Für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die das Zeug zum Abitur haben, allerdings noch ungenügende Sprachkenntnisse aufweisen, wird es ab September am Spätberufenengymnasium Theresianum sogenannte DaZ-Vorkurse geben, bei denen der Grundstock für den weiteren Weg zum Abitur gelegt wird. DaZ steht für Deutsch als Zweitsprache und definiert sich dadurch, dass der Erwerb der deutschen Sprache
im Zielland erfolgt.
Junge Menschen aus eingewanderten Familien, wie beispielsweise Geflüchtete, haben in Deutschland oft immense Startprobleme. Häufig ist dabei die Sprachbarriere ein wesentlicher Grund von schleppender Integration. Eine Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen, bieten die Berufsintegrationsklassen der Berufsschulen. Nach erfolgreichem Durchlaufen mündet dieser Weg in einer Ausbildung. Was ist aber mit den Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die zwar ungenügende Sprachkenntnisse aufweisen, aber trotzdem das Zeug zum Abitur haben? Jutta Sieberz-Pozza, die seit Herbst letzten Jahres Schulleiterin des Spätberufenengymnasiums Theresianum in Bamberg ist, hat diese Lücke entdeckt und möchte sie schließen. „Ich musste Aabid den weiteren Weg auf unserem Gymnasium verwehren. Er hatte die Probezeit im Vorkurs nicht bestanden und konnte somit nicht in die elfte Klasse aufgenommen werden. Letztendlich lagen die mangelhaften Leistungen nicht an seiner Auffassungsgabe oder seinem Fleiß – ganz im Gegenteil, er ist ein begabter und intelligenter junger Mann –, sondern, weil er des Deutschen kaum mächtig ist und in so kurzer Zeit die Sprachdefizite nicht ausgleichen konnte“, bedauert Jutta Sieberz-Pozza und schaut nachdenklich aus der großen Fensterfront in ihrem Büro am Knöcklein 1. Die Februarsonne scheint über die Altenburg, St. Getreu, die Jakobskirche und das Kloster Michaelsberg. Ein Panorama, was seinesgleichen sucht. Die Schulleiterin am Theresianum aber schaut durch die Skyline hindurch, denn sie forscht noch immer nach, ob es eine andere Wendung geben hätte können. Ihr Blick sucht einen Halt, ihr Tatendrang eine Lösung. Jetzt ist Aabid wieder in der Asylunterkunft. Dieses Schicksal hat Jutta Sieberz-Pozza mehr als eine schlaflose Nacht bereitet. Und sie denkt noch immer darüber nach. „Hätten wir, so, wie wir es nun für das neue Schuljahr vorhaben, die DaZ-Klassen vor einem halben Jahr schon gehabt, hätte es für Aabid am Theresianum eine Zukunft gegeben.“
Daja hingegen konnte bleiben. Auch bei ihr war es knapp. Am Ende aber haben die Leistungen gereicht. Mathe eins, Deutsch sechs. So ist das oft. Wenn Daja etwas mehr Sprachförderung erhält und damit ihre Note in Deutsch verbessern kann, werden ihr im Endeffekt alle Fächer leichter fallen. Dann kann sie in drei Jahren, wenn sie ihr Abiturzeugnis in den Händen hält, ihr Wunschstudium Energietechnik aufnehmen. „Diese Zitterpartien machen mir sehr zu schaffen. Hinter jedem Gesicht steht ein Schicksal, meistens ein tragisches. Und dennoch haben die jungen Exilanten die Hoffnung nicht aufgegeben. Leider mangelt es oft an Möglichkeiten, ihre Wünsche und Ziele in die Realität umzusetzen. In den meisten Fällen ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft die Beherrschung der deutschen Sprache.“ Nach längerem Überlegen kam Jutta Sieberz-Pozza die Idee mit den DaZ-Klassen. Den Träger, die Caritas-Schulen gGmbH, konnte sie gleich davon überzeugen. Mitte Februar ist die neue Stundentafel für den Vorkurs vom Bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus für das Theresianum bewilligt worden.
