Die Städtische Musikschule Bamberg, gegründet als Städtische Singschule, wird dieses Jahr 75 Jahre alt. Heute nehmen pro Jahr mehr als 2000 Menschen ihr Lehrangebot in Anspruch. Wir haben Leiter Martin Erzfeld zum Interview getroffen.
Im Jahr 1949 wurde nicht nur das deutsche Grundgesetz verabschiedet, es zeitigte ebenfalls die Gründung der Musikschule Bamberg. Damals noch unter dem Namen „Städtische Singschule“ bekannt, trug die Eröffnung der Einrichtung einen Teil zum Wiederaufbau nach dem Krieg bei und, in diesem Fall, zusätzlich zur pädagogisch-kulturellen Grundversorgung.
Der frühere Name deutet es an: In ihren Anfangszeiten hatte sich die Schule der Förderung der gesanglichen Fähigkeiten ihrer Schüler:innen verschrieben. Damit fand sie schnell Anklang. Schon kurze Zeit nach der Gründung hatten die Verantwortlichen Kooperationen mit sämtlichen Volksschulen Bambergs etabliert, die in der Folge Singklassen unterrichteten. „Es war damals eine gute Idee, die Musikschule als Singschule neu zu gründen“, sagt Martin Erzfeld, der heutige Leiter der Schule, „weil zu singen ist eine sehr niederschwellige Art zu musizieren.“ Entsprechend kam zu den Konzerten der Singklassen bereits 1950 so viel Publikum, dass der Auftrittsort, der Dominikanerbau im Sandgebiet, an drei aufeinanderfolgenden Abenden ausverkauft war. Und im Angesicht der Zahl der singenden Kinder herrschte zu einem Programm aus Volksliedern auch auf der Bühne Gedränge.
Seit 1952 bietet die Schule zudem Instrumentalunterricht an und wuchs weiter. 65 Jahre lang war sie in der Gangolfschule in der Luitpoldstraße untergebracht, ehe die dortigen Räumlichkeiten für das um Instrumentengruppe und Instrumentengruppe immer weiter wachsende Angebot endgültig zu klein geworden waren. Seit 1982 auch mit einem neuen Namen ausgestattet, zog die Städtische Musikschule Bamberg im Jahr 2014 um, in ihre heutige Adresse in der St.-Getreu-Straße. Darum kann die Musikschule in diesem Jahr nicht nur ihr 75-jähriges Bestehen begehen, sondern auch ihr zehnjähriges am Michelsberg.
Heute bietet die Musikschule allen Altersgruppen Instrumentalunterricht auf nahezu allen klassischen und nicht-klassischen Instrumenten, unterhält Ensembles und Bands, und veranstaltet regelmäßig Konzerte. Von ihren 55 Mitarbeitenden sind 52 Lehrkräfte, die sich um die ziemlich große Zahl von derzeit 1700 Schüler:innen kümmern. „In unseren Eltern-Kind-Gruppen fangen wir mit Einjährigen an“, sagt Martin Erzfeld. „Auch haben wir einen sehr großen Bereich in den Grundfächern elementarer Musikpraxis, die wir hauptsächlich in Kindergärten anbieten – aktuell 21 im Stadtgebiet. Damit erklärt sich auch die hohe Belegungszahl.“ Das Altersspektrum der Musikschülerinnen und ‑schüler reicht von Babys und Kleinkindern über Kinder, Jugendliche und auch Erwachsenen bis hin zu Seniorinnen und Senioren und sogar Demenzkranken.
Martin Erzfeld (Instrument: Querflöte) ist seit 1993 Leiter der Musikschule und dirigiert das Jugendorchester. Wir haben mit ihm auf die Geschichte der Schule geblickt und vor allem über die weichen sozialen Ränder des Daseins einer Musikschule gesprochen.
Herr Erzfeld, warum sollten Kinder Instrumente lernen?
