Neu­er Lei­ter des Naturkundemuseums

Oli­ver Wings: „Palä­on­to­lo­gie ist momen­tan eine der wich­tigs­ten Wissenschaften“

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Oliver Wings
Oliver Wings vor Knochen des Xinjiangtitan shanshanesis, 2009 in China, Foto: Oliver Wings
Im August 2021 starb über­ra­schend Mat­thi­as Mäu­ser, der dama­li­ge Lei­ter des Natur­kun­de­mu­se­ums Bam­berg. Nach einem Jahr der kom­mis­sa­ri­schen Lei­tung über­nahm Oli­ver Wings die Stel­le im August 2022. Wir haben mit dem Geo­wis­sen­schaft­ler und Palä­on­to­lo­gen über das Ver­mächt­nis von Mat­thi­as Mäu­ser, Platz­pro­ble­me des Muse­ums, heu­ti­ges und urzeit­li­ches Arten­ster­ben und den Xin­jiang­ti­tan shansha­ne­sis gesprochen.
Herr Wings, Mat­thi­as Mäu­ser starb am 24. August 2021 im Alter von 64 Jah­ren. Wel­che Lücke hin­ter­ließ er?

Oli­ver Wings: Mat­thi­as Mäu­ser hat das Muse­um über 30 Jah­re lang gelei­tet und in der Zeit sehr viel bewirkt und gestal­tet. Er hat­te sehr gute Bezie­hun­gen in die Fach­welt, bau­te all unse­re Dau­er­aus­stel­lun­gen auf und hat dafür zum Bei­spiel auch die Fos­si­li­en­fund­stel­le bei Wat­ten­dorf erschlos­sen, nach­dem sie unser geo­wis­sen­schaft­li­cher Prä­pa­ra­tor Tho­mas Bech­mann vor etwa 20 Jah­ren nord­öst­lich von Bam­berg ent­deckt hat­te. Heu­te ist Wat­ten­dorf eine der wich­tigs­ten Fos­si­li­en­fund­stel­len Deutsch­lands. Kurz gesagt: Herr Mäu­ser hat eine sehr gro­ße Lücke hin­ter­las­sen. Da muss man sich, das heißt, da muss ich mich erst ein­mal reinarbeiten.

In wel­chem Zustand hat er das Muse­um hinterlassen?

Oli­ver Wings: Die meis­ten Natur­kun­de­mu­se­en, oder eigent­lich fast alle Muse­en, haben drei gro­ße Pro­ble­me. Geld, Per­so­nal und Platz. Was die Finan­zen angeht, sind wir im Natur­kun­de­mu­se­um glück­li­cher­wei­se in einer Situa­ti­on, die nicht ganz so pre­kär ist wie in ande­ren Häu­sern. Wir haben näm­lich nicht die Stadt als Trä­ger, son­dern die Lyze­um­stif­tung, deren Zweck unter ande­rem die För­de­rung des Muse­ums ist. Unser Etat kommt zudem von den Staat­li­chen Natur­wis­sen­schaft­li­chen Samm­lun­gen Bay­ern, unser Haus ist eines von fünf Regio­nal­mu­se­en, die direkt aus Mün­chen unter­stützt wer­den. Beim Per­so­nal hin­ge­gen sind wir, wie so vie­le ande­re auch, unter­be­setzt. Wir könn­ten dem Publi­kum viel mehr bie­ten, zum Bei­spiel in Sachen Aus­stel­lun­gen, Füh­run­gen oder Muse­ums­päd­ago­gik, wenn wir mehr Per­so­nal hät­ten. Und was die Depots angeht – die plat­zen aus allen Näh­ten. Die­se Situa­ti­on hat sich vor allem durch die vie­len tau­send Fun­de aus Wat­ten­dorf sehr ver­schärft. Das war auch einer der ers­ten Bau­stel­len, die ich nach mei­ner Ein­stel­lung ange­gan­gen bin, um zu sehen, wo und wie wir, zumin­dest kurz­fris­tig, Ent­span­nung bekom­men können.

Das heißt?

