In jeder Ausgabe des Stadtechos legen wir einer Bamberger Persönlichkeit einen Fragebogen vor. Diesmal hat Oliver Wings die Fragen beantwortet. Er ist
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Stadtecho-Fragebogen
Das Stadtecho fragt: Oliver Wings antwortet
In jeder Ausgabe des Stadtechos legen wir einer Bamberger Persönlichkeit einen Fragebogen vor. Diesmal hat Oliver Wings die Fragen beantwortet. Er ist Paläontologe und Leiter des Naturkundemuseums Bamberg.
Herr Wings, was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Paläontologe geworden wären?
Vielleicht ein Tischler? Ich mag das Arbeiten mit Holz und restauriere auch gerne alte Möbel. Allerdings gab es seit Kindertagen nie ernsthaft Zweifel an meiner Berufswahl.
Was ist Ihre allererste Erinnerung im Zusammenhang mit Dinosauriern?
Ich erinnere mich daran, als kleiner Junge mit sechs Jahren im Ostseeurlaub einen Feuerstein gefunden zu haben, der ein strahlenförmiges Muster enthielt. Als sich dann herausstellte, dass das der Abdruck eines Seeigels war, war ich total fasziniert. Der Abdruck ist unvollständig und eigentlich auch nicht sammlungswürdig, aber ich besitze ihn heute noch. Das Fossil ist zwar kein Dino, aber exakt genauso alt!
Was mögen Sie an der Paläontologie besonders?
Die unglaubliche Menge und Vielfalt an Organismen zu entdecken, die in den vergangenen vier Milliarden Jahren auf unserem Planeten gelebt haben. Es ist täglich ein großes Privileg, daran forschen zu dürfen.
Was nicht?
Dass die Erforschung des Lebens in der Erdgeschichte noch nicht als essentiell für unsere Gesellschaft wahrgenommen wird und das dadurch nur ein kleiner Teil des wissenschaftlichen Nachwuchses auch langfristig in der Paläontologie beschäftigt werden kann.
Welches Buch haben Sie zuletzt nicht zu Ende gelesen?
Frank Herbert: „Dune“.
Würden Sie gerne öfter Fahrrad fahren?
Ich fahre nahezu jeden Tag Fahrrad, bei Wind und Wetter.
Zahlen Sie gern Rundfunkgebühren?
Nein, es ist aber nötig für die objektive Meinungsbildung. Die hohe Anzahl an existierenden öffentlich-rechtlichen Sendern könnte aber durchaus reduziert werden und die Gebühren für uns alle dadurch sinken.
Töten Sie Insekten?
Ja. Bei jeder Autofahrt. Leider unvermeidlich. Pestizide und Herbizide kommen mir aber nicht ins Haus und mein Garten ist sehr naturnah und insektenfreundlich bepflanzt.
Darf man in Ihrem Schlafzimmer rauchen?
Niemals, das ist maximal eklig!
Ihr Leben wird verfilmt. Welcher Schauspieler sollte Sie spielen?
Meine Tochter sagt: Brad Pitt.
Wie viele Apps sind auf Ihrem Smartphone? Welche benutzen Sie am meisten?
126 Apps. Im Alltag verwende ich am häufigsten Banking-Apps, Google Maps, die Kamera und erstaunlich oft auch immer noch die Taschenlampe. Während meiner Geländearbeiten benutze ich unter anderem sehr häufig „Mobile Topographer“, ein tolles Programm um GPS-Koordinaten mit sehr hoher Genauigkeit erfassen zu können.
Wovon waren Sie zuletzt überrascht?
Vom schnellen Wachstum meines Sohnes.
Was ist Ihr größter Wunsch?
Ein Bewusstsein zu schaffen für die wahren Probleme unserer Gesellschaft.
Wie sieht ein perfekter Tag für Sie aus?
Ausschlafen, leckerer Brunch, ein Ausflug in die Natur bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen, der Fund eines neuen farbenfrohen und fossilreichen Kalksteins für meine Sammlung, Abendessen mit meiner Partnerin beim Sonnenuntergang.
