Was 2003 aus Trotz gegen Karl Moik und seinen Musikantenstadl begann, wird nun 20 Jahre alt. Am 27. Januar findet, nach zwei Jahren Pause, im E‑Werk in Erlangen das Festival für Neue Volksmusik „Antistadl“ statt. Der genaue Jubiläumstag wäre zwar der 28. Januar gewesen, aber „das Programm wird auf jeden Fall so lange dauern, dass wir den 28. mitnehmen können“, sagt Organisator David Saam.
Wenn das „Antistadl“ zum 20. Mal beginnt, sind mit Boxgalopp und Kapelle Rohrfrei zwei Bands im Programm vertreten, die schon 2003 dabei waren. Außerdem treten Kellerkommando, Schäng Blasius Flönz Rakete, Blunz’n’Flönz und Die Krottentaler auf. Gemeinsam haben sie ihren musikalischen Fokus auf die Neue Volksmusik gelegt, auch Volxmusik oder Tradimix genannt. Diese Genres verbinden Elemente traditioneller Volksmusik mit Jazz oder Rock. Das Moderations-Duo Marihuanne und Kiffael wird durch den Abend führen.
Wir haben David Saam, der in Erlangen in mehreren Bands auf die Bühne gehen wird, zum Gespräch getroffen.
David, ihr nennt das „Antistadl“-Festival das verrückteste Volxmusikfestival der Welt“. Was heißt das?
David Saam: Seine ganze Geschichte ist schon verrückt. Es ist verrückt, dass wir damals beim ersten Festival mit dem Slogan „Volxmusik ist Rock ’n’ Roll“, also einem Slogan, in dem das Wort „Volksmusik“ vorkommt, im damals angesagtesten Club Bambergs, dem Morphclub, aufgetreten sind. Auch das Gastgeber-Ehepaar Marihuanne und Kiffael – das Albtraumpaar der volkstümlichen Unterhaltung –, die in Erlangen durch den Abend führen, sind jedes Jahr beim „Antistadl“ wieder auf dem Zenit ihrer Verrücktheit.
Es gibt Gerüchte, dass du Marihuanne bist.
David Saam: (lacht) Ich weiß es nicht genau, da bin ich zwiegespalten. Ich weiß auch nicht, ob sich Marihuanne, wie sie es zum 15-jährigen Jubiläum gemacht hat, auch 2023 ein neues Glitzer-Dirndl zulegen wird. Mal schauen.
Warum ist Volksmusik Rock ’n’ Roll?
David Saam: Wir vom „Antistadl“-Festival machen Volxmusik und versuchen uns, das soll schon die Schreibweise mit „X“ zeigen, von gängigen Volksmusikvorstellungen abzugrenzen. Das ist die Art Volksmusik, die die original Marianne und Michael machen würden, die Schlagersoße aus dem Fernsehen. Als wir das Festival ins Leben gerufen haben, wollten wir allen Menschen zeigen, dass Volksmusik Wurzeln hat, die man als Rock ’n’ Roll bezeichnen könnte.
Was meinst du damit?
David Saam: Damit meine ich die Musik, zu der unsere Ur-Ur-Großeltern vor mehr als 100 Jahren wild auf der Tanzfläche herumgehüpft sind, lange vor dem Musikantenstadl, das war quasi der Rock ’n’ Roll früherer Jahre. Diese Musik ist die Basis, von der wir ausgehen, um sie in die Jetztzeit zu holen und sie mit heutigen Musikrichtungen zu mischen. Kellerkommando haben zum Beispiel Rap-Passagen.
Ist das „Antistadl“ seit 20 Jahren also auch der Versuch, Volksmusik positiver zu besetzen?
David Saam: Tatsächlich war der Auslöser, der die Idee des Festivals vor 20 Jahren gebracht hat, ein Auftritt von Karl Moik und seinem Musikantenstadl in Bamberg. Die ganze Stadt war plakatiert mit Ankündigungen des Konzerts. Da sagten wir uns: Wir können die Stadt nicht kampflos dieser Art der Volksmusik überlassen. Wir, das war eine Gruppe von Studierenden der Ethnomusikologie, ein Fach, das es damals in Bamberg noch gab. Wir waren auf jeden Fall diejenigen, die in der Stadt zuständig für Volksmusik waren, und wollten einen besseren Gegenentwurf präsentieren – den Antistadl. Und, wenn ich das anfügen darf: Wir haben gewonnen! Den Musikantenstadl gibt es nicht mehr im Fernsehen.
