Aus­stel­lung im Kesselhaus

Richard Wient­zek „60 Movies“: „Ich habe 60 Lieb­lings­fil­me gezeichnet“

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Richard Wientzek
Richard Wientzek bei der Arbeit, Foto: Gerhard Hagen
Was er 2017 mit „60 Songs“ vor­leg­te, vari­iert der Bam­ber­ger Maler und Zeich­ner Richard Wient­zek nun mit der Aus­stel­lung „60 Movies“. Ab 2. Sep­tem­ber zeigt der Kunst­ver­ein Bam­berg im Kes­sel­haus sei­ne 60 Zeich­nun­gen zu 60 Fil­men – vor­nehm­lich Klas­si­ker des Main­stream-Kinos. Wir haben mit Wient­zek im Vor­feld der Schau gespro­chen, unter ande­rem über die Gefahr des Kli­schees, sei­nen Lieb­lings­film und „Bana­na Joe“.
Herr Wient­zek, im Rah­men Ihrer Aus­stel­lung „60 Songs“, für die Sie 2017 Zeich­nun­gen zu 60 Lie­dern ange­fer­tigt haben, sag­ten Sie, als Bil­den­der Künst­ler wegen der Unmit­tel­bar­keit ihrer Wir­kung nei­disch auf Musik zu sein. Sind Sie auch nei­disch auf das Gen­re „Film“?

Richard Wient­zek: Ja, noch viel nei­di­scher sogar. Film ist das leben­digs­te Gesamt­kunst­werk, in dem meh­re­re Kunst­ar­ten zusam­men­kom­men: Bil­der, Musik, Dra­ma­tur­gie, Erzäh­lung. Auch macht Film eine Zeit­ab­fol­ge mög­lich – das kann Bil­den­de Kunst über­haupt nicht. Sie muss sich immer auf Moment­auf­nah­men eini­gen. Das war für mich die gro­ße Her­aus­for­de­rung, vom gro­ßen Film zur klei­nen Zeich­nung zu kom­men. Es war letzt­lich fast nicht zu ver­mei­den, nach den „60 Songs“ in den Film zu gehen.

Wie­so sind es genau 60 Filme?

Richard Wient­zek: Die­se Zahl kam damals bei den „60 Songs“ mehr oder weni­ger zufäl­lig zustan­de. Wich­tig war aber, dass sie im Arbeits­pro­zess einer­seits eine Her­aus­for­de­rung war und ande­rer­seits auch ein erreich­ba­res Ende in Sicht gebracht hat. Bei den Fil­men war es aller­dings viel auf­wän­di­ger, sowohl for­mal als auch zeit­lich. Ich habe exakt 555 Tage gebraucht.

Nach wel­chen Gesichts­punk­ten haben Sie die 60 ausgewählt?

Richard Wient­zek: Es gibt ja immer wie­der Film­lis­ten wie „Die 100 bes­ten Fil­me aller Zei­ten“ oder die „100 lus­tigs­ten Komö­di­en“ und so wei­ter. Die­se Lis­ten habe ich mir zu Vor­be­rei­tung zwar ange­schaut, woll­te mich aber nicht all­zu sehr an ihnen ori­en­tie­ren. Ande­rer­seits bin ich als 1970 Gebo­re­ner genau in der Zeit auf­ge­wach­sen, aus der vie­le die­ser Fil­me stam­men. Und man­che die­ser Film­iko­nen sind eben der­art prä­sent, dass ich kaum an ihnen vor­bei­kom­men konn­te. Hier und da habe ich aber auch Fil­me dabei, die man im wei­tes­ten Sin­ne als sper­ri­ges Art­house bezeich­nen könn­te. Teil­wei­se woll­te ich also mit den iko­ni­schen Fil­men und den Kli­schees, durch die sie iko­nisch wer­den, mit­ge­hen. Teil­wei­se woll­te ich in die 60er-Lis­te aber auch Ruhe und lei­se­re Fil­me rein­brin­gen und nicht nur Blockbuster.

Wor­in besteht der Reiz, fil­misch bereits Dar­ge­stell­tes zeich­ne­risch noch ein­mal darzustellen?

