Bundesweit finden, in aufgeheiztem gesellschaftlichen Klima, vom 14. bis 27. März unter dem Motto „Haltung zeigen“ die 10. Internationalen Wochen gegen Rassismus statt. Womöglich taten sie noch nie so Not wie heute. Zwar haben Achtsamkeit und Sensibilität gegenüber Diskriminierung und Rassismus zugenommen – jedoch ohne gleichzeitigen Schwund der Diskriminierungen und rassistischer Vorfälle.
Seit einigen Monaten schickt der Bamberger Migrantinnen- und Migrantenbeirat (MIB) verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Personen Einladungen zu, sich an den Internationalen Wochen gegen Rassismus zu beteiligen, die mit Kooperationspartner*innen aus Stadt und Landkreis organisiert werden. Vorträge, Filmvorführungen, Lesungen, Konzerte, Gesprächs- oder Diskussionsrunden – die Möglichkeiten, einen Teil zum Programm der Wochen beizutragen, sind vielfältig. Die Rückmeldungen und Zusagen ebenfalls.
„Wir wollen“, sagen Mitra Sharifi und Dr. Karin Gehrer, Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende des MIB, „gemeinsam mit möglichst vielen Organisationen und Institutionen die Möglichkeit anbieten, für das Thema Rassismus zu sensibilisieren, rassistische Strukturen und Denkweisen offenzulegen und Zeichen für Solidarität, Respekt und die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu setzen.“
Ein besonderer thematischer Schwerpunkt liegt auch in diesem Jahr auf dem Angebot für Kinder und Jugendliche. So wird es beispielsweise erneut einen Plakat- und Filmwettbewerb, aber auch den Projekttag mit zahlreichen Workshops für Schulen geben. Außerdem beteiligt sich auch der Landkreis an den Aktivitäten der Wochen.
Wir haben mit Mitra Sharifi und Karin Gehrer über die Internationalen Wochen gegen Rassismus, Sensibilisierung, Fußgängerdemos und die antidemokratische Situation in Bamberg gesprochen.
Frau Sharifi, Frau Gehrer, was verbinden Sie mit dem Motto der 10. Internationalen Wochen gegen Rassismus „Haltung zeigen“?
Mitra Sharifi: Wir finden es sehr wichtig, dass sich die Stadtgemeinschaft bewusst ist, wie vielfältig sie ist. Man muss einen Blick haben für die Vielfalt und gleichzeitig sensibilisiert sein für die Diskriminierungen, die stattfinden. Das heißt auch, dass wir gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung Position beziehen und Haltung zeigen müssen.
Karin Gehrer: Für mich heißt Haltung zeigen, einen gewissen Widerstand zu leisten. Stay Awake zum Beispiel sollte nicht einfach ignoriert werden. Es sollte nicht toleriert werden, weil wir keinen Rechtsextremismus, Hetze und Desinformation tolerieren. Wir sind für ein positives Miteinander verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.
Wie sensibilisiert für Rassismus und Diskriminierung ist die Bamberger Stadtgesellschaft?
Mitra Sharifi: Ganz positiv finde ich in Bamberg, dass wir eine vielfältige und lebendige Zivilgesellschaft haben. Es gibt viele Gruppierungen und Einzelpersonen, die sich in verschiedenen Bereichen umeinander kümmern und durchaus mit Zivilcourage schauen, dass Minderheiten nicht in Bedrängnis kommen und diskriminiert werden. Aber das ist natürlich nicht bei allen der Fall. Egal, ob mit oder Migrationshintergrund, es gibt immer wieder Diskriminierung und rassistische Vorfälle – teilweise bewusst und absichtlich, teilweise unbewusst. Wir wachsen alle in zum Teil von rassistischen Vorurteilen geprägten Kulturen auf. Europäischer Kolonialismus und dafür erfundene Rassen-theorien wirken fort, wenn wir uns nicht damit auseinander setzen. Dafür ein Bewusstsein zu entwickeln, ist sehr wichtig, sich also zu fragen, was man bei einer anderen Person möglicherweise anrichtet, ob man sie möglicherweise verletzt, indem man ein Wort benutzt, das diskriminierend ist, auch wenn man es selbst nicht so sieht.
Karin Gehrer: Ich stimme voll und ganz zu, habe aber auch ein gewisses „aber“. Ich oder wir alle, denke ich, nehmen wahr, dass diese Coronaleugner-Strömungen, die durch die Corona-Bedingungen ganz stark geworden sind, eine ehemals angenommene stille bürgerliche Mitte politisch auf einen ganz anderen Weg gebracht hat. Bis vor zwei Jahren dachte ich noch, die schweigende Mehrheit entwickelt sich, was die Sensibilisierung angeht, in eine positive Richtung. Nun sehe ich, wie Teile Seite an Seite mit dem Dritten Weg oder dergleichen laufen. Diese rechtsextreme Schleife, die diese Coronaleugnerdemos nehmen, beunruhigt mich.
Stimmen Sie pauschalen Verurteilungen derjenigen als rechts zu, die bei diesen Demonstrationen mitlaufen, ohne etwas dagegen zu haben, das zusammen mit Rechtsextremen zu tun?
