In jeder Ausgabe des Stadtechos legen wir einer Bamberger Persönlichkeit einen Fragebogen vor. Diesmal hat Martin Neubauer die Fragen beantwortet. Er ist Leiter des Bamberger Brentano-Theaters.
Herr Neubauer, was mögen Sie am Theater besonders, was nicht?
Ich finde Theater großartig, wenn es um Inhalte ringt, Fragen aufwirft, Schönes beschwört, auf Gefahren der Zeit reagiert, Sprache ernst nimmt. Als Selbstzweck oder Tummelplatz persönlicher Eitelkeiten ist es einfach nur hohl und öde.
Was braucht gutes Theater?
Grenzenlose Neugierde, Liebe zur Sache und zum Publikum, solide gelerntes Handwerk, auch – unzeitgemäß – ein Stück Demut.
Was kann auf einer sehr kleinen Bühne, wie sie das Brentano-Theater hat, entstehen, das auf einer größeren nicht entstehen kann?
Ganz leise Töne, unmittelbarer Publikumskontakt, zerbrechliche Texte, die in einem großen Saal untergehen würden. In beinah freundschaftlicher Gemeinsamkeit mit den Gästen erproben, ob diese oder jene Ausgrabung sie anzusprechen vermag.
Wo hält die Bühne die Möglichkeiten Ihrer Theaterarbeit zurück?
Wo sie das tut (sie endet, wenn ich beide Arme ausstrecke), gehe ich einfach woanders hin. In größere Räume oder in den Hain zum Beispiel.
Welches ist Ihr Lieblingswerk von Brentano, welches können Sie nicht leiden?
Sehr viele seiner Gedichte und Märchen liebe ich. Stellvertretend seien „Schwanenlied“ und „Baron von Hüpfenstich“ genannt. Es ist die „Musik im Leib“, die ihm Nietzsche bescheinigt hat, die seine Sprache oft so aufregend macht. Tatsächlich kann ich nicht leiden, wenn er unreflektiert zeitgebundene Vorurteile und Klischees aufgreift.
Würden Sie gerne öfter Fahrrad fahren?
Das tue ich jeden Tag. Als Schüler habe ich die Umweltprognosen in „Global 2000“ gelesen und deshalb den Führerschein verweigert.
Zahlen Sie gerne Rundfunkgebühren?
Da freie Presse lebenswichtig für Demokratie ist: klares Ja!
Töten Sie Insekten?
Ich liebe Albert Schweitzers Essay „Ehrfurcht vor dem Leben“ und bemühe mich um diese Haltung. An Zecken, Motten und Obstfliegen scheitere ich dabei kläglich.
Darf man in Ihrem Schlafzimmer rauchen?
Auf die Idee ist noch niemand gekommen.
Welche Drogen sollten Ihrer Meinung nach legalisiert werden?
Britische Symphonien (Ralph Vaughan Williams, Arnold Bax, Arthur Butterworth) in deutschen Konzertsälen.
Ihr Leben wird verfilmt. Welcher Schauspieler sollte Sie spielen?
Das wird zum Glück nie passieren.
Wie viele Apps sind auf Ihrem Smartphone? Welche benutzen Sie am meisten?
Auf mein Handy aus der späten Jungsteinzeit kann ich keine Apps laden.
Wovon waren Sie zuletzt überrascht?
Dass ich diesen Fragebogen ausfüllen werde.
Was ist Ihr größter Wunsch?
Kein origineller, aber ein großer: Dass die Menschheit Frieden und Verantwortung für diese Natur lernt. Ich werde also lebenslang träumen.
Was war Ihr schönster Bühnenmoment?
Jeder in dem es gelingt, ein Herzensanliegen weiterzugeben.
Haben Sie ein Lieblingsgeräusch?
Bachplätschern und Vogelgezwitscher, aber das ist ja fast schon Musik.
Welchen Luxus leisten Sie sich?
Kein Auto zu haben.
Wovor haben Sie Angst?
Dass Klima-Desaster und nationaler Egoismus die Generation unserer Kinder in eine grausame Zukunft führen könnten.
Wann haben Sie zuletzt geflirtet?
Jede Vorstellung ist ein gewisser Publikumsflirt.
Wann und warum hatten Sie zum letzten Mal Ärger mit der Polizei?
Ich bin im Zeitdruck unverzeihlich bei Rot über die Ampel geradelt. Aber ich hatte Glück. Der Polizist meinte nur: „Falls Sie es nicht wissen: Verkehrsregeln gelten auch für Romantiker.“ Oh, ich liebe Bamberg!
Worüber haben Sie sich zuletzt geärgert?
Es gibt derzeit leider so viel, um schockiert zu sein, dass kaum Zeit zum harmlosen Ärgern bleibt.
Auf welchen Moment Ihrer Laufbahn waren Sie am schlechtesten vorbereitet?
Auf mein zweijähriges Engagement in Essen. Ein Franke im Ruhrpott – ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet.
