Bamberg hat in Sachen religiöser Kunstwerke allerlei zu bieten. Dass die Domstadt mit der größten Dichte hochmittelalterlicher Textilien aufwarten kann, ist vielen allerdings nicht bewusst. Deshalb widmet sich das Diözesanmuseum im Herbst den Kaisermänteln und ‑textilien der Bistumsgründer Heinrich und Kunigunde und zeigt die Sonderschau „Die Bamberger Kaisergewänder unter der Lupe – Methoden und Ergebnisse der aktuellen Forschungen“. Sie ist seit dem 25. September zu sehen.
Der Titelzusatz „unter der Lupe“ ist nicht nur im übertragenen Sinne gemeint. Sibylle Ruß‘ Beruf ist es, tatsächlich zur Lupe zu greifen und mit großer Langmut Nähte, Stickereien und Stoffe zu betrachten. Sie ist Textilrestauratorin in Bamberg und maßgeblich am Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Kaisergewänder im Wandel. Goldgestickte Vergangenheitsinszenierung“ beteiligt. Seinen Abschluss findet dieses Projekt nun im Diözesanmuseum Bamberg mit der Ausstellung „Die Bamberger Kaisergewänder unter der Lupe – Methoden und Ergebnisse der aktuellen Forschungen“, die die im Bamberger Domschatz beheimateten Objekte, ihre historischen Wandlungen und die Ergebnisse der kunsthistorischen, textilanalytischen und naturwissenschaftlichen Forschungen vorstellt.
„Wir wollen die Stücke aus einem neuen Blickwinkel zeigen, insbesondere auch, was die Forschung in den letzten fünf Jahren dazu herausgefunden hat“, erläutert Dr. Holger Kempkens, Leiter des Diözesanmuseums, das Konzept der Sonderschau. Mit dieser Ausstellung verabschiedet er sich aus Bamberg, um die Direktion des Erzbischöflichen Diözesanmuseums in Paderborn zu übernehmen.
Die Bamberger Kaisergewänder
Grundlage für die Ausstellung war das DFG-Forschungsprojekt in Verbindung mit dem Lehrstuhl für Mittelalterliche Kunstgeschichte der Universität Bamberg unter Prof. Stephan Albrecht, die Projektleitung hatte Dr. Tanja Kohwagner-Nikolai inne. Fünf Jahre lang untersuchte Sibylle Ruß, unterstützt von Anne Dauer und begleitet von materialkundlichen Analysen von Ursula Drewello, die sogenannten Kaisergewänder. Hierbei handelt es sich um sechs Prachtgewänder, die mit den Namen Kaiser Heinrichs II. (geboren 973, Regierungszeit 1002 bis 1024) und seiner Gemahlin Kunigunde (um 980 bis 1033) verbunden werden: Der Sternenmantel Heinrichs II., der Blaue und der Weiße Kunigundenmantel, der Reitermantel, die Tunika und das Rationale – ein bischöflicher Schulterüberwurf.
Diese sechs Textilien wurden bald nach der Heiligsprechung von Heinrich und Kunigunde als Reliquien verehrt und schon zu Lebzeiten des Kaiserpaares vermutlich nur zu besonderen Anlässen getragen. „Wie, wann und wo genau die Gewänder verwendet wurden, kann heute nicht mehr belegt werden“, sagt Sibylle Ruß, „dafür aber, dass sie generell Verwendung fanden, gibt es Indizien: Wir vermuten außerdem, dass sie noch bis ins 18. Jahrhundert an hohen Feiertagen getragen wurden. Abgenutzte Stellen untermauern unsere Vermutung. So haben wir Schmutzränder oder auch Sitzfalten entdeckt.“
Das Team des Forschungsprojektes hat die sechs Kaisergewänder und ihre einstmals zugehörigen Teile in den vergangenen fünf Jahren sukzessive bearbeitet. Dazu gehörte zu Beginn das Erstellen einer Nomenklatur, sodass die Stücke und ihre Details einheitlich benannt werden konnten. Uwe Gaasch (das Stadtecho porträtierte den Fotografen in der August-Ausgabe) hat die Stücke umfassend fotografiert. Sibylle Ruß und Anne Dauer nahmen schließlich Maße von den Gewändern und von den Stoffdetails und suchten Originalnähte und Webkanten. Der Aufbau der Gewänder ließ Rückschlüsse auf Web‑, Näh- und Sticktechniken zu. Zu den weiteren Aufgaben gehörte auch, Fäden zu zählen, um die Dichte der Goldstickereien zu analysieren oder den Trägerstoff zu bestimmen.
