„Manchmal haben wir das Gefühl, dass die Stadt unser Wachstum als Festival und Institution übersehen hat.“ Am 23. Januar beginnt Bayerns ältestes Kurzfilmfestival, die Bamberger Kurzfilmtage, zum 33. Mal. An fünf Spielorten laufen insgesamt 70 Filme. Wir haben zwei der Macherinnen zum Interview getroffen.
Katharina Breinbauer leitet die Bamberger Kurzfilmtage zum zweiten Mal. Mit ihrem Team hat sie aus etwa 700 Einsendungen die besten Filme für die Wettbewerbs-Kategorien „Spielfilm“, „Doku“, „Experimental- und Animationsfilm“, „Kinderfilm“ und den Regionalfilmwettbewerb „Made in Oberfranken!“ ausgewählt.
Zu sehen sein werden die Kurzfilmprogramme vom 23. bis 29. Januar in den Kinos „Lichtspiel“ und „Odeon“, in der KUFA, der Stadtbücherei und – dieses Jahr neu dabei – in der VHS. Außerdem stellen die Kurzfilmtage zwischen dem 23. Januar und dem 5. Februar ihr Programm auch online zur Verfügung. Zu gewinnen gibt es dabei wie immer den Bamberger Zentauren aus massiver, mit Gold bestäubter Schokolade, gestaltet von Bildhauer Adelbert Heil.
Außerhalb des Wettbewerbs laufen 2023 Filme aus Frankreich und – ein besonderes Anliegen des Festivalteams – aus der Ukraine.
Wir haben mit den Vorständen Katharina Breinbauer und Mariya Zoryk über das Festival, inhaltliche Schwerpunkte des Programms, Qualität der Filme, Unterschiede zwischen Kurzfilmen aus der Ukraine und Deutschland und gedeckelte Förderung gesprochen.

Zur Schnapszahl des 33-jährigen Bestehens zeigt ihr das selbstkuratierte Filmprogramm „Schnapsrolle“ zu den Themen „Rausch und Ekstase“. Was wird es dabei zu sehen geben?
Katharina Breinbauer: Wenn wir ein Programm selbst kuratieren, gehen wir in unserem Programmarchiv immer querbeet auf die Suche. In den unterschiedlichsten Rubriken gab es bei den Kurzfilmtagen schon Beiträge zu Themen wie „Rausch“, „Feiern“, oder „Schnapsidee“. Wir konnten also aus einem großen Angebot alter Einsendungen schöpfen – das wird ein wildes Programm. Und passend dazu werden wir auch einen Kurzfilm-Kurzen haben, eine feine Schnapsauswahl einer Schlüsselfelder Brennerei.
Mariya Zoryk: Wobei wir vielleicht auch Filme mit ins Programm nehmen, in denen es nicht unbedingt nur um Alkohol oder Drogen gehen muss, sondern die zum Beispiel, was die Machart angeht, ganz abgefahrene Animationen zeigen. Sachen, bei denen man im Kinosaal auf eine Art Trip mitgenommen wird.
Im internationalen Filmprogramm der Bamberger Kurzfilmtage zeigt ihr Filme aus Frankreich und der Ukraine. Der französische Vertreter ist das Mockumentary-Festival „On vous ment!“ aus Lyon. Warum habt ihr diesen Kooperationspartner ausgewählt?
Katharina Breinbauer: Bei diesem Teil der internationalen Programm-Kooperation ging es uns eher um das filmische Genre, dem sich dieses französische Festival verschrieben hat – die Mockumentary. Das sind Parodien auf Dokumentationen. Solche Filme hatten wir schon öfter und sie sind immer ein Highlight im Programm der Kurzfilmtage, weil man damit das Publikum auf ganz eigene Weise erreichen kann. Vorher diskutieren wir immer, ob wir die Mockumentaries im Dokumentations- oder Spielfilmprogramm zeigen. Obwohl, selbst wenn sie im Spielfilmprogramm laufen, fällt meiner Beobachtung nach meistens nur bei der Hälfte des Publikums der Groschen. Die andere Hälfte ist geschockt und hält es für skurril, aber eben real.
Die zweite internationale Kooperation seid ihr mit dem ukrainischen Dovzhenko Centre eingegangen, das die acht besten ukrainischen Kurzfilme der letzten zwei Jahre im Programm „Ukrainian New Wave“ zeigt. Wie kam es dazu?
Mariya Zoryk: Wir hatten dieses Jahr schon einige ukrainische Themen im Programm. Als erste Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und als erste Organisation Bambergs haben wir im Frühjahr eine Hilfsaktion gestartet. Ich habe außerdem, weil ich auch beim Ukrainian Film Festival Berlin arbeite, Verbindungen zu ukrainischen Filmschaffenden. So konnten wir im April die Filmreihe „Stand with Ukraine“ im Odeon zeigen. Unsere Kooperation mit dem Dovzhenko Centre ist jetzt so etwas wie eine Zusammenfassung unseres ukrainischen Jahresprogramms. Das Dovzhenko Centre ist das größte Kinozentrum mit Filmarchiv in der Ukraine, das unglaublich viel für das Erhalten und Popularisieren des ukrainischen Filmerbes und das, was Potenzial für die filmische Zukunft des Landes hat, tut.