Richard Wient­zek: Der Reiz ist zu for­schen, was mei­ne eige­ne Kli­schees sind, die ich mit dem jewei­li­gen Film ver­bin­de. Dann woll­te ich her­aus­fin­den, was mir ein­fällt, wenn ich mir einen Film mit dem Ziel anschaue, mich nicht nur von ihm berie­seln zu las­sen, son­dern das eine erin­ne­rungs­träch­ti­ge Detail zu fin­den, das und des­sen Wie­der­erken­nungs­wert ich in der Zeich­nung ver­wer­ten will. Dabei kam es mir dar­auf an, ob ich mit dem Film und sei­ner Ästhe­tik mit­schwin­ge oder sie breche.

Vie­le der Fil­me auf der Lis­te sind zudem Fil­me, die über die Jah­re einen iko­ni­schen Stel­len­wert erreicht haben, zig­fach kopiert, neu auf­ge­legt und per­si­fliert und zum ste­hen­den Zitat-Inven­tar der Pop­kul­tur gewor­den sind. Kann man sich künst­le­risch an etwas annä­hern, bei dem sogar schon die Anspie­lun­gen all­ge­mein bekannt sind?

Richard Wient­zek: Selbst­ver­ständ­lich. Aber es durf­te auch so sein. Fil­me wie „Satur­day Night Fever“, „Easy Rider“ und „Früh­stück bei Tif­fa­ny“ sind ja nicht umsonst Klas­si­ker. Sie haben so viel ein­ge­fan­gen in Sachen Ver­dich­tung, Optik, Zeit­geist oder Stim­mung. Oder ein ande­res Bei­spiel: „Spiel mir das Lied vom Tod“. Da muss­te die Mund­har­mo­ni­ka ein­fach sein. Denn manch­mal woll­te ich so rich­tig tief rein ins Kli­schee. Seit hun­der­ten Jah­ren wird der Tod in der Kunst als Schä­del dar­ge­stellt, dem woll­te ich nichts drauf­set­zen, also ist es bei mir auch der Toten­schä­del – nur eben mit Mundharmonika.

Wie haben Sie es bei „Schwei­gen der Läm­mer“ gemacht? Da wür­de man wahr­schein­lich die Mas­ke von Haupt­fi­gur Han­ni­bal Lec­ter erwarten.

Richard Wient­zek: Oder die Toten­kopf­fal­ter. In die­sem Fall bin ich aber – es war die ers­te Zeich­nung für „60 Movies“ – ganz naiv ran­ge­gan­gen und habe den Titel sehr wört­lich genom­men. Wie stellt man Schwei­gen dar? Ich habe ein Han­dy gezeich­net, auf des­sen Dis­play ein sti­li­sier­tes Sym­bol für Schwei­gen zu sehen ist und neben dem Han­dy lie­gen Schäf­chen­fi­gu­ren aus einer alten Weih­nachts­krip­pe. Manch­mal ist es pro­duk­tiv, etwas wört­lich zu neh­men, manch­mal etwas miss­zu­ver­ste­hen. Ein ande­res Bei­spiel wäre der „Der Pate“. Natür­lich gibt es tau­send Leu­te, die auf die­sen Film schon künst­le­risch reagiert haben und alle Welt erkennt Anspie­lun­gen auf ihn. Schon sein Kino­pla­kat ist bekannt und zeigt eine Hand, die an einem Mario­net­ten­spiel­kreuz den Titel­schrift­zug hält. Ich will nicht zu viel ver­ra­ten, aber bei „Der Pate“ habe ich nicht das Typi­sche genom­men. Genau­so wenig woll­te ich zum Bei­spiel bei „Drei Hasel­nüs­se für Aschen­brö­del“ den rosa­ro­ten Schlei­er zeigen.

Funk­tio­nie­ren die Zeich­nun­gen auch, ohne die Fil­me zu kennen?

Richard Wient­zek: Ja, es war mein Anspruch, dass das Publi­kum mit den Zeich­nun­gen auch ohne Kennt­nis der Fil­me etwas anfan­gen kann. Ich wur­de ja nicht von irgend­wel­chen Film­ge­sell­schaf­ten ver­pflich­tet, irgend­wel­che Fil­me dar­zu­stel­len. Die Zeich­nun­gen sind oft freie Asso­zia­tio­nen. Ich bin selbst auch kein Cine­ast und die Aus­stel­lung soll­te auch kei­ne Spe­zia­lis­ten­ver­an­stal­tung für Cine­as­ten wer­den, die sich dann an ihrem eige­nen Spe­zi­al-Film-Wis­sen ergöt­zen kön­nen. Dar­um ver­ra­ten die Titel der Zeich­nun­gen auch, wel­che Fil­me sie zeigen.