Mitra Sharifi: Ich gehe davon aus, dass es bei den Demos kaum noch Naive gibt. Trotzdem würde ich auch nicht gleich alle als rechtsradikal bezeichnen. Dass es da keine Kontaktscheu, mit Rechten zu laufen, gibt, ist schrecklich genug. Aber ich hoffe, dass wir es verhindern können, dass all diese Menschen nach rechts überlaufen. Ich hoffe, dass diese Leute irgendwann feststellen, dass sie in der solidarischen gesellschaftlichen Gemeinschaft besser aufgehoben sind. Dabei sollte man aber auch sozialpolitische Zustände nicht vergessen. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen, die es in Deutschland nun einmal gibt, bereitet oft eine Basis dafür, Menschen zu verunsichern, ihnen das Gefühl der Benachteiligung zu geben und sie zu leichter Beute für rechts zu machen.
Karin Gehrer: Vielleicht gibt es Menschen, die wirklich bei diesen Demonstrationen, den sogenannten Spaziergängen, noch nicht erkennen, wer da bei ihnen mitläuft – vielleicht sind sie teilweise noch nicht richtig informiert darüber, genießen einfach das Mitlaufen mit Trommeln und Gesängen oder fallen auf die „gute Stimmung“ rein. Fake News und Soziale Medien machen das Erkennen oft schwer.
Welche Entwicklung hat die gesellschaftliche Sensibilisierung beim Thema Rassismus seit den ersten Internationalen Wochen gegen Rassismus genommen?
Mitra Sharifi: Ich denke, dass in den Bereichen Wahrnehmung von und Notwendigkeit einer rassismuskritischen Haltung insgesamt in Deutschland Fortschritte gemacht wurden. Leider sind diese Fortschritte oft mit ganz schrecklichen Ereignissen verbunden, zum Beispiel der Mord an Walter Lübcke oder die Anschläge in Hanau und Halle. Aber sie haben Politik und Bevölkerung wachgerüttelt. Leider hat sich auch die undemokratische Gegenbewegung verstärkt, durch Populisten und Rechtsextreme. Diese Gefahr muss man wahrnehmen, man kann nicht einfach zuschauen. Man muss sich um den Schutz der Demokratie bemühen. Das Thema Rassismus ist dabei eines der Themen, das am nachhaltigsten bearbeitet werden muss, weil Rassismus die Grundlage von rechten und antidemokratischen Ideologien ist.
Karin Gehrer: Wobei dabei auch alles ineinandergreift: Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus, Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen. Strukturell und im Denken sind Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen immer noch da. Uns als MIB ist es darum ein Anliegen, Vorurteile vor allem im persönlichen Austausch, sei es mit den Internationalen Wochen im Frühjahr oder den Interkulturellen Wochen im Herbst, abzubauen.
Mitra Sharifi: Das ist ein Prozess, der auch im Alltag jeden Tag stattfinden muss – im Privaten, auf der Arbeit, in der Nachbarschaft. Je mehr Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen, desto weniger Chance für Rassismus.
Wie hat sich die antidemokratische Situation in Bamberg in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?
Mitra Sharifi: Ich würde sagen, dass auch hier die beiden Strömungen ausgemacht werden können, die wir schon angesprochen haben. Auf der einen Seite sind rassistische rechte Strukturen lauter und sichtbarer geworden. Aber auf der anderen Seite ist auch die Sensibilität für das Thema gestiegen. Ich finde, wir haben heute viel mehr sozusagen Bündnispartner, viel mehr Leute und Organisationen, die mitmachen, dagegenhalten und Solidarität zeigen. Außerdem ist unter den von Rassismus und Diskriminierung Betroffenen das Selbstbewusstsein gestiegen. Strukturell hat sich in Bamberg allerdings noch nicht viel getan. Es gibt seit Kurzem einen Antisemitismusbeauftragten, was wir begrüßen, aber wir hoffen nach wie vor, dass Bamberg irgendwann auch eine Anti-Diskriminierungsstelle bekommt. Die Universität hat schon eine und geht mit gutem Beispiel voran.
In welchem Umfang nehmen Sie Antisemitismus in Bamberg wahr?
Mitra Sharifi: Antisemitismus ist eine sehr alte Form von Rassismus, die sich trotz aller Erfahrung, trotz aller Gedenkarbeit gehalten hat und wieder zunimmt. Zum Beispiel durch Verschwörungstheorien, wie sie auf Corona-Demos verbreitet sind. Die Synagogen in Deutschland müssen wieder polizeilich geschützt werden. Das ist schlimm.
Wie viele antisemitische Vorfälle gab es im letzten Jahr in Bamberg?
Mitra Sharifi: Wir haben leider keine Zahlen, weil es eben keine Stelle gibt, die sie erhebt.
Wie sind Rassismus und Diskriminierung in migrantischen Gruppen ausgeprägt?
