Maria Braune, Stipendiatin der Villa Concordia, stellt Skulpturen aus einem selbstkreierten Material her. Die geschwungenen und gewebeartigen Formen aus Migma erzählen von Wachstum und Verfall gleichzeitig.
Seit April lebt und arbeitet der aktuelle deutsch-ukrainische Stipendiums-Jahrgang des Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. Ein Mitglied der Gruppe ist die Bildhauerin Maria Braune. Geboren in Berlin, hat sie eine Ausbildung zur Holzbildhauerin und ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste München absolviert.
Um ein Material für ihre künstlerische Arbeit zu finden, wendete sie sich allerdings vom Holz ab und erschuf einen eigenen Werkstoff. Migma nennt sie den plastikartigen, jedoch rein natürlichen Stoff, aus dem sie ihre manchmal handlich kleinen, manchmal raumfüllend riesigen gewebeartigen Installationen und Skulpturen formt.
Ab 7. Dezember zeigt Maria Braune die Ausstellung „What’s left“ in der Villa Concordia. Wir haben mit ihr über die Ausstellung, das Migma und die Endlichkeit in beiden gesprochen.
Frau Braune, Sie sind seit April in Bamberg. Wie ist für Sie als Berlinerin das Leben in der kleinen Stadt?
Maria Braune: Ich komme zwar aus Berlin, habe aber in Berchtesgaden eine Ausbildung zur Holzbildhauerin gemacht. Dann ging es nach München zum Studium und danach relativ schnell wieder weg an den Chiemsee. Bamberg ist eine liebliche, freundliche, sehr barocke Stadt. Es gefällt mir hier, mit dem Nachteil, dass meine Freunde und Familie nicht hier sind. Andererseits habe ich so viel Zeit zum Arbeiten.
Was haben Sie sich für die Zeit Ihres Stipendiums in Bamberg vorgenommen?
Maria Braune: Ich möchte ein Praktikum bei einem Steinbildhauer absolvieren. Ich bin kein großer Fan von Sockeln. Diese trennen das Werk vom Raum. Meine Arbeiten sollen die Räume aber berühren und sie erkunden. Trotzdem wollte ich eine gewisse Standhaftigkeit für eine Arbeit erzeugen. Frau Gomringer, die Direktorin der Villa Concordia, war so freundlich, für mich in der Dombauhütte anzufragen. Dort werde ich nun im Januar ein kleines Praktikum machen, um in die Steinmaterie ein bisschen einzutauchen. Ansonsten versuche ich, mich mit der Stadt, ihrer Historie und Architektur auseinanderzusetzen, um mich von ihr inspirieren zu lassen.
Was heißt das?
Maria Braune: Ich habe mir die Barockzeit genauer angeschaut und dafür viele Residenzen und Schlösser Bambergs und der Umgebung erkundet. Das fließt in Sachen Form und Farbgebung in meine Arbeiten mit ein. Auch was sozusagen seine Essenzen angeht, habe ich Bamberg verewigt. Ich kann in meine Arbeiten alle möglichen Flüssigkeiten, Partikel oder Materialien, zum Beispiel Stoff, Glas oder Metalle, einarbeiten. Für die Werke der aktuellen Ausstellung habe ich zum Beispiel Regnitzwasser und Staub aus der Villa Concordia gesammelt. Das sieht man den Werken zwar nicht an, aber ich konserviere einfach gerne.
Um was handelt es sich bei Ihrem selbst entwickelten Werkstoff Migma genau?
Maria Braune: „Migma“ ist das griechische Wort für „Mixtur“ – ich wollte einen prägnanten Namen, den man sich schnell merken kann. Aus was er besteht, ist aber geheim. Nur so viel: Migma ist ein nachhaltiges Material und besteht aus bis zu acht verschiedenen natürlichen, nachwachsenden Stoffen. Wenn er nicht richtig getrocknet ist, zerfällt er und im Wasser geht er in den Urzustand zurück. Und obwohl er keinen Nährwert hat, könnte man ihn essen. Spaßeshalber habe ich es einmal probiert.
Sieht man Ihren Werken den Werkstoff an?
Maria Braune: Eigentlich nicht. Aber wer nachfragt, dem gebe ich gerne Auskunft darüber. Die Nachhaltigkeit ist mir wichtig, aber ich drücke das nicht allen sofort aufs Auge.
Warum machen Sie sich diese Mühe? Ginge nicht auch ein anderes Material, Silikon vielleicht?
Maria Braune: Es gibt schon genug chemische Kunststoffe auf der Welt, da brauche ich nicht auch noch einen zu entwickeln. Ich mache das aus Umweltgründen, denn ich denke, wir sollten auch im Kunstsektor mehr auf umweltfreundliche Materialien und energiesparende Arbeitsprozesse achten. Außerdem macht es Spaß, mit einem Werkstoff zu arbeiten, bei dem noch so viel zu entdecken ist.
Wie läuft die Herstellung der Werke aus Migma ab?
Maria Braune: Migma wird gemixt und erhitzt. Dann stelle ich kleine Modelle der letztlichen Skulpturen her, um zu sehen, wie die jeweilige Mischung in Sachen Beständigkeit oder Dichte funktioniert und wie sie sich mit anderen Materialien verhält – ob sie sich damit verbindet oder die Materialien abstößt. Migma mit Glas zu verbinden, ohne dass die Teile bei Trocknen zerbersten, ist zum Beispiel schwierig. Wie dem auch sei, ich könnte die Mischverhältnisse fast unendlich weitertreiben und es ergeben sich auch ständig neue Oberflächen-Strukturen, je nach Gussprozess. Wenn die Modelle fertig und stabil sind, gieße ich das Gemisch und beginne, es zu formen. Oder ich unterfüttere es mit vorgefertigten Formen, deren Umrisse das Migma annimmt und sich darum herumlegt. Dann trocknet es ungefähr zwei Wochen bis zwei Monate.
