Im August 2021 starb überraschend Matthias Mäuser, der damalige Leiter des Naturkundemuseums Bamberg. Nach einem Jahr der kommissarischen Leitung übernahm Oliver Wings die Stelle im August 2022. Wir haben mit dem Geowissenschaftler und Paläontologen über das Vermächtnis von Matthias Mäuser, Platzprobleme des Museums, heutiges und urzeitliches Artensterben und den Xinjiangtitan shanshanesis gesprochen.
Herr Wings, Matthias Mäuser starb am 24. August 2021 im Alter von 64 Jahren. Welche Lücke hinterließ er?
Oliver Wings: Matthias Mäuser hat das Museum über 30 Jahre lang geleitet und in der Zeit sehr viel bewirkt und gestaltet. Er hatte sehr gute Beziehungen in die Fachwelt, baute all unsere Dauerausstellungen auf und hat dafür zum Beispiel auch die Fossilienfundstelle bei Wattendorf erschlossen, nachdem sie unser geowissenschaftlicher Präparator Thomas Bechmann vor etwa 20 Jahren nordöstlich von Bamberg entdeckt hatte. Heute ist Wattendorf eine der wichtigsten Fossilienfundstellen Deutschlands. Kurz gesagt: Herr Mäuser hat eine sehr große Lücke hinterlassen. Da muss man sich, das heißt, da muss ich mich erst einmal reinarbeiten.
In welchem Zustand hat er das Museum hinterlassen?
Oliver Wings: Die meisten Naturkundemuseen, oder eigentlich fast alle Museen, haben drei große Probleme. Geld, Personal und Platz. Was die Finanzen angeht, sind wir im Naturkundemuseum glücklicherweise in einer Situation, die nicht ganz so prekär ist wie in anderen Häusern. Wir haben nämlich nicht die Stadt als Träger, sondern die Lyzeumstiftung, deren Zweck unter anderem die Förderung des Museums ist. Unser Etat kommt zudem von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayern, unser Haus ist eines von fünf Regionalmuseen, die direkt aus München unterstützt werden. Beim Personal hingegen sind wir, wie so viele andere auch, unterbesetzt. Wir könnten dem Publikum viel mehr bieten, zum Beispiel in Sachen Ausstellungen, Führungen oder Museumspädagogik, wenn wir mehr Personal hätten. Und was die Depots angeht – die platzen aus allen Nähten. Diese Situation hat sich vor allem durch die vielen tausend Funde aus Wattendorf sehr verschärft. Das war auch einer der ersten Baustellen, die ich nach meiner Einstellung angegangen bin, um zu sehen, wo und wie wir, zumindest kurzfristig, Entspannung bekommen können.
Das heißt?
Oliver Wings: Zum einen haben wir einen fast absoluten Sammlungsstopp verhängt. Wir könnten also derzeit, auch wenn wir wollten, in den bestehenden Depots keine größere Sammlung übernehmen. Das ist für ein Naturkundemuseum aber grundfalsch. Denn solche Häuser leben davon, zu sammeln und zu konservieren. Ein bisschen zusätzlichen Platz konnten wir gewinnen, indem wir bestimmte Sammlungsobjekte – zum Beispiel Tierpräparate –, die aufgrund fehlender wissenschaftlicher Daten, ihrer Häufigkeit und ihres schlechten Zustands wegen nicht wirklich aufhebenswert waren, ausgesondert haben. Einmal haben wir auch etwa zwei Tonnen altes Gestein weggeschmissen. Dabei handelte es sich um Fundstücke ohne besonderen Wert, von denen wenige Belegexemplare ausreichen und die man nicht schubladenweise vorrätig haben muss. Aber selbst den Platz, den wir so schaffen konnten, mussten wir sofort wieder mit anderen Dingen füllen.
Was wäre eine langfristig Lösung?
Oliver Wings: Ein neues Depot. Dazu planen wir bereits Gespräche mit der Stadt und den städtischen Museen, die nämlich das gleiche Problem haben. Aber bis so ein Gebäude fertig gebaut ist, würde es wahrscheinlich ein Jahrzehnt dauern.
Wenn Sie kein neues Depot bekommen, fällt das Museum dann zurück?