Martin Erzfeld: Bevor Kinder sich für ein Instrument entscheiden, sollten wir sie zunächst etwa im Rahmen der Elementaren Musikpraxis für Musik begeistern. Das spiegelt sich auch im Angebot der Musikschule wider. So unterrichten wir nicht nur Klassische Musik, die durchaus ein Schwerpunkt ist, sondern auch Jazz, Rock oder Pop. Unabhängig davon ist Musikmachen grundlegend eine ungemein erbauende Beschäftigung. Es gibt einem sehr viel, zum Beispiel, wenn man beim Üben merkt, wie man Fortschritte macht und besser wird. Hinzu kommt: Mit Musizieren kann man anderen eine Freude machen. Zum Beispiel, wenn Kinder ihrer Oma ein Weihnachtslied oder ein Geburtstagsständchen vorspielen, merken sie, dass Musik nicht nur ihnen selbst etwas gibt, sondern auch anderen etwas bedeuten kann. Erwähnen möchte ich auch die Zusatzkompetenzen, die man sich durch das Musizieren erwirbt. Gerade, wenn man gemeinsam Musik macht, also im Ensemble oder in einer Band, wird soziales Lernen gefördert oder Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Rücksichtnahme. Dies sind Dinge, die eine Gesellschaft gut brauchen kann. Ich würde sogar sagen, dass Musikmachen letztlich auch eine Form von Demokratieförderung sein kann.
Wie meinen Sie das?
Martin Erzfeld: Ohne demokratischen Geist kommt man in einem Musikensemble nicht klar. Natürlich braucht es einen, der sagt, wie gespielt wird. Aber in einem Chor oder einer Instrumentalgruppe würde nicht viel funktionieren, wenn einer wie ein Diktator alles vorgibt. Die Kompetenz der Ensemblemitglieder muss auch einfließen.
1952 nahm die Musikschule den Unterricht von Instrumenten in ihr Angebot auf. Wie kam es zu diesem Schritt?
Martin Erzfeld: Das Interesse wuchs. Viele Kinder sangen gerne, aber sie wollten zunehmend auch Instrumente erlernen. Los ging es dann mit klassischen Instrumenten wie Streich- und Holzblasinstrumenten und natürlich dem Klavier. Über die Jahre entwickelte sich das Angebot entsprechend immer mehr Richtung Instrumentalunterricht, während der Vokalbereich in den Hintergrund trat und Anfang der 1990er Jahre völlig verschwand. 1982 wurde die Schule dann von meinem Vorgänger Richard Eichfelder auch in Städtische Musikschule Bamberg umbenannt. Als ich 1993 Leiter wurde, haben wir den Vokalbereich zunächst mit Gesangsunterricht wieder aufgebaut. Seit nunmehr 15 Jahren gibt es auch wieder Chorklassen, analog zu den damaligen Singklassen.
Aus welchen Gründen schicken Eltern ihre Kinder auf die Musikschule?
Martin Erzfeld: Ich denke, der Grundgedanke, ein Instrument zu lernen, besteht erst einmal völlig unabhängig vom Instrument. Ob jemand Harfe, Klavier oder Klarinette lernt – die Motivation dazu ist bei jedem Menschen sehr unterschiedlich. Bei unserem Informationstag, bei dem wir jährlich unsere gesamte Musikschule öffnen und den Kindern die Möglichkeit geben, jedes Instrument auszuprobieren, wuseln sie durch das ganze Haus. Dabei ist es fast magisch zu beobachten, wie einzelne Kinder an ganz bestimmten Instrumenten hängenbleiben.
Streben die Kinder dabei weniger prominenten Instrumenten, wie vielleicht die Tuba, genauso häufig zu wie dem Klavier oder der Gitarre? Welche sind die beliebtesten Instrumente an der Musikschule?
Martin Erzfeld: Das Klavier ist die unangefochtene Nummer eins, obwohl man sich ein solches Instrument ja auch erst einmal nach Hause holen muss. Auf Platz zwei liegt bei uns, das ist nicht an jeder Musikschule so, die Violine. Wir haben eine unglaublich starke Streicherklasse. Platz drei hat die Gitarre inne, das ist, denke ich, keine Überraschung. Die Beliebtheit eines Instruments hängt aber auch stark mit seiner Präsenz in der Musik oder in den Medien zusammen. Natürlich kennen alle ein Klavier oder eine Geige, aber wer kennt schon ein Fagott. Darum gibt es Instrumente, die bei uns weniger nachgefragt werden. Das spielt natürlich auch eine Rolle bei der Besetzung der Ensembles, für die wir natürlich auch Hörner, die Tuba oder Posaunen brauchen.
