Das Wildwuchstheater goes griechische Mythologie: Für die Abschlussinszenierung der Spielzeit 2020/2021 widmet sich das Ensemble mit der Eigenkreation “Pandora. Ausgebüchst” den Legenden von Pandora und Prometheus. Unter freiem Himmel, auf dem Gelände der Eisengießerei Müller, ist am 29. Juli Premiere. Theatrale Verarbeitung von Pandemie-Frust ist dabei aber nicht geplant – eine komödiantische Annäherung an die Thematik soll die Spielzeit beenden.
In den Mythen von Prometheus und Pandora geht es, kurz gesagt, um den Titanen Prometheus, der den Göttern das Feuer stiehlt, um es den Menschen zu überreichen, und um Pandora, die als Teil der göttlichen Rachestrategie für den Diebstahl erschaffen und mit einer Büchse ausgestattet wird, die sämtliches Übel der Welt enthält. An dieser Ausgangslage orientiert sich das Wildwuchstheater für “Pandora. Ausgebüchst”. Die Regie hat Frederic Heisig übernommen. Ihn und Wildwuchs-Vorstandskollegen Sebastian Stahl haben wir zum Interview getroffen.
Wie geht es dem Wildwuchstheater?
Frederic Heisig: Ambivalent. Auf der einen Seite freuen wir uns, dass es wieder losgeht, dass wir wieder proben und planen und auftreten und wieder Publikum sehen können. Auf der anderen Seite ist es organisatorisch gerade schwierig. Wir spielen ja in der Eisengießerei Müller und da gibt es nicht gerade Theaterinfrastruktur. Was wir zum Beispiel nicht auf dem Schirm hatten, ist, wie schwer es ist, zur Zeit Toilettenwagen zu organisieren. Weil alle Welt Veranstaltungen im Freien plant, sind die Wagen vergriffen. Hinzu kommen steigende Inzidenzen und die Delta-Variante, die uns ein bisschen Sorgen macht. Nicht, dass das Ordnungsamt doch nochmal vorbeikommt und sagt, wir müssen unser Hygienekonzept anpassen.
Wie hat sich das Wildwuchstheater in den letzten eineinhalb Jahren verändert?
Frederic Heisig: (lacht) Es ist immer noch ein durch das Triumverat dreier alter Männer autokratisch geführtes Regime. Aber nächsten Jahr haben wir Vorstandswahlen – da kann sich das alles ändern. Allerdings ist die Leitung von so einem Theater ein Moloch. Ich habe nicht den Eindruck, dass es viele Leute gibt, die uns den Job abnehmen möchten.
Habt ihr während der Pandemie Mitglieder verloren?
Sebastian Stahl: Das Theater ist in den letzten eineinhalb Jahren natürlich insgesamt ein wenig eingeschlafen gewesen, weil wir wenig machen konnten. Und auch wenn es beim Wildwuchstheater generell oft ein Kommen und Gehen unter den Ensemblemitgliedern gibt, von denen viele auch in anderen Theatergruppen mitwirken, haben wir keine Mitglieder verloren. Der Kern ist schon geblieben und es kommt erst jetzt wieder alles ins Rollen.
Frederic Heisig: Was zurzeit aber auffält, ist ein Projektstau, der gerade herrscht. Wir haben ja personelle Überschneidungen mit dem ArtEast-Theater. Manchmal müssen sich die Leute also zwischen der Teilnahme an Projekten des einen oder des anderen Theaters entscheiden.
Geht ihr nach wie vor mit der gleichen Überzeugung ans Theatermachen oder seid ihr aufgrund der Pandemie vorsichtiger geworden, weil die Kultur jederzeit wieder stillgelegt werden könnte?
Sebastian Stahl: Wir sind davon überzeugt, was wir machen, und wir machen so weiter, wie wir es bisher gemacht haben. Wir hatten immer wieder massentaugliche Projekte, die darauf angelegt waren, mehr Publikum anzuziehen. Aber eigentlich probieren wir auch in Zukunft, unseren Stiefel durchzuziehen und wollen keine Abstriche machen, um gesellschaftskonformer zu werden. Wir machen, worauf wir Bock haben.
Frederic Heisig: Wir waren in Bamberg vorher schon Grenzgänger des Theatermachens – auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Und es war uns schon immer klar, welchen niedrigen Stellenwert eine gewisse Art von Kultur, auch hier in Bamberg, hat. Wir würden uns einfach freuen, wenn die Leute in der abstinenten Zeit einen Kulturhunger entwickelt haben.
“Pandora. Ausgebüchst” stellt den Abschluss der Spielzeit 2020/2021 dar. Welches Fazit zieht ihr aus dem vergangenen Theaterjahr?
