Der BBK Oberfranken hat sich das Scholz’sche Wort der „Zeitenwende“ zu eigen gemacht und eine Ausstellung dazu entworfen. 29 KünstlerInnen beziehen darin kreativ Stellung zu diesem Begriff, der mehreren von ihnen als gute Inspirationsquelle gedient zu haben scheint.
„Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Rede vor dem Bundestag einen Tag nachdem Russland 2022 die Ukraine angegriffen hatte. Und so schwammig der Begriff der Zeitenwende mittlerweile auch geworden sein mag, fand in der Folge in mehreren politisch-gesellschaftlichen Feldern durchaus ein Umdenken und Neuorientieren statt, zum Beispiel was Energie- und Sicherheitspolitik oder den Glauben an ein Europa in Frieden betrifft.
Auch die Kunst sieht sich von dieser Zeitenwende betroffen. So hat der BBK Oberfranken (Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler) den Begriff seiner neuen Ausstellung als Titel und Motto vorangestellt. Gerhard Schlötzer, 1. Vorsitzender des hiesigen BBK, sagt dazu: „Dieses Wort ist in aller Munde und lässt gleichzeitig viele Interpretationsmöglichkeiten offen.“ Ein Wort, also fast wie gemacht, um künstlerisch verwertet zu werden, denn: „In der Kunst muss sich immer etwas wenden, damit neue Impulse in die Gesellschaft zurückfließen können.“
Entsprechend waren die Mitglieder des Verbandes aufgerufen, sich für die Ausstellung kreativ zum Thema zu positionieren. Gleichermaßen soll die Ausstellung mit dem Scholz’schen Titel gegen ein bequemes „Weiter so“, worin eher der Name „Merkel“ mitschwingt, gerichtet sein. Kunst soll es sich nicht gemütlich machen. „Die Kunst ist frei“, sagt Gerhard Schlötzer, „was heißt, dass sie zwar alles tun kann, in ihrem Tun und für sich selber oder für eine Gesellschaft – je nachdem, welche Aufgabe sie sich gibt – aber immer eine gewisse Relevanz entwickeln und sich darum weiterentwickeln sollte.“
Zeitenwende auch beim BBK?
Blickt man jedoch auf die von Nachwuchsmangel gezeichnete hohe Altersstruktur der BBK-Mitglieder, scheint die Zeitenwende beim Berufsverband allerdings noch auf sich warten zu lassen. „Bei uns müsste man eher Jugendwende sagen“, sagt Gerhard Schlötzer. „Wann diese jedoch kommt, weiß ich nicht. Wir sind auf jeden Fall für alle offen und bieten zum Beispiel Studententarife an. Obwohl wir tatsächlich viele langjährige Mitglieder haben, wie zum Beispiel Heidrun Schimmel, die mit ihren 82 Jahren immer noch sehr aktiv ist, sind in den letzten Jahren aber durchaus auch ein paar jüngere Künstlerinnen und Künstler eingetreten.“
Wobei „jüngere“ in diesem Fall bedeutet, nicht vor etwa 1980 geboren zu sein. Aber Oberfranken sei nun einmal nach wie vor eine Kunstdiaspora. „Um zu studieren, um lebhaften Austausch mit anderen Kunstschaffenden zu finden, um eine Erwerbsperspektive zu haben, müssen junge Menschen, die sich für Bildende Kunst interessieren, Oberfranken verlassen. Und nur wenige kehren zurück. Aber wenn man sich auf die eine oder andere Weise etabliert hat, lässt es sich auch in Oberfranken gut mit der Kunst leben, wenn auch nur die Wenigsten hier von der Kunst leben können.“
Rundgang durch die Ausstellung: Kalaschnikow, Schwanensee und Traueranzeige
29 dieser BBK-Oberfranken-Mitglieder hat nun eine verbandsinterne Jury für die Ausstellung „Zeitenwende“ ausgewählt. Noch bis 12. November stellen die KünstlerInnen entweder eigens für die Schau angefertigte oder bereits existierende Werke, die aber zufällig gut zum Begriff passten, in der Villa Dessauer aus.
Beteiligt sind: Kerstin Amend-Pohlig, Judith Bauer-Bornemann, Thomas Brix, Chris Engels, Harald Göbel, Thomas Gröhling, Christine Gruber, Gerhard Hagen, Adelbert Heil, Fritz Herrmann, Claudia Hölzel, Luzie Kazda, Andrea Landwehr-Ratka, Ruth Loibl, Thomas Michel, Cornelia Morsch, Dagmar Ohrndorf, Stephan Pfeiffer, Margit Rehner, Gert Ressel, Waltraud Scheidel, Heidrun Schimmel, Katrin Schinner, Peter Schoppel, Gudrun Schüler, Michaela Schwarzmann, Maria Söllner, Ingrid Wachsmann und Andrea Wunderlich.