Oliver Wings: Es stagniert zumindest und muss sich weiterhin mit den bestehenden Depots zufriedengeben. Diese sind teilweise aber wirklich ungeeignet. Damit meine ich zum Beispiel Kellerräume unter dem Haus, die feucht und schimmlig sind und wo ständig die Gefahr von Wassereinbrüchen besteht. Wir müssen da einen Befreiungsschlag schaffen, auch wenn es nicht billig wird. Ich würde mich dabei auch über die Unterstützung der Stadt freuen, die sich bisher aus der Finanzierung des Museums komplett heraushält.
Welchen Ruf hat das Museum in der Fachwelt?
Oliver Wings: Wir haben Sammlungen, die international in der Fachwelt nachgefragt werden, wie unsere Insekten- oder Vogelsammlungen. Und an den Fossilien aus Wattendorf gibt es ebenfalls permanent großes wissenschaftliches Interesse. Wir haben dort beispielsweise 154 Millionen Jahre alte Saurier oder auch Quastenflosser gefunden. Unser bester Fund bisher ist übrigens eine neue Flugsaurier-Art, die seit einigen Monaten im Andenken am Matthias Mäuser Balaenognathus maeuseri heißt.
Sie sind seit 1. August 2022 der Leiter des Museums. Warum wollten Sie nach Bamberg?
Oliver Wings: Die Stadt hat die richtige Größe, ein aktives Kulturleben und tolles Bier, ich kenne sie schon aus meinen Studienzeiten in Erlangen. Das Museum selbst ist wegen seiner Sammlungen und Finanzlage reizvoll, außerdem hatte ich schon vor meinen Vorstellungsgesprächen angenehme Gespräche mit den Mitarbeitern, die nicht nur zeigten, wie sehr sich alle für das Museum engagieren, sondern auch, dass wir ähnliche Vorstellungen zur weiteren Entwicklung unseres Hauses haben.
Sie sind studierter Geowissenschaftler und Paläontologe. Was fasziniert Sie an diesen Disziplinen?
Oliver Wings: Schon als kleines Kind hatte ich eine Faszination fürs Sammeln. Damals ging ich noch ein bisschen wahlloser vor mit Dingen wie Briefmarken, Kronkorken, Münzen oder Bierdeckeln – aber auch schon mit ersten Fossilien. Bis auf Letzteres hat sich diese Sammelleidenschaft dann irgendwann erübrigt. Bei Fossilien ist die Faszination bis heute geblieben. Wenn ich beispielsweise einen versteinerten Ammoniten sehe, denke ich immer noch: Der hat vor vielen Millionen Jahren gelebt. Wie sah wohl seine Umwelt aus? Ich bin zu DDR-Zeiten in Erfurt aufgewachsen und hatte das Glück, damals über das Naturkundemuseum Erfurt an einer Arbeitsgemeinschaft namens „Junge Geologen“ teilnehmen zu können. Dort wurde ich bereits mit 13 Jahren zum ersten Mal an das wissenschaftliche Arbeiten und den Museumsalltag herangeführt und stellte fest, was man dabei für ein abwechslungsreiches und spannendes Arbeitsspektrum hat. Das war der Ansatz für mich, in diese Richtung weiterzugehen und zu studieren.
Ein Schwerpunkt Ihrer Forschungen sind die Dinosaurier der Jurazeit vor etwa 150 Millionen Jahren. Was war Ihr bester Fund bisher?
Oliver Wings: Da gibt es mehrere tolle Funde und neue Arten, aber der beste Fund war der Xinjiangtitan shanshanesis. Das war ein über 30 Meter langer Langhalsdinosaurier, der vor ungefähr 160 Millionen im heutigen China lebte. Ich habe das erste und einzige Exemplar davon zusammen mit meinem damaligen Grabungsteam 2009 entdeckt und mehrere Monate lang ausgegraben.
Paläontologie, die Wissenschaft von ausgestorbenen Lebewesen und Lebewelten, wird seit etwa 200 Jahren betrieben. Konnte sie sich mittlerweile zum Beispiel über die Jurazeit und ihre Lebewesen ein mehr oder weniger vollständiges Bild machen oder muss man sich zwangsläufig damit zufriedengeben, höchstens Bruchteile des damaligen Lebens entdecken zu können?
