Das, was weggelassen wurde, ist das Entscheidende: Die feingesponnenen Netze der Skulpturen und Installationen von Bodo Korsig erscheinen durch ihre organischen Formen vertraut – aber erst in den herausgeschnittenen Auslassungen dazwischen ergibt sich ihre Tiefe. Die Galerie „AOA;87“ stellt im dritten Jahr ihres Bestehens Werke des Multimediakünstlers aus.
Seit November 2020 betreibt Angela Kohlrusch die Galerie „AOA;87“ in der Austraße. Angetreten, um das örtliche Kunstangebot um Zeitgenössisches zu erweitern, zeigt die Galerie seitdem etwa alle zwei Monate Ausstellungen zu Contemporary Art. „Ich wollte dem Bamberger Stadtbild einen progressiven Ausstellungsraum hinzufügen“, sagte die Galeristin zur Eröffnung. „Denn ich sehe Bamberg nicht als die Provinzstadt, die sie im Vergleich zu anderen Städten dieser Größe sein müsste. Vor allem durch die Universität finde ich, ist sie ein Schmelztiegel für Kreativität.“
So waren bereits Werke von aufstrebenden oder schon bekannten KünstlerInnen wie Margaret Adler, Holger Schmidhuber, Alexandre Madureira, Cornelia Schleime oder Giuseppe Veneziano zu sehen. Auch die Galerie selbst hat einen Weg nach vorne hinter sich. „Es gibt zwar immer wieder Phasen, in denen es schleppender läuft, und auch Entwicklungen wie der russische Angriffskrieg haben nicht gerade dazu beigetragen, dass die Leute ausgabefreudiger werden“, sagt Kohlrusch. Aber kurz davor zuzumachen sei sie noch nicht gewesen. Im Gegenteil: „Die Zeichen stehen allgemein schon auf Wachstum. So wollen wir unsere Messepräsenz massiv ausbauen. Im Juli waren wir auf der „Art Bad Gastein“ in Österreich und im September sind wir auf der „Positions“ in Berlin. „Ein Highlight bisher war, dass wir schon im ersten Jahr auf der Kunstmesse „Art Miami“ angenommen worden sind und dort ausstellen durften. Das war aufregend. Genau wie jeder neue Künstler, der sich entscheidet, mit uns zusammenzuarbeiten und uns das Vertrauen schenkt, ein Highlight ist.“
Im September plant Angela Kohlrusch zudem, einen zweiten „AOA;87“-Standort in Berlin zu eröffnen. „Wir möchten unsere Präsenz grundsätzlich ausbauen, um bekannter zu werden und so unsere Künstler besser repräsentieren zu können“, sagt sie. Das Hauptquartier soll aber nach wie vor in Bamberg sein. Das hat mehrere Gründe. „Hier habe ich die Galerie gegründet und ich identifiziere mich mit dem Bamberger Standort. Außerdem haben wir hier ein Alleinstellungsmerkmal. In Berlin sieht das natürlich ganz anders aus. Da bewegen wir uns in einen ganz anderen Markt hinein. Aber mit unseren Künstlern müssen wir dorthin, wo die meinungsbildenden Leute sitzen.“
Einer davon ist Bodo Korsig. Noch bis 16. September zeigt der Multimediakünstler im White Cube von „AOA;87“ seine Schau „Zeitsturz“. Eröffnung war am 22. Juli im Vorfeld der 26. Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen.
Tiefe durch Weglassen
Bodo Korsig, 1962 in Zwickau geboren, schöpft medien- und gattungsübergreifend aus verschiedensten Materialien mit zahlreichen Techniken. Von 1986 bis 1990 studierte er Bildhauerei in Berlin, seit 1992 ist er Dozent an der Europäischen Kunstakademie in Trier für Holzschnitt und Druckgraphik. In seiner bald 40-jährigen Kunstkarriere erhielt er internationale Preise und Stipendien und seine Werke sind weltweit in mehr als 50 Museen und Sammlungen vertreten, darunter die National Gallery of Art in Washington D.C., das Kaohsiung Museum of Fine Arts, Taiwan, und die Sammlung Deutsche Bank in Frankfurt. Zudem waren seine Werke Teil von mehr als 200 Ausstellungen.
Vor allem seine filigranen, oft aus Filz, Papier oder Holz gemachten, und teilweise quadratmetergroßen, netzartigen Skulpturen stechen heraus. Aber auch Malerei, Grafik, LED-Leuchtschrift-Objekte mit Slogans wie „Balance“, „enough“ oder „Intensity of the moment“, Glasobjekte und Videoarbeiten sind Teil seiner Arbeit.