Worüber haben Sie sich zuletzt geärgert?
Populismus. In jeder Form.
Haben Sie ein Lieblingsgeräusch?
Vogelgesang und Meeresrauschen sind schon toll, vor allem in Kombination mit allen anderen stimmigen Sinneseindrücken.
Welchen Luxus leisten Sie sich?
Ab und zu ein Wellnesswochenende darf schon sein.
Wovor haben Sie Angst?
Als Naturwissenschaftler macht mir der durch unseren Umgang mit der Natur ausgelöste schleichende Verlust der Biodiversität unseres Planeten langfristig die meisten Sorgen. Wir stehen vermutlich bereits am Anfang des sechsten Massenaussterbe-Ereignisses der Erdgeschichte. Und das wird ziemlich hart werden für die nächsten Generationen der Menschheit.
Wann haben Sie zuletzt geflirtet?
Eigentlich ständig mit meiner Partnerin.
Wann und warum hatten Sie zum letzten Mal Ärger mit der Polizei?
Letztes Jahr in Australien nach dem Überfahren einer komplett übersehenen (und leicht übersehbaren) roten Abbieger-Ampel. Ich hatte mit dem Abbiegen zwar ordnungsgemäß gewartet bis der Gegenverkehr durchgefahren war und niemanden gefährdet, es war aber trotzdem ein sehr teurer Fehler.
Was war Ihr bisher schönster Moment als Leiter des Naturkundemuseums?
Die Eröffnung unserer selbst konzipierten Sonderausstellung „So viel mehr als nur T. rex!“. Die Ausstellung ist jetzt übrigens im Jura-Museum Eichstätt zu sehen. Bei uns in Bamberg kommen in den nächsten Jahren aber bestimmt noch viel mehr solche tollen Momente dazu!
Auf welchen Moment Ihrer Laufbahn waren Sie am schlechtesten vorbereitet?
Intrigierende Kollegen an ehemaligen Arbeitsstätten.
Gibt es einen wiederkehrenden Albtraum, der von Ihrem Beruf handelt?
Nein. Ich hatte noch nie einen berufsbezogenen Alptraum.
Was ist Ihr Lieblingsschimpfwort?
WTF!
Bei welchem historischen Ereignis wären Sie gern dabei gewesen?
Beim ersten Landgang der Wirbeltiere.
Was ist Ihre schlechteste Angewohnheit?
Prokrastination.
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Fehler, die aus dem Überschwang der Begeisterung heraus entstehen.
Ihre Lieblingstugend?
Selbstmotivation.
Ihr Hauptcharakterzug?
Gelassenheit und Resilienz.
Was mögen Sie an sich gar nicht?
Das Älterwerden. Andererseits ist die Alternative dazu noch wesentlich schlechter und kommt eh noch früh genug.
Was hätten Sie gerne erfunden?
Das Beamen.
Haben Sie ein Vorbild?
Viele Menschen haben mich geprägt. In vielen, allerdings auch nicht allen Aspekten des Lebens ist mein Vater mein Vorbild.
Wofür sind Sie dankbar?
Mein bisheriges Leben in Frieden gelebt zu haben und den Beruf meiner Wahl ausüben zu dürfen.
Was lesen Sie gerade?
Ich komme derzeit leider kaum dazu, Bücher zu lesen, bin aber ein großer Fan von Hard Science-Fiction. Alternativen bieten gute Hörbücher, die lange Autofahrten gefühlt stark verkürzen können. Momentan bin ich bei Band 7 der Expanse-Serie von James S. A. Corey: Persepolis Rising. Eine coole, in vielen Aspekten auch realistische Serie und ein grandioser Sprecher.
Was ist Ihr Lieblingsfilm?
Es gibt mehrere Favoriten, ganz oben mit dabei sind „Fight Club“ und „Das Leben des Brian“.
Welche Musik hören Sie nur heimlich?
Keine.
Mit welchem Lied beginnt die perfekte Playlist?
Wardruna und Aurora: „Helvegen (Live)“.
