Lite­ra­tur­sze­ne zu Gast in der Domstadt

9. Bam­ber­ger Literaturfestival

6 Min. zu lesen
Bamberger Literaturfestival
Rainald Grebe (Foto: Christoph Busse) liest am 15. Februar beim BamLit, Julian Nida-Rümelin (Foto: Diane von Schoen) am 20. Februar und Gisela Schneeberger (Foto: Gisela Schneeberger) am 14. April
Bis zum 4. Mai sind beim Bam­ber­ger Lite­ra­tur­fes­ti­val auch in die­sem Jahr wie­der eine Viel­zahl bekann­ter Autorin­nen und Autoren zu Gast. Wir haben im Vor­feld die Autorin und Mit­or­ga­ni­sa­to­rin Tan­ja Kin­kel getrof­fen und mit ihr über das Fes­ti­val, ihre eige­nen Lesun­gen und ihr neu­es Buch gesprochen.

Unter dem Titel „Jüdi­sches Bam­berg – Stim­men aus Jahr­hun­der­ten“ fand am 21. Janu­ar die Eröff­nungs­ver­an­stal­tung der 9. Aus­ga­be des Bam­ber­ger Lite­ra­tur­fes­ti­vals statt. „Die­se The­men­wahl war ange­sichts der aktu­el­len Ereig­nis­se natür­lich kein Zufall“, sagt Tan­ja Kin­kel. „Durch die Aus­wahl der Lite­ra­tur woll­ten wir zei­gen, wie lan­ge jüdi­sche Geschich­te auch hier in Bam­berg besteht.“

Im Gespräch, mit Lesun­gen und Musik führ­ten Tan­ja Kin­kel, Nev­fel Cum­art, die Bam­ber­ger Rab­bi­ne­rin Ant­je Yael Deu­sel, Rolf Bern­hard Essig, Franz Trö­ger und Karin Deng­ler-Schrei­ber durch mehr als ein Jahr­tau­send jüdi­scher Geschich­te und Gegen­wart in Bamberg.

Erzählt wur­den span­nen­de, aber auch tief­trau­ri­ge Geschich­ten über jüdi­sche Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger, zumeist in Brief­wech­seln. Etwa die Braut­brie­fe eines frän­ki­schen Lie­bes­paa­res aus Zei­ten des Roko­ko Mit­te des 18. Jahr­hun­derts, das in sei­nen Brie­fen in blu­mi­ger Spra­che umein­an­der warb und in Vor­freu­de auf eine Lie­bes­ehe in letz­ter Minu­te doch einen ande­ren Ort für die Hoch­zeit wähl­te, um in Sicher­heit fei­ern zu kön­nen. Oder die Brie­fe der ehe­ma­li­gen kosche­ren Metz­ge­rei der Fami­lie Kuhn in der Luit­pold­stra­ße, die seit der Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­lis­ten immer stär­ke­re Dis­kri­mi­nie­rung erlebte.

Auch von einem Rab­bi, der sich bereits im 12. Jahr­hun­dert auf die Sei­te der Frau­en­rech­te stell­te, gab es aller­hand Inter­es­san­tes zu berich­ten sowie von Dr. Adal­bert Fried­rich Mar­cus, dem zum Chris­ten­tum kon­ver­tier­ten jüdi­schen Leib­arzt des Fürst­bi­schofs Franz Lud­wig von Erthal, nach dem spä­ter unter ande­rem die heu­ti­ge Mar­kus­brü­cke benannt wur­de. In dem nahe­ge­le­ge­nen ehe­ma­li­gen Kran­ken­haus hat­te er erst­mals die Pocken­schutz­imp­fung ein­ge­führt, mit E.T.A. Hoff­mann in einem Lese- und Kon­zert­ver­ein zusam­men­ge­ar­bei­tet und schließ­lich die Alten­burg geret­tet, indem er sie damals kauf­te und sanierte.

