In ihrer bisher größten Einzelausstellung zeigt die Hamburger Konzeptkünstlerin Swaantje Güntzel Werke aus 20 Jahren ihrer Arbeit in der Villa Dessauer.
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„Ich war nicht absichtlich radikal, ich habe nur auf Probleme hingewiesen“
Swaantje Güntzel: Werkschau von in der Villa Dessauer
In ihrer bisher größten Einzelausstellung zeigt die Hamburger Konzeptkünstlerin Swaantje Güntzel Werke aus 20 Jahren ihrer Arbeit in der Villa Dessauer. Hauptthemen der Schau „INSTANT PARADISE“ sind das gestörte Verhältnis von Menschen und Natur und die Publikums-Reaktionen auf Kunst, die es sich zu eigen macht. Wir haben mit Swaantje Güntzel über Haustierhaltung gesprochen, über Verdrängung und darüber, warum sie sich manche ihrer Werke von künstlicher Intelligenz schaffen lässt.
Frau Güntzel, was hat es mit dem Ausstellungstitel „INSTANT PARADISE“ auf sich?
Swaantje Güntzel: Die Idee ist, die Welt, die wir geschaffen haben, zu sezieren und künstlerisch herauszuarbeiten, wie stark gleichzeitig der Wunsch ist, sich von dem Alltag, der diese Welt bedingt, zu dissoziieren. Ich habe versucht, die Klammer so zu setzen, dass man merkt, wie nah wir eigentlich an der Realität sind, mit der wir im Moment zu tun haben, während wir aber eigentlich hoffen, uns nicht mit ihr auseinanderzusetzen zu müssen. Gleichzeitig erliegen wir der Illusion, dass die Welt, die wir gestaltet haben, paradiesisch ist, uns auf dem Weg dahin aber selbst schaden.
Was heißt das genau?
Swaantje Güntzel: Sieht man sich unser Verhältnis zur Natur an, sieht man, dass wir stark von der Illusion getrieben sind, etwas zu suchen, das wir romantisieren können. Aber eigentlich haken wir nur Instanzen ab, während uns egal ist, was wir am Schluss finden. Um es plakativ zu sagen: Wenn wir auf Instagram Natur betrachten, erliegen wir schnell der Annahme, wir hätten Natur auch erlebt, während es eigentlich ein technischer Vorgang war.

Die Frage, warum wir nicht merken, dass das, was wir der Natur antun, wir uns letztlich selbst antun, ist etwas, das mich seit Jahren beschäftigt. Darum scheint es uns auch so schwer zu fallen, Lösungen zu finden. Wir haben eine Realität kreiert, die aus zwei parallelen Universen besteht: einem, in dem wissenschaftlich nachweisbar ganz viel passiert zu dem wir uns eigentlich verhalten müssten. Und ein Universum, das wir abgespalten haben, in dem wir weiter so tun, als ob alles in Ordnung wäre und die Dinge ignorieren, die wir eigentlich wahrnehmen müssten. Darin schaffen wir immer neue künstliche Bilder darüber, was zum Beispiel Umgang mit Natur ist. Es geht in der Ausstellung entsprechend nicht zuletzt sehr viel um unser Verhältnis zur Kreatur.
Ein Werk heißt „Paradise dissected“ und zeigt eine Installation mit verschiedenen Käfig-Systemen zur Kleintierhaltung. Was sagt es über unser Verhältnis zu diesen Tieren?
Swaantje Güntzel: In der Installation wird die Frage aufgeworfen, wie weit Menschen gehen, um sich vom Tier unterhalten zu lassen. Der Hamster selbst spielt dabei letztendlich nur eine untergeordnete Rolle. Dasselbe gilt für die Dinge, die in der Kleintierhaltung als Spielzeuge oder Accessoires angeboten werden, sie werden genutzt damit der Mensch auf seine Kosten kommt, nicht das Tier. Hier ist es mir wichtig so zu überzeichnen, dass das ganze System fast schon satirisch wirkt und derart in seiner Bedeutung kippt, dass man sich fragt, ob so etwas nicht viel mehr über uns aussagt als über das Tier. Auch wenn ich leider oft viel näher an der Realität dran bin als mir lieb wäre.
Für die Ausstellung haben Sie Werke aus 20 Jahren Ihres Schaffens ausgewählt. Unter welchen Gesichtspunkten haben Sie die Wahl getroffen?
