wenn man vielleicht noch ein bisschen mehr Geld und Personal reinstecken könnte, um die Bamberger Akropolis noch mehr ins Licht zu rücken.
Haben Sie Spuren in der Bamberger Kulturszene hinterlassen?
Regina Hanemann: Das möchte ich hoffen. Und wenn sie nur darin liegen, den Leuten verdeutlicht und gezeigt zu haben, was wir in unseren Beständen alles haben.
Gibt es eine Abschiedsausstellung?
Regina Hanemann: Ja, sogar zwei. Das ist einmal die Ausstellung „Geschenkt! Geschenke aus 22 Jahren an die Museen der Stadt Bamberg“. Und seit 19. Dezember die Ausstellung zu Paul Maar.
Welchen Rat haben Sie an all die Studierenden der Kunstgeschichte, ein Fach, dessen karrieremäßige Umsetzung oft nicht von Erfolg gekrönt ist? Es wird nicht allen gelingen, eine Stelle wie die Ihre zu bekommen.
Regina Hanemann: Damals in der Studienberatung wollte man mich mit dem Klischee des taxifahrenden Kunstwissenschaftlers von diesem Studiengang abbringen, aber ich sehe das ganz anders. Vielleicht bekommen tatsächlich nicht alle so eine Stelle wie ich, aber die Kunstgeschichte ist ein Fach, in dem man das Denken in einer Art und Weise lernt, dass es an sehr vielen Stellen sehr gut eingesetzt werden kann. In meiner Studienzeit gab es zu den Geisteswissenschaften den Spruch „mit Kant und Kafka in die Wirtschaft“. Das gilt auch für die Kunstgeschichte. Wer Kunstgeschichte studiert, kann, meiner Meinung nach, fast überall, in sehr vielen Bereichen unterkommen. Wer gripsig genug ist, wird etwas finden.
Wenn Sie zu Ihrem Abschied einen Zapfenstreich inklusive Musikauswahl bekämen, welche Stücke sollten gespielt werden?
Ich würde einen militärischen Zapfenstreich ganz sicher ablehnen, aber über ein Abschiedsfest mit einem Auftritt von Boxgalopp oder der Gruppe Federspiel oder einem Soloauftritt von Dennis Chambers wäre ich höchst erfreut!
Das könnte Sie auch interessieren...
Ausstellung „Paul Maar. Mehr als das Sams“
Rundgang durch die Villa Dessauer
Die Ausstellung „Paul Maar. Mehr als das Sams“, die seit dem 19. Dezember 2021 in der Stadtgalerie Villa Dessauer zu sehen ist, zeigt rund 470 Zeichnungen, Illustrationen, Aquarelle, Druckgrafiken und Fotografien des Bamberger Kinderbuchautors Paul Maar. Viele davon sind bisher unbekannte Werke, deren Zusammenstellung dem Publikum einen neuen Blickwinkel auf Paul Maar eröffnen.
„In den Ausstellungsräumen sind immer mehrere Illustrationen in einem Rahmen zu sehen, mit denen jeweils eine Geschichte erzählt wird“, sagt die Kuratorin der Ausstellung Daniela Gäbisch in der Villa Dessauer. Jeder Raum umfasst mit zehn bis 18 Rahmen dabei ein eigenes Thema – eginnend mit „Paul Maar“ frei nach seinem Buch „Wie alles kam“, einer der ersten Räume im Erdgeschoss.
In ihm werden mit einigen Zeichnungen Stationen aus Maars Leben wiedergegeben. In „Wald und Wiese“ begegnen den Besuchern bekannte Figuren aus Paul Maars Büchern wie den Opodeldoks und den Waldleuten oder dem kleinen Troll Tojok und den Kobolden Wupps und Wanda. Im Raum „Tiere“ sind die Tiere aus Maars Illustrationen versammelt, die er oft als Freunde, wichtige Wegbegleiter oder lustige Gefährten darstellt.
Zwei Räume für das Sams
Dann kommt das Sams, Paul Maars bekannteste Figur, ebenfalls im Erdgeschoss. Das Sams führt heimlich selbst durch seine Räume. Mit sieben Haupt- und drei Zusatzbänden sowie fünf Erstlesebüchern gibt es hier jede Menge Illustrationen zu sehen, die nicht nur für Sams-Fans interessant sein dürften. Da das Sams mittlerweile aus Bamberg kaum mehr wegzudenken ist, wurde auch dem Thema „Das Sams und Bamberg“ ein eigener Raum gewidmet.
