In diesem Jahr findet zum zehnten Mal die „Slam Symphony“ statt – ein jährliches Konzert der Bamberger Symphoniker in Verbindung mit einem Poetry-Slam-Wettbewerb. Für Freunde moderner Dichtkunst und Musikliebhaber gleichermaßen ein Event, das hohen Kultstatus genießt.
Bald kommt er wieder, der November mit seinen kalten und grauen Tagen, an denen sich der Nebel morgens und abends über die Straßen und Gassen legt wie ein feiner Vorhang und jeder Blick aus dem Fenster einer Tristesse gleicht. Anders in der Konzerthalle: Dort hat gerade jetzt im Herbst die Hochspielzeit der Bamberger Symphoniker mit einem prall gefüllten Konzertprogramm begonnen, in dem am 14. November auch die „Slam Symphony“ wieder eine feste Größe ist.
Die Slam Symphony ist ein Konzertformat, das mit seinem Mix aus Poetry-Slam-Darbietungen und Orchestermusik zu einem bestimmten Thema besonders junge Leute anspricht. Moderator Christian Ritter, selbst Slam-Poet und Autor, führte schon zu den Anfängen des Kultkonzerts durch das abwechslungsreiche Programm und ist auch in diesem Jahr wieder mit dabei. „Die Idee zur Kooperation stammte ursprünglich vom Intendanten Marcus Rudolf Axt. Er fragte mich, ob wir nicht was zusammen hinkriegen könnten. Wir haben uns dann getroffen, das Konzept hat sich ausgeformt und es funktioniert immer noch genau gleich wie bei der ersten Ausgabe. Ziemlich erfolgreich“, sagt Ritter.
Premiere im Jahr 2014
Die Slam Symphony hat seit ihrer Premiere im Jahr 2014 stetig an Beliebtheit zugelegt. Im letzten Jahr war der Joseph-Keilberth-Saal nahezu bis auf den letzten Platz besetzt, auch in diesem Jahr werden wieder viele Besucherinnen und Besucher erwartet. Kein Wunder bei den Größen der Poetry-Slam-Szene, die sich zum Jubiläum angekündigt haben. Theresa Sperling, die amtierende deutschsprachige Meisterin im Poetry-Slam, wird da sein wie auch Samuel Richner, Schweizermeister von 2022, und Yannik Noah Ambrusits, der Gewinner des Bamberger Wettbewerbs Slam Symphony im letzten Jahr. Ihn haben wir zu seinem Auftritt auch interviewt – siehe unten.
Das Orchester dirigiert an diesem Abend Taichi Fukumura, der beim Dirigentenwettbewerb der Bamberger Symphoniker, der Mahler Competition, 2023 den zweiten Platz belegte. „Für das Publikum besonders macht die Slam Symphony, dass im Grunde genommen zwei getrennte Darbietungen zu sehen sind, die sich in einer Veranstaltung umarmen. Bei einer der beiden darf auch zwischenapplaudiert werden, bei der anderen würde man dafür vom Dirigent gemaßregelt. Kam übrigens schon vor“, sagt Ritter und lacht.
Musik von Edvard Grieg
Zu ihren Texten, an denen die Wortakrobatinnen und ‑akrobaten für den Wettbewerb im Poetry-Slam derzeit noch feilen, gibt das Orchester beim Jubiläumsevent Musik des nordischen Komponisten Edvard Grieg zum Besten. Grieg, der das Land und die Fjorde liebte, hat mit „Peer Gynt“ ein dramatisches Gedicht von Henrik Ibsen in Musik verwandelt, in dem es in Anlehnung an norwegische Volks- und Feenmärchen um einen Träumer geht, der sich gerne ziellos treiben lässt und durchs Leben mogelt. Er gilt als „Faust des Nordens“: Ruhm und Reichtum, Frauen und dubiose Geschäfte sind das, was ihn umtreibt. Ob im Reich der Trolle, in Marokko oder Ägypten.
Erst die Liebe einer norwegischen Frau kann ihn retten. So beschreiben die Bilder, die Edvard Grieg durch seine 26-teilige Schauspielmusik in der Suite 1 und Suite 2 für die Uraufführung des Bühnenstücks 1876 in Oslo erzeugte, einen wild-romantischen wie gleichzeitig fantastischen Weg des Protagonisten und Fantasten Peer Gynt.
Zwischen den Textdarbietungen der Poetry-Slammerinnen und ‑slammer hören die Besucher bei der Slam Symphony kurze Ausschnitte aus den Suiten. In einer Applaus-Abstimmung des Publikums entscheidet sich, wer den Wettbewerb gewinnt. Mitklatschen soll dabei natürlich jeder, auch wer kein Poetry-Slam-Experte ist.