Neue Erkenntnisse
Die Forschungsergebnisse dieses einmaligen Bestandes an bestickten Seidengewändern aus dem ersten Viertel des 11. Jahrhunderts, die das Projekt-Team erarbeitet hat, erhellen die textile Historie. Die Untersuchungen förderten neue, richtungsweisende Erkenntnisse über mittelalterliche Textilien und ihre Verarbeitung zutage, beleuchten aber auch die Restaurierungsmethoden der 1950er, denen die Kaisergewänder in der Textilwerkstatt des Bayerischen Nationalmuseums München unterzogen wurden, kritisch. Wichtig sind dabei die vielen aus der intensiven Objektbetrachtung mittels Lupe und Mikroskop erwachsenen Erkenntnisse zur überlieferten Substanz der Gewänder, die nicht nur den ältesten Bestand, sondern auch die vermeintlichen Wiederherstellungsarbeiten aus dem 15. und dem 18. Jahrhundert berücksichtigen, die aus dem materiellen Bestand, aber auch aus den Schriftquellen erschlossen werden können.
Der Blaue Kunigundenmantel ist das am vollständigsten überlieferte Textil der Bamberger Kaisergewänder. Bei einer Umarbeitung wurden mittels roter Konturfäden die ausgeschnittenen Goldstickereien von 1436 und 1437 auf den neuen Trägerstoff fixiert. Beim Sternenmantel Heinrichs II. ist zwischen den Goldstickereien noch der originale Trägerstoff, eine ungemusterte blaue Seide, zu erkennen, während die roten Konturfäden der Übertragung von 1453 bis 1455 angehören. Beim Reitermantel Heinrichs II. sind in einem Medaillon-Detail eng gewickelte Goldfäden sowie rote, grüne, dunkelblaue und weiße Haltefäden, die zur farblich differenzierten Musterbildung eingesetzt wurden, gut erkennbar. Die Beispiele der neuen, umfassenden Befundung aller sechs Objekte demonstriert die im Laufe der Jahrhunderte wechselnden Sichtweisen auf die Gewänder.
Die wissenschaftliche Untersuchung hat dabei immer das Gesamtwerk als historisch gewachsenes Objekt im Auge. Holger Kempkens: „Bei den Untersuchungen im Rahmen der Restaurierungsmaßnahmen in den 1950er Jahren sind Theorien entstanden, die heute in dieser Form keinen Bestand mehr haben. Mit dieser Ausgangsposition standen die am Projekt beteiligten Wissenschaftler und Restauratoren vor großen Herausforderungen. Das jetzt abgeschlossene Projekt zu den Kaisergewändern stellt – das ist ein großer Erkenntnisgewinn – die Forschung auf ganz andere Grundlagen. Die Sonderschau mitsamt ihren Ergebnissen liefert nun hinsichtlich der Kaisergewänder eine ganz neue wissenschaftliche Interpretation.“
Von „sensationellen Ergebnissen“ der Forschung über die Kaisergewänder spricht Holger Kempkens außerdem. „Es sind die vielen kleinen Einzelergebnisse, die uns aber im Gesamtbild ein viel differenzierteres Bild vermitteln als zuvor und die nun die historischen Veränderungsprozesse im Laufe der Jahrhunderte klarer ablesbar werden lassen, vor allem, wenn man sie mit den überlieferten Schriftquellen zusammenbringen kann.“
So wurde beispielsweise außerdem entdeckt, dass die Schnittform des Rationales, nicht immer halbrund gewesen sein muss, wie bisher angenommen. Auch neue Erkenntnisse über den damaligen Arbeitsprozess sind gewonnen worden. Nun ist klar, dass die damaligen Näher und Sticker materialökonomisch gearbeitet haben. Da die Goldfäden extrem wertvoll waren, hat man effektiv und materialsparend gearbeitet. Eine weitere herausragende Entdeckung besteht in drei verschiedenen Vorzeichnungen für Ornamentstickereien auf den Mänteln. Über das Vorhandensein solcher vorbereitenden Arbeiten aus so früher Zeit wusste man bis dato nichts.
