Vor 200 Jahren starb E.T.A. Hoffmann – ein Anlass, dem nun auch der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken, der BBK, eine Ausstellung widmet. Für „unheimlich fantastisch oder total real“ sind noch bis 27. November die Werke von 24 Mitgliedern des Verbands in der Villa Dessauer zu sehen. Thematisch gibt es das E.T.A.-Übliche, inhaltlich zeigt die Schau aber abwechslungsreiche und neuartige Interpretationen davon.
Einigen Werken der Ausstellung „unheimlich fantastisch oder total real“ sieht man an, dass sie nicht speziell für das E.T.A. Hoffmann-Thema angefertigt, vom BBK aber für die Ausstellung ausgewählt wurden, weil sie zufällig gut dazu passen. Thomas Brixs Zeichnung „Heil-Land“ aus dem Jahr 2021 ist ein Beispiel dafür, Christine Grubers „Floria Tosca“, 2005, ein anderes. Ersteres kann im Sinne der Automatenthematik aus Hoffmanns „Der Sandmann“ ausgelegt werden; in Zweiterem hat der BBK das Unheimlich-Fantastische, das viele Werke E.T.A.s durchdringt, ausgemacht.
Andere Werke, wie Gerhard Hagens „Berganza Reloaded“ (2022) oder Ute Westiens „Elexiere des Teufels“, wurden unterdessen eigens für die Schau in der Villa Dessauer angefertigt. Insgesamt 24 Künstlerinnen und Künstler zeigt die Ausstellung, namentlich: Kerstin Amend-Pohlig, Mathias Börner, Chris Engels, Henrike Franz, Barbara Gröne-Trux, Andrea Landwehr-Ratka, Ruth Loibl, Cornelia Morsch, Wolfgang Müller, Stephan Pfeiffer, Gert Ressel, Veronika Riedl, Waltraud Scheidel, Nelly Schrott, Maria Söllner, Hubert Sowa und Cordula Utermöhlen.
Auch Walli Bauer und Thomas Michel haben Neugeschaffenes beigesteuert. Wir haben die beiden zum Gespräch über „unheimlich fantastisch oder total real“ getroffen.
Frau Bauer, Herr Michel, warum hat sich auch der BBK Oberfranken für seine Jahresausstellung dem Thema des 200. Todestages von E.T.A. Hoffmann angeschlossen?
Thomas Michel: Das war für den BBK die Chance, auch einmal auf einen größeren thematischen Zug aufzuspringen und außerdem einen Wiedererkennungswert zu erzeugen, mit der Ausstellung „Unheimlich fantastisch“, die in der Staatsbibliothek zu sehen war.
Walli Bauer: Wir wollten uns mit der Ausstellung einerseits anhängen an das große Bamberger Kulturthema 2022, den 200. Todestag von E.T.A. Hoffmann. Andererseits sollte es aber auch die Möglichkeit bieten, künstlerisch freier darüber zu denken und damit zu arbeiten.
Im Angesicht dieser Freiheit, die der BBK im Umgang mit dem Thema gegeben hat, haben sich die 24 KünstleriInnen dann aber doch an den üblichen E.T.A. Hoffmann-Motiven wie gespaltene Persönlichkeit, Universalgenie, Automat und dem Hund abgearbeitet. Was zeigt die Ausstellung, was andere noch nicht gezeigt haben?
Thomas Michel: Ich denke, das sieht man an den Werken und ihren verschiedenen Genres. 24 Künstlerinnen und Künstler, die sich dem Thema widmen, war noch nicht da. Es gibt einige Künstlerinnen und Künstler, die sich intensiv und neuartig mit E.T.A. Hoffmann auseinandergesetzt haben.
Walli Bauer: Der BBK hatte das Thema ausgeschrieben, das heißt, man konnte sich bewerben und sich auf das Thema einlassen oder eben nicht. Was mich an Hoffmann interessiert hat, war, mich auf den Mann einzulassen, um nachzugraben, wer er war, was er fühlte und was er dachte. Hoffmann war ein mehrfach begabter Künstler, so gesehen eben anders als andere. Auf jeden Fall war er ein empfindsamer Mensch, der sich von seiner Umwelt sehr oft nicht verstanden fühlte und oft aneckte, was man in seiner Bamberger Zeit sehr gut beobachten kann. Heute würde man vielleicht sagen, er war sozial nicht angepasst. Das ist Thema meiner Holzschnitte.
Haben es 24 Künstlerinnen und Künstler geschafft, in „unheimlich fantastisch oder total real“ ein vollständiges Bild von E.T.A. Hoffmann zu zeichnen?
Thomas Michel: E.T.A. Hoffmann ist schon ein spezielles Thema, mit dem man sich schon umfangreich auseinandersetzen kann. Aber das Thema konnte ja sehr frei angegangen werden, man musste sich nicht allzu deutlich an Hoffmann abarbeiten oder ein vollständiges Bild schaffen. Es ging eher darum zu schauen, dass man in den Rahmen des Themas einen Ansatz integriert, der weiter geht.
Auf eine Facette von Hoffmanns Schaffen geht die Ausstellung allerdings nicht ein, nämlich auf sein Schaffen als Karikaturist. Wieso verkennt ihn die Ausstellung in dieser Richtung?