Was war Ihre größte Modesünde?
Vermutlich die Kunstlederjacke als Teenager.
Was ist Ihr liebstes Smalltalk-Thema?
Natur und Wetter. Da muss es auch nicht bei Smalltalk bleiben.
Was zeigt das letzte Foto, das Sie mit Ihrem Handy aufgenommen haben?
Ein großes Osterfeuer.
Mit wem würden Sie gerne eine Nacht durchzechen?
Robert Habeck.
Wovon haben Sie überhaupt keine Ahnung?
Kunst und Kunstgeschichte.
Was finden Sie langweilig?
Moderne Kunst.
Sie sind in einer Bar. Welches Lied würde Sie dazu bringen, zu gehen?
„Layla“ und alle ähnlich gelagerten Schlager.
Was ist Ihre Vorstellung von Hölle?
Ohne Unterbrechung Schlager hören zu müssen.
Wie glauben Sie, würde der Oliver Wings von vor zehn Jahren auf den heutigen Oliver Wings reagieren?
Ganz glücklich mit der Jobwahl und froh über die unbefristete Anstellung. Ich habe mich übrigens damals bereits freiwillig auf mögliche Leitungsaufgaben in Naturkundemuseen vorbereitet.
Gibt es etwas, das Ihnen das Gefühl gibt, klein zu sein?
Ja klar, das Arbeiten an sauropoden Dinosaurierknochen, den größten Landtieren aller Zeiten.
Ich kann nicht leben ohne…
Eine gute Bratwurst und ab und zu eine Vita Cola.
In welchen Club sollte man unbedingt mal gehen?
Aus der Lebensphase bin ich nun doch schon raus.
Sind Sie Tänzer oder Steher?
Sitzer.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten wählen – was für ein Tier wären Sie gerne?
Ornithorhynchus anatinus, das Schnabeltier. Oder gehen auch ausgestorbene Tiere? Dann vielleicht Xinjiangtitan shanshanesis, unser selbst entdeckter Riesendino aus
China.
Was war die absurdeste Unwahrheit, die Sie je über sich gelesen haben?
Das ich bei Ausgrabungen faul rumsitzen würde. War auch problemlos mit Zeitraffervideos entkräftbar.
Welches Problem werden Sie in diesem Leben nicht mehr in den Griff bekommen?
Da fällt mir spontan nichts ein. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Das Stadtecho gibt eine Runde aus. Was trinken Sie?
Ein leckeres fränkisches dunkles Bier. Prost!
Oliver Wings,
April 2024.
Neuer Leiter des Naturkundemuseums
Oliver Wings: „Paläontologie ist momentan eine der wichtigsten Wissenschaften“
Im August 2021 starb überraschend Matthias Mäuser, der damalige Leiter des Naturkundemuseums Bamberg. Nach einem Jahr der kommissarischen Leitung übernahm Oliver Wings die Stelle im August 2022. Wir haben mit dem Geowissenschaftler und Paläontologen über das Vermächtnis von Matthias Mäuser, Platzprobleme des Museums, heutiges und urzeitliches Artensterben und den Xinjiangtitan shanshanesis gesprochen.
Herr Wings, Matthias Mäuser starb am 24. August 2021 im Alter von 64 Jahren. Welche Lücke hinterließ er?
Oliver Wings: Matthias Mäuser hat das Museum über 30 Jahre lang geleitet und in der Zeit sehr viel bewirkt und gestaltet. Er hatte sehr gute Beziehungen in die Fachwelt, baute all unsere Dauerausstellungen auf und hat dafür zum Beispiel auch die Fossilienfundstelle bei Wattendorf erschlossen, nachdem sie unser geowissenschaftlicher Präparator Thomas Bechmann vor etwa 20 Jahren nordöstlich von Bamberg entdeckt hatte. Heute ist Wattendorf eine der wichtigsten Fossilienfundstellen Deutschlands. Kurz gesagt: Herr Mäuser hat eine sehr große Lücke hinterlassen. Da muss man sich, das heißt, da muss ich mich erst einmal reinarbeiten.