Oli­ver Wings: Zum einen haben wir einen fast abso­lu­ten Samm­lungs­stopp ver­hängt. Wir könn­ten also der­zeit, auch wenn wir woll­ten, in den bestehen­den Depots kei­ne grö­ße­re Samm­lung über­neh­men. Das ist für ein Natur­kun­de­mu­se­um aber grund­falsch. Denn sol­che Häu­ser leben davon, zu sam­meln und zu kon­ser­vie­ren. Ein biss­chen zusätz­li­chen Platz konn­ten wir gewin­nen, indem wir bestimm­te Samm­lungs­ob­jek­te – zum Bei­spiel Tier­prä­pa­ra­te –, die auf­grund feh­len­der wis­sen­schaft­li­cher Daten, ihrer Häu­fig­keit und ihres schlech­ten Zustands wegen nicht wirk­lich auf­he­bens­wert waren, aus­ge­son­dert haben. Ein­mal haben wir auch etwa zwei Ton­nen altes Gestein weg­ge­schmis­sen. Dabei han­del­te es sich um Fund­stü­cke ohne beson­de­ren Wert, von denen weni­ge Beleg­ex­em­pla­re aus­rei­chen und die man nicht schub­la­den­wei­se vor­rä­tig haben muss. Aber selbst den Platz, den wir so schaf­fen konn­ten, muss­ten wir sofort wie­der mit ande­ren Din­gen füllen.

Was wäre eine lang­fris­tig Lösung?

Oli­ver Wings: Ein neu­es Depot. Dazu pla­nen wir bereits Gesprä­che mit der Stadt und den städ­ti­schen Muse­en, die näm­lich das glei­che Pro­blem haben. Aber bis so ein Gebäu­de fer­tig gebaut ist, wür­de es wahr­schein­lich ein Jahr­zehnt dauern.

Wenn Sie kein neu­es Depot bekom­men, fällt das Muse­um dann zurück?

Oli­ver Wings: Es sta­gniert zumin­dest und muss sich wei­ter­hin mit den bestehen­den Depots zufrie­den­ge­ben. Die­se sind teil­wei­se aber wirk­lich unge­eig­net. Damit mei­ne ich zum Bei­spiel Kel­ler­räu­me unter dem Haus, die feucht und schimm­lig sind und wo stän­dig die Gefahr von Was­ser­ein­brü­chen besteht. Wir müs­sen da einen Befrei­ungs­schlag schaf­fen, auch wenn es nicht bil­lig wird. Ich wür­de mich dabei auch über die Unter­stüt­zung der Stadt freu­en, die sich bis­her aus der Finan­zie­rung des Muse­ums kom­plett heraushält.

Wel­chen Ruf hat das Muse­um in der Fachwelt?

Oli­ver Wings: Wir haben Samm­lun­gen, die inter­na­tio­nal in der Fach­welt nach­ge­fragt wer­den, wie unse­re Insek­ten- oder Vogel­samm­lun­gen. Und an den Fos­si­li­en aus Wat­ten­dorf gibt es eben­falls per­ma­nent gro­ßes wis­sen­schaft­li­ches Inter­es­se. Wir haben dort bei­spiels­wei­se 154 Mil­lio­nen Jah­re alte Sau­ri­er oder auch Quas­ten­flos­ser gefun­den. Unser bes­ter Fund bis­her ist übri­gens eine neue Flug­sauri­er-Art, die seit eini­gen Mona­ten im Andenken am Mat­thi­as Mäu­ser Bal­ae­no­gnathus maeu­se­ri heißt.

Sie sind seit 1. August 2022 der Lei­ter des Muse­ums. War­um woll­ten Sie nach Bamberg?

Oli­ver Wings: Die Stadt hat die rich­ti­ge Grö­ße, ein akti­ves Kul­tur­le­ben und tol­les Bier, ich ken­ne sie schon aus mei­nen Stu­di­en­zei­ten in Erlan­gen. Das Muse­um selbst ist wegen sei­ner Samm­lun­gen und Finanz­la­ge reiz­voll, außer­dem hat­te ich schon vor mei­nen Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen ange­neh­me Gesprä­che mit den Mit­ar­bei­tern, die nicht nur zeig­ten, wie sehr sich alle für das Muse­um enga­gie­ren, son­dern auch, dass wir ähn­li­che Vor­stel­lun­gen zur wei­te­ren Ent­wick­lung unse­res Hau­ses haben.

Sie sind stu­dier­ter Geo­wis­sen­schaft­ler und Palä­on­to­lo­ge. Was fas­zi­niert Sie an die­sen Disziplinen?