Ganz ein­fach schei­nen Sie es dem Publi­kum aber auch nicht zu machen. Was ist zum Bei­spiel die Aus­sa­ge der Zeich­nung zu „Gla­dia­tor“?

Richard Wient­zek: Auf der aus­ge­ris­se­nen Sei­te aus einem alten Latein-Wör­ter­buch steht links unten der Begriff „gla­dia­tor“. Der eigent­li­che Auf­hän­ger der Bild­idee ist aber der But­ton mit dem erho­be­nen Dau­men. Wäh­rend wir heu­te all­ge­mein davon aus­ge­hen, dass das für „super“ oder im Kon­text des Gla­dia­to­ren­kamp­fes für „Begna­di­gung“ steht, sehen manche

Richard Wientzek
„Gla­dia­tor“, 2022, Tusche und Farb­stif­te auf Papier, Foto: R. Wientzek

Alter­tums­for­scher in die­ser Ges­te genau das Gegen­teil. Näm­lich eine Auf­for­de­rung, das Schwert zu erhe­ben und den Unter­le­ge­nen zu töten. Letzt­lich ging es mir dar­um zu zei­gen, dass Ges­ten und Sym­bo­le durch­aus ihre ursprüng­li­che Bedeu­tung ver­än­dern können.

Mit „Bana­na Joe“ ist auch ein Bud-Spen­cer-Film dabei. Was hat ihn für die Lis­te qualifiziert?

Richard Wient­zek: Ein Bad-Tas­te-Movie muss­te dabei sein. Die­sen Film noch­mal anzu­schau­en, war aller­dings teil­wei­se eine Qual. Man­cher Humor altert gut, man­cher nicht. Aber die­se Fil­me waren Kin­der ihrer Zeit und Fil­me mei­ner Kind­heit. Als Zehn­jäh­ri­ger habe ich mein Taschen­geld in sol­che Fil­me inves­tiert. Wobei er eigent­lich durch­aus kapi­ta­lis­mus- und büro­kra­tie­kri­ti­sche Unter­tö­ne hat: Es geht ja gegen einen Groß­kon­zern, der Dschun­gel­dör­fer für Bana­nen­plan­ta­gen räu­men will.

Da er aber schon als Komö­die gemacht ist: Wel­che Rol­le spielt Humor in Ihren Zeichnungen?

Richard Wient­zek: Ich ver­su­che schon, mit ein biss­chen Humor zu arbei­ten – mal hin­ter­sin­ni­ger, mal zum Schen­kel-Klop­fen. Aber das ist eher eine Kir­sche auf dem Kuchen. Und wenn der Kuchen nicht gut ist, ist es die Kir­sche auch nicht. Es geht mir schon um den Blick­fang, und manch­mal dar­um, den erwar­te­ten Blick­fang zu umgehen.

Unter den 60 Fil­men befin­det sich kein aktu­el­ler deut­scher Film. Liegt das dar­an, dass sich, so könn­te man sagen, deut­sche Fil­me oft wei­gern, erin­ne­rungs­träch­ti­ge Bil­der zu produzieren?

Richard Wient­zek: Gemei­ne Fra­ge. Von der ästhe­ti­schen Prä­gung bin ich durch die 1970er bis 1990er aber schon ein wenig ver­saut und habe dar­um viel aus die­ser Zeit aus­ge­wählt. Es ist aber nicht so, dass ich etwas gegen aktu­el­le deut­sche Fil­me hät­te. Wenn der öster­rei­chi­sche Film auch gilt, ist mit „Fun­ny Games“ von Micha­el Han­eke auch einer dabei, aller­dings auch schon von 1997. Bei die­sem Film haut mich ein­fach die Radi­ka­li­tät der Erzähl­wei­se um, die so etwas abso­lut Unver­söhn­li­ches in ihrer ursa­chen­lo­sen Gewalt hat. Aller­dings zei­ge ich dazu einen Moment, in dem noch eine gewis­se Hoff­nung besteht.