„Wir haben diesmal die derzeitige deutsche Meisterin auf der Bühne“, sagt Moderator Ritter. „Die beiden anderen standen auch im Finale der deutschsprachigen Meisterschaften, da dürfte es sowieso schwierig werden, sich zu entscheiden. Aber das ist ja der große Spaß beim Poetry-Slam: Es ist ein Format, bei dem absolut keine Expertise seitens des Publikums erforderlich ist. Gute Texte erreichen alle. Beim Abstimmungsapplaus kann es dann auch mal daran liegen, in welche Richtung ich meinen Kopf gerade drehe und ein bisschen ein lauteres Kreischen von links höre, bevor ich entscheide, wer den lautesten Applaus hatte, und schon hat jemand anders gewonnen.“ Wer gewinnt sei dabei gar nicht so wichtig. „Was zählt, ist der Moment des Auftritts, das Publikum zu erreichen. The points are not the point, the point is poetry.“
Poetry-Slam- und Konzertabend
Im Anschluss an den Wettbewerb spielen die Bamberger Symphoniker das ganze Konzert in voller Länge. Die Stücke „Morgenstimmung“, „Anitras Tanz“ oder „In der Halle des Bergkönigs“ aus Suite 1 von Edvard Griegs „Peer Gynt“ dürften dem Publikum besonders bekannt vorkommen. Sie werden bis heute auch fernab der Konzertbühne immer wieder neu interpretiert. Die Stücke aus Suite 2 sind zwar weniger bekannt, aber keineswegs weniger interessant. Zeit also, um sich im Konzertsaal entspannt zurück zu lehnen. „Wenn der Poetry-Slam entschieden ist und die Symphonie losgeht, ist es purer Genuss, direkt nach getaner Arbeit dieser großen Kunst zu folgen. Aber allzu bequem sollte man es sich nicht machen. Ein überraschender Einsatz der Pauke könnte einen dann zu sehr verunsichern“, so Ritter.
Demnach erwartet das Publikum ein fulminanter Poetry-Slam- und Konzertabend, den es in diesem Format bislang einzigartig nur hier in der Stadt gibt. Wer die Slammerinnen und Slammer des Abends persönlich treffen möchte, kann sich bei einem kleinen „Meet & Greet“ darüber hinaus völlig ungezwungen mit den Künstlern unterhalten und austauschen.
Den November weniger trist sein lassen, stattdessen in der Konzerthalle vorbeikommen und zuhören. Auch Moderator Ritter geht die Jubiläumsveranstaltung entspannt an. Von seinem eigenen Konzept verrät er noch nicht viel: „Ich habe mir einen neuen Anzug zugelegt und im Italienurlaub „Peer Gynt“ gelesen. Die spannendste Frage ist für mich immer, ob ich mal einen größeren Applaus bekomme als der Dirigent. Wobei ich die Spannung da schon rausnehmen kann: Das ist in dieser Dimension unserer Existenz nicht vorgesehen.“
Yannik Noah Ambrusits im Interview zur „Slam Symphony“
Yannik, du hast im letzten Jahr die „Slam Symphony“ gewonnen. Wie überraschend war das für dich?
Yannik Noah Ambrusits (lacht): Es war schon überraschend. Ich hatte mir eigentlich nicht vorgenommen, dass ich unbedingt gewinnen will. Wenn man einen Text zum ersten Mal auf der Bühne liest, ist es schwierig einzuschätzen, wie das Publikum darauf reagieren wird. Dass der Text dann so gut ankam, hat mich natürlich sehr gefreut.
Für das Publikum war es mit seinem Applaus sogar mehr als eindeutig, dass du der Gewinner des Abends bist.
Yannik Noah Ambrusits: Da das Voting über eine Applausabstimmung läuft, gewinnt, wer den stärksten Applaus bekommt, und das war ich an diesem Abend. Mein Vorteil war, dass ich auch lustige Stellen in meinen Text eingebaut habe, die gut angekommen sind. In dem Format hat man nur sechs Minuten Zeit, um alles unterzubringen, was einem einfällt und da sind ein paar witzige Stellen ganz gut. Vor allem, weil die anderen Texte alle eher ernsthaft waren und ich mich so ein bisschen abgrenzen konnte.
Dein Slam hieß „Kopf, Bauch, Körper“ und kann inzwischen auch über deine Internetseite gestreamt werden. Weißt du schon, mit welchem Beitrag du in diesem Jahr antreten wirst?
Yannik Noah Ambrusits: Wie der Text genau werden wird, kann ich noch nicht sagen. In diesem Jahr ist es etwas schwieriger. Ich habe die neue Symphonie, um die es geht, aber schon angehört und lese mich gerade ein. Zum einen bietet hier die Geschichte mit Peer Gynt etwas, über die man schreiben könnte, zum anderen ist die Musik von Edvard Grieg auch wahnsinnig melodisch und gut geeignet für poetische Texte. Da gibt es viele Ideen, die einem einfallen. Die richtig guten Gedanken für einen Text kommen mir aber meist erst kurzfristig. Spannend wird es, wenn ich dann die richtigen Tage erwische, an denen ich mich voll konzentrieren und auch aktiv probieren kann.
