Die Pädagogin und Musikerin Maria S. Becker hat in den letzten Jahren unter Mithilfe der VHS Bamberg-Land zur früheren jüdischen Bevölkerung Zeckendorfs, Demmelsdorfs und Scheßlitz‘ recherchiert. Mit diesem Projekt, dem sie den Namen „ZeDeSch“ gegeben hat, möchte sie die Erinnerung an die Ermordeten sichtbar machen.
In der Stadt Scheßlitz, gelegen im nördlichen Bamberger Landkreis, lebte bis in die 1940er Jahre hinein eine große jüdische Gemeinde. Vor allem die beiden Ortsteile Demmelsdorf und Zeckendorf galten mit ihren Synagogen, einem Rabbinat und einer zeitweiligen jüdischen Bevölkerungsmehrheit als überregional bedeutsame jüdische Zentren.
Die Nazidiktatur sorgte jedoch dafür, dass bis 1945 alle Jüdinnen und Juden der drei Orte entweder ermordet oder zur Flucht gezwungen worden waren. Heute erinnern lediglich der Zeckendorfer jüdische Friedhof und ein in den 1990er Jahren aufgestellter Gedenkstein an der Straße zwischen Demmelsdorf und Zeckendorf an diese Menschen.
Ein Gedenken, das die Pädagogin und Musikerin Maria S. Becker unzureichend findet und derzeit zu erweitern versucht. So forscht und recherchiert sie seit einiger Zeit unter anderem in den Stadtarchiven Scheßlitz‘ und Bambergs, genau wie im Staatsarchiv Bamberg oder der Dokumentensammlung der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zur früheren jüdischen Bevölkerung der drei Orte. „Als regionales Zeugnis des ehemaligen jüdischen Lebens dient bisher gängigerweise der Zeckendorfer Friedhof“, sagt sie. „Es gab aber auch ein jüdisches Leben vor der Shoa in den drei Orten, das leider im Bewusstsein der Leute vor Ort kaum präsent ist. Obwohl es dazu einige Veröffentlichungen gibt.“
Mehr Sichtbarkeit möchte Maria S. Becker dem früheren jüdischen Leben in Scheßlitz, Demmelsdorf und Zeckendorf, akronymisiert „ZeDeSch“, verleihen. „Sichtbarmachung, auch wenn dies sowohl für Opfer als auch Täter unangenehm ist, wäre vielleicht ein Anfang auf dem Weg zur Heilung. Wobei Heilung das falsche Wort ist. Zu schön klingt der Begriff, aber er geht zumindest in die richtige Richtung. Das frühere jüdische Leben muss ans Licht geholt werden, auch aus Schutz vor Wiederholung. Dafür das zu verhindern, tragen wir Nachgeborenen die Verantwortung.“
Zusammenarbeit mit der VHS Bamberg-Land
Unterstützung erhält Frau Becker von der VHS Bamberg-Land, namentlich von ihrem Leiter Joachim Schön. „Entstanden ist das „ZeDeSch“-Projekt“, sagt Joachim Schön, „als wir 2021 „1700 Jahre jüdisches leben in Deutschland“ begingen. Damals ergab sich eine Art Initiation, sich mit jüdischen Themen im Landkreis zu beschäftigen. Und gerade durch die Recherche von Maria wurde uns bei der VHS klar, auch wenn es eigentlich schon vorher relativ offensichtlich war, wie wenig diese Themen bisher, gerade im nördlichen Landkreis, aufgearbeitet worden waren.“
Also entschied sich die VHS, Frau Becker und ihre Recherche mit einem institutionellen Rahmen zu unterstützen. So kann sie die gewonnenen Informationen immer wieder in Vorträgen vorstellen, die sie online, in der Region und in den drei Orten hält. Auch die Judaistik der Bamberger Universität und die Mittelschule Scheßlitz sind eingebunden.