In welchem Zustand hat er das Museum hinterlassen?
Oliver Wings: Die meisten Naturkundemuseen, oder eigentlich fast alle Museen, haben drei große Probleme. Geld, Personal und Platz. Was die Finanzen angeht, sind wir im Naturkundemuseum glücklicherweise in einer Situation, die nicht ganz so prekär ist wie in anderen Häusern. Wir haben nämlich nicht die Stadt als Träger, sondern die Lyzeumstiftung, deren Zweck unter anderem die Förderung des Museums ist. Unser Etat kommt zudem von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayern, unser Haus ist eines von fünf Regionalmuseen, die direkt aus München unterstützt werden. Beim Personal hingegen sind wir, wie so viele andere auch, unterbesetzt. Wir könnten dem Publikum viel mehr bieten, zum Beispiel in Sachen Ausstellungen, Führungen oder Museumspädagogik, wenn wir mehr Personal hätten. Und was die Depots angeht – die platzen aus allen Nähten. Diese Situation hat sich vor allem durch die vielen tausend Funde aus Wattendorf sehr verschärft. Das war auch einer der ersten Baustellen, die ich nach meiner Einstellung angegangen bin, um zu sehen, wo und wie wir, zumindest kurzfristig, Entspannung bekommen können.
Das heißt?
Oliver Wings: Zum einen haben wir einen fast absoluten Sammlungsstopp verhängt. Wir könnten also derzeit, auch wenn wir wollten, in den bestehenden Depots keine größere Sammlung übernehmen. Das ist für ein Naturkundemuseum aber grundfalsch. Denn solche Häuser leben davon, zu sammeln und zu konservieren. Ein bisschen zusätzlichen Platz konnten wir gewinnen, indem wir bestimmte Sammlungsobjekte – zum Beispiel Tierpräparate –, die aufgrund fehlender wissenschaftlicher Daten, ihrer Häufigkeit und ihres schlechten Zustands wegen nicht wirklich aufhebenswert waren, ausgesondert haben. Einmal haben wir auch etwa zwei Tonnen altes Gestein weggeschmissen. Dabei handelte es sich um Fundstücke ohne besonderen Wert, von denen wenige Belegexemplare ausreichen und die man nicht schubladenweise vorrätig haben muss. Aber selbst den Platz, den wir so schaffen konnten, mussten wir sofort wieder mit anderen Dingen füllen.
Was wäre eine langfristig Lösung?
Oliver Wings: Ein neues Depot. Dazu planen wir bereits Gespräche mit der Stadt und den städtischen Museen, die nämlich das gleiche Problem haben. Aber bis so ein Gebäude fertig gebaut ist, würde es wahrscheinlich ein Jahrzehnt dauern.
Wenn Sie kein neues Depot bekommen, fällt das Museum dann zurück?
Oliver Wings: Es stagniert zumindest und muss sich weiterhin mit den bestehenden Depots zufriedengeben. Diese sind teilweise aber wirklich ungeeignet. Damit meine ich zum Beispiel Kellerräume unter dem Haus, die feucht und schimmlig sind und wo ständig die Gefahr von Wassereinbrüchen besteht. Wir müssen da einen Befreiungsschlag schaffen, auch wenn es nicht billig wird. Ich würde mich dabei auch über die Unterstützung der Stadt freuen, die sich bisher aus der Finanzierung des Museums komplett heraushält.
Welchen Ruf hat das Museum in der Fachwelt?
Oliver Wings: Wir haben Sammlungen, die international in der Fachwelt nachgefragt werden, wie unsere Insekten- oder Vogelsammlungen. Und an den Fossilien aus Wattendorf gibt es ebenfalls permanent großes wissenschaftliches Interesse. Wir haben dort beispielsweise 154 Millionen Jahre alte Saurier oder auch Quastenflosser gefunden. Unser bester Fund bisher ist übrigens eine neue Flugsaurier-Art, die seit einigen Monaten im Andenken am Matthias Mäuser Balaenognathus maeuseri heißt.
