Zen­trum für Selbst­be­stimm­tes Leben Behinderter

ZSL: Für mehr Selbst­be­stim­mung im Alltag

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ZSL
Das Team des ZSL von links: Katharina Maier, Chris Undiener, Anja Schneider, Hündin Sina, Isabel Elbracht, Mark Langhans, Foto: Sebastian Quenzer
Das Zen­trum für Selbst­be­stimm­tes Leben Behin­der­ter e.V. setzt sich für eine bes­se­re Inklu­si­on in Bam­berg ein. Men­schen mit Behin­de­rung bie­tet das Zen­trum einen Assis­tenz­dienst und beglei­te­tes Woh­nen. Und seit Kur­zem kann das ZSL auf einen inklu­si­ven Erfolg in der Sand­stra­ße blicken.

Zwi­schen ein paar Stun­den die Woche bis hin zu zehn Stun­den am Tag sind die Mitarbeiter:innen des Zen­trums für Selbst­be­stimm­tes Leben Behin­der­ter e.V. (ZSL) für die Men­schen mit Behin­de­rung da, die sie im täg­li­chen Leben beglei­ten. Je nach Bedarf. Denn ein Teil der Selbst­be­stim­mung, die das ZSL sei­nen Kund:innen durch per­sön­li­che Unter­stüt­zung ermög­li­chen möch­te, besteht dar­in, das eige­ne Leben so unge­hin­dert wie mög­lich orga­ni­sie­ren zu können.

Dafür bie­tet das Team des ZSL Bam­berg seit 2020 von der Hel­ler­stra­ße aus ambu­lant beglei­te­tes Woh­nen und seit 2022 einen Assis­tenz­dienst. Her­vor­ge­gan­gen war das ZSL damals aus dem ähn­lich arbei­ten­den Ver­ein „Leucht­feu­er“. Heu­te, nach vier Jah­ren Eigen­stän­dig­keit, befin­det sich das Zen­trum am Ende sei­ner Auf­bau­pha­se. Die Zahl der aktu­ell in Bam­berg unter­stütz­ten Men­schen ist mit sie­ben zwar noch recht gering. „Aber wir wol­len wach­sen“, sagt Isa­bel Elbracht, Lei­te­rin des ZSL-Stand­orts Bam­berg. „Und wer Inter­es­se hat mit­zu­ar­bei­ten, ger­ne melden.“

Wir haben mit Frau Elbracht und Mark Lang­hans aus der Ver­wal­tung des ZSL Bam­berg über das Ange­bot des Zen­trums, Kopf­stein­pflas­ter, Büro­kra­tie und eine Ram­pe beim Live-Club gesprochen.

Sie set­zen sich für die Inklu­si­on von Men­schen mit Behin­de­rung ein. Wie inklu­siv ist Bamberg?

Mark Lang­hans: Bam­berg hat schon immer ein Augen­merk auf das The­ma gelegt, aber nie zu 100 Pro­zent. Die Stadt hat immer schon Inklu­si­ons­pro­jek­te ange­sto­ßen, aber die­se Din­ge dau­ern und außer­dem fehlt das Geld. Hin­zu kommt: Bei einer Alt­stadt mit sehr viel Kopf­stein­pflas­ter ist voll­stän­di­ge Inklu­si­on, also in dem Fall die Gän­gig­keit für Roll­stüh­le, kaum mög­lich. Wobei etwa die Sand­stra­ße oder die Fuß­gän­ger­zo­ne glat­te Spu­ren für Roll­stuhl­fah­rer haben, die auch ande­re Per­so­nen­grup­pen gut nut­zen können.

Isa­bel Elbracht: Ande­rer­seits hat Bam­berg eini­ge Akteu­re wie die ARGE, die Arbeits­ge­mein­schaft chro­nisch kran­ker und behin­der­ter Men­schen, oder die Behin­der­ten­be­auf­trag­te Nico­le Orf. Sol­che Orga­ni­sa­tio­nen und Per­so­nen sind beim The­ma Teil­ha­be und Inklu­si­on schon immer sehr dahin­ter, was bau­li­che Bar­rie­ren in Bam­berg angeht, um auf Inter­es­sen von Men­schen mit Behin­de­rung ein­zu­ge­hen. Da ste­hen wir auch im Kontakt.

Ein­mal ganz grund­le­gend gefragt: Was hat eine Stadt und ihre Gesell­schaft von Inklusion?

Isa­bel Elbracht: Inklu­si­on ist Teil­ha­be für alle Men­schen und das heißt auch Chan­cen­gleich­heit. Und wenn wir noch­mal auf die bau­li­chen Bar­rie­ren kom­men: Von einer Ram­pe zum Bei­spiel am Ein­gang eines Geschäfts haben meh­re­re Per­so­nen­grup­pen etwas, nicht nur Leu­te im Roll­stuhl. Ram­pen kom­men auch Fami­li­en mit Kin­der­wä­gen oder älte­ren Men­schen mit Rol­la­to­ren zugu­te. Inklu­si­on geht in gewis­ser Wei­se also alle etwas an und führt dazu, dass alle in der Gesell­schaft an allem teil­ha­ben können.