Gibt es einen wiederkehrenden Albtraum, der von Ihrem Beruf handelt?
Wer mitunter auf der Bühne steht, kennt ihn wahrscheinlich: volles Haus und keine Ahnung, was gespielt wird.
Was ist Ihr Lieblingsschimpfwort?
Fregger. Es ist ja zugleich ein Kosewort.
Bei welchem historischen Ereignis wären Sie gern dabei gewesen?
„Anlässlich des Einzuges Kaiser Ludwigs des Bayerns in München im Isartor im Jahr 1333, glaub i.“ (Karl Valentin).
Was ist Ihre schlechteste Angewohnheit?
„Jein“ sagen, wenn ich „nein“ sagen möchte.
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Aus Liebe begangene.
Ihre Lieblingstugend?
Auch wenn es kitschig klingen mag: Herzenswärme.
Ihr Hauptcharakterzug?
Das Beste kommt noch. Bleib dran!
Was mögen Sie an sich gar nicht?
Wenn ich durch persönliches Chaos Antworten versäume. Ich kann das an mir wirklich nicht leiden. Aber es passiert leider manchmal. Darf ich die Chance nutzen, Betroffene hier förmlich um Entschuldigung zu bitten?
Was hätten Sie gerne erfunden?
Eine Impfung gegen Krieg. Aber dann gäbe es wahrscheinlich Demonstrationen dagegen.
Haben Sie ein Vorbild?
Sollte ich in der Lage sein, sinnvoll Gedichte zu sprechen, so habe ich das in den unvergleichlichen Liederabenden von Dietrich Fischer-Dieskau gelernt. Ich habe während meiner Zeit an der Schauspielschule in München keinen ausgelassen.
Wofür sind Sie dankbar?
Für jeden gesunden Tag Leben.
Was ist Ihr Lieblingsbuch, Lieblingsalbum, Lieblingsfilm?
Oh, da stünde eine lange Liste an! Mit großen Unterlassungsbedenken: Robert (!) Walser „Träumen“. Sämtliche Schubert-Lieder mit Fischer Dieskau (21 CDs), Karl Valentin „Orchesterprobe“.
Was lesen Sie gerade?
„Geist und Müll“ von Guillaume Paoli.
Welches Buch haben Sie zuletzt nicht zu Ende gelesen?
Goethes „Wilhelm Meister“.
Welche Musik hören Sie nur heimlich?
Mitschnitte von meinen eigenen Gesangsversuchen als Schüler.
Was war Ihre größte Modesünde?
Kein Modebewusstsein zu haben.
Was zeigt das letzte Foto, das Sie mit Ihrem Handy aufgenommen haben?
Fotos schafft mein Handy leider auch nicht. Beim Sonnenuntergang in den herbstlichen Weinbergen bei Rödelsee habe ich das bedauert.
Mit wem würden Sie gerne eine Nacht durchzechen?
Gut, es sei offen gestanden: mit jenem „Fresser und Weinsäufer“ (Lukas-Evangelium) aus Nazareth. Da wäre ich unendlich neugierig.
Was finden Sie langweilig?
Jede Form von Eitelkeit, egal, wie berühmt die Person ist.
Sie sind in einer Bar. Welches Lied würde Sie dazu bringen zu gehen?
Aggressiver Rap.
Was ist Ihre Vorstellung von Hölle?
Wie es bei Dante in der „Göttlichen Komödie“ steht: „Wenn Du hier eintrittst, gib alle Hoffnung auf!“ Gar nichts mehr am Schrecklichen ändern zu können.
Wie glauben Sie, würde der Martin Neubauer von vor zehn Jahren auf den Martin Neubauer von heute reagieren?
Wieso regst du dich gerade nicht auf?
Gibt es etwas, das Ihnen das Gefühl gibt, klein zu sein?
Positiv: jeder Blick auf Berge, Meer oder in den Sternenhimmel, jede große Dichtung und Musik. Negativ: die täglichen Schreckens-Nachrichten und die Ohnmacht, etwas daran zu ändern.
Ich kann nicht leben ohne…
Meinen Sohn, liebe Freundinnen und Freunde, Musik, Arbeit und einen Rest-Glauben an das Gute.
In welchen Club sollte man unbedingt gehen?
In den 24 Stunden geöffneten der toten Dichterinnen und Dichter.
Sind Sie Tänzer oder Steher?
Weder noch. Eindeutig Geher.
Was war die absurdeste Unwahrheit, die Sie je über sich gelesen haben?
Dass mein Vater mir den Berganza-Preis des Kunstvereins vermacht hätte. Zu dieser Zeit war er todkrank und längst nicht mehr Vorsitzender.
Welches Problem werden Sie in diesem Leben nicht mehr in den Griff bekommen?
Dass mein ethischer Anspruch an mich hinter meiner alltäglichen Realität zurückbleibt.
Das Stadtecho gibt eine Runde aus. Was trinken Sie?
Silvaner.