Welche Rolle spielt das Alter bei der Instrumentenwahl?
Martin Erzfeld: Früher hat man zum Beispiel bei Blasinstrumenten gesagt, dass die Kinder mindestens 12 oder 13 Jahren alt sein sollten, wenn sie sie zu lernen beginnen. Instrumentenbauer sind uns da jedoch entgegengekommen und haben kleinere, kindgerechte Instrumente gebaut. Das heißt: Heute können Kinder schon im Grundschulalter nahezu jedes Instrument beginnen. Allerdings besteht heute das Problem, dass bei 12- oder 13-Jährigen alle Weichen bereits gestellt und die Hobbys besetzt sind. Also haben wir über die Jahre versucht, das Einstiegsalter immer weiter zu senken.
Wie sieht die Motivation, eine Musikschule zu besuchen aus, wenn die Kinder das Pubertätsalter erreichen?
Martin Erzfeld: Wir versuchen natürlich, die Schüler, bevor sie in die schwierigen Jahre der Pubertät kommen, auf ihrem Instrument so weit zu bringen, dass sie es durch diese Delle hindurch schaffen, falls die Motivation zu üben nachlassen sollte. Darum legen wir den Ausbildungsweg so an, dass die Schüler als Kinder ein Grundfach besuchen und die Musikschule erst zu ihrem Schulabschluss wieder verlassen. Was ich aber ganz klar einräume, ist ein Knick in der Altersstruktur unserer Schüler, den wir bei den 14- bis 19-Jährigen feststellen. Wir haben sehr viele Schüler im Vor- und Grundschulalter, im
Alter von 11 bis 14 geht es noch, aber dann fällt die Schülerzahl deutlich ab.
Warum wollen Kinder Stücke des klassischen Kanons, die teilweise hunderte Jahre alt sind, spielen können?
Martin Erzfeld: Musik ist ein Kulturgut und unsere kulturelle Geschichte spielt auch mit hinein. Ebenso muss man sehen, dass Musik zeitlos ist. Man kann von einem Werk von Bach, das 300 Jahre alt ist, immer noch ergriffen sein. Das spüren auch die Kinder, wenn sie mit klassischer Musik in Berührung kommen. Sie sind fasziniert von den Klängen und dem Zusammenspiel. Unser Auftrag ist es entsprechend auch, dieses Kulturgut weiterzutragen. Im Gegensatz zu anderen Künsten lebt die Musik zudem durch die Aufführung. Die wenigsten würden etwas davon haben, nur eine Partitur anzusehen. Natürlich kann man unzählige Aufnahmen anhören, diese können aber niemals das Live-Erlebnis eines Konzertes ersetzen. Deswegen haben Konzerte an unserer Musikschule auch einen so hohen Stellenwert.
Die prestigeträchtigeren Veranstaltungen, wie Konzerte in der Konzerthalle, scheint es dabei aber für klassische Musik und deren Instrumente zu geben. Würde es zum Selbstverständnis der Musikschule passen, auch Konzerte zu veranstalten, bei denen die Kinder ihre Lieblingsstücke aus der Popmusik spielen?
Martin Erzfeld: Das klassische Repertoire ist unser Schwerpunkt, aber auch Popmusik spielt bei uns eine Rolle und kann für Lehrkräfte und Schüler eine willkommene Abwechslung sein. Der Unterricht basiert auf Lehrplänen, die für jedes einzelne Instrument aufgebaut sind. Die Schüler sollen also über die Jahre aus allen Epochen und Genres Musik kennenlernen. Und dazu gehören neben dem Klassischen auch Jazz, Blues, Rock oder zeitgenössische Stücke. Wir versuchen über den Ausbildungsweg, der bei uns nicht selten zehn oder mehr Jahre dauert, die gesamte Bandbreite zu vermitteln. Und was die Konzerte angeht, sind wir gerade dabei, unsere Veranstaltungsstrukturen dahingehend zu überarbeiten, dass auch mehr Nicht-Klassik vorkommt.
Wie geht die Musikschule mit dem Rebellischen, das der Musik innewohnen kann, um? Melden sich auch Jugendliche bei Ihnen, die Musik sozusagen eher wegen des Rock ’n’ Rolls suchen oder um eine Garagenband zu gründen?