Zu sehen sind in „Zeitenwende“ Gemälde, Skulpturen und Installationen, die sich dem Begriff auf verschiedenste Art und Weise nähern. Mehreren der Werke scheint das Wort dabei eine fruchtbare Inspirationsquelle geliefert zu haben: Viele gehen unverblümt auf den Kriegsaspekt der Thematik oder gesellschaftliche Bezüge wie den Klimawandel ein, manche machen sie an persönlichen, umwälzenden Erfahrungen fest. Nicht alle Werke der Schau beeindrucken, aber die die es tun, tun es umso mehr. Auf einige davon soll hier näher eingegangen werden.
In den unteren Ausstellungsräumen der Villa Dessauer sind Krieg und Verlust thematisch allgegenwärtig. Stephan Pfeiffer kommt in „Spiegelungen“, ein Gemälde mit Collage-Anteilen, direkt zur Sache. Zwei gleichartige Figuren scheinen sich die Hände reichen zu wollen. Aber die Friedlichkeit der Handlung dieses Zwillings- oder Brüderpaars, wie es zwei (zumindest ehemalige) Bruder-Nationen wie Russland und die Ukraine abgeben könnten, steht unter einem schlechten, weil kalschnikowförmigen Stern. Die russische Kriegswaffe hängt griffbereit für den an der Wand, der die Hand in die andere Richtung ausstreckt.
Noch drastischer wird es in Thomas Michels Gemälde „Schwanensee“. Das gleichnamige Ballettstück von Pjotr Tschaikowski ist ein maßgebliches Werk russischer kultureller Identität. Zu Sowjetzeiten diente es aber auch immer wieder der Ablenkung von der grauen sozialistischen Realität und wurde im Fernsehen anstatt negativer Nachrichten gezeigt. Im Stück selbst versucht Prinz Siegfried die in einen Schwan verwandelte Odette vor dem Dämon Rothbart zu retten.

Es gelingt ihm nicht und beide ertrinken am Ende in einem See. Bei Thomas Michel geht der Schwan in einem See aus Blut unter – ein Suizid der russischen Kultur soll hier mitschwingen. Und der Schauplatz der Szene erinnert an eine U‑Bahnstation. In ebensolchen suchen Menschen in ukrainischen Städten bekanntermaßen immer wieder Schutz vor russischen Bomben.
Chris Engels verarbeitet in ihrem Beitrag eine persönliche Zeitenwende. In einer Grafik, die wie eine Traueranzeige aufgemacht ist, zeigt sie ein Kreuz und daneben stehen die Worte „Ich nehme Abschied von meinem Partner“. Ein ruhiges und würdevolles Werk, dessen Titel „Nichts wird mehr so sein, wie es war“ zusätzlich über sich selbst hinaus- und auf die Weltpolitik hinweist.

Rustikaler geht es bei Thomas Gröhling zu. Er hat für „Zeitenwende“ Tierskulpturen aus Eichenholzstämmen geschnitzt. Die so entstandenen sieben Stelen, die an ihren oberen Enden alle in herausgemeiselten Tierfiguren münden, versinnbildlichen die sieben Kontinente und die Tatsache, dass in allen Erdteilen ein Artensterben vor sich geht.
Cornelia Morsch setzt auch auf das Thema verlorengehender Natur, wenn auch etwas filigraner, wie schon der Titel ihrer Werkreihe „Fragilität und Behutsamkeit“ andeutet. Ihre Zeichnungen von geöffneten Früchten oder Nüssen auf Holztafeln weisen auf die Brüchigkeit der Natur hin. Oder auf eine wegen Ausbeutung und übermäßigem Ressourcenverbrauch brüchig gewordene Natur. Gestalterische Anklänge an – beschädigte – Gehirn- oder Embryo-Formen sind dabei durchaus gewollt.

