Anfang des 19. Jahrhunderts begann sich eine Gruppe kunstinteressierter Bamberger Bürger regelmäßig zu treffen, um sich über ihre kulturelle Leidenschaft auszutauschen. 1823 ging aus diesen Treffen die Gründung eines Kunstvereins hervor. Dieser Kunstverein wird nun 200 Jahre alt und zählt damit zu den ältesten seiner Art in Deutschland. Dr. Barbara Kahle ist seit 2010 Vorsitzende des Vereins. Mit ihr haben wir über den damaligen, heutigen und zukünftigen Kunstverein gesprochen – und über seine fast schon traditionelle Unterkunftslosigkeit.
Frau Kahle, was zeigte der Kunstverein in seiner ersten Ausstellung vor 200 Jahren?
Barbara Kahle:. Das lässt sich so genau gar nicht sagen, die Ausstellungstätigkeit hat sich erst nach und nach entwickelt. Man beschäftigte sich mit Werken Bamberger Künstler oder auch mit privaten Sammlungen, die dann in kleinerem Rahmen auch für Ausstellungen zur Verfügung gestellt wurden. Der Kunstverein ist damals hervorgegangen aus privaten Treffen künstlerisch interessierter Bürger, zu denen auch der Arzt Adalbert Friedrich Marcus und E.T.A. Hoffmann gehörten. Erst als Stephan Freiherr von Stengel, der diese Zusammenkünfte initiiert hatte, gestorben war, entschloss man sich, diese Treffen zu institutionalisieren und den Kunstverein offiziell zu gründen.
Heute hat sich der Kunstverein der zeitgenössischen Kunst verschrieben. Galt dieser Fokus von Anfang an?
Barbara Kahle: Nein, denn anfänglich hat der Kunstverein keine Unterscheidung gemacht zwischen zeitgenössischer oder moderner Kunst und Kunst aus vergangenen Zeiten. Schaut man sich die Programme der ersten öffentlichen Ausstellungen von vor 200 Jahren an, wurde zwar durchaus gezeigt, was damals aktuell war, aber auch sehr viel historische, alte Kunst. 1828 richtete der Verein zum Beispiel ein großes Albrecht Dürer-Jahr aus.
Diese Haltung zog sich eigentlich weiter bis zum 2. Weltkrieg. Von seinem Selbstverständnis her war der KV zunächst eine Vereinigung, die sich allgemein um Kunst gekümmert hat, deren Mitglieder sich zusammengetan haben, um gemeinsam Kunst zu schauen, zu besprechen und ihr Publikum darüber mittels selbst gegebenem Bildungsauftrag weiterzubilden. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, die man als Zeit eines kulturellen Neuanfangs überschreiben könnte, zeigte sich die Aufbruchstimmung in einigen bemerkenswerten Ausstellungen wie etwa „Deutsche Kunst der Gegenwart“ von 1947 oder „Druckgrafik der Brückemeister“ von 1958. Das Historische war damit aber nicht ausgeklammert; vor allem in Vorträgen widmete man sich allen Epochen der Geistes- und Kulturgeschichte.
Besteht dieser Bildungsauftrag heute noch?
Barbara Kahle: Ja, aber früher spielte die Bildung ein andere Rolle. Unsere Satzungen aus dem 19. Jahrhundert geben als Vereinsziele unter anderem „Unterhaltung und Belehrung“ des Publikums über alle Zweige der Bildenden Kunst und „Verbreitung von Kunst-Geschmack“ an. Heute ist das anders. Heute geht es in Sachen Bildung nicht so sehr um Belehrung als um ein Angebot, das gemeinsame Erlebnis, Kunst zu entdecken. Heute sollen durch Ausstellungen eher Anregung für und Diskussion mit dem Publikum entstehen.
Entstehen solche Diskussionen?
Barbara Kahle: Es ist manchmal ein mühsames Geschäft, es gelingt nicht immer. Wir sind ein kleiner Kunstverein, der ehrenamtlich mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten arbeitet und außerdem eingebettet ist in die Strukturen der Stadt Bamberg, wo die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst lange kaum Beachtung gefunden hat. Wir merken, dass manchmal die Grundlage und auch die Bereitschaft für das Verständnis von zeitgenössischer Kunst fehlt.
In welchem Zustand befindet sich der Kunstverein heute?
Barbara Kahle: In einem guten!
Kann also alles so bleiben, wie es ist?
Barbara Kahle: Nein! Eigene Räume müssen her. Ich denke, wir haben einen sehr engagierten Vorstand im Kunstverein, der in den letzten Jahren sehr schöne Ausstellungen gezeigt hat. Nicht alles war wunderbar – aber ich glaube, im Großen und Ganzen können wir zufrieden sein, wobei wir natürlich von der Arbeit unserer Vorgänger sehr viel profitieren. Doch angesichts dessen, dass wir ehrenamtlich arbeiten, haben wir immer ein gutes Programm geboten, mit verhältnismäßig vielen Ausstellungen, durchschnittlich vier pro Jahr. Ich denke, vom Ansehen her steht der Kunstverein damit wirklich gut da.