Oli­ver Wings: Schon als klei­nes Kind hat­te ich eine Fas­zi­na­ti­on fürs Sam­meln. Damals ging ich noch ein biss­chen wahl­lo­ser vor mit Din­gen wie Brief­mar­ken, Kron­kor­ken, Mün­zen oder Bier­de­ckeln – aber auch schon mit ers­ten Fos­si­li­en. Bis auf Letz­te­res hat sich die­se Sam­mel­lei­den­schaft dann irgend­wann erüb­rigt. Bei Fos­si­li­en ist die Fas­zi­na­ti­on bis heu­te geblie­ben. Wenn ich bei­spiels­wei­se einen ver­stei­ner­ten Ammo­ni­ten sehe, den­ke ich immer noch: Der hat vor vie­len Mil­lio­nen Jah­ren gelebt. Wie sah wohl sei­ne Umwelt aus? Ich bin zu DDR-Zei­ten in Erfurt auf­ge­wach­sen und hat­te das Glück, damals über das Natur­kun­de­mu­se­um Erfurt an einer Arbeits­ge­mein­schaft namens „Jun­ge Geo­lo­gen“ teil­neh­men zu kön­nen. Dort wur­de ich bereits mit 13 Jah­ren zum ers­ten Mal an das wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten und den Muse­ums­all­tag her­an­ge­führt und stell­te fest, was man dabei für ein abwechs­lungs­rei­ches und span­nen­des Arbeits­spek­trum hat. Das war der Ansatz für mich, in die­se Rich­tung wei­ter­zu­ge­hen und zu studieren.

Ein Schwer­punkt Ihrer For­schun­gen sind die Dino­sau­ri­er der Jura­zeit vor etwa 150 Mil­lio­nen Jah­ren. Was war Ihr bes­ter Fund bisher?

Oli­ver Wings: Da gibt es meh­re­re tol­le Fun­de und neue Arten, aber der bes­te Fund war der Xin­jiang­ti­tan shansha­ne­sis. Das war ein über 30 Meter lan­ger Lang­hals­di­no­sau­ri­er, der vor unge­fähr 160 Mil­lio­nen im heu­ti­gen Chi­na leb­te. Ich habe das ers­te und ein­zi­ge Exem­plar davon zusam­men mit mei­nem dama­li­gen Gra­bungs­team 2009 ent­deckt und meh­re­re Mona­te lang ausgegraben.

Palä­on­to­lo­gie, die Wis­sen­schaft von aus­ge­stor­be­nen Lebe­we­sen und Lebe­wel­ten, wird seit etwa 200 Jah­ren betrie­ben. Konn­te sie sich mitt­ler­wei­le zum Bei­spiel über die Jura­zeit und ihre Lebe­we­sen ein mehr oder weni­ger voll­stän­di­ges Bild machen oder muss man sich zwangs­läu­fig damit zufrie­den­ge­ben, höchs­tens Bruch­tei­le des dama­li­gen Lebens ent­de­cken zu können?

Oli­ver Wings: Nie­mals wird alles gefun­den wer­den. Allein die Jura­zeit dau­ert etwa 56 Mil­lio­nen Jah­re mit ent­spre­chend vie­len Gene­ra­tio­nen von Tie­ren und Pflan­zen. Und wenn es nur ab und zu ein­mal eini­ge Lebe­we­sen schaff­ten, als Fos­si­li­en erhal­ten zu blei­ben – kann man die Viel­falt nie erschöp­fend ent­de­cken. Aber das heißt auch, dass man als Palä­on­to­lo­ge immer etwas zu hat, auch noch in wei­te­ren 200 Jah­ren. Die Chan­ce aller­dings, etwas kom­plett Neu­es oder Über­ra­schen­des zu fin­den, wird mit jedem Neu­fund ein wenig klei­ner. Aber so weit sind wir nach knapp 200 Jah­ren palä­on­to­lo­gi­scher For­schung auch noch lan­ge nicht. Wat­ten­dorf ist ein sehr gutes Bei­spiel dafür. Gera­de ein­mal 20 Jah­re bekannt, gab es so einen Fund­ort aus die­ser Zeit in Deutsch­land vor­her noch nicht und sehr vie­le Arten, die wir dort gefun­den haben und fin­den, sind neu. Welt­weit wird der­zeit allein bei den Dino­sau­ri­ern fast wöchent­lich eine wei­te­re neue Art beschrie­ben und man­che davon kom­men aus Bayern.

Gibt es Din­ge, die man von der Zeit von vor 150 Mil­lio­nen Jah­ren über die Gegen­wart ler­nen kann?

Oli­ver Wings: Ich fin­de, Palä­on­to­lo­gie ist momen­tan eine der wich­tigs­ten Wis­sen­schaf­ten. Das liegt dar­an, dass wir als ein­zi­ge Dis­zi­plin dar­auf zurück­schau­en, was in der Ver­gan­gen­heit mit Öko­sys­te­men pas­siert ist. So kön­nen wir zum Bei­spiel ler­nen, was die Aus­lö­ser waren für Umwelt­ver­än­de­run­gen, Umwelt­ka­ta­stro­phen und das Arten­ster­ben. Sol­che Erkennt­nis­se kön­nen wir dann auf die Gegen­wart übertragen.