Was gefällt dir an dem Konzertformat „Slam Symphony“ besonders?
Yannik Noah Ambrusits: Ich finde es sehr besonders, dass der Poetry-Slam auf die Musik bezogen ist. Ab und zu gibt es Slam-Veranstaltungen beispielsweise zu Jazz-Musik. Mit einem ganzen Orchester auf der Bühne zu stehen wie bei der Slam Symphony, ist aber schon ein anderes Level, außergewöhnlich und sehr beeindruckend. Beim ersten Mal hatte ich großen Respekt vor dem Format. Dann habe ich gemerkt, dass es so zusammen mit dem Orchester eigentlich ganz gut passt und hoffe, dass ich in diesem Jahr nicht mehr ganz so aufgeregt sein werde (lacht).
Wie stark schätzt du deine Konkurrenz bei der kommenden Slam Symphony ein?
Yannik Noah Ambrusits: In diesem Jahr könnte es tatsächlich ein bisschen schwieriger werden, da Theresa Sperling teilnimmt, die die amtierende deutschsprachige Meisterin im Poetry-Slam und auch wirklich gerade die beste Slammerin ist. Bei Samuel Richner ist es so, dass auch er schon Preise gewonnen hat und sein Stil sehr ähnlich ist zu meinem. Von daher wird es nicht ganz einfach werden, sich abzuheben. Aber, das Gewinnen ist mir nicht so wichtig, sondern vielmehr einen spannenden und interessanten Text einzubringen. Daran arbeite ich noch.
Wie schaffst du es, dein Thema in nur sechs Minuten Zeit zu packen?
Yannik Noah Ambrusits: Mittlerweile kann ich ganz gut einschätzen, welche Texte dem Publikum gefallen und wie die Mischung aus gereimten und lustigen Passagen sein muss. Poetry-Slam erzählt keine ausführliche Geschichte wie Prosa und in sechs Minuten ist man auch gezwungen, auf den Punkt zu kommen. Das ist das Schöne daran.
Woran erkennt man deine Poetry-Slam Stücke?
Yannik Noah Ambrusits: Ich bin ein Freund von Performance und Rollen und schlüpfe gerne in eine andere Figur. In meinen Poetry-Slam-Texten versuche ich, unterschiedliche Perspektiven darzustellen und bereite gerne einen Mix aus einem unterhaltsamen und lustigen Stück vor, meistens mit einem ernsthaften Thema, das mir am Herzen liegt.
Was möchtest du gerne mal ausprobieren?
Yannik Noah Ambrusits: Ich bin gerade stark daran interessiert, auch einmal längere Slots zu haben, etwa so lesebühnenmäßig. Sprich, ein längeres Thema aus mehreren Perspektiven zu beleuchten. Auf längere Sicht würde es mich zudem auch reizen, Romane zu schreiben, um mehr Zeit und Raum für ein Thema zu haben.
Welcher Moment war im letzten Jahr der beste für dich?
Yannik Noah Ambrusits: Ich fand es total cool, nach dem Wettbewerb die Symphonie anzuhören, von der man vorher zwischen den Textbeiträgen ja nur Ausschnitte mitbekommen hat. Im Anschluss dann die ganze Symphonie durchzuhören, war eine richtig interessante Erfahrung. Diese Hörerfahrung hat mich unglaublich bereichert und ich habe mich sehr geehrt gefühlt, dass ich Teil dieser wirklich beeindruckenden Veranstaltung war.
Kommen sich Slammer und Musiker beim Proben hinter der Bühne eigentlich in die Quere?
Yannik Noah Ambrusits: Kaum, man hat einen eigenen Gang und eigene Räume zum Üben. Es ist ja etwas slamtypisch, vor dem Auftritt hinter der Bühne auf dem Gang zu stehen oder auf und ab zu gehen, um seine Texte und Gestiken nochmal zu üben. Möglicherweise haben sich die Musiker da im letzten Jahr darüber gewundert. Und vielleicht auch über das damit einhergehende etwas seltsame Verhalten (lacht).
Wie wird es im Poetry-Slam weitergehen? Gibt es Trends?
Yannik Noah Ambrusits: Es ist häufiger geworden, auch politische Texte zu machen, die relativ direkt sind und nicht gereimt, sondern mehr 1:1, das heißt, dass sich der Slam-Text hauptsächlich um den Inhalt und die Botschaft dreht, um die es am Ende geht. Dabei wird weniger mit Sprache gespielt, auch Form- und Wortspiele kommen nicht mehr so häufig vor wie noch vor zehn Jahren. Der Inhalt steht mehr und mehr im Vordergrund und am Ende eben diese eine Message. Das finde ich einerseits schade, andererseits mache ich mir da aber keine Sorgen, da man bei dem Format ja machen kann, was man will. Poetry-Slam ist und bleibt eine ganz wunderbare, große Ausprobierbühne.