Frederic Heisig: Es war nicht alles schlecht. Ich bin froh, dass wir vom Theater nicht finanziell abhängen, egal, wie die Situation gerade ist. Wir hoffen, dass die Umstände für Kultur irgendwann wieder besser werden. Ich sehe uns nämlich nicht als Theater, das sich an Internet-Formaten abarbeitet.
Wieso habt ihr als Saisonabschluss “Pandora. Ausgebüchst.” gewählt?
Sebastian Stahl: Wir wollten für den Sommer ein Stück auf die Bühne bringen. Dass wir etwas zum Mythos von Prometheus und Pandora machen wollen – mit eigenem Text, denn es gibt ja keine Vorlage –, hat sich erst in Diskussionen und Ideenentwicklung in den letzten Monaten entwickelt.
Frederic Heisig: Wir wollten aus dem Titanenwerk eine Komödie machen.
Ist es eine geworden?
Frederic Heisig: (lacht) Das wird sich zeigen! Ich würde sagen, es ist eine Wildwuchs-Komödie. Wir wollten nicht irgendwelchen Dampf oder Frust ablassen oder Negatives verarbeiten. Wir wollen etwas Druckvolles, bei dem wir ästhetisch Dinge ausprobieren können und bei dem man auch lachen kann. Damit das Ganze aber nicht völlig in der Luft hängt, haben wir uns überlegt, es mit dem Mythos von Prometheus zu unterfüttern – Prometheus als Bringer der Kultur und des Fortschritts. Das Stück sollte als Abschluss der einen Saison und als Übergang zur nächsten passen.
Was bedeutet “druckvoll” in diesem Zusammenhang?
Frederic Heisig: Theater hat immer einen Ereignischarakter. Als ein bisschen Theoriegewichse sei der französische Philosoph Alan Badiou genannt, der ein Ereignis als etwas definiert, das bestehende, wie auch immer geartete Verhältnisse grundlegend verändern kann, als kleines revolutionäres Moment. Theater hat durch seine Liveness und durch die Einmaligkeit jeder Aufführung eine Tendenz zu einem solchen Ereignis. Nicht die Handlung steht dabei im Vordergrund, sondern ein gemeinsames Gefühl, das zwischen Bühne und Publikum entsteht. Das ist zentral in unserem Stück, wir versuchen, damit ein Ereignis zu schaffen, das in dem Moment der Aufführung im Publikum etwas verändert. Und im Idealfall die Welt. (lacht)
Nehmt ihr euch darin der Corona-Thematik an?
Sebastian Stahl: Nein, wir nehmen bewusst Abstand von diesem Fingergezeige “Wir sind von der Pandemie befreit und machen wieder Kultur”. Wir wollen den Leuten etwas Lustiges bieten, etwas, das erfreut und einen versöhnlichen Charakter hat.
Ihr spielt das Stück in der Eisengießerei Müller. Wie kam diese Kooperation zustande?
Sebastian Stahl: Passt doch gut zur Thematik – Prometheus, Feuer, Stahl. Unser Ensemblemitglied Kristina Greif war dort auf der Suche nach einer Feuertonne und hat mit dem Betreiber über die Möglichkeit einer Kulturveranstaltung auf seinem Gelände gesprochen. Kann man machen, hat er gesagt. Das war’s.
Frederic Heisig: Ich bin eigentlich nicht der größte Fan von Open-Air-Theater. Man ist zu sehr abhängig vom Wetter und der Dämmerung. Außerdem verteilt sich die Präsenz und die Energie von der Bühne ganz anders. Aber aufgrund der aktuellen Lage ist es die bestmögliche Art, Theater zu machen, sowohl von der Genehmigung als auch von der Verantwortung gegenüber dem Publikum. Aber die Eisengießerei Müller ist mit ihrer Atmosphäre eines verlassenen Ortes, eines “Lost Place” wie man heute so sagt, ein so spannender Ort, dass es wert ist, es zu versuchen. Wir versuchen auch so wenig wie möglich Theaterbauten aufzustellen, sondern wollen den Ort so gut es geht nutzen. Das Ambiente mit seinen alten rumstehenden Metallsachen ist Teil des Konzepts. Wir versuchen ein homogenes Gebilde daraus zu erschaffen.
Auf den vorab veröffentlichten Probenfotos ist eine Katze zu sehen. Wird sie eine Rolle in dem Stück übernehmen?
Sebastian Stahl: Diese Katze lebt auf dem Gelände der Gießerei. Machmal ist sie da und verfolgt die Proben, manchmal nicht. Als wir die Fotos gemacht haben, war sie da und wir haben sie schnell eingebunden. Mal schauen, ob sie bei der Premiere anwesend sein wird. Und wenn die Leute danach sagen, dass es ein tolles Stück war, weil eine Katze vorkam – dann soll es so sein.
Wildwuchstheater
“Pandora. Ausgebüchst”
29. Juli, 20 Uhr
Eisengießerei Müller, Hallstadter Straße 44
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