Dem eingebauten Makel gemäß, dass alles Sein solang’ es strebt auf das eigene Ende zusteuert – was kann die Existenz da anderes sein als eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Sinnlosigkeit? So sieht es der Berliner Maler Philip Grözinger, erkennt darin aber auch das Potenzial zur Schönheit. Morgen kommt er mit seiner Ausstellung „Die Schönheit des sinnlosen Scheiterns“ ins Kesselhaus. Das zentrale Werk der Schau hat den Bamberger Reiter zur Hauptfigur.
„Meiner Meinung nach fast alles“, sagt Philip Grözinger, den wir in seinem Berliner Atelier am Telefon erwischen, auf die Frage was sinnloses Scheitern sei. „Vom Urknall bis zum Zusammenbruch der Sonne fällt ja alles in sich zusammen.“
Aber das Sinnlose ist nicht zwangsläufig sinnentleert. Die sinnlose Zeit bis zum unausweichlichen Scheitern kann durchaus mit sinnhaften Dingen gefüllt werden. „Daraus, dass wir uns vorspiegeln, dass von uns Menschen etwas übrig bleibt, um sozusagen die Unerträglichkeit des Sterbens erträglicher zu machen, kann eine gewisse Schönheit entstehen. Ich finde es schön, dass man trotz der Beleidigung des Sterbens, positive Aspekte des Lebens annehmen und zum Beispiel etwas kreieren kann. Darin liegt die Antriebsfeder für Neugier und Positives.“
Scheitern beziehungsweise das Eingeständnis dieser finalen Existenzperspektive kann auch eine Chance sein. Oder vielleicht sogar befreiend. Ist der Druck, dem Dasein einen Sinn abgewinnen zu wollen, oder zu müssen, erst weg, lässt es sich sozusagen ganz frei aufspielen.
Eines dieser sinnhaft-sinnlosen Dinge ist die Kunst. Sie spendet Sinn, ist aber ihrerseits von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nie kann das Abgebildete ganz erfasst werden, weil es immer nur Abbildung bleibt.
„Ja, es gibt nicht das perfekte Kunstwerk“, sagt Philip Grözinger. „Der Druck auf Kunst, relevant zu sein, zu erahnen und zu ertasten, was gesellschaftlich auf uns zu kommt, ist groß und verurteilt sie zum Scheitern. Denn sie wird immer überrollt von der Gegenwart und wird Vergangenheit. Bei musealer Kunst kommt noch dazu, dass sie gescheitert ist, weil sie zur Dekoration gemacht wurde.
Der Anspruch von Kunst sollte darum eher sein, sich weiterzuentwickeln, weil Gesellschaft sich weiterentwickelt. Schafft sie das nicht, hat sie fast schon die Aufgabe, in Schönheit zu sterben.“
In Bamberg bringt Philip Grözinger seine Gemälde in diese Gefahr, wenn er sie ab 11. Juni im Kesselhaus ausstellt. „Ich konnte mich entscheiden zwischen der Villa Dessauer und dem Kesselhaus. Ich nahm das Kesselhaus, weil es mit seinen kahlen Betonwänden schon ein bisschen die Atmosphäre hat, die ich suche. Ich denke, meine Gemälde sind stark genug, das auszuhalten. Und wenn nicht, bin ich gescheitert“, sagt er lachend, „dann habe ich alles richtig gemacht!“
Eine gescheiterte Welt
Entsprechend nehmen sich Philip Grözingers Gemälde nicht allzu ernst. Sie sprechen ernste Themen an – vor allem Umweltzerstörung ist allgegenwärtig –, aber sie tun es ohne empörte Aufdringlichkeit. Das Augenzwinkernde und Verspielte ist Grözingers Mittel der Wahl.
Seine quadratmeterweiten Arbeiten sind bevölkert von großäugigen, infantilisierten Figuren. Die Farben sind bunt, grell oder knackig dunkel, die Formen vereinfacht und flächig. Aber die uneigentlichen Abgründe, die solch ein Auseinanderklaffen von lustiger Darstellung und düsterem Dargestellten aufreißen, können viel eindrücklicher wirken als eine unzweideutige Zurschaustellung oder Anprangerung von Missständen.