Ferne Länder, Märchen und Träume
Im Obergeschoss der Villa Dessauer sind die Bilder untergebracht, die dokumentieren und reflektieren, wie vielfältig Paul Maars künstlerisches Schaffen ist. So führt die Ausstellung mit orientalisch anmutenden Illustrationen aus Maars Geschichten „Lippels Traum“ und „Türme“ in „Ferne Länder“. „Der verhexte Knödeltopf“, den der Autor gleich dreimal illustrierte, zeigt er im Raum „Märchen und Sagen“. Ob reale Welt oder Traumwelt wie in „Lippels Traum“ oder auch Metamorphosen von Menschen, Tieren und Gegenständen – mit „Traum und Metamorphose“ ist diesem Thema in Paul Maars Büchern ebenfalls ein eigener Raum gewidmet.
In „Mehr als das Sams“ gibt es tatsächlich mehr zu sehen. „Die Federzeichnungen sind künstlerisch sehr wertvoll, wie sie der Künstler dem Lauf der Zeit angepasst hat“, sagt Kuratorin Daniela Gäbisch. Paul Maar musste immer wieder nachillustrieren, so haben sich seine Werke und Figuren weiterentwickelt. Einmal sogar das Sams.
13 bespielte Räume
Insgesamt 13 bespielte Räume sind es, die jeweils ein Thema aufzeigen, das in Paul Maars Leben oder in seinen Büchern eine Rolle spielt. Dass er ein bekennender Hundefreund ist, zeigt nicht zuletzt sein neuestes Buch „Möpse, Dackel, Hütehunde: Das fabelhafte Hundebuch“ im Raum „Hunde“, bevor sein Werdegang bei „Musik, Theater, Film“ nochmals zeichnerisch und fotografisch veranschaulicht wird. So entwarf er in seiner Zeit am Theater auch Bühnenbilder und Kostüme am Fränkischen Theater Schloss Maßbach, das der Familie seiner Ehefrau Nele gehört und heute von Tochter Anne geführt wird. Bereits in den 1970er Jahren produzierte er zusammen mit seinem Schwager, dem Kameramann Michael Ballhaus, den Dokumentarfilm „Fassbinder produziert: Film Nr. 8“ und wirkte als Kamera- und Tonassistent bei diversen Filmprojekten mit. Berühmte Jazzmusiker wie Keith Jarrett, Jan Garbarek oder Dave Holland hat er zudem getroffen und fotografiert. Die so entstandenen Kostümentwürfe und Fotografien sind kaum bekannt.
Humor und Rätsel am Ende
Bekannter ist hingegen Paul Maars Umgang mit Illusion und Wortwitz. Im Raum „Graphische Spiele“ werden Illustrationen mit graphischen Elementen, unter anderem aus dem Buch „Lauter Streifen“ ausgestellt, die für die eine oder andere Augentäuschung sorgen. In „Humor“ sind Wort und Bild aus ausgewählten Illustrationen von Paul Maar in besonderer Weise verbunden.
Im letzten Raum mit dem Thema „Rätsel“ lernen die Besucherinnen und Besucher – inzwischen am Ende der Bilderreise angekommen – den Autor einmal mehr auch als einen Erfinder kniffliger Denksportaufgaben kennen.
Die Ausstellung „Paul Maar. Mehr als das Sams“ versammelt in den Räumen der Villa Dessauer tierische, samsige, märchenhafte, witzige und rätselhafte Werke des Bamberger Künstlers. Vor allem auch für Sams-Fans eine gute Gelegenheit, noch mehr über den Autor und eine seiner und ihre Lieblingsfigur zu erfahren.
Im Unterschied zu der Ausstellung über das Sams in der Stadtbücherei im Jahr 2017 gibt es zudem Neuerungen: „Das Sams feiert Weihnachten war beispielsweise noch nicht ausgestellt“, sagt Gäbisch, selbst bekennender Sams-Fan, „ich bin mit den Sams-Büchern aufgewachsen, von daher ist es für mich schon besonders, diese Ausstellung zu kuratieren.“
Das könnte Sie auch interessieren...