Eine neue Schulleiterin mit großem Erfahrungsschatz
Jutta Sieberz-Pozza ist genau die richtige Frau, der man es sofort zutraut, dass sie solche Projekte profund umsetzt. Sie ist engagiert, anpackend, umsichtig, wach und einfach herzerfrischend. Will man also die DaZ-(Einführungs)Klassen beleuchten, muss man unbedingt erst einmal einen Blick auf die außergewöhnliche Schulleiterin werfen. In Essen geboren und im Allgäu aufgewachsen hat sie nach dem Abitur Lehramt Deutsch und Geschichte studiert. Über dreißig Jahre war sie im Staatsdienst als Lehrerin und Seminarlehrerin tätig. Schulwesen im Ausland und damit verbunden die Zugänge für deutsche Sprache – das interessierte sie aber bereits seit Beginn ihrer Karriere. So gelang es ihr, über die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen als junge Lehrerin nach Guatemala zu gehen. Dort beschäftigte sie sich erstmalig intensiver mit Deutsch als Fremdsprache. In Deutschland zurück nahm sie den Schuldienst in Oberbayern wieder auf.
Nach knapp zehn Jahren zog sie es dann noch einmal in die Fremde, nämlich nach Belgrad, danach nach Albanien. In Belgrad koordinierte sie an 32 Gymnasien den Deutschunterricht. In Tirana, der Hauptstadt Albaniens, war sie für Schülerinnen und Schüler der oberen Jahrgänge, die ihre allgemeinsprachlichen Deutschkenntnisse mittels des Deutschem Sprachdiploms nachweisen wollten, zuständig. Aber acht Jahre – länger darf man im Schuldienst im Ausland nicht bleiben – sind schnell vorbei. Und dann? Wohin? Wieder zurück nach Oberbayern? Jutta Sieberz-Pozza schaut ein wenig irritiert: „Nach Oberbayern, womöglich nach München, wollte ich auf keinen Fall. Nach all den Auslandserfahrungen wäre das nicht ‚mein Ding‘ gewesen.“

Auf der Suche nach geeigneten Stellen hat die 58-Jährige schließlich die bis dato offene Stelle der Schulleitung am Bamberger Theresianum entdeckt und gewonnen. „‚Wenn Sie mich nehmen, ist das eine Bereicherung für beide Seiten.‘ Genau diesen Satz habe ich gleich zu Anfang des Vorstellungsgespräches zu Pater Roland Hinzer, meinem Vorgänger, gesagt.“ Jutta Sieberz-Pozza lacht vergnügt. Denn dass dem so ist, hat sich längst bewiesen. Nach nur einem halben Schuljahr ist sie angekommen. Sie fühlt sich am Theresianum pudelwohl: „Hier ist es wie im Himmel der Seligen!“ Und diesen Satz nimmt man ihr – allein schon ob ihrer Strahlkraft – ohne Wenn und Aber ab.
Das DaZ-Projekt entsteht
Damit nicht noch einmal so etwas passiert wie mit Aabid, setzt sich Jutta Sieberz-Pozza seit Antritt ihrer Stelle für das DaZ-Projekt im Theresianum ein. Normalerweise durchlaufen Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund sogenannte Berufsintegrationsklassen, die Berufsschulen anbieten. Hier lernen die Exilanten besser Deutsch zu sprechen und zu schreiben, gleichzeitig werden sie auf eine Berufsausbildung vorbereitet, die sie normalerweise im Anschluss absolvieren. Abitur zu machen scheint in diesem Prozess aber nicht vorgesehen. So ist die Gruppe von jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die das Potenzial für ein Gymnasium hat, oft unterfordert, manchmal in ihrem ohnehin schon unruhigen Leben auch unglücklich. Mit diesem Hintergrundwissen hat Jutta Sieberz-Pozza all ihre Courage und ihre Energie gebündelt und das Konzept der besonderen Klassen, das es am Kolleg in Schweinfurt, Augsburg und Nürnberg für die Erwachsenenbildung schon als Modellversuch gibt, auf das Spätberufenengymnasium übertragen. Parallel trat sie an die beiden Berufsschulen in Bamberg heran, besuchte Bildungseinrichtungen, wie die Graf-Stauffenberg-Schule, stellte als Neuling in der Stadt viele Fragen, erregte positive Aufmerksamkeit und sensibilisierte schlussendlich die dortige Lehrer- und Mitarbeiterschaft für ihr Unterfangen. Große Unterstützung erhielt sie außerdem vom Jugendmigrationsdienst des SkF – Sozialdienst katholischer Frauen. Generell stieß sie auf offene Ohren und sehende Augen. Wie gut!