Für Angela Kohlrusch ist Bodo Korsig einer der unkonventionellsten deutschen Künstler der Gegenwart. „Er ist ein Multimediakünstler mit einem umfangreichen Werk. Holzschnitte haben natürlich schon andere gemacht, aber er hat dabei eine sehr eigene Formen- und Bildsprache entwickelt, die unheimlich hohen Wiedererkennungswert hat. Ein Korsig ist ein Korsig.“
Auch finde sie seinen Spagat zwischen Sensibilität und Brutalität reizvoll. Zweitere bestehe zum Beispiel in der monumentalen Größe mancher Korsigs. So ist die Schnittarbeit „shape of memories“ 12 mal sechs Meter groß. Andere großflächige Werke wie „head 2“ hat er mit einer Straßenwalze gedruckt. So quetscht er dem Ganzen eine weitere Bedeutungsebene Richtung „Kunst gleich Schmerz“ ein und das Werk wird flacher und tiefer gleichzeitig.
Apropos Schnittarbeit. Auch die Werkreihe „window of the mind“ ist Produkt brutaler Eingriffe – hier in Form von Material, das Korsig mit Teppichmessern oder Laserschneider weg- und herausschneidet. „In den so entstandenen Geflechten zeigt sich aber auch seine Sensibilität. Denn die feinen, organisch anmutenden Strukturen erinnern an weiche, natürliche Formen“, sagt Kohlrusch.
Dabei liegen vor allem Assoziationen mit Gehirnstrukturen oder Nervenbahnen nahe. „Das resultiert aus seiner intensiven Beschäftigung mit dem Gehirn. Wie funktioniert es und wie funktioniert es vor allem unter Extrembedingungen? Was passiert, wenn wir Hunger leiden, traumatisches erleiden oder Demenz? Diese Themen arbeitet er künstlerisch.“
Wenn aber neuronale Netze und Gehirne Vorlage für Korsigs Werke sind, was sagen dann die Auslassungen, die herausgeschnittenen Teile in seinen Skulpturen? Reizvollerweise mehrere Dinge.
Deutet man die Auslassungen unter Demenz-Gesichtspunkten, könnte hier auf die Auflösung und Auszehrung von Hirnmasse und das schließliche Verschwinden von Persönlichkeit durch diese Krankheit hingewiesen sein. Eine Aussage, die im Kontrast zu den weichen, verletzlich und harmonisch gewachsen anmutenden Formen zusätzlich an Eindrücklichkeit gewänne. Hierzu passt auch der Ausstellungstitel „ Zeitsturz“. Er soll auf Erfahrungen von Zeitverlust anspielen, die in gewisser Weise auch immer mit der Angst, nicht genug Zeit zu haben, einhergehen.
Betrachtet man die Gestaltung, beziehungsweise das Nicht-Gestaltete, übertragener, liegt zudem das künstlerisch beliebte Thema der Identität nahe. Diese ist nie nur durch sich selbst und ihre eigene Struktur bestimmt. Immer hängt sie ebenso von äußeren Einflüssen ab – seien sie gesellschaftlicher, medialer, wirtschaftlicher, oder bei Korsigs Brutalität, traumatischer Natur. Von dem also, was nicht in ihr, der Identität, ist, von ihren Lücken, die erst von außen gefüllt werden. Unternimmt der Künstler hier auch einen Appell an zwischenmenschliche Vernetzung oder deren Unvermeidbarkeit? Denn Identitätslücken werden zwangsläufig gefüllt. Weil wer lebt schon sozusagen allein auf einer Insel?
Das leitet zur nächsten Deutungsmöglichkeit über. Genau wie Identitäten können auch Kunstwerke und die Kunst selbst nicht ohne ihr Drumherum, ohne das, was sie nicht direkt sagen, sein. Ohne weiterführende oder tiefergehende Aussage, die ein Werk über sich selbst ermöglicht, liegt Kitsch vor. Wenn alles, was ein Werk sagen kann, in ihm selbst deutlich und ohne sich um Abstraktions-Ansätze zu bemühen erkennbar ist, ist es auch ohne Dampfwalze flach.
Bodo Korsigs „window of the mind“-Reihe regt mit ihren Lücken aber nicht nur zur Interpretation an. Da solche Lücken, seien sie assoziativer oder physischer Art, Voraussetzung für Deutung sind, gehen Korsigs Werke noch einen Schritt und machen im Grunde genommen eine Aussage übers Aussagen – Kunst über die Funktionsweise von Kunst. Oder eine Aussage darüber, dass Kunstwerke, wie Identitäten, sich kaum freihalten können von ihrer Deutung.