Neben dem Ziel, die Ermordeten und Vertriebenen in den Vorträgen für heutige Generationen sichtbar zu machen und in Erinnerung zu halten, soll das Projekt außerdem in einer für Oktober geplanten Verlegung von Stolpersteinen in den drei Orten münden. „Und ein weiteres Ziel unserer Arbeit wäre“, sagt Frau Becker, „dass sich der Landkreis Gelder beschafft und eine Forschungsstelle zur ehemaligen jüdischen Bevölkerung einrichtet. Die Region hinkt im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland was das angeht hinterher. Aber das ist Zukunftsmusik.“
„156 Seelen und 166 Juden“
Begonnen hat der jüdische Zuzug nach Zeckendorf, Demmelsdorf und Scheßlitz etwa im 17. Jahrhundert. Wobei, wie so oft in der jüdischen Geschichte, Freiwilligkeit oder Bewegungsfreiheit dabei kaum eine Rolle spielten. „Der Grund waren unter anderem Vertreibungen aus den Städten und entsprechende Ansiedlungen auf dem Land. Die Leute schauten, wohin sie gehen konnten, beziehungsweise welche Landesherren ihnen Schutz gewähren würden. Bis ins 18. Jahrhundert hinein konnten Juden sich nur schwer ihren Ansiedlungsort aussuchen. Das änderte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts.“
Von Zeckendorf aus breitete sich die jüdische Bevölkerung in die anderen beiden Orte aus. So gab es jeweils eine jüdische Schule und eine Synagoge in Zeckendorf und eine Schule und Synagoge in Demmelsdorf. Aus der 1833 erschienenen „Geographischen Beschreibung des Erzbisthums Bamberg“ von Joseph Anton Eisenmann geht zudem hervor, dass in Zeckendorf mehr Juden als Christen, beziehungsweise, wie es in den Dokumenten heißt, 156 Seelen und 166 Juden, lebten. Fast überflüssig zu sagen, dass in anderen Dokumenten Beschwerden der Minderheit über diese Bevölkerungsverteilung festgehalten sind.
Über die Jahrhunderte entwickelte sich jedoch ein gemeinschaftliches Zusammenleben zwischen Christen und Juden. So findet man etwa in Zeckendorfer Gemeinderechnungen von 1700 die Vergütung des Juden Seligman, der die Gemeinde im Prozess gegen einen Müller in Bamberg vertritt. Oder 1912 saßen im Gemeinderat von Zeckendorf zwei Juden, Samuel Rosenbaum und Karl Heimann. Samuel Rosenbaum wurde später in der Shoa ermordet. „Diese Dokumente zeigen“, sagt Joachim Schön, „dass die Beziehungen zwischen den Juden und Christen in den drei Orten ganz gut waren. Aus diesem Grund, so könnte man annehmen, haben einige jüdische Familien nach der Machtergreifung vielleicht auch so lange mit ihrer Auswanderung gewartet, zu lange, bis es zu spät war. Sie konnten sich wohl nicht vorstellen, dass drei Jahrhunderte tiefer familiärer Verwurzelung in der Region einfach keine Rolle mehr spielten und sie vom Tod bedroht waren.“
Die Familien Hausmann, Gerst und Mannheimer
Begonnen hat Maria S. Beckers Forschungsinteresse in die jüdische Vergangenheit der drei Orte nach einem Spaziergang. „Im Sommer 2019 ging ich mit mit einer Freundin von der Uni in Demmelsdorf spazieren und entdeckte an zwei Gebäuden Mesusalöcher.“ Bei einer Mesusa handelt es sich um eine kleine Kapsel, die in traditionellen jüdischen Häusern an Tür- oder Fensterrahmen angebracht ist und ein kleines handgeschriebenes Pergament enthält, auf dem ein Bibelzitat steht. Befestigt werden die Kapseln unter anderem mit Schrauben, die entsprechend Schraubenlöcher nötig machen.
„Als ich diese Löcher in den Türpfosten von zwei gegenüberliegenden Häusern sah, wurde ich neugierig und wollte mehr wissen.“ So fing Frau Becker an, sich in verschiedenen Archiven über diese Häuser und ihre früheren jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner zu informieren. Auch fragte sie Leute aus den Orten nach der Vergangenheit. „Dabei bin ich allerdings oft auf Ablehnung gestoßen. So wurde mir bei einer Nachfrage der Satz hingeknallt: Ach, lassen sie mich bloß mit den Juden in Ruhe.“
Trotzdem gelang es ihr anhand der gefundenen Informationen, ein immer genaueres Bild der früheren jüdischen Bevölkerung der „ZeDeSch“-Orte zu zeichnen. In ihren Vorträgen verdeutlicht sie diese anhand von Familiengeschichten.
So lebte in Zeckendorf etwa die Familie Hausmann. Seit mehr als drei Jahrhunderten war sie dort ansässig gewesen. Ihre letzten Vertreter waren Semi und Kathie Hausmann und ihre beiden Kinder Berthold und Ludwig. Semi starb 1940 in St. Getreu in Bamberg, Mutter Kathie und die Söhne, die zu diesem Zeitpunkt 17 und 13 Jahre alt waren, wurden in der Shoa ermordet.
Auch die Familie Gerst war jahrhundertelang in Zeckendorf ansässig. Wie viele andere jüdische Familien besaß sie ein Anwesen, ein Waldstück und Ländereien und prägte den Ort entsprechend. „Heute erinnert in Zeckendorf jedoch nichts mehr an das weit verzweigte Familienleben der Gersts“, sagt Maria S. Becker.