Hat sich der Krieg in den acht Filmen bereits niedergeschlagen?
Mariya Zoryk: Nein, die Invasion im Februar noch nicht, aber der Krieg im Donbas seit 2014 und die Krimannexion schon. Aber es geht in den Kurzfilmen nicht nur um den Krieg. Ich glaube, das ist bei einem ukrainischen Programm wichtig zu betonen, dass es im ukrainischen Kino nicht automatisch um den Krieg gehen muss.
Welche Unterschiede bestehen zwischen französischen, ukrainischen und deutschen Kurzfilmen?
Mariya Zoryk: Mit französischen Kurzfilmen kennen wir uns nicht genug aus, um das zu beantworten. Aber was den Unterschied zwischen deutschen und ukrainischen Kurzfilmen angeht, würde ich sagen, dass ukrainische sich viel öfter mit Themen wie Architektur und Urbanistik beschäftigen. Ukrainische Städte sind oft viel dynamischer und befinden sich noch viel mehr in einem Selbstfindungsprozess, weil das sind wir ja auch als Staat. Manche sind erst nach dem 2. Weltkrieg neu gebaut worden oder hatten jahrzehntelang nur ein sowjetisches Erbe.
Katharina Breinbauer: Dafür werden in deutschen Kurzfilmen Generationenkonflikte viel mehr behandelt, also Vergangenheitsbewältigung oder politische Aufarbeitung eigener Familiengeschichten.
Mariya Zoryk: Was in deutschen Kurzfilmen thematisch auch viel stärker vertreten ist, ist das Thema der Migration. Dazu haben wir bei den Kurzfilmtagen jedes Jahr bestimmt 20 Filme.
Festival-Patin ist 2023 die deutsch-amerikanische Filmregisseurin Janna Ji Wonders. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Mariya Zoryk: Wenn man sich unsere künstlerischen Paten der letzten Jahre anschaut, sieht man berühmte Persönlichkeiten, wie in den letzten Jahren Matthias Eggersdörfer, Dieter Wieland oder Klaus Vormann. Mit Janna Ji Wonders konnten wir wieder eine starke, mit ihrem filmischen Schaffen herausragende Künstlerin für unser Festival gewinnen. Sie hat ihre Karriere mit Kurzfilmen gestartet und wurde zuletzt für ihren Langfilm „Walchensee Forever“ mit dem bayerischen Filmpreis und dem Berlinale Kompass-Perspektive Preis ausgezeichnet. Die Möglichkeit, sich mit den filmischen Arbeiten unserer Festivalpaten auseinandersetzen zu können, ist uns sehr wichtig, und im Fall von Janna Ji Wonders ist es besonders interessant, gemeinsam nochmal frühere Werke zu zeigen.
Katharina, die Kurzfilmtage 2023 sind die zweiten, bei denen du als Festival-Leiterin dabei bist. Was wirst du 2023 anders machen als 2022?
Katharina Breinbauer: Ich werde mich sicherlich während der Festivalwoche nicht auch noch um die technische Durchführung kümmern. Das hat mich 2022 echt an die Grenzen gebracht. Man hat so viele Termine, dass eigentlich keine Zeit bleibt, um zum Beispiel nachts noch Filmkopien zu erstellen. Diesmal haben wir dafür ein eigenes Technikteam und bereiten noch mehr im Vorfeld vor.
Macht sich bei der Organisation die Pandemie noch bemerkbar?
Katharina Breinbauer: Das ist immer noch ein stetes Bauchschmerzen-Thema, je näher der Winter kommt. Letztes Jahr sind wir sehr optimistisch in den Winter gegangen und dann kam diese 25-Prozent-Belegungs-Vorschrift für Kulturräume. Wir hoffen natürlich sehr, dass es diesmal nicht wieder so kommt, weil wir sehr stark von den Ticketeinnahmen abhängen. Aber zur Sicherheit wird das Festival in Teilen auch online stattfinden. Finanziell steckt uns der „Corona Haushalt“ aber noch immer in den Knochen.
Mit der VHS in der Tränkgasse habt ihr 2023 auch einen neuen Spielort.
Katharina Breinbauer: Es ist uns ein Kernanliegen, in Präsenz stattzufinden. Wir wollen echte Kinomomente bescheren und während des Festivals die Königstraße zur Filmmeile machen. Das wird, glaube ich, richtig toll mit Lichtspiel, VHS, einem Kurzfilmcafé im Leerstand, dem Odeon ums Eck und unser Büro, die Schaltzentrale sozusagen, ist auch mittendrin. Mit der Volkshochschule waren wir schon länger im Gespräch. Bis jetzt hatte es aus Termingründen nicht geklappt, aber für 2023 konnte sie uns in ihre Planungen einschließen und wir freuen uns sehr den großen Saal bespielen zu dürfen.