Gab es in Bam­berg ein Ange­bot, wie Sie es machen, schon vor der Eröff­nung des ZSL im Jahr 2020?

Isa­bel Elbracht: Assis­tenz­diens­te für Men­schen mit Behin­de­rung machen ande­re schon auch. Aber der Gedan­ke von per­sön­li­cher Assis­tenz und damit der Auf­trag des ZSL, ist, dass man sozu­sa­gen alles aus einer Hand bekommt und über meh­re­re Stun­den am Tag bedarfs­ori­en­tiert Unter­stüt­zung erhält.

Das ZSL Bam­berg hat zwei Berei­che – Assis­tenz­dienst und Ambu­lant Beglei­te­tes Woh­nen (ABW). Was heißt Assis­tenz­dienst in Ihrem Falle?

Isa­bel Elbracht: Das ist die Orga­ni­sa­ti­on und die per­sön­li­che Unter­stüt­zung von Men­schen mit Behin­de­rung durch per­sön­li­che Assis­tenz. Prak­tisch gespro­chen: Ein Roll­stuhl­fah­rer benö­tigt Unter­stüt­zung im All­tag und kann sol­che Assis­tenz beim Bezirk bean­tra­gen. Dann stel­len wir ihm als Dienst­leis­ter Assis­tenz­kräf­te zur Verfügung.

Mark Lang­hans: Wich­tig ist an die­ser Stel­le zu erwäh­nen, dass wir damit kei­nen Pfle­ge­dienst machen. Wir bie­ten Frei­zeit­as­sis­tenz oder All­tags­as­sis­tenz, wie Hil­fe beim An- und Aus­klei­den, Umset­zen aus dem Roll­stuhl oder ins Bett, Ein­käu­fe, Frei­zeit­be­glei­tung, Arbeits­as­sis­tenz oder Unter­stüt­zung beim Stu­di­um. Es muss aber, wie gesagt, ein Grad der Behin­de­rung von min­des­tens 50 vor­lie­gen, das ist Vor­aus­set­zung. Wir möch­ten Men­schen mit Behin­de­rung mehr Selbst­be­stim­mung geben.

Was hat es mit dem per­sön­li­chen Bud­get, das Sie auf Ihrer Home­page im Rah­men des Assis­tenz­diens­tes erwäh­nen, auf sich? Geht das in Rich­tung Selbstkostenbeitrag?

Isa­bel Elbracht: Nein, das sind kei­ne Selbst­kos­ten. Das per­sön­li­che Bud­get ist eine Art der Finan­zie­rung. Der Bezirk Ober­fran­ken zahlt ein Bud­get direkt an die Per­son, die eine Assis­tenz bean­tragt. Von die­sem Bud­get kann die Per­son die Assis­tenz dann, zum Bei­spiel bei uns, ein­kau­fen. Dadurch wird der Mensch mit Behin­de­rung selbst zum Arbeit­ge­ber und orga­ni­siert auch so gut wie alles selbst. Das ist ein wei­te­rer Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung.

Der zwei­te Bereich des ZSL Bam­berg ist Ambu­lant Beglei­te­tes Woh­nen. Wo liegt hier­bei der Unter­schied zum Assistenzdienst?

Isa­bel Elbracht: Auch dabei han­delt es sich um eine Assis­tenz­leis­tung, die aller­dings ein biss­chen fach­li­cher ange­legt ist. Dabei dür­fen nur päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te arbei­ten, den Assis­tenz­dienst kön­nen auch unge­lern­te Kräf­te über­neh­men. ABW ist vor­ran­gig für Men­schen mit einer geis­ti­gen Ein­schrän­kung gedacht, die ande­re Hil­fen im All­tag brau­chen als die genann­ten. Die­se Hil­fen gehen zum Bei­spiel in die Rich­tung Anlei­tung für den All­tag. Wie geht man mit Kri­sen um oder wie mit Problemen?

Mark Lang­hans: Der Assis­tenz­dienst stellt eine Art Hand­rei­chung dar. Er erle­digt Auf­ga­ben des All­tags als aus­füh­ren­der Arm sozu­sa­gen. Das ist beim ABW anders. Dabei geht es eher um Ver­ständ­nis­fra­gen. Ein Bei­spiel wäre: Wir beglei­ten Men­schen mit geis­ti­ger Ein­schrän­kung zu Arzt­ter­mi­nen, damit sie die Dia­gno­sen bes­ser verstehen.

Was steckt beim ABW hin­ter dem Punkt „Auf­bau und Erhalt sozia­ler Kontakte“?