Swaantje Güntzel: Das wichtigste war, dass ich noch vor der Auswahl entschieden habe, brandaktuelle neue Arbeiten und älteren Arbeiten gemeinsam zu zeigen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass viele meiner Werke jetzt eine größere Aktualität haben als zum Zeitpunkt ihres Entstehens und zudem viele Themen, wie zum Beispiel die Klimakrise erst jetzt die angemessene öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.
Warum bespielen Sie seit 20 Jahren das Thema des Verhältnisses zur Natur?
Swaantje Güntzel: Ich glaube, das ist das Thema, das mich in meinem Leben am meisten beschäftigt hat. Schon als ich klein war, habe ich gemerkt, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen Erkenntnis und Handeln, auch wenn ich das als Kind nicht formulieren konnte. Ich habe mich damals im Rahmen meiner Möglichkeiten engagiert und bin zum Beispiel von Tür zu Tür gegangen, um Unterschriften gegen Robbenschlachten zu sammeln. Später habe ich kleine Skulpturen verkauft und das Geld an Greenpeace gespendet. Als ich mich dann entschied, ganz in die Kunst zu gehen, fragte ich mich, mit welchen Themen ich mich intensiv beschäftigen möchte. Da war klar, welches ich wähle. Und wenn man sich fragt, wie unsere ökologische Realität aussieht, was sie über uns aussagt und worauf sie hinausläuft, ist man vollzeitbeschäftigt.
Welche Werke sind aktueller geworden?
Swaantje Güntzel: Über unseren Umgang mit Tieren habe ich schon vor 15 Jahren gearbeitet, wie zum Beispiel im Kontext des Werks „Paradise dissected“. Die Frage war immer, in welche Beziehung wir uns zum Tier setzen und wie viel Wille dem Tier eigentlich gelassen wird. Diese Fragen sind heute aktueller denn je. In der Ausstellung beschäftige ich mich zum Beispiel mit der Darstellung der Kreatur auf Social Media wie Tik-Tok und Instagram. Es gibt ein ganzes Genre über Haus- und Wildtiere, die in bestimmten Videos mit Accessoires geschmückt oder mit Dingen angezogen werden, die man ganz sicher so nicht in freier Wildbahn findet. Hamster tragen Krönchen und Pantoffeln, Otter einen Pyjama und Hunde Popstar-Outfits.
Zudem gibt es die Kategorie der sogenannten Rescue Videos. Darin filmen sich Menschen, wie sie Tiere, meist Hunde und Katzen, die sie am Straßenrand oder im Wald finden mit nach Hause nehmen und sie so aus ihrer Sicht retten. Die Aussage dahinter ist immer: Das Tier hat nur eine Chance zu überleben, weil es vom Mensch gerettet wird. In der Dramaturgie des Videos wird das Tier dann, um in die vermeintlich bessere, gute Welt beim Menschen aufgenommen zu werden, gebadet. Dieser Akt gleicht oft einer Art Taufe, fast wie ein rite de passage. Dazu wird es in der Ausstellung auch eine eigene neue Serie geben.
Gibt es auch Werke, die schlecht gealtert sind?
Swaantje Güntzel: Nein. Es war tatsächlich so, dass ich mich kaum entscheiden konnte, was ich alles mit nach Bamberg nehme, weil alles gepasst hätte.

Schlägt sich in der Ausstellung auch nieder, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Natur immer schlechter geworden ist?
Swaantje Güntzel: Ja. Es wird tatsächlich immer überdrehter. Meine Beschäftigung mit den Käfig- und Tunnelsystemen aus der Kleintierhaltung waren damals so etwas wie ein Anlauf und eine Bestandsaufnahme. Den Grad der Vermenschlichung des Tiers in der Inszenierung auf Social Media empfinde ich inzwischen als sehr bedenklich. Interessant ist dabei sicherlich auch zu sehen, wie BetrachterInnen auf meine Arbeiten, in denen ich diese Themen aufgreife, reagieren. Vielleicht war ich, ohne dass es mir klar war, immer schon einen kleinen Schritt schneller, weil ich das alles so absurd fand, während in meinem Umfeld oft noch gedacht wurde, solche Dinge seien in Ordnung. Am Ende sind wir ja alle umgeben von eingesperrten Meerschweinchen und Kaninchen aufgewachsen.