Die Einreichung-Frist für die Kurzfilmtage 2023 ging Anfang September zu Ende. Welche Themen herrschen in den eingeschickten Filme vor?
Mariya Zoryk: Die Themen sind bunt gemischt wie immer: Migration, Integration, nationalsozialistisches Erbe, Rassismus in der Gesellschaft und Alltagsprobleme.
Also eher schwere Stoffe. Gibt es auch Komödiantisches?
Mariya Zoryk: Natürlich! Wir haben bei der Sichtung teilweise gut gelacht.
Wie oft kommt Corona thematisch noch vor?
Mariya Zoryk: Ab und zu noch. Aber wir müssen ehrlich sagen, dass die Pandemie in Kurzfilmen keine gute künstlerische Auseinandersetzung gefunden hat, schon darum, weil sie alle sehr ähnlich sind.
Katharina Breinbrauer: Viele Kurzfilmschaffende versuchen zum Beispiel, sich auf der Meta-Ebene des Lebens in der Isolation mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das hat uns einfach kaum angesprochen. Aber andererseits sind fast alle Filme, die wir im Programm haben auf die eine oder andere Weise Corona-Filme. Alle sind unter Corona-Bedingungen entstanden und in manchen wird zum Beispiel das Masketragen im öffentlichen Raum einfach kommentarlos umgesetzt.
Kommt der russische Krieg vor?
Mariya Zoryk: Nein, der Krieg kommt tatsächlich in keinem der Filme, die wir zeigen werden, vor. Das liegt daran, dass sie meistens schon vor Februar entstanden sind.
Wie ist es um die Qualität der 700 Einsendungen bestellt?
Mariya Zoryk: Bei gut 700 Einreichungen und circa 70 Filmen die in unserem Wettbewerbsprogramm laufen, wurde natürlich auch aussortiert. Manchmal ist das Sichten schon zäh, aber spätestens bei der Endsichtung merken wir wieder, wie gut uns viele der Filme im Gedächtnis geblieben sind, mit der Auswahl in diesem Jahr bin ich jedenfalls zufrieden. Was aber ganz allgemein auffällt, ist, dass meiner Meinung nach das Drehbuch häufig einen Schwachpunkt darstellt. Viele Filme widmen sich spannenden, wichtigen Themen, haben eine interessante Figurenkonstellation oder sind technisch einfach überzeugend und beeindruckend gut. Aber an den Dialogen scheitert es dann leider manchmal.
Kann man da eine Mentalität in der Kurzfilmszene ableiten: Lieber ein wichtiges Thema, als es gut zu erzählen?
Katharina Breinbauer: Die Geschmäcker sind natürlich verschieden, aber das ist schon eine Diskussion, die wir in unseren Sichtungsteams haben. Also quasi: Rechtfertigt die gute Geschichte die nicht ganz ausgereifte Umsetzung?
Mariya Zoryk: Ich versuche bei der Sichtung immer daran zu denken, dass wir ein Kurzfilmfestival sind und idealerweise Filme zeigen wollen, die sowohl Filmkunst präsentieren als auch Inhalt haben. Denn nur wegen eines wichtigen Themas oder guter Kamera-Arbeit schafft man es wahrscheinlich nicht ins Programm.
Ein Spezial-Programm, internationale Kooperationen, eine renommierte Patin, ein neuer Vorführort – das klingt nach Wachstum. Wird Bamberg zu klein für die Kurzfilmtage Bamberg?
Mariya Zoryk: Wir würden uns nicht wünschen, dass Bamberg zu klein für Veranstaltungen wie unsere wird, sondern wächst, was Förderung und Finanzierung angeht. Manchmal haben wir das Gefühl, dass die Stadt unser Wachstum als Festival und Institution übersehen hat. Eigentlich sind wir in den letzten Jahren eine gestandene Kulturinstitution geworden mit überregionaler Strahlkraft. Regisseure und Gäste, die zum Festival kommen, schätzen die Stadt unglaublich und schwärmen noch Jahre danach davon. Bamberg kann eine Kinostadt sein.
Katharina Breinbauer: Natürlich bleiben wir in Bamberg – wir sind schließlich die Bamberger Kurzfilmtage. Es ist ein großes Glück, dass wir die beiden mit Preisen ausgezeichneten Programm-Kinos in der Stadt haben und mit ihnen zusammenarbeiten können. Das ist wiederum für die Leute, die mit ihren Filmen herkommen, etwas Besonderes. Aber es gibt in Bamberg eben auch eine Deckelung der Förderung der freien Szene. Und diese Deckelung ist auch eine Deckelung für Wachstum. Die prekären Verhältnisse für den freien Kulturbereich in Bamberg und der Rotstift, der schnell gezückt ist im Bereich der „freiwilligen Leistungen“, machen es einfach schwieriger, in Bamberg zu veranstalten. Davon können leider viel zu viele Gruppen und Veranstalter ein Lied singen.