Im Gespräch mit Ant­je Yael Deu­sel konn­ten die Besu­che­rin­nen und Besu­cher zum Auf­takt des Bam­ber­ger Lite­ra­tur­fes­ti­vals zudem mehr über die Auf­ga­ben einer Rab­bi­ne­rin und die Gegen­wart der jüdi­schen Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger erfah­ren. „Es war ein wich­ti­ger Vor­mit­tag, emo­ti­ons­ge­la­den und gefüllt mit span­nen­den Per­so­nen aus der jüdi­schen Stadt­ge­schich­te“, resü­miert Tan­ja Kinkel.

Neu­er Band zum May’schen Ori­ent „Toch­ter der Wüste“

Mit der Lesung der Titel­ge­schich­te des Buchs „Toch­ter der Wüs­te“ ist die Autorin, Essay­is­tin und pro­mo­vier­te Ger­ma­nis­tin Tan­ja Kin­kel am 9. Febru­ar unter­des­sen selbst zu sehen. An dem Band über den Ori­ent, wie ihn Karl May sich in sei­nen Roma­nen vor­stell­te, haben ins­ge­samt sie­ben zeit­ge­nös­si­sche Autorin­nen und Autoren mit­ge­wirkt. Unter Ver­wen­dung sei­ner Schau­plät­ze und Figu­ren ent­stan­den zehn neue Geschichten.

Bamberger Literaturfestival
Tan­ja Kin­kel, Foto: Gise­la Schober

„Toch­ter der Wüs­te“ von Tan­ja Kin­kel, nach der das Buch benannt ist, ist eine davon. In der Geschich­te geht es um die Bedui­nen­krie­ge­rin Amscha, eine von Karl Mays ein­drucks­vol­len Neben­fi­gu­ren, die jedoch nur ein ein­zi­ges Mal in sei­nen Roma­nen auftaucht.

Tan­ja Kin­kel, selbst ein gro­ßer Fan von Karl May, hat sich auf die Spu­ren des Geheim­nis­ses von Amscha bege­ben. „Es ist schon etwas Beson­de­res, zumal wir den Karl-May-Ver­lag hier in Bam­berg haben“, sagt sie. „Der Ver­lag macht seit eini­gen Jah­ren Pro­jek­te, in denen Autorin­nen und Autoren von heu­te einen Blick auf die Figu­ren und Sze­na­ri­en von Karl May wer­fen und ihren eige­nen Bei­trag aus ihrer Per­spek­ti­ve dazu erzäh­len. Die Bücher von Karl May, dem meist­ge­le­se­nen deutsch­spra­chi­gen Schrift­stel­ler aller Zei­ten, habe ich schon als Kind ger­ne gele­sen. Mit den Figu­ren, sei­en es die der in Ame­ri­ka spie­len­den Geschich­ten oder die des Ori­ent-Zyklus, bin ich auf­ge­wach­sen und habe sie auch lieb gewon­nen. Die Roma­ne aus dem 19. und 20. Jahr­hun­dert haben so vie­le inter­es­san­te und span­nen­de Geschich­ten in sich, dass es schön sein kann, mit eige­nen klei­nen Bei­trä­gen einen Schlüs­sel zu lie­fern, der neu­gie­rig auf die­ses Uni­ver­sum macht.“

Über wen sie inner­halb des Ori­ent-Zyklus schrei­ben woll­te, war Tan­ja Kin­kel ziem­lich schnell klar. „Die Figur der Amscha tritt eigent­lich nur in dem Roman „Durch die Wüs­te“ auf, ist aber eine der span­nends­ten Figu­ren von Karl May“, sagt Kin­kel. „Da habe ich mir als Lese­rin oft die Fra­ge gestellt, war­um die Frau, die so inter­es­sant ist, nicht wei­ter vor­kommt.“ Als sie vom Her­aus­ge­ber Tho­mas Le Blanc gefragt wur­de, ob sie bei dem Buch­pro­jekt mit­ma­chen möch­te, war die Chan­ce gekom­men, die Geschich­te von Amscha wei­ter­zu­schrei­ben. „Und ich kann auch jetzt schon ver­ra­ten, dass sie, anders als in Karl Mays Geschich­ten, nicht umge­bracht wird“, sagt sie und lacht. An dem Buch mit­zu­ar­bei­ten, habe ihr sehr viel Freu­de berei­tet. „Zudem hat­te Karl May einen, wenn auch auf Grund sei­ner eige­nen Geschich­te lei­der nicht typi­schen, aber bemer­kens­wer­ten Huma­nis­mus, der es Wert macht, sei­ne Geschich­ten wei­ter­zu­schrei­ben“, so die Autorin.