Sie sind seit 1. August 2022 der Leiter des Museums. Warum wollten Sie nach Bamberg?
Oliver Wings: Die Stadt hat die richtige Größe, ein aktives Kulturleben und tolles Bier, ich kenne sie schon aus meinen Studienzeiten in Erlangen. Das Museum selbst ist wegen seiner Sammlungen und Finanzlage reizvoll, außerdem hatte ich schon vor meinen Vorstellungsgesprächen angenehme Gespräche mit den Mitarbeitern, die nicht nur zeigten, wie sehr sich alle für das Museum engagieren, sondern auch, dass wir ähnliche Vorstellungen zur weiteren Entwicklung unseres Hauses haben.
Sie sind studierter Geowissenschaftler und Paläontologe. Was fasziniert Sie an diesen Disziplinen?
Oliver Wings: Schon als kleines Kind hatte ich eine Faszination fürs Sammeln. Damals ging ich noch ein bisschen wahlloser vor mit Dingen wie Briefmarken, Kronkorken, Münzen oder Bierdeckeln – aber auch schon mit ersten Fossilien. Bis auf Letzteres hat sich diese Sammelleidenschaft dann irgendwann erübrigt. Bei Fossilien ist die Faszination bis heute geblieben. Wenn ich beispielsweise einen versteinerten Ammoniten sehe, denke ich immer noch: Der hat vor vielen Millionen Jahren gelebt. Wie sah wohl seine Umwelt aus? Ich bin zu DDR-Zeiten in Erfurt aufgewachsen und hatte das Glück, damals über das Naturkundemuseum Erfurt an einer Arbeitsgemeinschaft namens „Junge Geologen“ teilnehmen zu können. Dort wurde ich bereits mit 13 Jahren zum ersten Mal an das wissenschaftliche Arbeiten und den Museumsalltag herangeführt und stellte fest, was man dabei für ein abwechslungsreiches und spannendes Arbeitsspektrum hat. Das war der Ansatz für mich, in diese Richtung weiterzugehen und zu studieren.
Ein Schwerpunkt Ihrer Forschungen sind die Dinosaurier der Jurazeit vor etwa 150 Millionen Jahren. Was war Ihr bester Fund bisher?
Oliver Wings: Da gibt es mehrere tolle Funde und neue Arten, aber der beste Fund war der Xinjiangtitan shanshanesis. Das war ein über 30 Meter langer Langhalsdinosaurier, der vor ungefähr 160 Millionen im heutigen China lebte. Ich habe das erste und einzige Exemplar davon zusammen mit meinem damaligen Grabungsteam 2009 entdeckt und mehrere Monate lang ausgegraben.
Paläontologie, die Wissenschaft von ausgestorbenen Lebewesen und Lebewelten, wird seit etwa 200 Jahren betrieben. Konnte sie sich mittlerweile zum Beispiel über die Jurazeit und ihre Lebewesen ein mehr oder weniger vollständiges Bild machen oder muss man sich zwangsläufig damit zufriedengeben, höchstens Bruchteile des damaligen Lebens entdecken zu können?
Oliver Wings: Niemals wird alles gefunden werden. Allein die Jurazeit dauert etwa 56 Millionen Jahre mit entsprechend vielen Generationen von Tieren und Pflanzen. Und wenn es nur ab und zu einmal einige Lebewesen schafften, als Fossilien erhalten zu bleiben – kann man die Vielfalt nie erschöpfend entdecken. Aber das heißt auch, dass man als Paläontologe immer etwas zu hat, auch noch in weiteren 200 Jahren. Die Chance allerdings, etwas komplett Neues oder Überraschendes zu finden, wird mit jedem Neufund ein wenig kleiner. Aber so weit sind wir nach knapp 200 Jahren paläontologischer Forschung auch noch lange nicht. Wattendorf ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Gerade einmal 20 Jahre bekannt, gab es so einen Fundort aus dieser Zeit in Deutschland vorher noch nicht und sehr viele Arten, die wir dort gefunden haben und finden, sind neu. Weltweit wird derzeit allein bei den Dinosauriern fast wöchentlich eine weitere neue Art beschrieben und manche davon kommen aus Bayern.