Mitra Sharifi: Das ist ein Punkt, der auf jeden Fall auch zu unseren Themen gehört. Man muss aber unterscheiden. Man spricht von Rassismus bei Diskriminierung innerhalb von Machtstrukturen. Das heißt, um Rassismus auszuüben, muss man in einer Machtposition gegenüber der Partei sein, über die man ihn ausübt. Aber rassistische Denkmuster, Vorurteile, Hierarchien zwischen bestimmten Gruppen oder ganz klar faschistische Gruppen gibt es auch unter den Migrant*innen. Aufklärung und Sensibilisierung sind in der ganzen Gesellschaft notwendig. Wobei eigene Diskriminierungserfahrungen eine Grundlage dafür sein können, die Diskriminierung anderer besser zu erkennen und sein Verhalten zu ändern.
Wird es zum zehnjährigen Jubiläum der Internationalen Wochen gegen Rassismus etwas Besonderes geben?
Karin Gehrer: Es gibt immer etwas Besonderes! Jede Veranstaltung ist besonders. Auf jeden Fall ungewöhnlich gegenüber anderen Jahren ist, dass auch dieses Jahr einige der Veranstaltungen wieder online stattfinden müssen.
Mitra Sharifi: Was gut, wichtig und in diesem Jahr stärker ausgeprägt ist, ist die Kooperation mit dem Landkreis. Auch dort beobachten wir, dass Aufklärung und Stärkung des Zusammenhalts nottun.
Das Programm der Internationalen Wochen gegen Rassismus besteht unter anderem aus Filmvorführungen, Workshops, einem großen Angebot für Kinder und Jugendliche und Podiumsdiskussionen. Laden Sie zu diesen Diskussionen auch Personen aus dem rechten Lager ein?
Mitra Sharifi: Wir diskutieren nicht mit Antidemokraten. Im Vorfeld der Bundestagswahl hatten wir eine Diskussionsveranstaltung, zu der wir auch die örtliche AfD eingeladen hatten. Bei den Wahlen musste der MIB als städtisches Gremium neutral bleiben.
Haben Sie bei diesen Leuten trotzdem noch die Hoffnung, dass sie sich irgendwann eines Besseren besinnen und umdenken oder den Ausstieg aus rechten Strukturen suchen?
Mitra Sharifi: Ausstiege passieren schon immer wieder und dafür braucht es Begleitung und Unterstützung. Das ist wichtig, weil es nicht leicht ist, aus solchen ja teilweise auch gewalttätigen Strukturen auszusteigen. Aber eigentlich müssen wir schauen, dass Leute in solche Strukturen gar nicht erst reingeraten. Deshalb ist Präventionsarbeit auch so wichtig.
Ein Thema, das stark von rechts vereinnahmt wird, ist das der Corona-Impfung. Werden Sie bei den Wochen gegen Rassismus auf das Thema eingehen, vielleicht sogar mit Impfaufruf?
Mitra Sharifi: Haben wir schon. Der Beirat hat sich dazu schon sehr früh positioniert. Wir haben mehrsprachige Impfaufrufe gemacht.
Wie steht es um Impf-Skepsis in migrantischen Gruppen?
Mitra Sharifi: Es wurde Migrant*innen teilweise vorgeworfen, weniger impf-affin zu sein. Zum Teil ist die Impfquote der Migran*innen tatsächlich etwas niedriger im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, aber da muss man verschiedene Aspekte berücksichtigen. Zum einen ist die migrantische Bevölkerung viel jünger. Nach den neuesten Studien ist die Impfbereitschaft unter bestimmten Gruppen sogar höher als bei der Gesamtbevölkerung, Iraner*innen, Türk*innen und Afghan*innen zum Beispiel. Bei osteuropäischen Migrant*innen scheint sie niedriger zu sein. Die Frage ist also auch, was wir zur Überwindung von sprachlichen Barrieren bei der Aufklärung zur Impfung machen können, damit die Betroffenen nicht nur Falschinformationen ausgeliefert sind.
Was haben Sie in den zehn Jahren der Internationalen Wochen gegen Rassismus erreicht?
Karin Gehrer: Wir haben erreicht, dass die Internationalen Wochen ein fester Bestandteil der städtischen Kultur geworden sind und zur gesellschaftlichen Veranstaltungsdiversität beigetragen haben. Mit den Wochen im Frühjahr und im Herbst organisieren wir zwei für die Stadt wichtige Termine – auf ehrenamtlichen Schultern.
Mitra Sharifi: Ich freue mich darüber und finde es sehr wichtig, dass der Kreis an Organisationspartnern, also der Jugendmigrationsdienst der SkF, der Stadtjugendring, der Ja:ba oder die Medienzentrale der Diözese Bamberg und das Bamberger Bündnis gegen Rechtsextremismus, die die Wochen mit uns organisieren, immer größer geworden ist. Das sind Akteur*innen, die ihrerseits in ihrer Arbeit diese beiden Termine fest verankert haben.
Welchen Erfolg erhoffen Sie sich von den Wochen 2022?
Mitra Sharifi: Dass das ganze Jahr Internationale Wochen sind! Wenn das ganze Jahr über die Thematik und die Solidarität mit Menschen, die von Rassismus betroffen sind, nicht vergessen wird.