Aber?
Barbara Kahle: Unsere Arbeit könnte besser laufen, wenn wir einen permanenten Ausstellungsort hätten. Eine gute Möglichkeit ist seit 2011 das Kesselhaus, das aber nicht für alle Arten von Kunst-Ausstellungen geeignet ist – manche Werke gehen in diesem großen Raum mit seinen dominanten Nutzungsspuren einfach unter. Es wäre insofern besser, zusätzlich einen Ort zu haben, an dem man die Kunst adäquat präsentieren kann, weiße Wände, auf denen sich die Kunst entfalten kann. Wir brauchen einen dauerhaften Ort, dessen Räume passend sind und noch mehr Möglichkeiten bieten als der gegenwärtige eigentliche Kesselraum.
Was heißt das genau?
Barbara Kahle: Wir bräuchten Raum, wo man sich auch mal hinsetzen kann, um zum Beispiel über die jeweilige Ausstellung zu diskutieren, um Vorträge zu hören oder Workshops abzuhalten. Weder in der Villa Dessauer noch im Hauptraum des Kesselhauses gibt es dies. Es fehlt an sozialer Infrastruktur für Kunstpädagogik und auch an einem Café.
Wo könnte solch ein Ort sein?
Barbara Kahle: Das gesamte Kesselhaus-Areal am Leinritt ließe sich prächtig dazu umnutzen! Im Kesselraum selbst könnte Experimentelles und Überformatiges hinein, während die anderen Bereiche zu gängigen, hellen Ausstellungsräumen, sogenannten White-Cubes, umgebaut werden.
Wie ist der aktuelle Stand des Kesselhauses als möglicher permanenter Ausstellungsort?
Barbara Kahle: Eine Machbarkeitsstudie zur Verwendung des Kesselhauses als dauerhaften Ort für Kunst und Kultur wurde gerade ausgeschrieben, aber noch nicht begonnen. Der Verein Kunstraum JETZT! hat bis 2026 einen Nutzungs-Vertrag mit dem Immobilienmanagement, das das Kesselhaus verwaltet. Das sind also noch gut drei Jahre, in denen die Studie fertig sein sollte.
Wie lange sucht der Kunstverein schon nach einem festem Ort?
Barbara Kahle: Seit 200 Jahren.
Wieso ist es in dieser langen Zeit nicht gelungen, einen dauerhaften Ort zu finden?
Barbara Kahle: Dies wurde lange Zeit nicht als Problem empfunden. Angefangen hat alles, wie gesagt in Privathäusern, im Hellerschen Haus an der Unteren Brücke genau gesagt. Ab 1853 mietete sich der Kunstverein im Krackhardt-Haus ein – bis 1929, danach für wenige Jahre im Rathaus. Man begnügte sich, anders gesagt, mit den Orten, die man zur Verfügung hatte. Erst im 20. Jahrhundert begann zunehmende Unzufriedenheit darüber, immer hin und her ziehen zu müssen.
1934 gab es echte Überlegungen, an der Promenade ein eigenes Gebäude zu errichten, die aber nie über eine Zeichnung des Gebäudes hinauskamen; es gab also nicht einmal einen Bauplan. Nach dem Krieg hoffte man, in der Residenz eine dauerhafte Bleibe gefunden zu haben. Dort auszustellen ist aber heute unter anderem aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich. Unser ehemaliger Vorsitzender Hans Neubauer hat dann in den 1980er Jahren mitgewirkt, dass mit dem Umbau der Villa Dessauer zu einem städtischen Ausstellungshaus der Kunstverein dort immerhin zwei winzige Depoträume im Dach bekam und in der Villa vor allem einmal im Jahr einige Wochen unentgeltlich ausstellen darf. Diese Übereinkunft hat bis heute Bestand. Aber die Villa kann niemals eine Geschäftsstelle, wie wir sie zurzeit in der Schützenstraße haben, sein. Es wäre gut, wenn alles unter einem Dach wäre.
Wie hoch ist die Miete im Kesselhaus?
Barbara Kahle: Der Verein Kunstraum JETZT! zahlt mit Unterstützung des Kulturamts dem Immobilienmanagement eine kleine Miete. Sollte das Kesselhaus als fester Ort für Kunst etabliert werden, würde, könnte das natürlich so bleiben. Aber derzeit sind wir immer im Zweifel, ob 2026 nicht Schluss ist, wenn nämlich die Machbarkeitsstudie zu unseren Ungunsten ausfällt.
Sind Ausstellungen das beste Argument, um die Stadt vom Kesselhaus als festem Ort zu überzeugen?
Barbara Kahle: Ja.
Ist es Ihnen insofern noch nicht gelungen, überzeugende Ausstellungen zu zeigen?