Thomas Michel: Jede Künstlerin, jeder Künstler hat Hoffmann anders aufgegriffen. Ich glaube auch, dass man Karikatur sehr zeitgenössisch aufgreifen kann, wie zum Beispiel in der Manga-Community. Karikatur ist aber ein sehr spezielles Metier, und selbst herausragende Künstlerinnen und Künstler, die gegenständlich arbeiten, sind nicht unbedingt gute Karikaturistinnen und Karikaturisten. Auch umgekehrt muss es nicht zwangsläufig so sein. Wilhelm Busch und Loriot kamen auch nicht aus der Kunstszene. Deshalb bitte ich in diesem Punkt für die BBK-Künstlerinnen und ‑Künstler um gewisse Nachsicht. Außerdem haben wir Gert Ressel mit seinem Gemälde „Der Vielseitige“. Dessen entfremdete Figuren gehen schon in die Richtung der Karikatur.
Kann man für seine Kunst heute noch Ärger bekommen so wie E.T.A. Hoffmann für seine Karikaturen?
Thomas Michel: Es ist schwierig. Es gibt ja in der Kunst nur noch ganz wenige Tabus, die man noch brechen könnte. Es sei denn, man kommt aus dem globalen Süden und stellt auf der Documenta aus.
Walli Bauer: Es gibt wohl wenig, das noch kritische, politische Grenzgänge zeigt. Arbeiten, die sich mit politischen Themen auseinandersetzen, sollten sensibel umgesetzt werden.
Herr Michel, Sie haben zur Ausstellung unter anderem das Gemälde „Olimpia“, das das Doppelgängerthema aus „Der Sandmann“ aufgreift, beigesteuert. Was sprach Sie daran an?
Thomas Michel: Was ich beim Sandmann total faszinierend finde, ist das Thema mit den Automaten. Die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert waren, was das angeht, schon ziemlich weit entwickelt – es gab Musikautomaten oder Schreibautomaten. Hinzu kam für mich das Urthema oder die Urangst der unbelebten Materie oder Puppe, die zum Leben erweckt wird. Dann habe ich mir überlegt, was die Entsprechung zu den Automaten im 21. Jahrhundert ist. Das sind für mich humanoide Roboter oder künstliche Intelligenz. Deswegen habe ich die Vorlage, dieses Frauengesicht, das das Gemälde zeigt, einer biometrischen Datenbank entnommen, die mit einem Algorithmus aus Millionen von Gesichtern neue erschafft und diese per Zufallsgenerator dem Betrachter zeigt, der sich durch diese Datenbank scrollt. So gesehen spielt der Zufall auch bei der Auswahl eine große Rolle. Aber egal, welche Vorlagen ich verwende, es geht dabei immer um einen Transformationsprozess.
Das Spannende daran ist zu beobachten, was passiert, wenn man ein glattes virtuelles Digitalbild in reale physische Farbmaterie in Öl auf Leinwand übersetzt. Das Bild bekommt dann etwas wesentlich Authentischeres. Vieles an der vom Algorithmus erzeugten Vorlage musste ich noch korrigieren oder ergänzen, zum Beispiel die Brustpartie unterhalb des Halses oder den oberen Haarbereich. Auch die Farben sind kompositorisch und psychologisch bewusst gewählt. Weiß steht für Reinheit, rot für die Liebe beziehungsweise das Begehren und rückt das Gemälde farbenpsychologisch näher an den Betrachter heran.
Was hat es mit den Textblöcken unterhalb der Gemälde auf sich, die sagen: She stole my memories. Believe me, she is a transhuman fake?
Thomas Michel: Die Textblöcke setzen ein Dreiergespräch zwischen den beiden Bildnissen und dem Betrachter in Gang. Die beiden Porträts bezichtigen sich gegenseitig, ein Fake zu sein und der Betrachter muss dazu irgendwie einen Standpunkt finden. Es geht um Original und Fälschung und die Manipulierbarkeit des Betrachters. Das Wort „transhuman“ spielt auf die philosophische Bewegung des Transhumanismus an, wo diskutiert wird, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz in Bezug auf die menschliche Zukunft angewandt wird, das Klonen, so wie die beiden Bilder geklont sind, spielt dabei eine wichtige Rolle.
Wieso mutet das Gesicht, das dieser Algorithmus ausgerechnet hat, asiatisch an?
Thomas Michel: Letztendlich habe ich das Gesicht ausgewählt, das mir am ausdrucksstärksten erschien. Hautfarbe und Herkunft und so weiter haben dabei aber keine Rolle gespielt. Dass eine Asiatin den Idealvorstellungen der internationalen Männerwelt entspricht, kann man durchaus so stehen lassen, das war mir während des Auswahlprozesses aber gar nicht bewusst.
Frau Bauer mit ihrem Holzschnitt „E.T.A. Hoffmann tritt neben sich“ haben auch Sie sich des Themas des Doppelgängers angenommen.
Walli Bauer: Ich wollte damit näher auf den Menschen E.T.A. Hoffmann eingehen, auf den unverstandenen E.T.A. oder den traurigen eigentlich. Man sieht seinen Umriss hinter seinen vergrößerten Schatten in einer anderen Farbe. Hoffmann ist hier in verschiedenen Stimmungslagen zu sehen. Er existierte sozusagen wie eine zweite Person neben sich. Nicht nur als Ehemann und Jurist und Künstler, sondern auch jemand, der, wie eine gespaltene Persönlichkeit, seine wahnhaften oder utopischen Geschichten während er sie schrieb vielleicht auch durchlebt hat. Ein Mensch, der neben sich steht.