Umgeben von Streuobst-Wiesen und Wald unterhalb der Altenburg liegt der Bauernhofkindergarten im Bamberger Stadtteil Wildensorg. In der zum Bayerischen Roten Kreuz gehörenden Einrichtung „Kita am Eichelsee“ lernen die Kinder den Umgang mit Tieren, Pflanzen, Wind und Wetter kennen und erleben den Alltag auf einem Bauernhof. Mit der Kita hat sich Pädagogin Kirstin Lips 2016 einen Traum erfüllt. Im April öffnete damals der Bauernhofkindergarten seine Pforten – einer von drei reinen Bauernhofkindergärten bayernweit und für Bamberg ein absolutes Novum.
An diesem ersten warmen Frühlingsmorgen dreht sich auf dem Bauernhofkindergarten-Gelände neben dem Schaf- und Ziegenhof Lips alles um die Samenpralinen. Die Kinder stecken in Lehmkugeln eingerollte Blumensamen in mit Erde gefüllte Pflanztöpfe und präsentieren sich gegenseitig im Morgenkreis ihre Werke. „Derzeit besuchen 23 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren den Bauernhofkindergarten, insgesamt 120 Kinder stehen auf der Warteliste“, sagt Kirstin „Kiki“ Lips, die Initiatorin des Kindergartens. Zusammen mit Michael Ruthrof, Abteilungsleiter Soziale Arbeit beim BRK-Kreisverband Bamberg, hatte sie die Einrichtung 2016 ins Leben gerufen.
Ein Hauch von Bullerbü
„Wir lieben das Baumhaus und unsere Wachteln“, kommt es wie aus einem Mund von Elias, Alva und Simon als Antwort auf die Frage, was sie am liebsten mögen in ihrem Kindergarten. Das 4.000 Quadratmeter große Gelände unterhalb des angrenzenden Schaf- und Ziegenstalls umfasst einen Schäferwagen mit Tischen, Bänken, Regalen und eine Kochnische, ein Gerätehaus, ein Baumhaus mit Schaukeln und Rutsche, einen Unterstand – der Tanzboden – mit Tischen und Bänken und Werkbank, Hochbeete, einen mit Baumstämmen umlegten Sitzkreis mit Feuerstelle in der Mitte sowie ein großes Hühner- und Wachtelgehege, auf dem der Hahn Rudolfo stolz hin und her schreitet.
Auf der großen Wiese am Hang auf dem Gelände spielen die Kinder. Ein Kompost-
toilettenhäuschen mit Waschmöglichkeit befindet sich am Rand des Geländes. 40 Schafe und 7 Ziegen sind es derzeit im Stall nebenan, um die sich die Kindergartenkinder gemeinsam mit der Bäuerin und den Erzieherinnen kümmern.
Die Anfänge
Es war 2015, als Michael Ruthrof vom BRK auf seine ehemalige Studienkollegin Kirstin Lips zugekommen ist mit der Idee eines naturpädagogischen Konzepts für Kleinkinder. Ihm war bekannt, dass die Eltern von Kirstin, Maria und Hans-Jürgen Lips, seit 1995 einen kleinen Bioland Schaf- und Ziegenhof im Nebenerwerb mit dazugehörigem Hofladen im zentrumsnahen Bamberger Stadtteil Wildensorg betrieben und ab und zu in Zusammenarbeit mit der VHS Bamberg Kurse für Kinder anboten wie etwa „Vom Schaf zur Wolle“ oder Honig-Herstellung – gute Voraussetzungen für eine Kita in der Natur.
„Im Bamberger Raum war und ist es oft nicht bekannt, dass das BRK neben dem Blaulicht- und Pflegebereich immer schon in der Kinder- und Jugendbetreuung engagiert ist. Das BRK hat es sich zum Ziel gemacht, diesen Bereich auszubauen. Und dann kam 2015 die Idee des Projekts „Stall-Luft-schnuppern“, das wir dann als zahnteilige Kursreihe selbst organisiert hatten“, sagt Michael Ruthrof. Dabei wurden auf dem Hof einmal wöchentlich zusammen mit Kindern unter drei Jahren in Begleitung ihrer Eltern naturpädagogische Aktionen unternommen. „Aus dieser einen wurden bald drei Gruppen, die Nachfrage war riesig“, so Ruthrof. Eine Umfrage unter den Eltern, bei der es um die Etablierung einer festen Betreuungseinrichtung auf der Hofstätte ging, bestätigte den Bedarf und Wunsch nach einem Bauernhof-Kindergarten am Stadtrand; die Stadtverwaltung stimmte zu – der Bauernhof-Kindergarten war geboren.