DaZ-Einführungsklassen – wie funktionieren sie?
„Einen russischen Asylanten, eine syrische Schülerin und eine armenische Schülerin, die ein anderes Gymnasium als Gastschülerin aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse nicht integrieren konnte, haben wir schon fest für September vorgemerkt“, so Jutta Sieberz-Pozza. Der Rest der migrativen Schülerschaft darf noch kommen. Maximal werden zwanzig Schülerinnen und Schüler in die DaZ-Klasse aufgenommen. Interessierte können sich mittels des allgemeingültigen Anmeldeformulars, welches auf der Homepage der Schule zu finden ist, unkompliziert einschreiben. Im freundlichen Sekretariat gibt man zu den Geschäftszeiten neben Auskünften und Hilfestellungen auch Anmeldebögen mit. „Wenn Platz ist, nehmen wir notfalls auch im September noch jemanden auf. Denn jede und jeder ist willkommen!“, so die Schulleiterin.
Natürlich werden auch Fächer wie Mathematik, Englisch oder Geographie in den DaZ-Vorkursen unterrichtet. Vornehmlich wird es aber darum gehen, deutsche Sprachkenntnisse zu vermitteln. Denn oft hapert es bei den jungen Menschen mit internationaler Geschichte genau an dieser Grundlage, die das Fundament zur Integration in Deutschland und damit auch ins Bildungssystem darstellt. Während die Schülerinnen und Schüler mit deutschem Hintergrund in den sogenannten Vorkursen im Durchschnitt sieben Stunden ‚normalen‘ Deutschunterricht genießen, dürfen die DaZler im ersten Halbjahr 14 Wochenstunden Deutsch lernen. Im zweiten Schulhalbjahr sind es noch sechs DaZ-Stunden und schon sechs Stunden Deutsch als Fremdsprache. Deshalb heißt dieser Kurs auch geteilter Vorkurs.
„Ziel dieser DaZ–Klasse ist die Vermittlung der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Denn wie soll eine Schülerin oder ein Schüler, mag sie oder er noch so intelligent sein, Geschichte, Biologie oder Physik verfolgen können, wenn die Grundlage dafür, die Beherrschung unserer Sprache, nicht vorhanden ist?“, so Jutta Sieberz-Pozza. Mit den neuen DaZ-Vorkursen aber werden die Befähigungen der Schülerinnen und Schüler, aktiv am Regelunterricht teilzunehmen, wachsen. Das ist aber nicht alles, denn nur durch die Beherrschung der Landessprache kann auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben besser gelingen.
Da das Lehrerkollegium von jeher schon sprachlich sensibel arbeitet, werden in der Unterrichtung keine unüberwindbaren Hürden genommen werden müssen und auch in der personellen Situation keine Engpässe auftreten. Eine Handvoll Lehrkräfte, die den DaZ-Unterricht profund abdecken kann, steht gewissermaßen schon in den Startlöchern. Darüber hinaus wurde noch eine Lehrerin zur Verstärkung eingestellt.
Hinzu kommt, dass es wird regelmäßige Fortbildungen geben wird, die die integrative Vermittlung des Deutschen und die dazugehörige Sprachkompetenz behandeln. Durch die eigene DaZ-Ausbildung und durch ihre Auslandsaufenthalte hat Jutta Sieberz-Pozza auf diesem Gebiet ohnehin das perfekte Netzwerk. Und last but not least – die Schullleiterin spricht alle möglichen Sprachen, darunter Russisch, Albanisch, Serbisch, Spanisch, Französisch und Englisch.