Von welchen gestalterischen Ideen lassen Sie sich beim Formen leiten?
Maria Braune: Meine Arbeiten entwickeln organische und weiche Formen. Sie sind naturbezogen und wenig geometrisch. Ich beschäftige mich mit Themen wie Wachstum und Zerfall, mit Bedürfnissen und zwischenmenschlichen Verhaltensweisen und wie meine Skulpturen mit dem Raum, in dem sie sich befinden, interagieren. Die Arbeiten bestehen oft aus mehreren Teilen, können also auseinandergenommen werden, um sich in den jeweiligen Raum zu schmiegen. Sie nehmen also in jeder Ausstellung eine andere Form an. Auch arbeite ich, wie gesagt, viele nicht-biologische Komponenten mit ein. Es findet also ebenfalls eine gewisse Symbiose von menschlichen oder natürlichen Elementen und eher industriellen Bestandteilen statt.
Während des Trocknens scheinen Sie aber auch viel dem Zufall zu überlassen.
Maria Braune: Ja, oft. Es macht Spaß, nicht zu wissen, was am Ende rauskommt. Die ständige Kontrollsucht des ganzen Lebens und von allem um uns herum kann sehr anstrengen. Ich glaube, es gibt mir sehr viel, nicht alles kontrollieren zu können. Das ist befreiend. Ich komme oft morgens in mein Atelier und bin überrascht, was über Nacht passiert ist, wie sich die jeweilige Skulptur verändert hat. Wenn ich mit den Veränderungen während der Trocknung unzufrieden sein sollte, kann ich einfach alles wieder einschmelzen und von vorne anfangen. Ich mag es mit meinen Werken und Ausstellungen etwas Spannung aufzubauen. Wenn ich den Menschen zu viel darüber erzähle, würde ich es als eine Art Beeinflussung empfinden. Sie sollen meine Arbeiten selbst wahrnehmen.
Sie fügen den Skulpturen viele Auslassungen und Löcher bei. Was spielt sich in diesen Freiräumen ab?
Maria Braune: Diese Löcher sind wiederum mit Absicht gegossen. Flächige Partien trocknen anders als löchrige. Die Löcher sind also ein Ausdruck durch Form und weniger durch Inhalt. Es entbehrt meistens eines inhaltlichen Sinns, dass ein Loch da ist, aber es ist ein Freiraum für Interpretation und Assoziation.
Am 7. Dezember eröffnen Sie Ihre Ausstellung „What’s left?“. Was hat es mit dem Titel auf sich?
Maria Braune: Was übrig bleibt, ist eine Frage, die sich durch die Jahrhunderte zieht, genau wie Fragen der Sterblichkeit, Endlichkeit und Entwicklung. Dinge, die auch in der Barockzeit, mit der ich mich seit ich in Bamberg bin, stark auseinandersetze, eine Rolle spielten. Besonders die so genannten Vanitas-Gemälde finde ich faszinierend. In diesen Gemälden sind Attribute der Vergänglichkeit und Eitelkeit zu sehen, zum Beispiel Uhren, verwelkte Blumen oder Totenschädel.
Einen solchen zeigt auch das Ankündigungsplakat der Ausstellungen…
Maria Braune: Ja, der Schädel eines Rehs. Ich sammle sehr viel – das ist wahrscheinlich eine Künstlerkrankheit. Und vom Jäger meines Vertrauens habe ich vor ein paar Jahren mal eine Kiste Tierschädel bekommen. In einem Bamberger Antiquariat habe ich außerdem zwei alte Schlüssel aus dem 17. Jahrhundert gekauft und lauter kleine weitere Artefakte zusammengesammelt – also nicht nur unsichtbares Regnitzwasser und Concordia-Staub. Diese Dinge werden als reliefartige Stillleben in die Ausstellung eingehen.
„What’s left“ klingt auch ein wenig nach Bestandsaufnahme des eigenen Werks.
Maria Braune: So habe ich die Ausstellung tatsächlich nicht betrachtet, aber das ist natürlich eine Frage, die man sich in einem gewissen Alter zu stellen beginnt. Noch ein großer Teil des Lebens ist vor, aber ein Teil auch schon hinter mir. Was möchte ich im Leben, was sind meine Ziele und was soll einmal übrig bleiben? Vor allem Künstler stellen sich diese Frage oft, würde ich sagen. Nicht umsonst hat man einen Beruf gewählt, in dem man, zumindest meistens, etwas hinterlässt. Vielleicht gibt es auch einen unterbewussten Wunsch nach Unsterblichkeit der einen antreibt.
Was bleibt also letztlich übrig?
Maria Braune: Ich glaube, dass letztendlich nichts übrig bleibt, von niemandem, zumindest nicht auf ewig. Und ich fände es auch schade, wenn alles für immer bliebe. Im Flüchtigen liegt ja auch ein Reiz und es gäbe sonst keine Weiterentwicklung. Ich glaube, wenn alles bliebe, würde es irgendwann auch keinen Platz mehr für Neues geben. Verfall ist also, ob er meine Arbeit betrifft, oder alles Irdische, zwangsläufig notwendig. Um das zu demonstrieren wird es für „What‘s left“ übrigens auch eine Arbeit geben, die im Freien steht, damit sie sich dort zersetzen kann.