Eines Ihrer Werke heißt „Können Sie nicht mal was Schönes machen“. Ist es eine Fortführung solcher Diskussionen?
Swaantje Güntzel: Ja. Es ist eine Werkreihe, die ich als Antwort auf die Reaktion des Publikums auf meine Kunst begonnen habe. Dafür habe ich Bildmaterial benutzt, das vermeintlich aufwühlende Themen zeigt, wie zum Beispiel eine Ansicht des Braunkohletagebaus, und habe dann kitschige Aufkleber von Dingen, die wir als schön empfinden, wie von Einhörner, Regenbögen und so weiter darauf geklebt. Mir wurde von Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit an vorgeworfen, dass die Arbeiten, die sich mit unserer ökologischen Realität und unserer Beziehung zum Tier befassen, zu verstörend seien. In Teilen fand ich das nur schwer nachvollziehbar, weil ich ja letztendlich nur die von uns gemachte Realität abbilde.
Ich bin ja auch nicht die erste Künstlerin, die sich mit diesen Themen beschäftigt. Als ich allerdings vor 20 Jahren damit anfing, hingen die hedonistischen Neunziger vielleicht noch zu sehr in der Luft und man musste erst mal realisieren, dass wir auf dem Weg in etwas sehr Ungutes sind. Vermutlich sind die Reaktionen auf meine Arbeit deswegen oft so ablehnend und immer wieder mit dem Vorwurf verbunden, es sei zu verstörend und radikal, flankiert von Sätzen wie: Können Sie nicht mal was Schönes machen? Am Ende ist es jedoch auf zwei Ebenen entlarvend: Einmal – was soll Kunst eigentlich, was glaubt man, von ihr einfordern zu dürfen? Und was sagen solche Sätze darüber aus, wie wir uns mit der Realität beschäftigen? Wir leisten uns den Luxus, ihr ausweichen zu können.
Wurde also das Werk als radikal angesehen oder sein Thema der Umweltzerstörung?
Swaantje Güntzel: Ich war nicht absichtlich radikal, ich habe nur auf Probleme hingewiesen. Zu den Vermeidungsstrategien dessen, worauf ich hinweise, gehörte es aber wohl, meine Werke radikal zu nennen. Das ist luxuriös und bildet ab, wo wir im Diskurs stehen und wie wir uns erlauben, uns mit Umweltzerstörung nicht auseinandersetzen zu müssen oder zu können. Ich habe mich dabei eigentlich immer nur als eine Art Chronistin gesehen, die die Dinge festhält.
Haben sich diese Reaktionen im Lauf der Zeit geändert? Herrscht immer noch Verstörung oder mittlerweile eher Genervtheit vom Thema?
Swaantje Güntzel: Die Ablehnung der Anfänge wurde zwischenzeitlich abgelöst von einem vermeintlichen Interesse. Ein paar Jahre lang kamen die Leute mit einer großen Aufgeschlossenheit und wollten verstehen, worum es geht. Je klarer dann aber wurde, dass Klimawandel nicht nur ein Phänomen am anderen Ende der Welt ist, sondern dass man sich auch selbst bewegen muss und sein eigenes Selbstverständnis hinterfragen muss, fing es an zu kippen. Da wurden die Reaktionen wieder aggressiver.
Bieten Ihre Werke Lösungen der Problematik des Themas an?
Swaantje Güntzel: Ich habe mich als Künstlerin eigentlich nie in der didaktischen oder pädagogischen Rolle gesehen. Weil ich mich aber schon so lange mit dem Thema beschäftige, bin ich ein wenig in dieser Rolle gelandet. Ich glaube aber nicht, dass Aufklärung meine primäre Aufgabe ist. Ich versuche, über die Möglichkeiten, die ich als Künstlerin habe, wenn es auch in einer für viele unbequemen Form ist, Dinge so aufzubereiten, dass ich mich subjektiv dazu äußern kann. Ein wichtiger Teil ist dabei, künstlerisch zu hinterfragen, in welcher Weise wir der Verantwortung für unser Handeln ausweichen. Das möchte ich in meinen Werken spiegeln – genau wie ich auch die ökologische Realität spiegele. Das eine bedingt das andere.