Um noch­mal auf „ Bana­na Joe“ zu kom­men: In der Abfol­ge der Zeich­nun­gen, die der Rei­hen­fol­ge ihrer Auf­hän­gung im Kes­sel­haus ent­spre­chen soll, folgt auf ihn „Mul­hol­land Dri­ve“ von David Lynch. Ste­hen die ein­zel­nen Fil­me durch ihre Anord­nung in Bezie­hung zueinander?

Richard Wient­zek: Das sind zwei Fil­me, deren Ästhe­tik kaum wei­ter aus­ein­an­der­lie­gen könn­te. Aber eine Bin­nen­dra­ma­tur­gie in mei­ner Anord­nung gibt es nicht. Eine klei­ne Aus­nah­me habe ich gemacht mit der Umset­zung des letz­ten Films in der Lis­te – „Cine­ma Paradi­so“ von Giu­sep­pe Tor­na­to­re. Der hat dann schon etwas Pro­gram­ma­ti­sches, denn es geht um eine Klein­stadt, deren Bewoh­ner eine enge Ver­bin­dung zu ihrem ört­li­chen Kino haben. Außer­dem hat sich her­aus­ge­stellt, dass er in einer Stadt gedreht wur­de, in der ich schon mal Urlaub gemacht habe: Bag­he­ria. Ziem­lich berühmt ist sie für ihre Zitro­nen­plan­ta­gen. Das fand ich als Schluss­punkt pas­send, ein biss­chen wie bei „60 Songs“, wo es in der letz­ten Zeich­nung um „Don’t stop the music“ von Rihan­na in der Ver­si­on von Jamie Cul­lum ging.

Aber gibt es ein grö­ße­res Gan­zes, zu dem sich die Zeich­nun­gen zusam­men­fü­gen? Was ist der tie­fe­re Sin­ne von „60 Movies“?

Richard Wient­zek: Der tie­fe­re Sinn ist, dass ich ger­ne zeich­ne. Es geht durch­aus um die Fil­me und ihren all­seits bekann­ten Wie­der­erken­nungs­wert und Platz in der Pop­kul­tur. Aber das The­ma „Film“ wäre letzt­lich für mich aus­tausch­bar gewe­sen. Es hät­ten auch 60 Städ­te oder Roma­ne sein kön­nen. Ich woll­te nicht in ers­ter Linie zei­gen, wo oder war­um der jewei­li­ge Film sei­nen Platz in der Pop­kul­tur und ihrem Zitat­vor­rat hat, oder wel­che Rol­le er in mei­nem Leben spielt. Aller­dings war das eine inhalt­li­che Klam­mer, die mir sehr gele­gen kam, weil sie mir die Rich­tung des Pro­jekts vor­ge­ge­ben hat und mir gleich­zei­tig vie­le Frei­hei­ten ließ.

Wie bestehen die rela­tiv klei­nen Zeich­nun­gen, sie sind alle For­mat 25 mal 25 Zen­ti­me­ter, im hohen Raum des Kesselhauses?

Richard Wient­zek: Ich woll­te unbe­dingt ins Kes­sel­haus, weil das der ein­zi­ge Aus­stel­lungs-Raum in Bam­berg ist, wo man die 60 Zeich­nun­gen in einer Rei­he hin­ter­ein­an­der und rings­um auf­hän­gen kann. Die­se Art der Prä­sen­ta­ti­on, die Vor­stel­lung davon, wie sie alle neben­ein­an­der wir­ken, war auch ein star­ker Antrieb wäh­rend der Arbeit. Und im bes­ten Fall wür­de die Hän­gung auch noch ein biss­chen wie ein Film­strei­fen aussehen.

Wel­cher ist ihr Lieb­lings­film aus der Liste?

Richard Wient­zek: Ich habe befürch­tet, dass die­se Fra­ge kommt, denn ich habe 60 Lieb­lings­fil­me gezeich­net. Aber ich glau­be, letzt­end­lich hat es mir die schlan­ke Bild­spra­che von Aki Kau­ris­mä­ki schon sehr ange­tan. Ihn habe ich mit sei­nem Film „Das Mäd­chen aus der Streich­holz­fa­brik“ auf­ge­nom­men. Fin­ni­sches, exis­ten­zia­lis­ti­sches, tra­gi­ko­mi­sches Rau­cher­ki­no, in dem wenig gespro­chen wird – toll!

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