Die Hauptfigur des eigens für die Ausstellung im Kesselhaus angefertigten Hauptwerks durchstreift eine zerstörte Umwelt. Ein comichaft verfremdeter Bamberger Reiter reist im Zyklus eines fünf Meter breiten Tryptichons durch kaputte Landschaften, in denen Zivilisation nur noch in Trümmern übrig ist. Diese Welt ist gescheitert.
Die Gemälde prangern die Zerstörung dabei aber nicht so sehr an, als dass sie sie mit eigenartigem Surrealismus und einer Mischung aus ironischem Understatement und kindlich-heiterer Distanz einfach zeigen. Sie scheinen mit dem Scheitern auf den ersten Blick sogar zu kokettieren, was für die abgebildete Welt in gewisser Weise hieße, sich ins Scheitern gefügt zu haben.
Natürlich könnte man an dieser Stelle sagen, diese ironisch-kritisch anmutende Haltung in Grözingers Gemälden ist fahrlässig und zaghaft im Angesicht der Dringlichkeit der Thematik; oder es ist zynisch, so grellbunt mit dem Untergang zu spielen, was wiederum die privilegierte Position des nicht Betroffenseins und Sich-raushalten-könnens voraussetzt.
Aber das würde verkennen, dass die Gemälde eben gerade ein Resultat dieser Haltung aufzeigen. Inhaltlich geschieht das anhand der gezeigten zerstörten Welt, die nicht gerettet, sondern aufgegeben worden ist; gestalterisch durch die niedlichen Formen und Figuren, die keinen Anspruch auf knallharte Anprangerung haben, und auch keinen mehr haben müssen, weil es in einer Welt, in der das Kaputtsein zum Normalzustand geworden ist, nichts mehr anzuprangern gibt. Hier ist alles egal geworden. Das mag von vornherein so programmiert sein, alles mag von vornherein sinnlos sein, weil zum Scheitern verurteilt, aber bis dahin kann man zumindest versuchen, persönlichen Sinn zu finden. Versucht man nicht einmal mehr das, ist das Scheitern bereits eingetreten und wahrhaftig, anstatt zumindest schön, sinnlos gewesen.
Der Bamberger Reiter auf Reisen
So hat man ihn noch nicht gesehen, den Bamberger Reiter – weder gestalterisch, noch handlungsmäßig. Sein eckiger Körper, auf dem ein Block von gekröntem Kopf sitzt, erinnert an eine Lego- oder Minecraftfigur (dazu mehr weiter unten). Außerdem ist er in Grözingers Tryptichon von seinem Sockel hinuntergestiegen.
Auf dem ersten der drei Gemälde durchstreift er auf seinem Pferd eine karge, von merkwürdigen Gestalten bewohnte Welt, die ihre besten Tage hinter sich zu haben scheint. Ein kleines Häuschen am Horizont, aus dessen Schornstein Rauchwolken aufsteigen, die zu einer über der gesamte Breite des Gemäldes hängenden giftigen Wolke angewachsen sind, deutet an, warum diese Welt nur noch in Resten existiert.
Der Reiter scheint der Szenerie aber mehr oder weniger gelassen gegenüber zu stehen, in seinem eckigen Gesicht ist ein Lächeln zu erkennen; er hat dieses Scheitern akzeptiert. Und auch der Laserstrahl, den er aus seinen Augen einer angreifenden Smogwolke, die zwei Arme hat, durch den pechschwarzen Körper schießt, scheint er nur der Vollständigkeit halber, bereits im Wegreiten begriffen, abzufeuern.