Martin Erzfeld: Jeder findet seinen Weg in die Musik, eine Garage oder einen Probenkeller können wir allerdings nicht anbieten. Da ist nicht unser Auftrag. Aber, um einmal diesen vom Stadtrat in unserer Satzung formulierten Kultur- und Bildungsauftrag zu nennen: Wir sind verpflichtet, auch Vielfalt anzubieten. Und dabei versuchen wir allen, die hier musizieren möchten, das Handwerkszeug so an die Hand zu geben, dass sie damit auch eine Garagenband gründen könnten.
Gibt es Fälle, in denen die Eltern eigene musikalische, aber unerfüllte, Ambitionen durch ihre Kinder ausleben wollen und sie darum bei Ihnen anmelden? Oder ist das ein Klischee?
Martin Erzfeld: In Konferenz thematisieren wir oft einen Ausspruch von Eltern: Mein Kind muss ja nicht ein kleiner Mozart werden, es soll einfach nur ein bisschen Spaß haben. Das stellt aber in Abrede, dass Spaß und Leistung zusammenpassen. Gerade wenn ein Kind ein Instrument lernt und Fortschritte feststellt, leistet es etwas und der Fortschritt bereitet Freude. Aber zu Ihrer Frage, ich sage mal so: Die Musikschulgebühren sind nicht so niedrig, dass jemand sein Kind in den Unterricht zwingen würde. Und wenn ein Kinder ohne eigene Motivation zum Unterricht kommt, würden unsere Lehrer das auch bald zurückmelden. Wenn die Motivation nicht vom Kind ausgeht, ist es zusätzlich sinnlos. Was ich aber schon erlebt habe, sind Eltern, die für ihr Kind ein bestimmtes Instrument vorgesehen haben, während das Kind aber ein anderes spielen wollte. Da dauert es kein halbes Jahr, bis das schiefgegangen ist und das Instrument gewechselt wird.
Sie sprechen die Gebühren an, Instrumente sind ebenfalls teuer: Ist die Musikschule nur etwas für die Kinder besserverdienender Eltern?
Martin Erzfeld: Nein, wir treten mit dem Anspruch an, dass kein Kind in Bamberg, das ein Instrument lernen möchte, aus finanziellen Gründen wegbleiben muss. Der Besuch unserer Musikschule soll bezahlbar sein, weswegen unsere Musikschule auch bezuschusst wird. Die Stadt als Trägerin der Schule übernimmt etwa 50 Prozent der Gesamtkosten, ein größerer Betrag kommt vom Land Bayern. Ohne diese Gelder müssten wir tatsächlich ganz andere Gebühren verlangen. Wir haben zudem Sozialermäßigung, die derzeit etwa 30 Kindern aus sozial schwächeren Familien zugutekommt. Außerdem besteht die Möglichkeit, eine ganze Reihe von Instrumenten zu geringen Gebühren zu mieten.
2024 wird die Musikschule 75 Jahre alt. Welche Veranstaltungen planen Sie im Jubiläumsjahr?
Martin Erzfeld: Im März hatten wir schon ein großes Orchesterkonzert. Unsere Highlight-Veranstaltung im Jubiläumsjahr wird aber das Jubiläumskonzert am 7. Juli in der Konzerthalle sein. Es zeichnet sich ab, dass dieses Konzert das größte sein wird, das unsere Musikschule jemals veranstaltet hat. Wir haben etwa 450 Mitwirkende. Viele Ensembles und Chöre sind dabei, unsere Orchester sowie Schülerinnen und Schüler aus allen Fachbereichen. Und was mich besonders freut: Wir spielen sehr viel in großer Besetzung und wollen den Platz in der Konzerthalle ganz nutzen. Außerdem werden Gäste aus Bambergs Partnerstädten Esztergom, Villach und Prag dabei sein, die in unseren Ensembles mitspielen. Am 14. September gibt es unser großes Musikschulfest, bei dem wir auch das zehnjährige Jubiläum des Umzugs feiern. Das dritte Highlight in diesem Jahr ist der Bayerische Musikschultag, der nach 1984 und 1999 erneut in Bamberg stattfindet. Das haben wir zum Jubiläumsjahr schon frühzeitig in die Wege geleitet.