Waren das noch Zeiten, als sich nur ein paar einzeln Versprengte zum Proseccostößchen in der Königstraße getroffen haben. Aus den zwei, drei vorbildhaften Irrlichtern sind inzwischen ein paar Hundert auf der unteren Brücke geworden, die Wochenende für Wochenende nicht nur mit Prosecco anstoßen.
Da helfen Verzicht auf To-go-Verkauf und Alkoholverbot herzlich wenig. Während die Polizei frühestens in dem Moment eingreift, wo mehr Promille als Menschen auf den Brückenmauern tanzen, kneift der Stadtrat – wie so oft, wenn es um naheliegende Angelegenheiten von Anwohnern geht – mit aller Gewalt die Augen zu und setzt auf Dialog (a.k.a. Blahblah).
Aber das ist nichts Neues. Die Innenstadt wurde über Jahre hinweg zum gesetzlosen Raum. Das ewig bemühte “Selbst schuld, wenn man da wohnen muss” hat sich fest in die Gehirne des gemeinen Party- und Eventstadtrats eingebrannt. Man hat sich auf der Insel bereits daran gewöhnt, dass sich nach den Sauf- und Fressevents auf dem Maxplatz Schneisen der Verwüstung – gesäumt von halbverdauten Essensresten und Urin – aus der Innenstadt nach draußen ziehen. Die Anwohner, schon gar nicht einzelne, zählen bei konkreten Problemen nicht. Selbst schuld!
Und nicht nur hier. Schaut man auf die Diskussionen rund um den Entscheidungsprozess in der Erlichstraße, fühlt man sich in seinem Verdacht nur bestätigt. Auf Basis einer wild ausgelegten Unterschriftenliste an einem Kiosk sollen politische Meinungsbildung erfolgt und Entscheidungen getroffen worden sein, wieder getreu dem Motto: Das Individuum ist selbst schuld, wenn es da wohnt, wo andere einen Gang hochschalten wollen, entweder auf dem Fahrrad oder im Vollrausch. “Soll es halt wegziehen, wenn es hierhergezogen ist. Oder sterben, wenn es schon immer hier lebt!”
Und während da viele den nächsten Fahrrad-Lobbyisten-Skandal vermuten, zuckt unser Andi entspannt mit den Schultern und verweist auf gute, alte Kaffee-Kiosk-Traditionen: “Stellt euch net oooh, wecher denna boäh Fahrräder dohindn! Jahrelang hammer unser Personal ohne große Unterschriftenlisten vom Rondo aus nauf- und nundergruppiert und beföddert! – Hod ah kann gstört!”
Apropos! Es kommt Bewegung in die Sache, seit der zweite Bürgermeister laut und deutlich von unrechtmäßigen Vergütungen spricht, die – er sei sehr froh darüber – vom Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband aufgedeckt wurden. Man könnte fast meinen, dass da jemandem das monatelange Schöngeschwurbel der städtischen Pressestelle gewaltig auf den Keks gegangen ist. Aber auch nur fast, denn eigentlich hat er ja auch nur das per Facebookkommentar in die Welt hinaus gepostet, was die Welt schon weiß.
Man darf den Kommentar unter dem Facebookposting eines einschlägig bekannten Kleinstadtkabarettisten nicht überbewerten, aber im Rathaus scheint die Stimmung nicht ganz so andisonnenorange wie offiziell propagiert. Es könnte der Auftakt zu einer größeren, öffentlichen Diskussion um politische Konsequenzen im ÜberstAndi-Skandal sein. Ob unser aller Andi bis zum Ende der Legislatur im Amt bleibt? Und wenn nicht, was gibt für ihn den Ausschlag dazu, die zur Tradition gewordenen Razzien im Rathaus lieber aus der Ferne zu beobachten. Wird unser Andi zum bemitleidenswerten Bauernopfer zwischen kruden Rechtsauffassungen und haarsträubenden Pressesprechfloskeln, zum Boxsack von Münchner Prüfungskleinkariertheit und überambitionierter Staatsanwaltschaft? Spannende Wochen stehen uns bevor!
Aber auf Individuen, das haben wir gelernt, kann keine Rücksicht genommen werden. Selbst schuld!