Kultur auch virtuell erleben
Die Bamberger Museen laden zum Museumstag
von Manuel Werner
Am 16. Mai ist Internationaler Museumstag, der dieses Jahr bereits zum 44. Mal begangen wird. So auch in Bamberg. Nachdem die Inzidenz in der Stadt Bamberg unter 100 fiel, sind seit Donnerstag auch die Museen wieder geöffnet. Auch am kommenden Sonntag, sofern das Infektionsgeschehen unter diesem Wert bleibt. Unabhängig von einer möglichen Öffnung wird der Museumstag auf alle Fälle vom ausrichtenden Zusammenschluss der Museen, „Domberg – Museen um den Bamberger Dom“, virtuell begangen.
Ziel des Aktionstages ist es, auf die Vielfalt der mehr als 6.500 Museen in Deutschland sowie der Museen weltweit aufmerksam zu machen. Die Leitlinie des Museumstages lautet in diesem Jahr „Museen mit Freude entdecken“.
Da vieles derzeit von der Inzidenz abhängt und bislang noch völlig unklar ist, ob Bambergs Museen an diesem Tag öffnen dürfen, um ihre Schätze zu präsentieren, wurde ein großer Teil der Vorbereitungszeit in digitale Angebote und Entdeckungen investiert.
Virtueller Stick-Workshop und virtuelle Führungen
„Abgesehen davon, dass wir trotz derzeit sinkender Inzidenz nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Museen geöffnet werden dürfen, gibt es einige Neuerungen, die sich die Verantwortlichen der Häuser haben einfallen lassen“, so Dombergkoordinatorin Christiane Wendenburg.
Selbstredend sieht das Hygienekonzept vor, dass FFP2-Masken getragen und Abstände eingehalten werden müssen. Desinfektionsspender sind in sämtlichen Museen aufgestellt.
In den Vorjahren war der Andrang bei den Führungen groß, in diesem Jahr können leider keine Führungen angeboten werden.
„Die Besucher werden in Form eines Einbahnstraßensystems durch die Häuser geleitet. Es wird kein großes Gedränge geben bedingt durch die Abstandsregelung. Wir können leider kein klassisches Programm wie in den Vorjahren bieten, weder Bastelworkshops für Kinder noch Führungen für Erwachsene. Doch wird haben uns etwas neues einfallen lassen, so die Dombergkoordinatorin weiter.“

Neu beim diesjährigen Museumstag sind virtuelle Führungen. Nachdem die Corona-Pandemie zum Schließen von Kultureinrichtungen geführt hatte, ließen sich Frau Wendenburg und KollegInnen Alternativen einfallen. „Jost Lohmann von „AGIL –Bamberg erleben“ bietet schon seit Jahren Führungen in unseren Häusern an, unter anderem auch viele Schulprogramme. Im Zuge der Pandemie kam die Idee auf, Führungen auch virtuell durchzuführen. Die „Highlight-Führung“ durch die Dombergmuseen feiert am Museumstag Premiere.“ Während ansonsten Gruppenbuchungen nötig sind, kann sich im Zuge des Museumstages jede Besucherin und jeder Besucher virtuell zuschalten.
Morgens um 9.30 Uhr beginnt Jost Lohmann mit der erwähnten Highlight-Führung, die den Titel „Götzen, Papst und Kaiser“ trägt und am Nachmittag um 14.30 Uhr ein zweites Mal stattfindet. Ausgewählte Kunstobjekte, weltberühmte Exponate und geheimnisvolle Schätze, die eng verknüpft sind mit der Geschichte Bambergs, sind hier im Livestream zu entdecken. „Der Vorteil an den virtuellen Führungen ist, dass man auch als Besucher Details in Bildern entdecken kann, die man so nicht sehen würde.

Dadurch dass im Livestream reingezoomt werden kann, hat man das Gefühl, näher dran zu sein.“ Die BesucherInnen erfahren beispielsweise, welches Kunstwerk im Diözesanmuseum 600 Kilogramm schwer ist und können die „Allegorie des Guten Regiments“ im frisch renovierten Kaisersaal der Neuen Residenz bestaunen.
Im Historischen Museum ist die Ausstellung „Jüdisches in Bamberg“ aufgebaut. Sie möchte den Gästen die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Bamberg vor Augen führen. Um diese Ausstellung dreht sich auch Herrn Lohmanns zweites Führungsthema, dieser Livestream beginnt um 11.30 Uhr.
Der Eintritt am Museumstag ist in allen Häusern frei, ebenso können dank der finanziellen Unterstützung durch den “Freundeskreis der Museen um den Bamberger Dom” die Livestreams am Museumstag kostenfrei angeboten werden.