Sprache öffnet Türen
Unumstritten befinden sich Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in einer besonderen Lebens- und Lernsituation. Jutta Sieberz-Pozza kann davon ein Lied singen. Derzeit besuchen knapp zehn vornehmlich aus Syrien stammende junge Geflüchtete die Regelklassen des Theresianums. Jede und jeder von ihnen hat sein eigenes leidvolles Schicksal. Durch den Verlust von Heimat, Freunde und manchmal auch Familie sowie die dadurch entstandene Entwurzelung müssen sich die jungen Schutzsuchenden nicht nur mit einer neuen Sprache, sondern auch mit einer anderen Kultur auseinandersetzen. „Täglich werde ich mit individuellen Fluchtgeschichten konfrontiert. Da gibt es beispielsweise Elayla. Sie ist mit ihren Eltern vor den Taliban geflohen. Sie hatte keinen Unterricht, es gab für sie keine Schule. Sie hat alles in ihrem Land zurückgelassen, auch viele Emotionen. Wir hören solche Episoden immer nur im Radio oder Fernsehen, aber hier am Theresianum haben wir das live. Jugendlichen wie Elaya zu helfen, ist neben dem allgemeinen Bildungsauftrag eines unserer großen Anliegen. Und dieses fängt beim Erlernen der deutschen Sprache an. Sprache öffnet Türen zu beruflichen Perspektiven, aber auch zum Herzen“, soziale Angelegenheiten sind Jutta Sieberz-Pozza genauso wichtig wie Bildung. ‚Hauptfach Mensch‘ steht nicht umsonst im Flyer und auch der Slogan ‚Schule mit Aussicht‘, der sich durchaus nicht nur auf das eingangs erwähne Altstadtpanorama beschränkt, haben am Theresianum ihre Berechtigung.
Eine zweite Chance bekommt jede und jeder
Das Theresianum ist wie ein Mosaik und setzt sich unter anderem aus folgenden Komponenten zusammen: Da gibt es die freundlich-modernen Räume, Kuschel- oder Lernecken zum Zurückziehen oder die Hauskapelle, die mit ihren Holzverkleidungen eine angenehme Geborgenheit ausstrahlt. Nette Menschen laufen durch die Flure. Ein Psychologe und eine Beratungslehrerin stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. Und einen Hausmeister, der gleichzeitig Koch ist und auch noch die komplexe EDV betreut, ist unersetzlich. Jede Schülerin und jeder Schüler arbeitet mit einem frei zur Verfügung gestellten Tablet. Die Caritas-Schulen gGmbH und das gesamte Personal tun alles Mögliche für den Lernerfolg ihrer Schützlinge und den Wohlfühlcharakter des Hauses.
Der letztes Jahr verabschiedete langjährige Schulleiter, Pater Roland Hinzer, hat in Hinsicht auf das Konzept des Spätberufenen Gymnasiums mehr als einmal gesagt: „Eine zweite Chance bekommt jede und jeder.“ Das trifft auf die deutschen Schülerinnen und Schüler, die aus den unterschiedlichsten Beweggründen den Weg zum Theresianum finden, zu, aber auch auf die potenziellen Schülerinnen und Schüler der DaZ-Klassen. Niemand kann etwas für Schicksalsschläge, die den Verlauf des Lebens in eine nicht absehbare Richtung verschieben. Angekommen in unserem Land, in unserer Stadt, heißt es, genau an dieser Stelle anzusetzen, um Weichen zu stellen – bei Muttersprachlern wie bei Fremdsprachlern. Jutta Sieberz-Pozza dazu: „Wir möchten Bildung und Wissensdurst fördern sowie Talente und Fähigkeiten entdecken. Deshalb gehen wir sehr sorgfältig mit Bildungsbiographien um. Insbesondere bei unseren ausländischen Jugendlichen müssen diese erst einmal vorsichtig ausgegraben werden, weil sie oft verschütt gegangen sind. Hier eine neue Möglichkeit zu schaffen und den Weg von der Ärztin über den Ingenieur bis hin zur Informatikerin von morgen vorzubereiten, halte ich in Zeiten wie diesen für ganz besonders wichtig.“
Hinweis: Die Namen der Personen mit Migrationshintergrund sind von der Redaktion geändert. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.