Arno S. Schimmelpfennig ist selbständig im Bereich der Filmproduktion, in der Kultur engagiert und Vorstandsmitglied im Stadtmarketing Bamberg. Heute lassen wir ihn in der Serie „Das Jahr im Schnelldurchlauf” auf 2020 zurückblicken und einen Ausblick in das kommende Jahr wagen.
Herr Schimmelpfennig, das Jahr 2020 war geprägt von der Corona-Pandemie. Wenn sie so kurz vor dem Jahreswechsel zurückblicken: Was nehmen Sie als Fazit aus diesem Jahr mit?
Ich habe das Jahr 2020 sehr bewegend erlebt; aus einer ganzen Bandbreite an Perspektiven heraus. Auf der einen Seite hat sich beruflich sehr viel getan, wodurch auch neue Türen aufgegangen sind. Privat bin ich zum dritten Mal Vater geworden – ausgerechnet im Krisenjahr mit nicht durchgehend laufenden Schulen und Kindergärten für die anderen beiden Kinder. Auf der anderen Seite war ich in diesem Jahr sehr nahe an Existenzängsten und Krisen dran, die enge Bekannte von mir erlebt haben. Ganz zu schweigen von den Corona-Fällen bei Bekannten sowie im näheren Umkreis, die mich beschäftigt haben. Es gab Erlebnisse, in denen sich Menschen neue Berufsbereiche suchen mussten, psychisch kollabiert sind und auch körperlich nicht mehr konnten. Es gab aber auch die Gewinner. Wenn ich ein Fazit aus all diesen Geschichten und Schicksalsschlägen ziehen müsste, dann wäre das: „Sei kreativ! Nutze dein Können und versuche, es im Sinne der neuen Nachfrage zu erweitern oder neu zu strukturieren.“ Das geht natürlich nur in Bereichen, die nicht von Auflagen gebeutelt werden. Mir ist allgemein aber aufgefallen, dass gerade auch viele Selbstständige Schwierigkeiten hatten, weil sie eben nicht bereit waren, umzudenken.Was war das Schlimmste für Sie an diesem Jahr?
Ich habe stets versucht, die Hoffnung nicht sinken zu lassen. Ich habe in diesem Jahr einen Kultur-Blog aufgebaut. Ich habe ein zweites Projekt begonnen, bei dem ich Kulturschaffende auf ein 30-Minuten Interview einlade und deren Geschichten und Erlebnisse direkt in Bamberg einfange. Ich konnte ein drittes Projekt ausbauen, bei dem wir Prominente nach deren Lebenswegen fragen und sie ohne deren Rolle und Fassade interviewen. Gleichzeitig war 2020 mein erstes Jahr als Vorstandsmitglied im Bamberger Stadtmarketing. In Gesprächen und in Workshops war ich sehr nahe an den Auswirkungen der beiden Lockdowns auf unseren Einzelhandel dran. Wenn ich höre, dass gestandene Unternehmen nicht mehr existieren können, wenn ich von über 400 Insolvenzen in unserer Stadt erfahre und persönliche Schicksale anschaue, bei denen Menschen fast ein Jahr lang von unserer Politik hängen gelassen werden und daher nicht mehr ein und aus wissen, dann schwingt hier eine Mischung aus Galgenhumor, Ratlosigkeit und Entsetzen mit. Das Schlimmste für mich war diese Hilflosigkeit und die Verwirrung, die durch die undurchsichtigen und sich widersprechenden Angaben entstanden sind. Schlimm ist, was das nicht nur für wirtschaftliche Folgen hinterlässt, sondern auch psychische. Wenn liebevolle Menschen schwer krank werden oder gar sterben, wenn die Anzahl an häuslicher Gewalt dramatisch wächst und die Schwangere ohne ihren Mann und mit Mund-Nasen-Schutz gebären muss, dann ist das nicht die Welt, in der ich leben will. Zwar habe ich versucht, mit meinen Projekten anderen Menschen Hoffnung zu machen, doch irgendwann war es genug, auf Schultern zu klopfen. Ich habe deutlich gespürt, wie den Menschen der Atem ausgeht – und das meine ich nicht aufgrund einer Covid19-Erkrankung. Die Welt wird radikaler; Gewalt nimmt zu – wir sehen sie im Internet und Fernsehen.Wenn Ihnen vor dem Lockdown im Frühjahr gesagt worden wäre wie sich die Situation zum Ende des Jahres darstellt, wann und wie hätten Sie seitdem anders gehandelt als Sie es getan haben?