Gibt es Dinge, die man von der Zeit von vor 150 Millionen Jahren über die Gegenwart lernen kann?
Oliver Wings: Ich finde, Paläontologie ist momentan eine der wichtigsten Wissenschaften. Das liegt daran, dass wir als einzige Disziplin darauf zurückschauen, was in der Vergangenheit mit Ökosystemen passiert ist. So können wir zum Beispiel lernen, was die Auslöser waren für Umweltveränderungen, Umweltkatastrophen und das Artensterben. Solche Erkenntnisse können wir dann auf die Gegenwart übertragen.
Mit welchem Ergebnis?
Oliver Wings: Wir können Prognosen erstellen und die Relevanz bestimmter Biosphärenprozesse einordnen. Umwelt und Leben ändern sich und haben sich entsprechend geändert. Auch Klimaänderungen wie die derzeitige Erderwärmung, auf die wir übrigens auch in unserer Sonderausstellung „Versteinertes Wetter“ hinweisen, gab es schon immer in der Erdgeschichte, aber noch nie in der heutigen Geschwindigkeit. Da existiert ein großer zeitgeschichtlicher Zusammenhang, der nicht nur von der Biologie erforscht, sondern von der Paläontologie zusätzlich in den richtigen Rahmen gerückt wird. Wir können zeigen, dass es bisher fünf große Massenaussterben in der Erdgeschichte gab, zum Beispiel das der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Auch wissen wir oder können es zumindest vermuten, was die Gründe waren. Ich denke, wir befinden uns bereits im sechsten Massenaussterben, vor allem von Insekten und Vögeln. Der heutige Grund dafür ist allerdings ganz klar. Es gibt zu viele Menschen mit zu großem Ressourcenverbrauch und zu viel Verschmutzung.
Wie lief Ihr erstes Jahr als Leiter der Museums in der Publikumsgunst?
Oliver Wings: Ziemlich gut muss ich sagen. Das Museum ist schon ein touristisches Highlight in Bamberg. In den meisten Jahren besuchen etwa 20.000 Leute das Museum. Das hatten wir 2023 bereits im August geschafft.
Wodurch?
Oliver Wings: Die Ausstellung „So viel mehr als nur T. rex“, in der wir Anfang des Jahres paläontologische Illustrationen von Joschua Knüppe zeigten, hat viel Publikum angezogen, der neue Flugsaurier Balaenognathus maeuseri genauso – und dann kam jetzt im Sommer noch schlechtes Wetter hinzu. Langfristig würde ich mir eigentlich sogar wünschen, die Besucherzahlen zu verdoppeln. Ich denke, das ist in Bamberg realistisch.
Wie soll das gelingen?
Oliver Wings: Wir müssen mit unseren Funden wuchern, wie es so schön heißt. Wir müssen den Vogelsaal weiter promoten und auch die Dauerausstellungen stärker betonen. Derzeit sanieren wir unseren Ausstellungsraum im Erdgeschoss. Ich hoffe, dass wir spätestens Anfang nächsten Jahres beginnen können, den Raum zu füllen. Unsere fantastischsten Funde aus Wattendorf kommen hinein, eine mehrere Quadratmeter große Steinplatte mit Ammoniten wird gerade präpariert, und wenn es gut läuft und wir die Finanzierung zusammenbekommen, zeigen wir dort auch das erste Dinoskelett in Bamberg: einen Europasaurus. Das ist ein sehr kleiner Langhalsdinosaurier aus Niedersachsen, der genauso alt ist wie die Wattendorfer Fossilien. Wer sich mit Spenden am Erwerb des ersten Bamberger Dinos beteiligen möchte, kann sich gerne bei mir melden.