Oliver Wings: Niemals wird alles gefunden werden. Allein die Jurazeit dauert etwa 56 Millionen Jahre mit entsprechend vielen Generationen von Tieren und Pflanzen. Und wenn es nur ab und zu einmal einige Lebewesen schafften, als Fossilien erhalten zu bleiben – kann man die Vielfalt nie erschöpfend entdecken. Aber das heißt auch, dass man als Paläontologe immer etwas zu hat, auch noch in weiteren 200 Jahren. Die Chance allerdings, etwas komplett Neues oder Überraschendes zu finden, wird mit jedem Neufund ein wenig kleiner. Aber so weit sind wir nach knapp 200 Jahren paläontologischer Forschung auch noch lange nicht. Wattendorf ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Gerade einmal 20 Jahre bekannt, gab es so einen Fundort aus dieser Zeit in Deutschland vorher noch nicht und sehr viele Arten, die wir dort gefunden haben und finden, sind neu. Weltweit wird derzeit allein bei den Dinosauriern fast wöchentlich eine weitere neue Art beschrieben und manche davon kommen aus Bayern.
Gibt es Dinge, die man von der Zeit von vor 150 Millionen Jahren über die Gegenwart lernen kann?
Oliver Wings: Ich finde, Paläontologie ist momentan eine der wichtigsten Wissenschaften. Das liegt daran, dass wir als einzige Disziplin darauf zurückschauen, was in der Vergangenheit mit Ökosystemen passiert ist. So können wir zum Beispiel lernen, was die Auslöser waren für Umweltveränderungen, Umweltkatastrophen und das Artensterben. Solche Erkenntnisse können wir dann auf die Gegenwart übertragen.
Mit welchem Ergebnis?
Oliver Wings: Wir können Prognosen erstellen und die Relevanz bestimmter Biosphärenprozesse einordnen. Umwelt und Leben ändern sich und haben sich entsprechend geändert. Auch Klimaänderungen wie die derzeitige Erderwärmung, auf die wir übrigens auch in unserer Sonderausstellung „Versteinertes Wetter“ hinweisen, gab es schon immer in der Erdgeschichte, aber noch nie in der heutigen Geschwindigkeit. Da existiert ein großer zeitgeschichtlicher Zusammenhang, der nicht nur von der Biologie erforscht, sondern von der Paläontologie zusätzlich in den richtigen Rahmen gerückt wird. Wir können zeigen, dass es bisher fünf große Massenaussterben in der Erdgeschichte gab, zum Beispiel das der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Auch wissen wir oder können es zumindest vermuten, was die Gründe waren. Ich denke, wir befinden uns bereits im sechsten Massenaussterben, vor allem von Insekten und Vögeln. Der heutige Grund dafür ist allerdings ganz klar. Es gibt zu viele Menschen mit zu großem Ressourcenverbrauch und zu viel Verschmutzung.
Wie lief Ihr erstes Jahr als Leiter der Museums in der Publikumsgunst?
Oliver Wings: Ziemlich gut muss ich sagen. Das Museum ist schon ein touristisches Highlight in Bamberg. In den meisten Jahren besuchen etwa 20.000 Leute das Museum. Das hatten wir 2023 bereits im August geschafft.
Wodurch?
Oliver Wings: Die Ausstellung „So viel mehr als nur T. rex“, in der wir Anfang des Jahres paläontologische Illustrationen von Joschua Knüppe zeigten, hat viel Publikum angezogen, der neue Flugsaurier Balaenognathus maeuseri genauso – und dann kam jetzt im Sommer noch schlechtes Wetter hinzu. Langfristig würde ich mir eigentlich sogar wünschen, die Besucherzahlen zu verdoppeln. Ich denke, das ist in Bamberg realistisch.
Wie soll das gelingen?
Oliver Wings: Wir müssen mit unseren Funden wuchern, wie es so schön heißt. Wir müssen den Vogelsaal weiter promoten und auch die Dauerausstellungen stärker betonen. Derzeit sanieren wir unseren Ausstellungsraum im Erdgeschoss. Ich hoffe, dass wir spätestens Anfang nächsten Jahres beginnen können, den Raum zu füllen. Unsere fantastischsten Funde aus Wattendorf kommen hinein, eine mehrere Quadratmeter große Steinplatte mit Ammoniten wird gerade präpariert, und wenn es gut läuft und wir die Finanzierung zusammenbekommen, zeigen wir dort auch das erste Dinoskelett in Bamberg: einen Europasaurus. Das ist ein sehr kleiner Langhalsdinosaurier aus Niedersachsen, der genauso alt ist wie die Wattendorfer Fossilien. Wer sich mit Spenden am Erwerb des ersten Bamberger Dinos beteiligen möchte, kann sich gerne bei mir melden.