Helikopter, Recycling und Kuscheltiere
Bei der bereits erwähnten Heidrun Schimmel wird es im zweiten Stock der Ausstellung „Zeitenwende“ erneut etwas persönlicher. Ihre mehrere Quadratmeter große gewobene Textil-Arbeit „Fadenscheinig“ stellt dem Wandel der Zeiten, und seiner Geschwindigkeit, nicht nur den Zeitaufwand, den die textile Produktionsweise braucht, gegenüber. Auch öffnet sie Assoziationen zu Nachhaltigkeit in der Bekleidungsindustrie, zur Allgegenwärtigkeit von Netzwerken oder der Unübersichtlichkeit von Informationen im Wandel. Und als gebürtige Bambergerin kann sich Frau Schimmel auch noch an die Zeit erinnern, in der das heutige Wohn- und Studiergebiet der Erba-Insel zu großen Teilen in der Hand des Textilgewerbes war.
Thomas Brix will sich am liebsten nicht erinnern. Unbehagen, Ekel und Hilflosigkeit habe er gespürt als der die Zeitenwende einläutende Angriffskrieg begann. Künstlerisch dazu geäußert hat er sich aber doch. Zwar graut es ihm, wie er sagt, solche Bilder zu malen, aber er musste sie loswerden. Wobei es sich eher um ein Übermalen handelte. Seine Gemälde-Serie „Helikopter“ zeigt mit erkennbar kraftvollen, um nicht zu sagen gewaltvollen Pinselstrichen übermalte oder zerkratzte Landschaftsansichten. Die einzigen Details, die noch erkennbar sind, sind aufgestempelte Mini-Grafiken von Militärhubschraubern.


Auch bei Kerstin Amend-Pohlig lösen sich Formen und ihre Grenzen auf. Für ihre Skulpturenreihe „Boxenstopp“ nimmt sie sich des Themas der Umweltverschmutzung unter dem Gesichtspunkt des Recyclings an. Der Klimawandel, die Verschmutzung – irgendwie muss man mit dem Müll ja umgehen. Wieso Müllstücke verschiedenster Art also nicht miteinander verarbeiten und kombinieren oder verschmelzen und die so gewonnenen Objekte auf Sockeln oder in schreinartigen Boxen präsentieren? Eine dem Ganzen zur Seite gestellte Recycling-Lichtskulptur beleuchtet die bizarren Gebilde.
Waltraud Scheidel geht der Zeitenwende nicht in einer bestimmten Richtung nach – sie sagt mit ihrer Grafik „No“ einfach „nein“ zum Status quo. Entstanden ist das Werk zwar schon 2013, seine den Verhältnissen gegenüber ablehnende Haltung ist aber zeitlos. Mehrfach steht das Wort „no“ geschrieben, Verneinung und Ablehnung sind nicht verhandelbar, und um das alles zu unterstreichen hat Scheidel noch einen verächtlich wirkenden Farbklecks auf die Leinwand geklatscht.
Judith Bauer-Bornemanns Kuscheltier-Skulptur „Identity“ kommt gleichzeitig süß, bedrohlich und skurril daher. Bärchen, Äffchen, Schäfchen oder Pinguine hat sie eingenäht in schwarzen Strumpfhosenstoff und sie in eine Gruppe von Maskierten oder Verbrannten verwandelt. Hier ist Unschuld verlorengegangen.
Andrea Landwehr-Ratkas Installation „Es wird eng für uns“ wurde sinnigerweise kurz vor das Ende des Ausstellungsrundgangs platziert. Durch die an zwei gegenüberliegende Seiten offene Holzkonstruktion kann und soll man zum Abschluss hindurchgehen. Allerdings verengt sich dieser Durchgang von seiner einen zur anderen Seite und es stellt sich ein gewisses Gefühl der Beklemmung ein – ganz passend zur sich wandelnden Zeit.