Das Zentrum für Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. setzt sich für eine bessere Inklusion in Bamberg ein. Menschen mit Behinderung bietet das Zentrum einen Assistenzdienst und begleitetes Wohnen. Und seit Kurzem kann das ZSL auf einen inklusiven Erfolg in der Sandstraße blicken.
Zwischen ein paar Stunden die Woche bis hin zu zehn Stunden am Tag sind die Mitarbeiter:innen des Zentrums für Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. (ZSL) für die Menschen mit Behinderung da, die sie im täglichen Leben begleiten. Je nach Bedarf. Denn ein Teil der Selbstbestimmung, die das ZSL seinen Kund:innen durch persönliche Unterstützung ermöglichen möchte, besteht darin, das eigene Leben so ungehindert wie möglich organisieren zu können.
Dafür bietet das Team des ZSL Bamberg seit 2020 von der Hellerstraße aus ambulant begleitetes Wohnen und seit 2022 einen Assistenzdienst. Hervorgegangen war das ZSL damals aus dem ähnlich arbeitenden Verein „Leuchtfeuer“. Heute, nach vier Jahren Eigenständigkeit, befindet sich das Zentrum am Ende seiner Aufbauphase. Die Zahl der aktuell in Bamberg unterstützten Menschen ist mit sieben zwar noch recht gering. „Aber wir wollen wachsen“, sagt Isabel Elbracht, Leiterin des ZSL-Standorts Bamberg. „Und wer Interesse hat mitzuarbeiten, gerne melden.“
Wir haben mit Frau Elbracht und Mark Langhans aus der Verwaltung des ZSL Bamberg über das Angebot des Zentrums, Kopfsteinpflaster, Bürokratie und eine Rampe beim Live-Club gesprochen.
Sie setzen sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderung ein. Wie inklusiv ist Bamberg?
Mark Langhans: Bamberg hat schon immer ein Augenmerk auf das Thema gelegt, aber nie zu 100 Prozent. Die Stadt hat immer schon Inklusionsprojekte angestoßen, aber diese Dinge dauern und außerdem fehlt das Geld. Hinzu kommt: Bei einer Altstadt mit sehr viel Kopfsteinpflaster ist vollständige Inklusion, also in dem Fall die Gängigkeit für Rollstühle, kaum möglich. Wobei etwa die Sandstraße oder die Fußgängerzone glatte Spuren für Rollstuhlfahrer haben, die auch andere Personengruppen gut nutzen können.
Isabel Elbracht: Andererseits hat Bamberg einige Akteure wie die ARGE, die Arbeitsgemeinschaft chronisch kranker und behinderter Menschen, oder die Behindertenbeauftragte Nicole Orf. Solche Organisationen und Personen sind beim Thema Teilhabe und Inklusion schon immer sehr dahinter, was bauliche Barrieren in Bamberg angeht, um auf Interessen von Menschen mit Behinderung einzugehen. Da stehen wir auch im Kontakt.
Einmal ganz grundlegend gefragt: Was hat eine Stadt und ihre Gesellschaft von Inklusion?
Isabel Elbracht: Inklusion ist Teilhabe für alle Menschen und das heißt auch Chancengleichheit. Und wenn wir nochmal auf die baulichen Barrieren kommen: Von einer Rampe zum Beispiel am Eingang eines Geschäfts haben mehrere Personengruppen etwas, nicht nur Leute im Rollstuhl. Rampen kommen auch Familien mit Kinderwägen oder älteren Menschen mit Rollatoren zugute. Inklusion geht in gewisser Weise also alle etwas an und führt dazu, dass alle in der Gesellschaft an allem teilhaben können.
Gab es in Bamberg ein Angebot, wie Sie es machen, schon vor der Eröffnung des ZSL im Jahr 2020?
Isabel Elbracht: Assistenzdienste für Menschen mit Behinderung machen andere schon auch. Aber der Gedanke von persönlicher Assistenz und damit der Auftrag des ZSL, ist, dass man sozusagen alles aus einer Hand bekommt und über mehrere Stunden am Tag bedarfsorientiert Unterstützung erhält.
Das ZSL Bamberg hat zwei Bereiche – Assistenzdienst und Ambulant Begleitetes Wohnen (ABW). Was heißt Assistenzdienst in Ihrem Falle?
Isabel Elbracht: Das ist die Organisation und die persönliche Unterstützung von Menschen mit Behinderung durch persönliche Assistenz. Praktisch gesprochen: Ein Rollstuhlfahrer benötigt Unterstützung im Alltag und kann solche Assistenz beim Bezirk beantragen. Dann stellen wir ihm als Dienstleister Assistenzkräfte zur Verfügung.
Mark Langhans: Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass wir damit keinen Pflegedienst machen. Wir bieten Freizeitassistenz oder Alltagsassistenz, wie Hilfe beim An- und Auskleiden, Umsetzen aus dem Rollstuhl oder ins Bett, Einkäufe, Freizeitbegleitung, Arbeitsassistenz oder Unterstützung beim Studium. Es muss aber, wie gesagt, ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegen, das ist Voraussetzung. Wir möchten Menschen mit Behinderung mehr Selbstbestimmung geben.
Was hat es mit dem persönlichen Budget, das Sie auf Ihrer Homepage im Rahmen des Assistenzdienstes erwähnen, auf sich? Geht das in Richtung Selbstkostenbeitrag?
