Ohne pflegende Angehörige würde das sowieso schon überlastete Pflegesystem vor noch größeren Herausforderungen stehen. Um Menschen, die ein pflegebedürftiges Familienmitglied zuhause pflegen, mehr Öffentlichkeit zu verschaffen, organisiert der Bamberger Arbeitskreis pflegender Angehöriger am 3. Mai den Tag der pflegenden Angehörigen.
Die Pflegesituation, das heißt, der Personalmangel in Pflege-Einrichtungen, sei in Bamberg, wie überall anders im Land auch, „sehr schwierig“, wie Stefanie Hahn, städtische Seniorenbeauftragte, sagt.
„Wie jede andere Kommune ist auch Bamberg verpflichtet, eine Pflegebedarfsplanung zu erstellen. Und darin ist schon seit einigen Jahren absehbar, dass wegen der Umsetzung des sogenannten Pflege- und Wohnqualitäts-Gesetzes, die Anforderungen an Pflegeeinrichtungen steigen werden. Das heißt, in Bamberg entsprechen nicht alle Pflegeeinrichtungen aktuellen baulichen Anforderungen. Hinzu kommt, dass es in Bamberg wenig Baufläche gibt, die für den Neubau einer solchen Einrichtung ausgewiesen werden könnte. Deswegen nehmen wir die Pflegesituation in der Stadt aktuell als durchaus sehr schwierig wahr – auch, weil Kommunen grundsätzlich in vielen Bereichen, die die Pflege betreffen, nur einen sehr kleinen Beitrag leisten können. Es gab in der Pflege sehr viele Fehlentwicklungen, die nur mit Gesetzesänderungen behoben werden könnten. Viele Hebel liegen bei der Frage des Pflegenotstandes auf Bundes- und Landesebene.“
Einer dieser kommunalen Beiträge besteht im 2018 gegründeten Pflegeportal, dessen Leiterin Frau Hahn seither ist. Diese Online-Anlaufstelle soll Menschen, die pflegebedürftige Angehörige haben, Orientierung und Information zu ihrer neuen Lebenssituation bieten.
„Die grundsätzliche Überlegung damals war, dass Menschen, die von einem Pflegefall betroffen sind – selbst oder bei Angehörigen –, sich plötzlich und unvorbereitet in einer Situation wiederfinden, in der sie schnell eine ganze Reihe von Informationen brauchen. Und diese im, man kann es nicht anders nennen, Pflegedschungel zu finden, ist auch für jemanden, der den ganzen Tag damit zu hat, nicht einfach. Auch wurde uns klar, dass wir vom Seniorenbüro unser damaliges Informationsangebot fast nur in gedruckter Form verteilten. Angehörige aber lieber online Angebote und Lösungen finden möchten – idealerweise gebündelt auf einer ständig aktualisierten Internet-Seite.“
Ambulant vor stationär
In Zahlen ausgedrückt gibt es in Bamberg derzeit etwa 800 Pflegeplätze zu wenig. Der demografische Wandel einer immer älter werdenden Gesellschaft wird zusätzlich dafür sorgen, dass der Bedarf noch weiter steigt.
Wenn die Stadt keine neuen Einrichtungen mit neuen Pflegeplätzen bauen kann, wie bereitet sie sich dann auf diese Entwicklung vor? „Wir arbeiten in der Trägerkonferenz zum Beispiel mit Einrichtungen in Stadt und Landkreis zusammen, die Pflegeplätze zur Verfügung stellen können“, sagt Stefanie Hahn. „Es gibt außerdem einen runden Tisch Pflege, an dem wir uns die Probleme aus der Praxis anhören, um zu schauen, wie wir sie unterstützen können. Außerdem bereitet sich Bamberg unter anderem mit dem sogenannten seniorenpolitischen Gesamtkonzept vor. Dabei geht es darum, Maßnahmen zu entwickeln, wie jeder gut und gerne alt werden kann. In Bamberg haben wir dieses Konzept mit einem Quartierskonzept verknüpft.