Die Familie Mannheimer, auf die Frau Beckers Vorträge ebenfalls eingehen, wohnte in Demmelsdorf und war im Viehhandel tätig. Vater Max und Mutter Marta hatten ebenfalls zwei Kinder, Trude und Walter. Aus einem Zeitzeugenbericht geht hervor, dass Max Mannheimer in der Pogromnacht 1938 gezwungen wurde, die Torarollen der Demmelsdorfer Synagoge auf seinem Pferdewagen auf den Acker seines Schwiegervaters zu fahren, um sie dort zu verbrennen. Wenige Jahre danach wurde auch die Familie Mannheimer in der Shoa ermordet.
So riss die Diktatur nach und nach die jüdische Bevölkerung aus dem Leben der drei Orte. Im Rahmen eines der Vorträge kam eine Zeitzeugin auf Frau Becker zu und berichtete von einem Vorfall, der womöglich sogar den Abschluss dieser sogenannten Säuberungen durch die Nazis in Zeckendorf markierte. „Sie, die damals Kind war, erzählte wie, wahrscheinlich im Jahr 1942 vor der Bäckerei Schmittinger, die es heute noch gibt, ein LKW hielt, und die restlichen Juden, die damals noch nicht ausgewandert, weggezogen oder deportiert worden waren, abholte.“
Kurzzeitige Rückkehr nach „ZeDeSch“
Einige Zeit später, nach Kriegsende, ergab sich jedoch eine kurzzeitige Situation, in der wieder Jüdinnen und Juden in Scheßlitz und Zeckendorf lebten. Denn 1946 richtete die US-Armee zwei Kibbuzim ein, in denen Shoaüberlebende aus dem Osten für einige Monate eine Wohnstätte fanden. „Dies geschah aus dem Grund, dass die Amerikaner festgestellt hatten, dass es in der Gegend vor der Diktatur viele Juden gegeben hatte. Sie nutzten die ehemaligen jüdischen Anwesen zur Unterbringung der Shoaüberlebenden.
Dort konnten sie sich Kompetenzen in der Landwirtschaft aneignen, um für das neue Leben, das sie später wo auch immer beginnen würden, gewappnet zu sein.“ Denn bleiben wollten die Überlebenden im Land der Täter nicht. So wurde im April 1948 erst der Scheßlitzer und im September desselben Jahres der Zeckendorfer Kibbuz wieder geschlossen. „Heute weiß in Zeckendorf aber auch darüber kaum jemand mehr etwas. Auch das möchte ich ändern.“
Zusammenarbeit mit der Mittelschule Scheßlitz
Ein Vorhaben, das bisher nicht ohne Erfolg zu sein scheint. „Der Vortrag in Zeckendorf“, sagt Joachim Schön, „war mit mehr als 80 Leuten einer der bestbesuchten Vorträge der VHS Bamberg-Land in den letzten Jahren. Wir hatten mit etwa 20 gerechnet.“ Trotz wiederkehrender Ablehnung in der Bevölkerung sind Frau Becker und Herr Schön mit dem Anklang der Vorträge entsprechend zufrieden. „Es flutscht“, sagt Maria S. Becker, „die Informationen werden mehr und es melden sich immer wieder Leute und geben uns weitere Auskünfte. Es scheint ein Interesse an unserer Arbeit da zu sein. Und“, fügt sie an, „wir bekommen Spenden.“
Diese finanziellen Zuwendungen werden Mitte des Jahres wichtig. Dann planen Becker und Schön in den drei Orten, etwa 30 Stolpersteine zu verlegen. Dabei soll der drei erwähnten Familien Hausmann, Gerst und Mannheimer genau wie weiteren ermordeten Familien gedacht werden.
Für diese Sichtbarmachung erhält das Projekt „ZeDeSch“ zusätzliche Unterstützung von der Mittelschule Scheßlitz. „Eine Lehrerin der Schule war bei einem meiner Vorträge und nahm Kontakt auf“, sagt Frau Becker. „Nun arbeite ich schon das ganze Schuljahr mit Klassen und Lehrkräften der Schule zusammen und jetzt wird sie sich an der Stolperstein-Verlegung finanziell beteiligen.“
Ist dieses Ziel erreicht, will Maria S. Becker die Arbeit am „ZeDeSch“-Projekt allerdings beenden. „Die Recherche ist psychisch sehr anstrengend. Viele der Dokumente, die ich finde, geben detailliert Auskunft über die Schicksale der Deportierten und Ermordeten, das ist für mich auf Dauer nur schwer auszuhalten. Aber bis dahin bringen wir etwas ans Licht und das ist gut für alle.“
Vortrag Maria S. Becker:
Jüdische Geschichte in der Region Bamberg
22. Februar, 19 Uhr, Stephanshof, Stephansplatz 5