Ich habe in diesem Jahr neue Projekte begonnen, ich bin aber auch in neue Vereine eingetreten. Wer mich kennt, weiß, dass ich Dinge nur dann angehe, wenn ich mich hier vollauf einbringen kann. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich die Vereinsfreunde in diesem Jahr wegen einer dichten Auftragslage und privater Veränderungen nicht unterstützen konnte. Eine Krise kann allgemein auch eine Chance sein – denn wenn es uns nicht gut geht, sind wir gezwungen, umzudenken. Krisen können uns beflügeln und innovativ machen. Deutschland ging es Jahrzehnte gut. Da gab es kaum Notwendigkeit, neue Wege zu beschreiten. Ich selbst sehe 2020 für mich als große Chance an. Zwar war es ein insgesamt sehr stressiges Jahr, das auch bei mir gerade auch persönlich Spuren hinterlassen hat in Bezug auf körperliche Stresssymptome, es war aber zugleich ein Jahr, das mich unheimlich weitergebracht hat. Ich kann daher nicht sagen, dass ich im Rückblick etwas anders machen würde.Wenn Sie eine positive Sache aus diesem Jahr herausstellen möchten, welche wäre das?
Sei es im Stadtmarketing, oder auch als Mitglied der Wirtschaftsjunioren oder des Wirtschaftsclubs: überall gab es in diesem Jahr Entwicklung. In der Veranstaltungsbranche haben wir neue Formate entwickelt, wie die Hybrid-Veranstaltungen. Mit unseren Kultur-Projekten haben wir Konzerte, Unterhaltung, Web-TV und teils sogar Museumsbesuche auf ein anderes Level gehoben. Es gibt nun Online-Portale, die uns helfen, regional einzukaufen. Selbst der Handel sieht Internet nicht mehr als Gefahr, sondern auch als Chance. Serviceleistungen haben sich hier angepasst, Online-Shops sind entstanden und wir haben bei zahlreichen Geschäften die Möglichkeit, unter den Vorzügen des Internets gemütlich vom Sofa aus zu bestellen und uns vom Geschäft vor Ort beliefern zu lassen. Unsere Arbeit wurde effizienter, Wege kleiner und unnötige Hürden teils abgebaut. Die Digitalisierung hat Einzug gefunden – auch wenn hier immer noch immens viel zu tun ist. Obwohl wir uns physisch voneinander entfernt haben, so gab es in der virtuellen Welt und im Sinne der Globalisierung einen deutlichen Ruck aufeinander zu.Auch Weihnachten wird für die meisten Menschen anders stattfinden als in den Jahren zuvor. Wie verbringen Sie das Fest?
Vom Stadtmarketing aus hatten wir es in dem Jahr schwer, unsere Aktion „Weihnachtsbeleuchtung“ voran zu bringen. Die Kosten konnten nicht wie üblich verteilt werden. Letztlich haben sich hier Sponsoren gefunden. Unsere Bemühungen, einen Brücken-Weihnachtsmarkt zu etablieren, verliefen sich ebenfalls. Oft, indem Corona einfach als Argument, nicht aber als Grund vorgebracht wurde. Hierbei ist mir frühzeitig aufgefallen, dass Weihnachten als Erlebnis schwierig wird. In Kombination mit Einzelschicksalen im Bekanntenkreis, bei denen Menschen insolvent geworden oder gar verstorben sind, denke ich mir nun mit einem weinenden Auge, dass es in 2020 nicht für jeden einen Weihnachtsbaum geben wird. Auf der einen Seite ist das traurig, auf der anderen Seite wird Weihnachten nun zu etwas mehr Spirituellem und rückt damit wieder ein wenig mehr zum Ursprung zurück. Dadurch, dass wir unsere Familien nicht so sehen können, wie wir es gerne täten, können wir uns zugleich darauf besinnen, um was es an Weihnachten eigentlich wirklich geht. Der Mensch sieht erst im Mangel, was ihm wirklich etwas bedeutet. Wir können einen Moment innehalten. Ich selbst werde am 24.12. meine Türen schließen. Wir werden daheim Spiele machen und eine Mutmach-Dusche. Dabei setzen sich meine Frau und ich mit unseren Kindern zusammen und sagen dem anderen jeweils, was wir an ihm /ihr besonders schätzen. Dann werden wir über Fernsehen den Gottesdienst verfolgen und uns danach beschenken. Dazwischen wird es verschiedene Speisen geben. Wie wir die beiden Weihnachtsfeiertage nach dem Heiligabend verbringen, steht leider immer noch nicht fest.Aufgrund der Erfahrungen in diesem Jahr: Wie verändert sich der private Arno Schimmelpfennig und wie seine Arbeitsweise für die Zukunft?