Für die Grafikreihe „Space Heroines“ haben Sie Darstellungen von Superheldinnen von einer künstlichen Intelligenz anfertigen lassen. Ist es nicht ein Ausweichen vor Ihrer eigenen, in diesem Fall künstlerischen Natur, wenn man einen Algorithmus arbeiten lässt?
Swantje Güntzel: Nein. Als Konzeptkünstlerin ist das für mich kein Widerspruch. 2022 habe ich ich eine Artist-in-Science Residence bei der European Space Agency in Darmstadt absolviert. In dieser Zeit wurde mir immer klarer, dass der Weltraum sehr stark von männlichen Heldengeschichten und einem männlichen Selbstverständnis der Raumeroberung geprägt ist. Der erste Teil der Arbeit „Space Heroines“ bestand entsprechend darin, eine weibliche Superheldin zu entwerfen, die dem etwas entgegenzusetzen hatte und sich im All für das Gute einsetzt und Weltraumschrott beseitigt. Dafür schrieb ich mehrere GrafikerInnen an, und fragte, ob sie mir eine Heldin entwickeln können. Dabei stand ich aber unter großem Zeitdruck und bin im Verlauf meiner Anfrage zu keinem Ergebnis gekommen. Ich musste dann entscheiden, wie ich diese Heldin anders entwickeln kann, also ohne die Hilfe von anderen.
Warum haben Sie sie nicht selbst gezeichnet?
Swaantje Güntzel: Weil ich keine Zeichnerin bin. In gewisser Weise habe ich sie dann aber doch selbst erschaffen, indem ich eine KI benutzt habe. Als Konzeptkünstlerin greife ich sowieso sehr viel auf solche ausgelagerten Möglichkeiten zurück. Das ist ja die Idee des konzeptuellen Arbeitens. Die Idee steht im Vordergrund und man sucht sich Wege, sie zu übersetzen.
Sollte man als Künstlerin oder Künstler aber nicht Wert darauf legen, dass es in der Kunst etwas gibt, ein menschlicher Funke vielleicht, das eine KI nicht erschaffen oder kopieren kann und sich entsprechend von ihr fernhalten?
Swaantje Güntzel: Wenn man die KI bedient und versucht, sie zu steuern, gibt man ihr durchaus etwas ein. Diese Eingabe war sogar das eigentlich Spannende. Zuerst gab ich Schlagwörter wie „Heldin“, „Comicstil“ und „Weltraum“ ein. Dabei stellte ich aber sofort fest, und hier tat sich eine zweite Ebene der Arbeit auf, dass die KI unter „Heldin“ immer eine blonde, weiße, junge schlanke, übersexualisierte Figur versteht. Um diverse Figuren zu erreichen, musste ich die KI immer um das Gegenteil dessen bitten, was sie als Standard für das Konzept „Heldin“ festlegt. Diese zweite Ebene bestand also darin, die KI so zu bedienen, dass ein diverseres und kein sexistisches Ergebnis rauskommt.
„INSTANT PARADISE“ wirft einen Blick in die Vergangenheit. Welche Themen wollen Sie in Zukunft angehen?
Swaantje Güntzel: Was mich derzeit sehr beschäftigt, sind die erwähnten Ausweichwege, die Schlupflöcher, mit denen wir uns erlauben, der Umweltzerstörung und ihrer Handlungsnotwendigkeit zu entgehen. Mein Werk „When are we fucking done raising awareness?“ ist eine Reaktion darauf. Man kann immer einen Grund finden, warum bestimmte Dinge für einen selbst nicht zutreffen. Das geht aber nur, wenn man durch eine Meta-Ebene geschützt ist, wie zum Beispiel diejenige, die die Politik vorlebt. Sie handelt nicht so konsequent, wie sie müsste oder könnte, wie man an der aktuellen Verhandlung um das Pariser 1,5 Grad-Abkommen sieht.
Der Rest hat sich in eine Richtung entwickelt, in der die Auseinandersetzung mit unserer ökologischen Realität ein Kulturkampf geworden ist. Ich sehe da eine unfassbare Entwicklung rückwärts, die aber immer salonfähiger wird. In Zukunft, denke ich, werde ich mich also noch mehr damit beschäftigen, wie sehr wir die Vermeidung der Auseinandersetzung mit der Realität zu einer Kunst gemacht haben.