Ist eure Botschaft, dass Volksmusik mehr sein kann als Musikantenstadl, nach 20 Jahren bei den Leuten angekommen?
David Saam: Ich denke schon, dass wir es geschafft haben, vielen Menschen in und um Bamberg zu vermitteln, dass Volksmusik nicht unbedingt das sein muss, was man sich darunter vorstellt und dass sie auch nicht mehr so konservativ vereinnahmt ist. Ich denke, wir haben gezeigt, dass Volksmusik etwas sehr Weltoffenes ist, zum Beispiel dadurch, dass wir immer wieder Bands angeheuert haben, die sich auch mit anderen Musiktraditionen auseinandersetzen.
Können beim „Antistadl“ auch Fans volkstümlicher Schlagermusik auf ihre Kosten kommen?
David Saam: (lacht) Das kommt darauf an, wie offen diese Leute sind! Grundsätzlich haben wir beim „Antistadl“ ein sehr bunt gemischtes Publikum. Wir haben von jungen Menschen, die die verschiedensten Musikrichtungen mögen, bis hin zu Seniorinnen und Senioren alles dabei. So einen Mix anzuziehen, liegt, glaube ich, daran, dass es beim Festival eben keine Musikrichtung gibt, die ganz klar ihre Nische hätte. Die Konzerte bieten viele Anknüpfungspunkte für viele Musikgeschmäcker.
Wie hat sich das Festival in den 20 Jahren verändert?
David Saam: Viel des Ursprungsgedankens, traditionelle Musik fürs 21. Jahrhundert kompatibel zu machen und zu den Leuten zu bringen, ist noch da. Auch hat das Festival seinen alternativen Charakter behalten, wir sind vom Mainstream noch weit entfernt. Auf der anderen Seite ist aber vor allem die Organisation ein bisschen professioneller geworden.
Gibt es Spuren des Alterns?
David Saam: Auf der Bühne ist die Energie ungebrochen: Volxmusik ist Rock’n’Roll! Kann sein, dass manche Kollegin oder mancher Kollege, die Regeneration am Tag nach der wilden Party dringender als früher braucht. Grundsätzlich würden wir uns aber über mehr Nachwuchs beim Antistadl freuen. Ich fände es super, wenn mehr junge Leute Bands gründen und neue Wege einschlagen würden.
Auf dem Programm habt ihr mit Schäng Blasius Flönz Rakete eine Gastband aus dem Rheinland. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?
David Saam: Das ist eine Band aus Krefeld, die wir mal auf einem Festival in Thüringen kennengelernt haben. Bei ihrem Auftritt haben die so einen Dampf gemacht, dass wir sie unbedingt beim „Antistadl“ dabei haben wollten. Wir von Kapelle Rohrfrei hatten dann mal mit denen geprobt – wir haben ihnen fränkische, die uns rheinische Stücke gezeigt. Das hat solchen Spaß gemacht, dass wir für das „Antistadl“ eine Gemeinschaftsband gegründet haben: Blunz’n’Flönz. Beide Begriffe bezeichnen übrigens die Blutwurst.
Mit Die Krottentaler habt ihr zudem eine Band aus Oberbayern verpflichtet.
David Saam: Die Krottentaler sind auch eine der Bands, die vor 20 Jahren beim ersten Antistadl dabei waren. Sie spielen etwas, das man kabarettistischen Volksmusik-Rock nennen könnte – sehr lustig und sehr tanzbar. Allerdings gibt es sie seit zehn Jahren eigentlich nicht mehr offiziell. Nun spielen sie aber extra für den „Antistadl“ so etwas wie ein Reunion-Konzert.
Plant ihr weitere Überraschungen?
David Saam: Wer die Original-Krottentaler noch nicht kennt, für den werden sie ganz sicher eine Überraschung sein. Mit ihren Geschichte aus der Bergidylle, in der die Welt noch in Ordnung ist und wo sie angeblich herkommen, sind sie schon ein sehr lustiger Act. Und dann mal schauen, was uns noch so einfällt.