Mark Lang­hans: Das bezieht sich auch auf die päd­ago­gi­sche Arbeit des ABW-Bereichs. Es geht dabei um Unter­stüt­zung etwa in Bezie­hungs­fra­gen oder im Ver­ständ­nis von Bezie­hungs­struk­tu­ren. Strei­tig­kei­ten kön­nen geschlich­tet wer­den, bei Kon­flik­ten kann inter­ve­niert wer­den. Manch­mal ist es bei Men­schen mit psy­chi­schen Ein­schrän­kun­gen so, dass sie mit Nach­rich­ten, die für Men­schen ohne Behin­de­rung nicht wei­ter dra­ma­tisch wären, anders umge­hen, weil sie etwa eine Impuls­kon­troll-Stö­rung haben und sehr impul­siv Sachen auf­neh­men oder sich schnell ange­grif­fen füh­len. Das ver­sucht unser Team mit Gesprä­chen oder Zuhö­ren auf­zu­fan­gen und Lösungs­vor­schlä­ge anzubieten.

Wel­che Rück­mel­dun­gen bekom­men Sie von Ihren Klient:innen?

Mark Lang­hans: Immer posi­ti­ve. Unser Ziel ist es ja auch, dass wir die Kund:innen in unse­re Arbeit immer mit­ein­be­zie­hen. Wir geben nichts vor. Alles, was wir tun, tun wir nach Rück­spra­che mit den Kund:innen, die wir beglei­ten. Sie sagen uns, was sie benö­ti­gen, wobei sie Hil­fe brau­chen, und wir unter­stüt­zen sie dar­in. Es ist die Beglei­tung hin zur Selbstbestimmung.

Wo sto­ßen Sie in Ihrem Arbei­ten an Grenzen?

Isa­bel Elbracht: Was immer wie­der ein­engt, ist Büro­kra­tie. Antrags­for­mu­la­re ohne geis­ti­ge Ein­schrän­kung zu ver­ste­hen, ist schon schwer genug. Und bei einem Men­schen mit Ein­schrän­kung wird es noch schwe­rer. Wir möch­ten Selbst­be­stim­mung geben und dazu gehört, dass der Mensch auch in der Lage sein soll­te, einen Antrag selbst aus­zu­fül­len. Es ist ein Wahn­sinn, was man manch­mal alles aus­fül­len muss. Ein wei­te­res Bei­spiel wäre: Oft fällt der Satz „Ich hät­te ger­ne mehr Zeit mit dem ZSL.“ Aber die Zeit, die wir für die Kund:innen auf­wen­den kön­nen, ist lei­der limi­tiert durch die Stun­den­zahl, die der Bezirk für den jewei­li­gen Bedarf bewil­ligt und finan­ziert hat. Wir haben zwar ein biss­chen zeit­li­chen Spiel­raum, den wir auf eige­ne Kos­ten ein­räu­men, aber der ist nicht all­zu groß. Es ist immer das Pro­blem der Finan­zie­rung bezie­hungs­wei­se der Refinanzierung.

Mark Lang­hans: Vor­ge­ge­ben und bewil­ligt kön­nen, je nach Betreu­ungs­schlüs­sel, zum Bei­spiel exakt drei Stun­den und sie­ben Minu­ten sein. Für die­sen Zeit­raum zahlt der Bezirk und man muss schau­en, was man in der Zeit alles erle­di­gen kann. Unse­re Leu­te bre­chen, wenn die Zeit abge­lau­fen ist, natür­lich nicht mit­ten­drin ab, son­dern blei­ben ein paar Minu­ten län­ger. Aber so sind da die Vor­ga­ben und viel Spiel haben wir eigent­lich nicht.

Eine Gren­ze, die sie über­wun­den haben, war die Stu­fe am Ein­gang des Live-Clubs in der Obe­ren Sand­stra­ße. Dort gibt es nun eine Roll­stuhl-Ram­pe. Wie kam das?

Isa­bel Elbracht: Den Anstoß hat unser Mit­glied Chris Undie­ner gege­ben. Er ist ein biss­chen unser Aus­hän­ge­schild und pri­vat oft in der Sand­stra­ße unter­wegs. Er woll­te in den Club rein- und raus­fah­ren kön­nen. Aber das kann er am bes­ten selbst erzählen.

(Isa­bel Elbracht bit­tet Chris Undie­ner zum Inter­view dazu)

Chris Undie­ner: Seit gerau­mer Zeit bekla­gen wir uns beim Live-Club, und all­ge­mein in der Sand­stra­ße oder in der Austra­ße, wegen feh­len­der Ram­pen an den Ein­gän­gen – eigent­lich bei jedem Laden, in den ich nicht rein­kom­me. Der Live-Club hat­te auch vor­her schon eine Ram­pe für den Ein­gang, hat sie aber sel­ten raus­ge­legt. Nun machen sie es jeden Abend. Hier­mit wur­de das Bewusst­sein geschärft. Das freut uns und dafür dan­ken wir dem Live-Club.

ZSL
Katha­ri­na Mai­er und Chris Undie­ner mit Mit­ar­bei­tern des Live Clubs und der Ram­pe, Foto: Privat
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