Warum sollte er sich im Kampf gegen eine Wolke auch mehr als diese Alibi-Mühe geben? Ihr scheint durch den Laser zwar Blut aus dem Hintern zu spritzen, aber der Kampf gegen eine materielose Wolke ist aussichtslos und wird scheitern. Also zieht er weiter. „Er ist ein Reisender, der Reiter“, sagt Philip Grözinger, „er ist wie ein Wissenschaftler, der leicht distanziert alles für sich beobachtet, aber nicht bewertet. Dieses von außen kommen und die Welt sehen, wie sie ist, finde ich reizvoll. Er reist durch die Welt und erkennt Dinge. Er ist eine Erkenntnismaschine.“
Der Bamberger Reiter scheine Philip Grözinger als Hauptfigur solch einer Erkenntnisreise wie gemacht. „Ich fand das Mysterium, dass niemand genau weiß, wer er ist, sehr interessant. Ich wollte diese Projektionsfläche nehmen und sie anders aufladen und eine Minecraft-Figur daraus machen. In meinen Arbeiten geht es ganz oft auch um Ängste vor Computern und künstlicher Intelligenz. Diese Dinge sind sehr komplex, simplifizieren aber gleichzeitig unsere Daseins. Warum verbringen Leute so wahnsinnig viel Zeit damit, Minecraft zu spielen, darin Realität zu vereinfachen, nachzubauen und in diesem Umfeld zu spielen? Ist die Realität so anstrengend, dass man zur Entspannung in eine andere, die in Minecraft geschaffene, flüchten muss?“
Betrachtet man die gespentischen schwarzen Figuren im Mittelteil des Tryptichons (der Reiter hat hier keinen Auftritt), scheint es allerdings auch mit dieser Flucht in die spielerische Entspannung nicht weither zu sein. Hier ist vom Menschen nicht einmal mehr seine menschliche Form übriggeblieben. Allzu hemmungslos hat er sich aufgegeben, sich der Hoffnungslosigkeit hingegeben und dabei sein Menschsein eingebüßt. Der Reiter scheint bei seinen Reisen noch ganz gut drauf zu sein. Diese Geister sind nur noch ihre eigenen Schatten.
Zur Ablenkung oder Entspannung ist ihnen ein Ballspiel mit rot-orangenen Lichtkugeln geblieben. Ihr Minecraft. Die Lichtkugeln könnten aber auch Eizellen sein und das Spiel darin bestehen, diese spermiumartigen Schlangenwesen, die durch den Himmel rasen, zur Befruchtung hinzuhalten. Haben sie doch noch Hoffnung? Oder, wenn man das Gemälde pessimistischer auslegen will, versuchen die entmenschlichten Geister, diese Vereinigung zu verhindern?
Die Mauer, die sie zwischen sich und der kaputten Umgebung hochgezogen haben, deutet auf Zweiteres hin. Es scheint Hoffnung zu geben, aber nicht auf Rettung vor den monströsen Gestalten auf der anderen Seite der Mauer, sondern auf Verhinderung der Fortpflanzung mit ihnen. Die Geister möchten sicherstellen, dass nach ihnen nichts mehr kommt, also auch nichts, das noch erbarmungswürdiger als sie selbst wäre.
Philip Grözinger möchte es dann aber doch positiver verstanden wissen. „Das kann man schon postapokalyptisch sehen. Aber wir sind ja nicht nur verrückt. Es gibt ja auch die andere Seite. Wir sind kreativ und wir finden Lösungen, es gibt Empathie. Im Dunklen ist auch das Helle.“
Solch einen Silberstreif am Horizont zeigt der dritte Teil des Tryptichons um die Abenteuer des Bamberger Reiters. Die Welt sieht immer noch düster, zerstört und gescheitert aus.
Ein dunkles Meer ist zu sehen, zwei Eisberge dümpeln darin und können eigentlich nur schmelzen, ein unbemanntes Segelschiff treibt richtungslos im Wasser, und die pechschwarze Wolke aus dem ersten Tryptichon-Teil sieht mit ihren feurigrot umrandeten Augen aus als sei sie jetzt nicht nur giftig, sondern auch noch wütend. Und genau wie im ersten Teil versucht sie mit ihren dünnen Ärmchen wieder den Reiter, der ebenfalls in die Szenerie zurückgekehrt ist, anzugreifen.
Dieser macht aber erneut von seinen Laserstrahlen Gebrauch. Aus zwei Waffen in seinen Händen feuert er sie ab. Der eine Strahl ballt sich in einer neuen Lichtkugel oder Eizelle, ein weiterer Strahl bricht daraus hervor und durchbohrt der Wolke den Kopf. Blut ist diesmal nicht zu sehen und ob dieser Kampf zugunsten des Mannes auf dem Pferd ausgehen wird, ist auch nicht klar. Der Reiter scheint ohnehin kurz davor, seine Position am Hang von einem der Eisberge zu verlieren und ins Meer zu rutschen.
Aber eben dieses Meer geht am Horizont in einen hellen Streifen Licht über. Versteht man die drei Teile des Tryptichons als durch den Handlungsbogen der Reise des Reiters verbunden, steht am Ende dieser Reise durch sinnloses Scheitern also zumindest der hoffnungsvolle Ausblick auf den hellen Horizont.