Pro­gramm mit Band­brei­te und Frän­ki­scher Autorennacht

Schon seit der Grün­dung des Bam­ber­ger Lite­ra­tur­fes­ti­vals ist die gebür­ti­ge Bam­ber­ge­rin und Wahl-Münch­ne­rin Tan­ja Kin­kel dabei, führt als Mode­ra­to­rin durch die Eröff­nung, stellt nam­haf­te Autorin­nen und Autoren vor, die beim Fes­ti­val jähr­lich zu Gast sind, und liest auch aus ihren eige­nen Büchern.

„Es ist eine Berei­che­rung, beim Lite­ra­tur­fes­ti­val dabei zu sein und Per­so­nen der Zeit­ge­schich­te zu mode­rie­ren“, sagt sie. „Und es ist immer wie­der schön, Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen ken­nen­zu­ler­nen, sie durch die Stadt zu füh­ren und ihnen Bam­berg zu zei­gen, ihre Ein­drü­cke zu hören und sie dann spä­ter beim Vor­trag zu erle­ben. Als Lese­rin war ich auch vor­her schon immer sehr ange­tan von Lesun­gen. Aber wenn man mit­ver­ant­wort­lich ist, dass es ein Abend wird, der der Autorin oder des Autors des Buches auch wür­dig ist, das ist sehr auf­re­gend und noch mal etwas ande­res, als im Publi­kum zu sit­zen. Wir hat­ten schon sehr nam­haf­te Gäs­te hier, etwa Don­na Leon, die ich gleich beim ers­ten Lite­ra­tur­fes­ti­val als Welt­star mode­rie­ren durf­te oder die Nobel­preis­trä­ge­rin­nen Her­tha Mül­ler und Swe­tia­na Alexeijewitsch.“

In die­sem Jahr lesen unter ande­rem Tom­my Jaud, Ursu­la Pozn­an­ski, Micha­el Nast und Gise­la Schnee­ber­ger, die bereits zwei­mal den Grim­me- und den Deut­schen Fern­seh­preis gewon­nen hat. Jetzt im Febru­ar wer­den der Schau­spie­ler und Kaba­ret­tist Rai­nald Gre­be und der Phi­lo­soph Juli­an Nida-Rüme­lin zu Gast sein. Dar­über hin­aus prä­sen­tie­ren Vol­ker Heiß­mann und Mar­tin Ras­sau ihre komö­di­an­ti­schen Erin­ne­run­gen, außer­dem gibt es einen Abend zur Frän­ki­schen Mund­art und ein „Best of Poet­ry Slam“.

„Mit unse­rem Pro­gramm möch­ten wir eine gro­ße Band­brei­te abbil­den und auch Per­so­nen aus der Sport­sze­ne und regio­na­le Autorin­nen und Autoren mit ein­bin­den. Neben dem Poet­ry-Slam gibt es daher auch die Frän­ki­sche Autoren­nacht“, erklärt Kin­kel. Konn­ten über zwei Jah­re hin­weg in der Pan­de­mie nur klei­ne­re Aus­ga­ben des Bam­Lit statt­fin­den, prä­sen­tiert sich das Fes­ti­val nun wie­der in grö­ße­rem Umfang. Den­noch muss­te man sich in den ers­ten Jah­ren kei­ne Sor­gen um die Spon­so­ren machen. Heu­te gestal­tet sich die Suche nach finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung jedoch deut­lich schwie­ri­ger. „In den ers­ten Jah­ren hat uns noch die Ober­fran­ken-Stif­tung unter­stützt. Jetzt ist es jedes Jahr ein Kampf um die Spon­so­ren, um allein das Mini­mal­bud­get, das für die Ver­an­stal­tung benö­tigt wird, zu sichern. Der Etat kommt oft­mals erst in letz­ter Minu­te zustan­de, wes­halb man Autorin­nen und Autoren vor­her auch nicht fra­gen kann. Das wirkt sich lei­der auch auf das Pro­gramm aus, da man­che dann schon aus­ge­bucht sind.“