Mit wel­chem Ergebnis?

Oli­ver Wings: Wir kön­nen Pro­gno­sen erstel­len und die Rele­vanz bestimm­ter Bio­sphä­ren­pro­zes­se ein­ord­nen. Umwelt und Leben ändern sich und haben sich ent­spre­chend geän­dert. Auch Kli­ma­än­de­run­gen wie die der­zei­ti­ge Erd­er­wär­mung, auf die wir übri­gens auch in unse­rer Son­der­aus­stel­lung „Ver­stei­ner­tes Wet­ter“ hin­wei­sen, gab es schon immer in der Erd­ge­schich­te, aber noch nie in der heu­ti­gen Geschwin­dig­keit. Da exis­tiert ein gro­ßer zeit­ge­schicht­li­cher Zusam­men­hang, der nicht nur von der Bio­lo­gie erforscht, son­dern von der Palä­on­to­lo­gie zusätz­lich in den rich­ti­gen Rah­men gerückt wird. Wir kön­nen zei­gen, dass es bis­her fünf gro­ße Mas­sen­aus­ster­ben in der Erd­ge­schich­te gab, zum Bei­spiel das der Dino­sau­ri­er vor 65 Mil­lio­nen Jah­ren. Auch wis­sen wir oder kön­nen es zumin­dest ver­mu­ten, was die Grün­de waren. Ich den­ke, wir befin­den uns bereits im sechs­ten Mas­sen­aus­ster­ben, vor allem von Insek­ten und Vögeln. Der heu­ti­ge Grund dafür ist aller­dings ganz klar. Es gibt zu vie­le Men­schen mit zu gro­ßem Res­sour­cen­ver­brauch und zu viel Verschmutzung.

Wie lief Ihr ers­tes Jahr als Lei­ter der Muse­ums in der Publikumsgunst?

Oli­ver Wings: Ziem­lich gut muss ich sagen. Das Muse­um ist schon ein tou­ris­ti­sches High­light in Bam­berg. In den meis­ten Jah­ren besu­chen etwa 20.000 Leu­te das Muse­um. Das hat­ten wir 2023 bereits im August geschafft.

Wodurch?

Oli­ver Wings: Die Aus­stel­lung „So viel mehr als nur T. rex“, in der wir Anfang des Jah­res palä­on­to­lo­gi­sche Illus­tra­tio­nen von Joschua Knüp­pe zeig­ten, hat viel Publi­kum ange­zo­gen, der neue Flug­sauri­er Bal­ae­no­gnathus maeu­se­ri genau­so – und dann kam jetzt im Som­mer noch schlech­tes Wet­ter hin­zu. Lang­fris­tig wür­de ich mir eigent­lich sogar wün­schen, die Besu­cher­zah­len zu ver­dop­peln. Ich den­ke, das ist in Bam­berg realistisch.

Wie soll das gelingen?

Oli­ver Wings: Wir müs­sen mit unse­ren Fun­den wuchern, wie es so schön heißt. Wir müs­sen den Vogel­saal wei­ter pro­mo­ten und auch die Dau­er­aus­stel­lun­gen stär­ker beto­nen. Der­zeit sanie­ren wir unse­ren Aus­stel­lungs­raum im Erd­ge­schoss. Ich hof­fe, dass wir spä­tes­tens Anfang nächs­ten Jah­res begin­nen kön­nen, den Raum zu fül­len. Unse­re fan­tas­tischs­ten Fun­de aus Wat­ten­dorf kom­men hin­ein, eine meh­re­re Qua­drat­me­ter gro­ße Stein­plat­te mit Ammo­ni­ten wird gera­de prä­pa­riert, und wenn es gut läuft und wir die Finan­zie­rung zusam­men­be­kom­men, zei­gen wir dort auch das ers­te Dino­ske­lett in Bam­berg: einen Euro­pa­sau­rus. Das ist ein sehr klei­ner Lang­hals­di­no­sau­ri­er aus Nie­der­sach­sen, der genau­so alt ist wie die Wat­ten­dor­fer Fos­si­li­en. Wer sich mit Spen­den am Erwerb des ers­ten Bam­ber­ger Dinos betei­li­gen möch­te, kann sich ger­ne bei mir melden.

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