Familie Nordmann aus Bamberg verzichtet wo es geht aufs Auto und bevorzugt das Fahrrad. Ein Lebensstil, der nicht nur umweltverträglich, sondern auch im Sinne derzeitiger städtischer Politik ist.
Der Weg führt nach dem knackigen Anstieg über den Kaulberg am Babenberger Viertel vorbei, die sanften Hügel hinunter bis an den südlichen Ortsrand von Stegaurach. 80 Höhenmeter liegen dazwischen. Alles bestens asphaltiert. Keine nennenswerten Unebenheiten. Hier wohnt Familie Nordmann, die ihr Leben gefühlt ausschließlich auf dem Fahrrad zu verbringen scheint. „Wir nutzen natürlich schon jeden Trainingseffekt, den wir kriegen können“, beschreibt Vater Axel den Grundsatz der vierköpfigen Familie.
Alles wird auf zwei Rädern absolviert: Wenn seine Ehefrau Susanne als Erlebnispädagogin Material für Unterrichtseinheiten im Hain transportieren muss, schwingt sie sich aufs Rad und packt noch einen Anhänger hinten dran. Das macht täglich mindestens zehn Kilometer. Sohn Hannes und Tochter Ella radeln beide zum Sportverein im Nachbardorf genauso wie zur Schule in Bamberg. Allein bei Hannes wurden allein in diesem Jahr 1000 Kilometer runtergeradelt. Den Bus hat er einmal benutzt. Dauert ja mindestens eine halbe Stunde länger als selbst zu strampeln. Axel selbst fährt jeden Tag zur Arbeit. 20 Kilometer am Tag. Gut 6.000 im Jahr. Angst vor fiesem Wetter oder Kälte scheint im Hause Nordmann niemand zu kennen. „Die täglichen Strecken sind ja nicht so weit, als dass man nicht wieder trocknen könnte“, gibt sich der Familienvater gelassen. Es gibt also keine guten Ausreden. Also Helm aufziehen und in die Pedale treten!
Beziehungstest Fahrrad
Im Esszimmer der Nordmanns wird nicht nur fleischlos gespeist. Mehrere Bilder an der Wand zeugen von gemeinsamen Heldentaten im Sattel. Verschwitzte, aber glückliche Gesichter blicken in die Kamera. Mal als Familie. Mal mit Freunden.
Zum weichen Rasseln der gut geölten Fahrradkette fuhren die Nordmanns bereits bis ans Nordkap und nach Lissabon. Früher noch zu zweit, denn schon Jahre bevor eins plus eins vier ergab, war das Fahrrad im Zentrum der jungen Beziehung: „Wir sind damals mit dem Tandem nach Florenz gefahren. Da waren wir gerade einmal ein halbes Jahr zusammen“, erinnert sich Susanne.
Über den Berninapass ging es damals auf die italienische Halbinsel. „Das ist echt der ultimative Beziehungstest, wenn man zusammen 2.000 Kilometer auf dem Rad sitzt und sich koordinieren muss. Wenn man das zusammen meistert, dann kann es auch eine stabile Partnerschaft werden“, betont ihr Mann Axel. Beide müssen schmunzeln, wenn sie an die Zeit zurückdenken. 5.000 D‑Mark hat das junge Pärchen damals hingelegt, weil es kein Tandem zur Miete gab. Das war im Jahr 2001. „Nachdem ich sie das erste Mal vorne fahren ließ, war meine Karriere als Captain beendet“, meint Axel und muss lachen. Man merkt sofort: Die beiden sind ein eingespieltes Team, das nichts so schnell vom Fahrradsattel wirft.
Lieblingsstücke
Auf die Frage, welche fahrbaren Schätze in Keller und Garage stehen, fallen den Familienangehörigen immer noch ein paar mehr Räder ein. Vorläufiger Zwischenstand: Sieben Räder, davon zwei Tandems, zwei Anhänger, ein Einrad und eigentlich noch drei Räder mehr, „von denen ich mich einfach nicht trennen konnte“, gesteht Axel mit einem Lächeln.
Drahtesel mit Geschichten stecken dahinter. Genauso wie hinter den Anhängern: „Wir haben auf unserem Anhänger schon einmal eine komplette Spülmaschine transportiert. Oder auch schon das Grüngut auf gefühlt zwei Meter gestapelt und fortgebracht“, erinnert sich Axel. Auch die Einkäufe gelingen ohne Weiteres: „Auf dem Hinweg haben wir ja maximal das Pfand dabei. Und auf dem Rückweg geht’s mit dem vollen Anhänger noch flotter den Berg hinunter“, meint Susanne.
„Wir wollen zeigen, dass man ohne Auto leben kann“, sind sich die Eltern einig. „Wir haben einfach mal angefangen zu rechnen, welche Strecken wir auf welche Art bewerkstelligen können und da kommt man schnell raus, dass es wesentlich besser ist, die wenigen Fahrten mit Carsharing oder sogar mit dem Taxi abzudecken.” Da es in Stegaurach nur kurzzeitig ein Carsharing-Angebot gab, hat sich Familie Nordmann vor einigen Jahren zähneknirschend dennoch eine Familienkutsche angeschafft, die nun so lange die Garage hütet, bis eine Fahrt ansteht, die weder mit Fahrrad noch mit Zug sinnvoll zu bewältigen ist. Das sind meist Entfernungen zwischen 35 und 100 Kilometern. So kommt der PKW auf nicht mehr als 4.000 Kilometer im Jahr und ist somit ein teurer Luxus, der noch dazu den Fahrrädern Platz wegnimmt.