Best­sel­ler­au­torin­nen und ‑autoren und Buch­pre­mie­ren auch in die­sem Jahr

Den­noch sind beim dies­jäh­ri­gen Lite­ra­tur­fes­ti­val auch wie­der Best­sel­ler­au­torin­nen und ‑autoren zu Gast. „Wir freu­en uns sehr, dass in die­sem Jahr etwa das Autoren-Ehe­paar Lorenz mit dabei ist oder auch Axel Hacke und Pfar­rer Schieß­ler aus Mün­chen, der zudem über den baye­ri­schen Raum hin­aus bekannt ist“, sagt Tan­ja Kinkel.

Buch-Pre­mie­ren ste­hen dar­über hin­aus eben­falls auf dem Pro­gramm. So stellt der Bam­ber­ger Autor Paul Maar im Febru­ar sein neu­es Kin­der­buch „Die Toch­ter der Zau­be­rin“ vor. Zu der Lesung gibt es live den „Sams-Marsch“ und ande­re frän­ki­sche Kin­der­lie­der, die Paul Maar mit David Saam und der Band Box­ga­lopp für die Auf­nah­me „Hob­bä­dihö“ auf­ge­nom­men hat.

Auch Tan­ja Kin­kel stellt ein wei­te­res neu­es Buch vor, das unter ihrer Betei­li­gung ent­stand. An „Rei­chen­au – Insel der Geheim­nis­se“, das sie beim Lite­ra­tur­fes­ti­val am 18. März prä­sen­tiert, haben wie bei dem Karl-May-Band meh­re­re Autorin­nen und Autoren mit­ge­wirkt und Kurz­ge­schich­ten geschrie­ben. Die­se erzäh­len von den Anfän­gen, der Blü­te­zeit und der End­zeit der Insel im Boden­see und einem Klos­ter, das sich auf ihr befin­det. „Auf Basis wah­rer Bege­ben­hei­ten geht es um Äbte, Bäue­rin­nen, Fischer, Kai­se­rin­nen, Non­nen und ande­re Men­schen, die sowohl die kul­tu­rel­len Höhe­punk­te als auch die Schat­ten­sei­ten des Lebens auf der Insel erlebt haben.“

His­to­ri­sche Roma­ne und die kaum ver­läss­li­che KI

His­to­ri­sche Roma­ne sind ohne­hin Tan­ja Kin­kels Mar­ken­zei­chen. 20 Roma­ne von ihr ent­stan­den so in jeweils rund ein­ein­halb­jäh­ri­ger Vor­ar­beit, bis sich die Figu­ren annä­her­ten, die sie über den Grund­ge­dan­ken ent­wi­ckel­te. „Was mir noch fehlt, ist ein Buch zu schrei­ben, das nicht in einem Band erzählt ist“, sagt sie. „Etwa eine Trilogie.“

Dass künf­tig Künst­li­che Intel­li­genz, um ein The­ma auf­zu­grei­fen, dass in so gut wie allen Gesell­schafts­tei­len für Ände­run­gen sor­gen könn­te, einen Teil ihrer Arbeit über­neh­men könn­te, glaubt sie aber nicht. „Ich nut­ze KI bei­spiels­wei­se für Über­set­zun­gen, stel­le dann aber immer wie­der fest, dass ich mich auf den mecha­ni­schen Algo­rith­mus nicht ver­las­sen kann, da er oft sin­nen­ent­stel­lend arbei­tet und fra­ge dann doch lie­ber mei­nen Über­set­zer“, sagt sie. „Dem­nach hal­te ich KI für nütz­lich, aber nicht für verlässlich.“

Dass die Ver­la­ge dies ähn­lich sehen und trotz der rasen­den Ent­wick­lung zukünf­tig nicht ein­fach Tex­te von Autorin­nen und Autoren der KI ein­füt­tern, bei dem dann eben­falls ein Misch-Masch her­aus­kommt, vor allem, ohne vor­her die Rech­te geklärt zu haben, blei­be daher auch über das Lite­ra­tur­fes­ti­val hin­aus zu hof­fen, sagt Tan­ja Kinkel.

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