Oliver Wings übernahm zum 1. August
Naturkunde-Museum hat neuen Leiter
Der Geowissenschaftler und Paläontologe Dr. Oliver Wings hat zum 1. August die wissenschaftliche Leitung des Naturkunde-Museums Bamberg übernommen. Wings ist Experte für Forschungs- und Grabungsprojekte, er hat weitreichende Erfahrungen in der Betreuung geologischer, mineralogischer und paläontologischer Sammlungen sowie in Konzeption und Umsetzung von Ausstellungsprojekten. In Lehre und Forschung liegt Wings‘ Schwerpunkt in der Erforschung jurassischer terrestrischer Wirbeltiere.
Oliver Wings war zuletzt Paläontologe und Kustos der Geowissenschaftlichen Sammlungen und der Geiseltalsammlung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wie die Otto Friedrich-Universität Bamberg mitteilt. Nach seiner Diplomarbeit über die Solnhofener Plattenkalke an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Promotion 2004 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zur Identifikation, Verbreitung und Funktion von Magensteinen bei Dinosauriern und Vögeln, folgten diverse wissenschaftliche Stationen unter anderem in Hannover, Tübingen und als Kustos im Museum für Naturkunde Berlin.
„Gerade Paläontologie ist für die Wissensvermittlung prädestiniert, da sie relativ geringe Einstiegshürden bereithält und es mit Themen wie den Dinosauriern schafft, ein Publikum jeden Alters zu begeistern. Ich empfinde es als große Ehre, nun das angesehene Naturkunde-Museum Bamberg leiten zu dürfen“, erklärt Wings.
Zu den eigenen Grabungen des Naturkunde-Museum Bamberg in den Oberjura-Plattenkalken von Wattendorf/Oberfranken unterstreicht Wings: „Die Häufigkeit der Wattendorfer Fossilfunde in Kombination mit ihrer exzellenten Erhaltung und der frühen Entstehungszeit ist einzigartig.“

Einziger original erhaltener Schauraum aus dem 19. Jahrhundert
Das Naturkunde-Museum ist über seine jetzige Eigentümerin, die Lyzeumstiftung Bamberg, eng mit der Universität Bamberg verbunden. Universitätskanzlerin Dr. Dagmar Steuer-Flieser, die zugleich 1. Vorstandsvorsitzende der Lyzeumstiftung ist, sieht darüber hinaus weitere Anknüpfungspunkte: „Zahlreiche Veranstaltungen und gemeinsame Projekte haben in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass es auch inhaltlich zwischen Naturkunde-Museum und Universität viele Schnittstellen und Kooperationsmöglichkeiten gibt. Diese Zusammenarbeit zu intensivieren und zu erweitern, ist eines der Ziele, die wir gerne gemeinsam mit Dr. Oliver Wings verwirklichen wollen. Wir freuen uns auf eine produktive und konstruktive Zusammenarbeit!“
Wings folgt dem 2021 verstorbenen und hoch geschätzten Museumsleiter Dr. Matthias Mäuser. „Nicht zuletzt auch dank des Engagements des kommissarischen Leiters Dr. Joachim Rabold vom Urwelt-Museum Oberfranken (UMO) findet Dr. Wings ausgezeichnete Grundlagen für seine Arbeit vor“, so Prof. Dr. Dr. Peters, Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayern (SNSB). Peters ergänzt: „Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit und eine Fortführung des Naturkunde-Museums Bamberg als etabliertes Regionalmuseum der SNSB und Mitglied des Naturkunde Netzes Bayern.“
Mit dem Gründungsdatum 1791 gehört das Naturkunde-Museum Bamberg zu einer der frühesten öffentlich zugänglichen naturkundlichen Schausammlungen überhaupt. Zahlreiche Objekte besitzen daher nicht nur einen naturwissenschaftlichen, sondern auch einen kulturhistorischen Wert. Zu dem Museum gehört der Bamberger Vogelsaal – ein historisches Naturalienkabinett und ein Museum im Museum, bis heute weltweit der einzig original erhaltene Schauraum aus dem 19. Jahrhundert. Heute umfassen die Sammlungen des Bamberger Naturkunde-Museums rund 186.000 Belege.