Kinder in Sicherheit
Für kürzere Fahrten hört das Elterntaxi auf den Begriff Tandem. „Es ist soviel entspannter, wenn die Kinder hinten sicher sitzen und man nicht aufpassen muss, wenn sie im Verkehr separat fahren“, bekräftigt die Mutter. Außerdem könne man so sehr gut sein eigenes Tempo halten, um die Kinder flott vor der Arbeit zur Sportstunde abzusetzen. Das Konzept habe sich auch im Familienurlaub in Italien bewährt, wo die Eltern den Nachwuchs immer sicher im Rücken wussten. „Mich wundert es, dass sich nicht mehr Familien so organisieren“, meint Susanne.
Dadurch, dass die Kinder schon früh die Radstrecke miterleben, würden sie schnell selbstständig und könnten den Weg bald allein absolvieren. „Das spart auch wieder Zeit für uns“, weiß die Mutter zu schätzen. Gemeinsame Familienausflüge über 120 Kilometer ins Unterfränkische zu Oma und Opa sind so auch über ein Wochenende machbar. Als Sohn und Tochter noch wesentlich jünger waren, war der Kinderanhänger das Mittel der Wahl. „Heute würden wir vermutlich ein Lastenrad mit Kindersitzen verwenden“, erläutert sie ihre Überlegungen.
Politische Förderung von Lastenrädern
Der Markt für Lastenfahrräder ist seit ihrem Aufkommen stetig gewachsen. Zuletzt um 50 Prozent wie der Fachmann Axel weiß. Wer mit dem Gedanken spielt, sich ein Lastenfahrrad zuzulegen, konnte in Bamberg bereits zweimal in den Genuss von Fördergeldern kommen. Für Gewerbetreibende und Familien gab es 500 Euro bei nicht-elektrifizierten Rädern.
Die E‑Varianten bekamen 1.000 Euro Zuschuss. 30.000 Euro hat sich die selbsterklärte Fahrradstadt Bamberg die Förderung bereits kosten lassen. Eine Neuauflage mit einer Art „Bewerbungsschreiben“ könnte folgen: Bambergs neuer Klima‑, Umwelt- und Sozialreferent Jonas Glüsenkamp will sicherstellen, dass die teuren Gefährte vor allem Autofahrten ersetzen und nicht als zusätzliches Vehikel neben dem Zweit-
auto parken. „Es gibt auch eine entsprechende Bundesförderung für Gewerbetreibende, welche sich allerdings nicht für Lastenfahrräder lohnt, weil sie nicht entsprechende Raummaße erfüllen. Da braucht es schon noch einen Anhänger zusätzlich“, weiß Axel aus Erfahrung.
Wem die Preise für ein neues Lastenrad zu hoch sind, kann trotzdem in den Genuss der geräumigen Räder kommen: Über „Dein Lastenrad“ lassen sich bereits unterschiedliche Lastenräder mit Ladeflächen im Stadtgebiet gegen Spende leihen. Und das Angebot wurde rege genutzt: Gut 500 Mal wurden die Räder seit 2017 geliehen. Die Stadt Bamberg will auch hier einsteigen und wird ein gemeinsames Leihsystem etablieren, damit die Nutzung noch weiter angekurbelt wird.
Platz schaffen
Aber egal, ob Lastenrad oder Fahrrad mit Anhänger: Beide sind breiter und länger als der gewöhnliche Drahtesel und finden im engen Bamberg nicht immer ihren Platz. „Wenn man mit Anhänger unterwegs ist, muss ich immer ausrechnen, wo ich eigentlich parken kann“, erzählt Susanne. Eine echte Herausforderung. Zumindest im Innenstadtbereich könnte die Parkplatzsuche in Zukunft leichter werden: Am Kranen beziehungsweise in der Kapuzinerstraße werden jeweils ein Autoparkplatz zu Gunsten von drei Schrägparkplätzen für Lastenräder aufgelöst und mit Haltebügeln zur Sicherheit versehen. Das hat kürzlich der Mobilitätssenat der Stadt beschlossen.
Flexible Mobilität
Dass Axel und Susanne beide beruflich selbstständig sind und sie ihre Arbeitsplätze und ‑zeiten entsprechend arrangieren können, sehen sie als großen Vorteil an, um ihren Mobilitätsbedarf entsprechend anzupassen. „Wenn ich jeden Tag nach Nürnberg fahren müsste, käme ich mit dem Fahrrad nicht mehr zu Rande“, meint Axel. Nichtsdestotrotz: Die Bürgermeister der Städte und Gemeinden entlang des Main-Donau-Kanals stehen im Austausch, um Radschnellwege nach Süden auszubauen. Für andere Pendler, die zuvor immer per Auto unterwegs waren, könnte das ein Anreiz sein, den Zündschlüssel mit dem Fahrradhelm zu tauschen.
Familie Nordmann genießt das Leben auf zwei Rädern. Und sie weiß auch, was sie – im doppelten Sinne – mit dem Rad alles erreichen kann. Das schafft Sicherheit für die kommenden Jahre. Auch wenn die Infrastruktur noch hinterherhinkt und der Platz fürs Rad noch nicht mit seiner Wichtigkeit Schritt halten kann. Sicher sind sie sich auf jeden Fall: Ein umweltfreundliches Leben ohne Auto ist möglich. Und für das Laufband im Fitnessstudio wird wohl kein Mitglied der Familie Nordmann je Geld ausgeben.