Im Alter ist es so, dass der Bewegungsradius eines Menschen kleiner und seine nähere Umgebung und die Unterstützungsmöglichkeiten, die es dort vielleicht gibt, relevanter werden. Die Stadt Bamberg stärkt daher die Quartiersarbeit in einzelnen Stadtvierteln, um sicherzustellen, dass es zum Beispiel eine Versorgung mit ehrenamtlicher Unterstützung sowie Einkaufs- oder Freizeitmöglichkeiten gibt. Das Ziel muss es sein, die Strukturen in den Stadtteilen so zu stärken, dass Menschen möglichst lange zu Hause wohnen können. Das ist im Sinne der Menschen und entlastet gleichzeitig die stationäre und ambulante Pflege.“
Da diese Unternehmungen den Mangel an Pflegeplätzen aber auch nicht beheben würden, verfolgt die Stadt und mit ihr die Seniorenbeauftrage seit einigen Jahren zusätzlich den Ansatz „ambulant vor stationär“. „Die Leute wollen so lange zuhause bleiben, wie möglich. Kein Mensch will in eine Pflegeeinrichtung – das ist in der Regel die letzte Möglichkeit, wenn eine 24-Stunden- und 7‑Tage-Betreuung nötig ist. Den Bedarf danach wird es auf der anderen Seite aber immer geben, weswegen Pflegeplätze so gefragt sind. Wer aber entscheiden kann, zuhause zu bleiben, bleibt zuhause. Dafür muss aber die Versorgung vor Ort gegeben sein, also zum Beispiel durch ambulante Dienste oder eben pflegende Angehörige.“
Entsprechend ist die Stadt zur Entlastung des Pflegesystems froh um jede Angehörige und jeden Angehörigen, die sich für eine solche Pflegekonstellation entscheiden. Und sind einige Bedingungen erfüllt, steht der Pflege zuhause auch kaum noch etwas im Weg. „Grundsätzlich gibt es heute eigentlich erst ab Pflegegrad 3, also einer bereits schwereren Pflegebedürftigkeit, die Überlegung, jemanden in eine stationäre Einrichtung zu übergeben. Dabei geht es auch um die Refinanzierung von stationärer Pflege. In der Regel deckt sich das mit dem Bedürfnis der Pflegebedürftigen. Solange sich jemand zuhause, in der eigenen Wohnung, noch einigermaßen selbstständig bewegen und versorgen kann, und wenn die soziale Infrastruktur für Pflege zuhause gegeben ist, ist die Pflege zuhause möglich.“
Fachstelle für pflegende Angehörige
Um den Angehörigen, die aus Sicht des Pflegesystems dankenswerterweise zuhause pflegen, noch weiterführende Informationen, Orientierung und Unterstützung zu bieten, gründeten die Bamberger Wohlfahrtsverbände gemeinsam mit der Alzheimergesellschaft 2007 die Fachstelle für pflegende Angehörige.
Ausschlaggebend waren auch hier die demografische Entwicklung, die stetig zunehmende Zahl der Pflegebedürftigen und die gleichsam wachsende Zahl der Menschen, die die Pflege ihrer Partnerin oder ihres Partners oder eines Elternteils zuhause übernehmen.
Unter der Trägerschaft von Arbeiterwohlfahrt, Diakonie, Rotem Kreuz und Caritasverband berät die Fachstelle seitdem in ihren Räumlichkeiten in der Luitpoldstraße, am Telefon oder bei Hausbesuchen. Auch Stadt und Landkreis unterstützen die Fachstelle.
