Die neue Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die Freigabe von Cannabis an Erwachsene in lizenzierten Geschäften geeinigt. Für die einen ist der progressive Schritt ein Grund zur Freude und Zeichen moderner Politik. Andere halten die Entscheidung für gesellschaftlich und politisch gefährlich.
Timm Schulze, Vorstandmitglied der Bamberger Grünen, hat uns Auskunft gegeben über den Zeitplan der Freigabe des Cannabis, nötige Gesetzesänderungen und seine Meinung zur Meinung von Melanie Huml.
Herr Schulze, die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften einzuführen. Eine längst überfällige Entscheidung oder gesellschaftlich gefährlich?
Timm Schulze: Der Konsum von Cannabis ist in Deutschland verbreitet und die zurückliegende Politik der Prohibition ist gescheitert. Darum finde ich es gut, dass die Koalition die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizensierten Geschäften einführen möchte. Durch eine Entkriminalisierung kann der Schwarzmarkt zurückgedrängt, die Polizei entlastet, Steuern eingenommen und der Jugendschutz gestärkt werden. Konsument:innen können zudem zugänglicher für Präventionsarbeit werden. Außerdem kann durch klare Vorgaben der Gesundheitsschutz verbessert werden, zum Beispiel durch klare Kennzeichnung des THC-Gehalts.
Gibt es bereits nähere Informationen dazu, was “lizenzierte Geschäfte” in diesem Zusammenhang heißt? Coffee Shops nach niederländischem Vorbild?
Timm Schulze: Details müssen die Koalitionspartner nun gemeinsam festlegen. Als Vorbild könnte der Entwurf des Cannabiskontrollgesetzes dienen, den die grüne Bundestagsfraktion bereits 2015 vorgestellt hat. Demnach müssen Geschäfte für eine Lizensierung ein Sozialkonzept vorweisen. Maßnahmen zur Suchtprävention und dem Jugendschutz stehen dabei im Mittelpunkt.
Wer könnte sich um eine solche Lizenz bewerben?
Timm Schulze: Das hängt dann von den Vorgaben des Gesetzes ab.
Gibt es in Bamberg schon Bestrebungen, solche Geschäfte zu öffnen?
Timm Schulze: Davon ist mir aktuell nichts bekannt.
Welche rechtlichen Hürden muss die Koalition bis zur Legalisierung noch nehmen? Wie kompliziert kann sich so ein Gesetzesvorhaben gestalten?
Timm Schulze: Zunächst müssen sich SPD, GRÜNE und FDP auf ein konkretes Konzept einigen. Aus meiner persönlichen Sicht sollte die Priorität hier zunächst auf der rechtssicheren Entkriminalisierung von Eigenanbau und Besitz in überschaubaren Mengen liegen. Für den lizensierten Verkauf und Anbau im großen Stil könnten Änderungen im Europarecht und internationalen Recht nötig sein. Dank des Paradigmenwechsels durch die neue Bundesregierung gibt es dafür neuen Rückenwind.
Wie lange könnte es mit der Freigabe noch dauern? Ab wann gilt die Gesetzesänderung?
Timm Schulze: Die Ampelkoalition hat deutlich gemacht, dass sie so schnell wie möglich entsprechende Regelungen auf den Weg bringen möchte.
Wie wird es in Bayern bis dahin mit der Strafverfolgung derjenigen aussehen, die Cannabis nicht in lizenzierten Geschäften, also auf dem Schwarzmarkt, kaufen? Wird die repressive, sehr harte Linie mit harten Strafen schon für den Besitz geringster Mengen weiterverfolgt?
Timm Schulze: Ein erster Schritt wäre, dass der bayerische Innenminister und die CSU ihren gescheiterten Ansatz in der Cannabis-Politik überdenken. Bis es Änderungen auf Bundesebene gibt, könnte der Freistaat zum Beispiel die aktuelle Straffreiheitsgrenze von 6 Gramm Eigenbesitz eigenständig anheben. In Nordrein-Westfalen, Thüringen und Rheinland-Pfalz liegt diese beispielsweise schon heute bei 10 Gramm. Zusätzlich sollte der Ermessensspielraum der Strafverfolgungsbehörden bei der Anklageentscheidung unterhalb dieser Grenze eingeschränkt werden. Das schafft Rechtssicherheit.
Wie steht es um Herstellende von Hanfprodukten, wie Hanföl oder CBD-Produkte, denen das Geschäft durch unverhältnismäßig häufige polizeiliche Kontrollen schwer gemacht wird? Wird hier eine mildere Linie verfolgt werden?
Timm Schulze: Das Problem liegt hier unter anderem in unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Echte Rechtssicherheit kann darum vermutlich nur eine eindeutige gesetzliche Neuregelung schaffen.
Polizeigewerkschaften nennen die gesetzliche Neuregelung eine Verharmlosung der Droge und die ehemalige Bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml hat vor Kurzen auf Twitter bekannt gegeben, dass sie die Freigabe aus medizinischer Sicht für falsch halte. Was entgegnen Sie solcher Kritik?
Timm Schulze: Dann vertritt Frau Huml auch in diesem Feld leider wieder einmal Konzepte von vorgestern. Millionen von Menschen werden aktuell trotz einer gescheiterten Drogenpolitik weiter kriminalisiert und in die Illegalität getrieben. Das stärkt nicht nur die organisierte Kriminalität, auf Schwarzmärkten gibt es auch keinen Jugend- und Gesundheitsschutz. Cannabis ist genau wie Alkohol nicht harmlos. Eine moderne Drogen- und Suchtpolitik stellt aber Prävention statt Verfolgung in den Mittelpunkt. So können Abhängigkeit und riskante Konsumformen besser verhindert oder zumindest verringert werden. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert übriges bereits seit langem einen Fokus auf Präventionsprogramme und eine Entkriminalisierung der Konsument:innen.