Fotos, Stofffragmente und Kaisergewänder auf zwei Etagen
Die Ausstellung im Diözesanmuseum ist in zwei Teile geteilt. Die Sonderausstellungsräume im Erdgeschoss zeigen historische Fotografien, Stofffragmente sowie Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt in Nahbetrachtung, etwa auch die für die Kaisergewänder verarbeiteten Materialien und Färbemittel. Im Obergeschoss befinden sich die Kaisergewänder, ergänzt durch in Korrespondenz stehende Exponate aus ihrem Umfeld oder der Nachfolge. Als Beispiele sind hier die Decke aus dem Schrein der Heiligen Ewalde in St. Kunibert in Köln zu nennen, deren Zierbuchstaben denselben Graphikentwurf – der wohl auf der Klosterinsel Reichenau im Bodensee entstand – zeigen wie die Sauminschrift des Sternenmantels, oder das Regensburger Rationale von circa 1320 und seine Kopie aus dem 17. Jahrhundert, die das Bildprogramm des Bamberger Rationales aufgreifen.
Ein besonderes Ausstellungsobjekt ist das „Bamberger Heiltumsbuch“ von 1509, das den Aspekt der Verehrung der Kaisergewänder als Reliquien der Bistumsgründer und ‑patrone Heinrich II. und Kunigunde noch einmal untermauert. Es kehrt eigens aus der British Library in London für die Ausstellung auf Zeit nach Bamberg zurück. Und auch mit ein paar Geschichten, historisch belegt oder als Legende erhalten, wartet die Ausstellung auf.
Holger Kempkens‘ Ansinnen ist es dabei immer, einem großen Publikum aus Fachleuten und Laien die Schönheit und Wertigkeit der Kunstgegenstände vor Augen zu führen. Mit vielen Ausstellungsobjekten, die im 19. Jahrhundert in internationale Museen abgewandert sind, etwa nach Nürnberg, München, Wien und Lyon, und von dort temporär wieder nach Bamberg zurückkehren, möchte der Leiter des Diözesanmuseums die Kaisergewänder und ihre Geschichte möglichst umfassend darstellen.
So kann man die Entstehungsgeschichte des Sternenmantels, eine der bedeutendsten Textilien mit hochmittelalterlicher Goldstickerei, aus einer gestickten Inschrift herauslesen. Sie lautet: „PAX ISMAHELI QVI HOC ORDINAVIT“ – „Friede dem Ismahel, der dies in Auftrag gegeben hat“. Der apulische Adelige Ismahel schenkte vermutlich den Mantel Kaiser Heinrich II. Nach der gegen die Byzantiner verlorenen Schlacht von Cannae 1018 gab wohl Ismahel dieses diplomatische Geschenk in Auftrag, um die Unterstützung des Kaisers zu gewinnen. Auf dem Mantel ist der Sternenkosmos dargestellt, der, christlich umgedeutet, besagt, dass auch die Herrschaft des Kaisers unverrückbarer Teil der göttlichen Weltordnung sei.
Eine zwar historisch unbelegte, aber reizvolle Legende hat die Tunika – der Kundigundenrock – zu erzählen: Die weite Gewandform im letztgültigen Zustand – leider in den 50er Jahren von ihren verzierenden Besatzstücken befreit, um den mutmaßlichen Originalzustand wiederherzustellen – weist auf seine Bedeutung hin: Schwangere Frauen konnten ihn sich bis in die Zeit um 1800 gegen eine Gebühr ausleihen. Trotz oder weil Kaiserin Kunigunde kinderlos blieb, sollte der haptische Kontakt Gebärenden eine gute, gesunde und glückliche Geburt bescheren.
Nach dem Besuch der Ausstellung im Diözesanmuseum ist eines gewiss: Vor dem geistigen Auge entstehen Bilder von Heinrich, Kunigunde und nachfolgender Würdenträger, die in außerordentlicher und prachtvoller Gewandung feierlich in den Dom Einzug halten. Textilien waren damals ein Zeichen von Macht, aber auch von höchster mittelalterlicher Kunstfertigkeit. Ersteres sind sie bis heute.