Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia feiert am 15. Januar 2021 ihren 20. Geburtstag. In fast 300 Sprachen stehen rund 50 Millionen Artikel zur Verfügung. Wikipedia ist zur beliebtesten Anlaufstation geworden, wenn es darum geht, möglichst schnell online Informationen zu finden und abzurufen. Welche grundlegende Bedeutung diese – nicht zuletzt – mühelose Verfügbarkeit von Information für den universitären Forschungsbetrieb hat, haben nun Forschende der Universität Bamberg beleuchtet.
Prof. Dr. Patrick Franke, Inhaber des Lehrstuhls für Islamwissenschaft an der Universität Bamberg, ist seit 2011 in der deutschsprachigen Version Wikipedias aktiv. Mit einem neuen Modell der Wissenschaftskommunikation setzt er den Gedanken der Offenen Wissenschaft (Open Science) um: Er hat die Bamberger Islam-Enzyklopädie (BIE) in die Wikipedia integriert.
Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Rudolf Stöber hat vor einem solchen Engagement der Autorinnen und Autoren Respekt, warnt aber zugleich vor dem propagandistischen Potential von Wikipedia.
Für Prof. Dr. Patrick Franke sprechen mehrere Punkte dafür, Forschungsergebnisse in die Wikipedia einzubetten. „Obwohl Wikipedia heute weltweit eines der wichtigsten Projekte gemeinsamer Wissensproduktion darstellt”, sagt der Islamwissenschaftler, „und zum Teil bessere Informationen liefert als anerkannte Fachenzyklopädien, ist die Beteiligung von hauptamtlichen Forschenden an diesem Projekt immer noch sehr gering.“
Gründe für dieses Desinteresse sieht er unter anderem in Zeitmangel, dem raue Umgangston, der Furcht vor Veränderung der eigenen Beiträge durch Dritte und der nicht verbindlichen Kennzeichnung von Autorenschaft.
„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Vorurteile von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegenüber Wikipedia unbegründet sind. Wer sich an bestimmte Regeln hält, kann wissenschaftlich von der Zusammenarbeit mit Laien profitieren und auf bestimmten Feldern in der Wikipedia sogar originäre Forschungsbeiträge leisten. Die Chance besteht darin, wissenschaftliche Erkenntnisse bekannt zu machen.“
Nachteile von Wikipedia
Prof. Dr. Rudolf Stöber, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft der Universität Bamberg, sieht beispielsweise in der bedenkenlosen Akzeptanz von Wikipedia-Informationen aber auch Nachteile der Enzyklopädie.
„Wikipedia ist einerseits ein modernes Medium der Volksaufklärung”, sagt er. „Anfangs wegen seiner Faktentreue umstritten, wird diese heute kaum noch in Zweifel gezogen. Eher wird beklagt, dass manche Artikel mangelhaft strukturiert sind und ein Nebeneinander von relevanten und wenig relevanten Informationen aufweisen. Ich fürchte andererseits, dass das propagandistische Potential von Wikipedia nicht von allen Nutzerinnen und Nutzern richtig eingeschätzt wird.“
So würden die sogenannten Editwars, Meinungsverschiedenheiten über die Inhalte umstrittener Einträge, zeigen, wie in dem Online-Lexikon um Deutungshoheit gekämpft wird.
„Aber ich schätze das Lexikon als erste Orientierung und Stichwortgeber und habe Respekt vor dem Engagement der Community.“
Prof. Dr. Patrick Franke hat zum Thema erste Orientierung und Stichwortgeber eine ähnliche Meinung: „Wikipedia-Artikel sind nicht in erster Linie selbst als Belege gedacht, sondern als Mittel, um anderen die Auffindung von belastbaren Informationen zu einem bestimmten Thema zu erleichtern. In dieser Funktion können solche Artikel auch eine bedeutende Rolle in der Wissenschaftskommunikation übernehmen, etwa wenn sie verstreutes Wissen, das nur schwer aufzufinden ist, an einem Ort zusammenführen.”
Wikipedia-Artikel in wissenschaftlichen Arbeiten direkt zu zitieren, sei aber nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. „Wenn die Autorinnen und Autoren unter Klarnamen schreiben und ausgewiesene Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler sind, sind solche Zitate in Ordnung.“