„Aufgabe der Fachstelle ist es, die Handlungsmöglichkeiten in der Pflege und Betreuung zu erweitern. Vor allem geht es bei uns darum, die Pflegebereitschaft von Angehörigen zu erhalten und somit ihre Pflegefähigkeit zu sichern“, sagt Andrea Schmitt, Leiterin der Fachstelle. „Die meisten Menschen möchten in der eigenen Häuslichkeit gepflegt werden. Das bedeutet aber auch eine große Belastung für die Angehörigen, die die Pflege übernehmen. Sie müssen sich der Situation anpassen, viel organisieren und eigene Bedürfnisse oftmals zurückstellen. Pflegende Angehörige brauchen körperliche, emotionale und nicht zuletzt finanzielle Stabilität. Sie finden sich plötzlich in einer völlig neuen Rolle: Kinder sind jetzt für die Betreuung der Eltern zuständig und gleichberechtigte Ehepartner können nicht mehr gemeinsam den Alltag bewältigen. Einer muss alles allein organisieren und dazu noch die Betreuung des zu Pflegenden stemmen.“
Denn die häusliche Pflegesituation ist auch für die pflegenden Angehörigen keine leichte. Wer die Möglichkeit hat, sich in der gewohnten Umgebung des eigenen Zuhauses pflegen zu lassen, wird diesen Weg der Umsiedlung in eine Pflegeeinrichtung immer vorziehen. Ebenso naturgemäß bedeutet die häusliche Pflege aber eine Belastung für die Angehörigen.
Probleme der Angehörigen seien allerdings nur wenig bekannt. Ähnliches gelte für Sorgen vor Überlastung, mit denen sich pflegende Angehörige häufig an Frau Schmitt und die Fachstelle wenden. Neben Beratungsgesprächen bietet die Fachstelle darum auch die Dienste von etwa 80 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern an. Diese übernehmen zwar keine Hausarbeiten oder pflegerische Dienste, sorgen aber für Entlastung und eröffnen den Angehörigen die Möglichkeit, zum beispielsweise einmal zum Friseur oder Kaffeetrinken zu gehen. „Wir versuchen, die Angehörigen merken zu lassen, dass sie nicht allein sind, dass sie mit uns ein Netzwerk haben und Beratungsstellen, die sie unterstützen.“
Tag der pflegenden Angehörigen
Trotz zweier Bamberger Anlaufstellen zum Thema und der fundamentalen Wichtigkeit der Pflege zuhause – Stefanie Hahn und Andrea Schmitt nennen sie beide „Deutschlands größten Pflegedienst“ – scheint sie aber an mangelnder öffentlicher Wahrnehmung zu leiden. „Pflegende Angehörige äußern immer wieder, dass sie oft zu wenig Wertschätzung und Anerkennung erfahren und ihre Leistung nicht anerkannt wird“, sagt Andrea Schmitt.
Der Tag der pflegenden Angehörigen, den der Bamberger Arbeitskreis für pflegende Angehörige am 3. Mai zum dritten Mal begeht, kommt da wie gerufen.
„Es ist inzwischen so“, sagt Stefanie Hahn, „dass 84 Prozent der Pflege, die in Deutschland geleistet wird, von pflegenden Angehörigen geleistet wird. Der größte Pflegedienst Deutschlands sind also pflegende Angehörige. Ohne sie wäre das Pflegesystem schon zusammengebrochen. Die grundlegende Idee des Tags der pflegenden Angehörigen ist es also, diesen Menschen zu danken. Auch wollen wir ihnen einen Tag lang eine Auszeit ermöglichen und mit ihnen ins Gespräch kommen, um uns ihre Bedürfnisse und Wünsche anzuhören. Bei Bedarf können die Angehörigen ihre Pflegebedürftigen auch mitbringen – wir werden Pflegepersonal vor Ort haben.“
Im Paradiesweg 1, in den Räumlichkeiten des Roten Kreuzes, soll es am Tag der pflegenden Angehörigen aber nicht nur Information zum Thema und die Möglichkeit des Austauschs geben. Auch ein Buffet und Unterhaltung stehen auf dem Programm: So hat sich Bürgermeister Wolfgang Metzner als Sänger angeboten.