Ein Hauch von Kunigundenmantel für Zuhause
Bei der Highlight-Führung wird auch der blaue Kunigundenmantel mit seinen kunstvollen Goldstickereien vorgestellt. Für diejenigen, die selbst sticken möchten, hat sich die neue Leiterin des Diözesanmuseums, Carola Schmidt etwas ganz Besonderes ausgedacht. „Wer gerne sticken möchte wie am Hofe Kaiser Heinrichs“, so Frau Wendenburg, „sollte sich zum Online-Workshop via Zoom im Diözesanmuseum anmelden. Frau Schmidt hat dazu eine Expertin gewinnen können, unter deren fachkundiger Anleitung ein „Sternchen“ vom blauen Kunigundenmantel entsteht – mit vergoldeten Fäden in Anlegetechnik auf Seide, genauso wie im 11. Jahrhundert!“

Die Anmeldung unter dioezesanmuseum@erzbistum-bamberg.de sollte frühzeitig erfolgen, damit das kostenlose Materialpaket, das vom Diözesanmuseum zur Verfügung gestellt wird, zeitig zugesendet werden kann.
Die Staatsbibliothek hat leider nicht geöffnet, weil derzeit keine Ausstellungen stattfinden können. „Allerdings ist die StaBi digital hervorragend aufgestellt“, wie Frau Wendenburg betont, „deshalb wird sie einen virtuellen Blick in ihre Schatzkammer ermöglichen.“
Nicht weit vom Domberg entfernt, hat – vorbehaltlich des Infektionsgeschehens – die Sammlung Ludwig Bamberg im Alten Rathaus geöffnet und präsentiert auch am Museumstag in ihrer ständige Schau „Glanz des Barock – Fayence und Porzellan“ ihre prunkvollen Kostbarkeiten, außerdem „Ludwig unter der Lupe – 25 Jahre Sammlung Ludwig in Bamberg“.
In der Villa Dessauer kann endlich auch die brandneue Ausstellung „Papier“ des Bamberger Kunstvereins live und in Farbe besichtigt werden. In dieser Ausstellung zeigen die Künstlerinnen und Künstler, was Papier an gestalterischen Möglichkeiten bietet. Die Ausstellung wird darüberhinaus unabhängig von den Öffnungsperspektiven auch digital begleitet, beispielsweise durch Interviews mit den ausstellenden Künstlern.

Weiterführende Informationen und Links
Livestreams mit „Agil“ am Museumstag
https://www.agil-bamberg.de/museumstagL.php
„Bamberger Schätze“ in der Staatsbibliothek Bamberg
https://www.staatsbibliothek-bamberg.de/digitale-sammlungen/bamberger-schaetze/
Ausstellungen der Staatsbibliothek auf Google Arts & Culture
https://artsandculture.google.com/partner/staatsbibliothek-bamberg?hl=de
Online-Ausstellungen und virtuelle Spaziergänge durch die Prunkräume der Neuen Residenz
https://www.residenz-bamberg.de/deutsch/digital/index.htm
https://schloesserblog.bayern.de/tag/residenz-bamberg
Ausstellung „Papier“ in der Villa Dessauer mit virtuellem Begleitprogramm
https://www.kunstverein-bamberg.de/
Organisatorischer Hinweis der Stadt Bamberg
Liegt der Corona-Inzidenzwert in Bamberg zwischen 50 und 100, ist eine vorherige Anmeldung per Telefon (0951 87–1140 Kasse Historisches Museum, 0951 87–1871 Kasse Sammlung Ludwig, 0951 87–1861 Kasse Stadtgalerie Bamberg – Villa Dessauer und Mikwe: 0151–16971088 während der Öffnungszeiten) erforderlich. Zu einer eventuell nötigen Rückverfolgung muss ein Kontakt hinterlegt werden. Die Besucher:innen sind zum Tragen einer FFP2-Maske verpflichtet, der Mindestabstand von 1,5 m zueinander ist einzuhalten. Die Verantwortlichen bitten, die vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen zu beherzigen. Die Besucherzahl wird begrenzt, so dass die geltenden Abstandsregeln eingehalten werden können. Die Belüftung mit Frischluft wird in den Ausstellungsräumen erhöht. Ausgeschilderte Rundwege helfen bei der Vermeidung von Kontakten. Es gibt die Möglichkeit zur Desinfektion der Hände.