Ich bin seit 10 Jahren selbstständig. Ich habe ein Büro, fahre ein Auto und habe eine Frau sowie drei Kinder. Trotzdem hatte ich ständig Ängste, dass ich uns als Alleinverdienender nicht ernähren kann. 2020 hat mir gezeigt, dass ich Krisen bewältigen kann, wenn ich den Mut nicht sinken lasse. Ich denke, ich werde aus der Krise selbstbewusster hervorgehen und eher Grenzen ziehen, wenn etwas nicht zu mir passen will. Beruflich habe ich es in diesem Jahr gemerkt, dass ich mich mehr auf mich selbst konzentrieren will. Ich bin Dienstleister und helfe meinen Kunden dabei, ihre Ziele zu erreichen. Ich habe aber auch gemerkt, dass es Menschen gibt, die einem dabei helfen, Mutmach-Projekte aufzubauen und auch zu finanzieren. Insofern möchte ich gerne meinen eigenen Ideen mehr Platz geben, kreativer arbeiten und in regelmäßigen Abständen eigene Projekte realisieren. Ich habe gemerkt, dass ich ein aktives und großes Netzwerk habe, in dem Arbeit Spaß macht und in dem ich etwas erreichen kann. Dieses Netzwerk will ich intensivieren.Was bereitet Ihnen Sorgen im Hinblick auf das neue Jahr?
Der Start ins neue Jahr dürfte hart werden. Ich halte es für gut möglich, dass der Lockdown erweitert wird. Ich schieße weitere Maßnahmen nicht aus. Meine Sorge ist, dass es noch viel mehr Insolvenzen geben wird und die Zahlkraft vieler Unternehmen gering ist. Ich befürchte, dass weniger Geld im Umlauf sein wird, was dazu führen wird, dass es zu einer wirtschaftlichen Regression kommt – gerade im Bereich der Werbung. Werbung schalten sollte man, wenn es einem weniger gut geht – also jetzt. Doch die Existenzangst lähmt und macht unsicher. Da haben es Anbieter aus meinem Bereich derzeit schwierig.Welche Wünsche haben Sie für das neue Jahr?
Ich wünsche den Menschen Gesundheit. Ich wünsche ihnen, dass sie den Mut nicht sinken lassen. Wenn wir offen sind für Neues und keine Angst davor haben, Neues zu wagen, können wir Krisen leichter bewältigen. Ich wünsche den Menschen, dass sie den Blick nach vorne nicht verlieren. Mögen wir uns auf der anderen Seite finden und gemeinsam Hand in Hand nach vorne gehen, anstatt mit dem Blick in entgegengesetzte Richtungen.Was macht Ihnen Mut für das neue Jahr?
2020 lief für mich wirklich gut. Das ist dem Umstand geschuldet, dass ich zweigleisig unterwegs bin und zum Glück nicht vom Film alleine leben musste. Viele Unternehmen haben sich digitalisiert und dabei auf meine Beratung und Leistung gebaut. Trotzdem bin ich gerade an einem Punkt, an dem ich den zweiten Lockdown einschneidend empfinde. Es gibt zu viele Kollegen, denen es nach dem 1. Lockdown nicht mehr gut ging, die nicht wussten, wie sie ihre Versicherung zahlen sollen. Jetzt im 2. Lockdown geht es nicht mehr um die Bezahlung von Miete und Versicherung, sondern um die Existenz und die Fähigkeit, ihre Familie ernähren zu können. Das zieht mich herunter. Es ist schwierig, in diesen Zeit mit Mut ins neue Jahr zu starten. Ich glaube, es ist ein gewisser Galgenhumor, den ich mir mit meinen Wegbegleitern teilen kann. Es ist die Gemeinschaft von Menschen, die so denken wie ich; mit denen ich mich austauschen kann. Es sind meine Projekte, die ich mit neuen Freunden weiterführen und ausbauen werde. Es ist sogar ein wenig die Ungewissheit, was 2021 bringen wird. Denn das beflügelt mich. Mit einem stark zwinkernden Auge würde ich vielleicht sagen: Mit Beginn 2021 hört der Virus auf, da er an 2020 gebunden ist. Und wenn das nicht klappt, gibt es ja immer noch die Impfung.- Dezember 22, 2020
- Autor: Manuel Werner
- Foto: www.claus-riegl.de