Das BRK pachtete dafür dann die an den Hof angrenzende Wiese als Ort für den Kindergarten. „Diese Umfrage bezeugte, dass unter vielen Eltern schon lange der Wunsch nach einer naturnahen Kinderbetreuung da war – trotz aller so genannten Widrigkeiten wie Wetter, etwas höhere Beiträge und kürzere Betreuungszeiten.“
Traum wurde wahr
„Es war immer mein Traum, ökologische Landwirtschaft und Pädagogik beruflich unter einen Hut zu bringen,“ sagt Kirstin Lips. Die Idee ihres Studienkollegen kam also goldrichtig. Auf dem Hof ihrer Eltern und im Hofladen hatte sie immer wieder mitgeholfen, auch bei den naturpädagogischen Aktionen für Kinder. Vorher unterrichtete die gelernte Erzieherin und studierte Sozialpädagogin mehr als zehn Jahre lang an der Berufsfachschule für Kinderpflege in Forchheim. „Aber die Arbeit mit den Kindern in der Natur und die Frage „wo kommt eigentlich mein Essen her?“ hatten mich immer fasziniert. Diese Möglichkeit der Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Pädagogik ist genau mein Ding.“
Tagesablauf
Der Tag beginnt auf dem Bauernhofkindergarten zwischen 8 und 8:30 Uhr in Wildensorg an einer Hütte, zu der die Kinder von ihren Eltern gebracht werden. Dann geht es zu Fuß weiter zum Kindergarten unterhalb des Stalles. Der Weg ist dabei das Ziel. „Es gibt jeden Tag etwas anderes zu entdecken, wir hören zum Beispiel im Morgenkreis den Distelfink singen, der dort gerne in der Hecke sitzt. Blindschleichen, Raupen, Spinnen und alle Arten von tierischen Hinterlassenschaften finden wir in den Hecken oder auf unserem Weg zum Bauernhof und lassen uns staunen. Im März freuen wir uns über die ersten Frühblüher in gelb, weiß und lila nach all den matschigen, braunen, selten weißen Wintermonaten.“
Auf dem Hof angekommen werden die Kinder nochmals gezählt, der Tagesablauf wird gemeinsam abgestimmt. Jeden Tag darf ein Kind den Morgenkreis moderieren und im Anschluss ein Lied, ein Spiel, eine Geschichte oder ein Rätsel aussuchen. Im Anschluss gibt es Frühstück. Je nach Wetter an drei unterschiedlichen Plätzen: im Schäferwagen, auf dem Tanzboden oder im Tippikreis.
In der Freispielzeit zwischen 10 und 12 Uhr wuseln die Kinder in allen Ecken des Kita-Geländes. Sie können selbst bestimmen, ob sie Stalldienst bei den Hühnern und Wachteln oder bei den Schafen und Ziegen machen, beim Mutter- und Vatertags-Geschenk-Basteln mitmachen oder einfach nur spielen. Zwei Erzieherinnen, eine Kinderpflegerin (alle Teilzeit) und zwei SEJ-PraktikantInnen betreuen die Kinder von Montag bis Freitag. Die beiden Köchinnen Diana und Daniela bereiten abwechselnd an vier Tagen in der Woche im Schäferwagen das Mittagessen mit den größeren Kindern zu.
Die Essensauswahl im Bauernhofkindergarten ist jahreszeitlich bestimmt. Die Eier aus dem Stall werden verarbeitet, die im Frühjahr selbst (auf einem Feldstück bei Wildensorg) gesteckten und im Herbst geernteten Kartoffeln gekocht. Geben die Ziegen Milch, wird gemolken und später der aus der Milch produzierte Käse gegessen. Der Saft aus selbst gepflückten Äpfeln der Streuobstwiesen rund um die Altenburg wird getrunken. Freitags ist Pizza-Tag, selbstgemacht von Frau Lips Großmutter. Wobei jetzt im Frühling der „Mutig- Quark“ das Highlight bei den Kindern ist: Quark mit selbst gepflückten Brennnesseln. Wer den isst, ist für immer mit Mut gesegnet. Gegessen wird gegen 12 Uhr, danach steht der Rückweg zur Hütte in der Ortsmitte wieder an.
