Haben Schüler:innen im Bereich Mathematik weniger gelernt, weil sie von Schulschließungen während der Corona-Jahre 2020 und 2021 betroffen waren? Diese Frage konnte das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe nun erstmals anhand eines Vergleichs verschiedener Schuljahrgänge beantworten.
Anhand einer langfristigen Anlage des Nationalen Bildungspanels (NEPS) kann die Entwicklung der Mathematik-Kompetenzen von Jugendlichen von der 7. bis zur 9. Klasse verfolgt werden. Dies im Vergleich zweier Jahrgänge, von denen einer die Sekundarstufe mit, der andere ohne Pandemie durchlaufen hat. Die Ergebnisse zeigen, wie das Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) nun mitgeteilt hat, dass die Einschränkungen der Corona-Jahre keinen negativen Effekt auf die Mathematik-Kompetenzen der untersuchten Jahrgänge hatten. Zudem bestätigte das Ergebnis nicht die in diese Richtung gehenden Vermutungen der PISA-Studie und des IQB-Bildungstrends aus dem Jahr 2022.
Denn Befürchtungen einer lebenslangen Benachteiligung der „Generation Corona“, also Schüler:innen, die von den Schulschließungen betroffen waren, wurden schon während der Pandemie in drastischen Bildern geschildert. Dass die Einschränkungen tatsächlich deutliche Folgen auf das Lernen hatten, wurde zwar mittlerweile in zahlreichen Studien beschrieben. Auch Ergebnisse aus dem NEPS zeigten bereits 2021, dass Schüler:innen beim Distanzunterricht weniger Zeit in das Lernen investierten. Studien wie der IQB-Bildungstrend und PISA zeigten 2022 außerdem deutliche Kompetenzrückstände zwischen Neuntklässler:innen der Coronazeit und Neuntklässler:innen aus sieben beziehungsweise drei Jahren zuvor unternommen Studien. Allerdings können die in diesen wiederkehrenden Querschnittstudien gefundenen Unterschiede auch andere Ursachen haben, so das LifBi weiter. Sie lassen sich also nicht zuverlässig als Effekte der Corona-Pandemie interpretieren.
Befürchtungen können nicht bestätigt werden
Die Auswertung der NEPS-Daten bestätigt die Befunde aus wiederkehrenden Querschnittstudien mit Schüler:innen in der Sekundarstufe in Deutschland also nicht. Im Gegenteil: Die Kompetenzzuwächse von der 7. bis zur 9. Klasse fallen in Mathematik bei beiden Alterskohorten nahezu identisch aus. In beiden Kohorten gibt es in fast gleichen Anteilen überdurchschnittliche beziehungsweise unterdurchschnittliche Kompetenzwerte. Die Kompetenzen sind in beiden Kohorten im Mittel gleich stark ausgeprägt, unabhängig davon, ob die Kinder Schulschließungen erlebt haben oder nicht. Auch wenn Gruppenunterschiede zwischen Mädchen und Jungen, Schüler:innen an Gymnasien im Vergleich zu Schüler:innen anderer Schulformen und Jugendlichen aus akademischen beziehungsweise nicht-akademischen Elternhäusern berücksichtigt werden, zeigen sich parallele Zuwächse für die verschiedenen Gruppen über die beiden Kohorten hinweg.
„Die Vermutung, dass es durch die Pandemie zu Einbrüchen in den Mathematik-Kompetenzen der betroffenen Jugendlichen gekommen ist“, fasst Autorin Dr. Lena Nusser die Ergebnisse der Studie zusammen, „lässt sich mit den Daten des Nationalen Bildungspanels nicht bestätigen. Obwohl das Lernen in der Pandemie weniger strukturiert war, die Schülerinnen und Schüler weniger Kontakt zu Lehrkräften hatten, mehr auf sich gestellt waren und weniger Zeit in das Lernen investiert wurde, ist der Kompetenzzuwachs in der Sekundarstufe vergleichbar mit dem von Jugendlichen, die ihre Schulzeit normal durchlaufen haben.“ Diese vergleichsweise positiven Ergebnisse gelten für den Bereich Mathematik, oder genauer für mathematische Kompetenzen, wie sie im Rahmen der NEPS-Studie erfasst wurden.
Kompensation durch selbstgesteuertes Lernen?
Ein Grund für die kaum vorhandenen negativen Effekte auf die Leistungsentwicklung könnte darin liegen, dass bei Jugendlichen in der Sekundarstufe die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen deutlich stärker ausgeprägt ist als beispielsweise bei Grundschüler:innen. Die Jugendlichen konnten die Einbußen durch Corona womöglich selbst recht gut kompensieren – zumindest im Bereich Mathematik.
Ob die Pandemie in anderen Bereichen, insbesondere emotional und motivational, längerfristige Folgen für die Jugendlichen hat, lässt sich aus den Befunden jedoch nicht ableiten. Offen bleibt auch, welche Auswirkungen die Corona-Einschränkungen auf die Kompetenzentwicklung von jüngeren Schüler:innen unterhalb der 7. Klasse hatten.