Isabel Elbracht: Nein, das sind keine Selbstkosten. Das persönliche Budget ist eine Art der Finanzierung. Der Bezirk Oberfranken zahlt ein Budget direkt an die Person, die eine Assistenz beantragt. Von diesem Budget kann die Person die Assistenz dann, zum Beispiel bei uns, einkaufen. Dadurch wird der Mensch mit Behinderung selbst zum Arbeitgeber und organisiert auch so gut wie alles selbst. Das ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung.
Der zweite Bereich des ZSL Bamberg ist Ambulant Begleitetes Wohnen. Wo liegt hierbei der Unterschied zum Assistenzdienst?
Isabel Elbracht: Auch dabei handelt es sich um eine Assistenzleistung, die allerdings ein bisschen fachlicher angelegt ist. Dabei dürfen nur pädagogische Fachkräfte arbeiten, den Assistenzdienst können auch ungelernte Kräfte übernehmen. ABW ist vorrangig für Menschen mit einer geistigen Einschränkung gedacht, die andere Hilfen im Alltag brauchen als die genannten. Diese Hilfen gehen zum Beispiel in die Richtung Anleitung für den Alltag. Wie geht man mit Krisen um oder wie mit Problemen?
Mark Langhans: Der Assistenzdienst stellt eine Art Handreichung dar. Er erledigt Aufgaben des Alltags als ausführender Arm sozusagen. Das ist beim ABW anders. Dabei geht es eher um Verständnisfragen. Ein Beispiel wäre: Wir begleiten Menschen mit geistiger Einschränkung zu Arztterminen, damit sie die Diagnosen besser verstehen.
Was steckt beim ABW hinter dem Punkt „Aufbau und Erhalt sozialer Kontakte“?
Mark Langhans: Das bezieht sich auch auf die pädagogische Arbeit des ABW-Bereichs. Es geht dabei um Unterstützung etwa in Beziehungsfragen oder im Verständnis von Beziehungsstrukturen. Streitigkeiten können geschlichtet werden, bei Konflikten kann interveniert werden. Manchmal ist es bei Menschen mit psychischen Einschränkungen so, dass sie mit Nachrichten, die für Menschen ohne Behinderung nicht weiter dramatisch wären, anders umgehen, weil sie etwa eine Impulskontroll-Störung haben und sehr impulsiv Sachen aufnehmen oder sich schnell angegriffen fühlen. Das versucht unser Team mit Gesprächen oder Zuhören aufzufangen und Lösungsvorschläge anzubieten.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Ihren Klient:innen?
Mark Langhans: Immer positive. Unser Ziel ist es ja auch, dass wir die Kund:innen in unsere Arbeit immer miteinbeziehen. Wir geben nichts vor. Alles, was wir tun, tun wir nach Rücksprache mit den Kund:innen, die wir begleiten. Sie sagen uns, was sie benötigen, wobei sie Hilfe brauchen, und wir unterstützen sie darin. Es ist die Begleitung hin zur Selbstbestimmung.
Wo stoßen Sie in Ihrem Arbeiten an Grenzen?
Isabel Elbracht: Was immer wieder einengt, ist Bürokratie. Antragsformulare ohne geistige Einschränkung zu verstehen, ist schon schwer genug. Und bei einem Menschen mit Einschränkung wird es noch schwerer. Wir möchten Selbstbestimmung geben und dazu gehört, dass der Mensch auch in der Lage sein sollte, einen Antrag selbst auszufüllen. Es ist ein Wahnsinn, was man manchmal alles ausfüllen muss. Ein weiteres Beispiel wäre: Oft fällt der Satz „Ich hätte gerne mehr Zeit mit dem ZSL.“ Aber die Zeit, die wir für die Kund:innen aufwenden können, ist leider limitiert durch die Stundenzahl, die der Bezirk für den jeweiligen Bedarf bewilligt und finanziert hat. Wir haben zwar ein bisschen zeitlichen Spielraum, den wir auf eigene Kosten einräumen, aber der ist nicht allzu groß. Es ist immer das Problem der Finanzierung beziehungsweise der Refinanzierung.
Mark Langhans: Vorgegeben und bewilligt können, je nach Betreuungsschlüssel, zum Beispiel exakt drei Stunden und sieben Minuten sein. Für diesen Zeitraum zahlt der Bezirk und man muss schauen, was man in der Zeit alles erledigen kann. Unsere Leute brechen, wenn die Zeit abgelaufen ist, natürlich nicht mittendrin ab, sondern bleiben ein paar Minuten länger. Aber so sind da die Vorgaben und viel Spiel haben wir eigentlich nicht.
Eine Grenze, die sie überwunden haben, war die Stufe am Eingang des Live-Clubs in der Oberen Sandstraße. Dort gibt es nun eine Rollstuhl-Rampe. Wie kam das?
Isabel Elbracht: Den Anstoß hat unser Mitglied Chris Undiener gegeben. Er ist ein bisschen unser Aushängeschild und privat oft in der Sandstraße unterwegs. Er wollte in den Club rein- und rausfahren können. Aber das kann er am besten selbst erzählen.
(Isabel Elbracht bittet Chris Undiener zum Interview dazu)
Chris Undiener: Seit geraumer Zeit beklagen wir uns beim Live-Club, und allgemein in der Sandstraße oder in der Austraße, wegen fehlender Rampen an den Eingängen – eigentlich bei jedem Laden, in den ich nicht reinkomme. Der Live-Club hatte auch vorher schon eine Rampe für den Eingang, hat sie aber selten rausgelegt. Nun machen sie es jeden Abend. Hiermit wurde das Bewusstsein geschärft. Das freut uns und dafür danken wir dem Live-Club.