Die beiden Gruppen der BRK-Kita nehmen an einem Programm zu Kitaverpflegung des bayerischen Landwirtschaftsministeriums teil, das es sich zum Ziel gemacht hat, gesunde und nachhaltige Verpflegung in Kitas zu etablieren.
Tiere als Helfer
„Unsere Pädagogik fußt auf mehreren Säulen: auf der tiergestützten Pädagogik, der jahreszeitlichen Orientierung, gesunden Ernährung und der Bewegung. Die Tiere fungieren dabei besonders bei Neuankömmlingen als große Hilfe. Denn die Trennung von den Eltern fällt den neuen Kindern bei der Eingewöhnung leichter, wenn wir uns bei den Tieren aufhalten. Sie sind dann abgelenkt und die Eltern können sich ohne Drama und Tränen verabschieden“, so Kirstin Lips’ Erfahrung. „Und wenn eins der Tiere stirbt wie vor einiger Zeit das Schaf Geraldino, das Giftpflanzen gefressen hatte, kann und muss man das Thema Tod und Sterben besprechen. Und gleichzeitig etwas über Wildkräuter und Giftpflanzen lernen. Das gehört zu unserem Alltag dazu. Ebenso wie im Frühjahr die Lämmchen-Geburten.“
„An Kiki schätzen wir ihre Leidenschaft für ihr Konzept, für die nachhaltige Arbeit mit den Tieren und den liebevollen Umgang mit den Kindern. Sie verteidigt ihren Kindergarten immer mit Leidenschaft und viel Kraft gegen alle Widrigkeiten und da können wir auch froh sein,“ sagt Elternbeiratsvorsitzender Daniel Schreiber. Seine Frau Natalie und er hatten beziehungsweise haben ihre beiden Kinder im Bauernhofkindergarten.
„Der Kindergarten war damals ja noch recht neu und das Konzept hat uns begeistert. Wir wohnen direkt am Rand der Natur nahe des Hofes und wollten für unsere Kinder gerne auch einen Kindergartenalltag in der Natur. Nachhaltiges Leben ist ein extrem wichtiger Teil unserer heutigen Welt. Und das dortige Konzept vermittelt dies unseren Kindern auf ganz natürlichem Weg. Wir sind immer stolz zu sehen, wie verantwortungsvoll die Kinder mit Tieren umgehen und wie viel Bewusstsein sie für Nachhaltigkeit haben.“
Kita am Eichelseeweg dazugekommen
Mitte 2022 wurde der Bauernhofkindergarten um die Kita am Eichelseeweg in Wildensorg neben der dortigen Grundschule erweitert. Dort können die Bauernhofkinder bis 16 Uhr weiter betreut werden. Steht jetzt ein Unwetter an, können sie dort in den sogenannten Schutzraum gehen und weiterspielen.
Mit der neuen Einrichtung entstanden in Wildensorg 25 zusätzliche Kindergarten- und 12 Krippenplätze. Die beiden Einrichtungen sollen sich nach Angaben von Michael Ruthrof ergänzen und kooperieren und sich etwa im Krankheitsfällen beim Personal unterstützen und aushelfen. Die teilweise schwierige und angespannte Personalaufteilung und ‑politik macht es nicht immer einfach für Träger, Erzieherinnen und Elternschaft. „Aber auch hier steht die Elternschaft meist eng mit Kiki und ihrem Team zusammen, weil man sich eben wirklich gegenseitig sehr schätzt“, sagt Daniel Schreiber. Auch außerhalb des Kita-Betriebs laufen die oben erwähnten naturpädagogischen Aktionen. So hieß es Ende April wie jedes Jahr „Vom Schaf zur Wolle“. In diesem Kurs konnten Kinder einem Schafscherer über die Schulter schauen und die Wolle in mehreren Schritten verarbeiten. Nebenbei bietet die Einrichtung zum Beispiel auch Führungen für Schulen an. Familienangehörige wie etwa Frau Lips‘ Tochter Lena, Freunde der Familie Lips, Erlebnispädagogen und auch Eltern der Bauernhofkindergarten-Kinder helfen meistens mit.
Mittlerweile ist es kurz nach 10:30 Uhr, dringend Zeit, die Schafe und Ziegen zu füttern. Alva, Elias und Simon zerhacken mit Spaten trockene Brotkrumen in einem großen Bottich und verfüttern Kartoffelschalen an die Tiere. „Das schmeckt denen sehr, das ist wie Chips für die Schafe.“