Barbara Kahle: Ich glaube nicht, dass das so einfach funktioniert. Unsere stärkste Waffe ist tatsächlich unser Wirken, das natürlich in erster Linie aus Ausstellungen besteht. Hinzu kommt unsere Arbeit in Gremien, ich selbst bin Mitglied der Kulturkommission, wir sind im Ausschuss für Kunst im öffentlichen Raum und so weiter. Die Bedeutung des Kunstvereins zeigt sich eben auch im Mitgestalten des allgemein-städtischen kulturellen Lebens. Sie sollten sich mal vorstellen, wie die Stadt und ihre kulturelle Szene aussähe, wenn es den Kunstverein mit seinen Ausstellungen und Aktivitäten nicht gäbe.
Der Kunstverein hat etwa 300 Mitglieder. Herrscht Überalterung oder haben Sie reichlich jungen Nachwuchs?
Barbara Kahle: Wir haben als Bürgerverein seit jeher viele ältere Mitglieder, von denen einige aus dem Verein austreten oder leider wegsterben. Dies bedeutet einen altersbedingten Mitgliederschwund, der die Zahl neuer Mitglieder noch immer übertrifft. Das ist ein Manko vieler Vereine, so auch des Kunstvereins. Wir bräuchten viel mehr junge Mitglieder – gerne auch im Vorstand – die wiederum mehr Kontakt zu jungen Leuten bringen könnten.
Sie sind seit 2010 Vorsitzende des Kunstvereins. An welche Ausstellungen aus dieser Zeit denken Sie besonders gern zurück?
Barbara Kahle: Das ist natürlich grundlegend sehr subjektiv, aber eine Ausstellung, die uns – und auch dem Publikum – besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist die Ausstellung „Fremde Gärten“ mit riesigen Tulpen-Scanogrammen von Luzia Simons im Kesselhaus 2012. Ein grandioses Erlebnis, vielleicht auch deshalb, weil es unsere erste große Ausstellung im Kesselhaus war.
Seitdem nichts mehr? 2012 ist schon ein bisschen her.
Barbara Kahle: Ja, aber gerade diese Ausstellung ist vielen in starker Erinnerung geblieben. Ein aktuelleres Beispiel wäre die Ausstellung von Philip Grözinger letztes Jahr mit seinen völlig abstrusen Gemälden.
Gibt es Ausstellung, die Sie nicht mehr zeigen würden? Mir würde die heillos verkopfte und blutleere Ausstellung „Porosity Playground“ von 2021 einfallen.
Barbara Kahle: Na ja, sagen wir mal so: Bei manchen Ausstellungen, in denen der inhaltliche Bogen nicht ganz offensichtlich ist, fehlt der Punkt, der Funke, mit dem die Werke sozusagen auf das Publikum überspringen. Teilweise fällt es auch mir nicht immer leicht, einen Zugang zu finden.
Hat der Kunstverein jemals seine Gleichschaltung in der Nazizeit zum Ausstellungsthema gemacht?
Barbara Kahle: Die Einträge aus Sitzungsprotokollen zum Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder aus dieser Zeit sind im Verein bekannt und wurden immer wieder veröffentlicht. Die genauen Umstände wurden aber nie näher untersucht. Für das Jubiläumsjahr haben wir den Historiker Andreas Ullmann beauftragt, das vorhandene Material noch einmal genauer zu sichten und einzuordnen. Damit wollen wir auch eine Entschuldigung anbieten. Weiterhin werden wir zunächst für ein deportiertes Mitglied, und nach und nach auch für die anderen, einen Stolperstein in Bamberg verlegen lassen.
Am 28. März halten Sie eine Vortrag mit dem Titel „200 Jahre Kunstverein – Und wie weiter?“ Wie geht es weiter mit dem Kunstverein?
Barbara Kahle: Hoffentlich irgendwann mit besseren Ausstellungs-Räumlichkeiten mit kunstpädagogischem Anspruch. Dann würden wir auch gerne eine Artothek aufbauen, in der man Grafiken aus unseren Beständen ausleihen kann. Bislang bekommt die Sammlung kein Mensch zu sehen. Wir arbeiten an der Digitalisierung, aber dafür fehlt oft die Zeit.
Sie sind seit 13 Jahren im Amt. Denkt man da bereits an die Nachfolge?
Barbara Kahle: Ich bin 70 und es macht mir weiterhin Spaß, aber natürlich ist irgendwann Schluss. Es muss also eine Perspektive meiner Nachfolge entwickelt werden. Das Programm, das wir zurzeit jährlich aufstellen, ist nur möglich, weil ich es mir einrichten kann, mich ehrenamtlich tagtäglich dem Kunstverein zu widmen. Eine überlegenswerte Idee für meine Nachfolge ist, dass der Kunstverein finanziell in der Lage wäre, eine feste Kraft einzustellen, der die Ausstellungen kuratiert und den Geschäftsbetrieb übernimmt, während der Vorstand weiterhin ehrenamtlich tätig bleibt. Das wäre eine gute Chance, Ausstellungen in die Hände von jemand jüngerem zu legen – wie gesagt, eine Möglichkeit, über die man durchaus diskutieren sollte.