Das ETA Hoffmann Theater inszeniert Olga Grjasnowas Roman “Gott ist nicht schüchtern”. Mit großer Aktualität zeichnet das Stück Biografien syrischer Geflüchteter nach.
In Olga Grjasnowas Roman „Gott ist nicht schüchtern“ geht es um den sogenannten Arabischen
Frühling, der 2011 auch in Syrien vor allem die junge Mittel- und Oberschicht auf die Straße brachte. Die Autorin hat zahlreiche Interviews mit Geflüchteten geführt und in der Türkei, im Libanon und in Griechenland recherchiert. Anhand der Biografien ihrer Hauptfiguren zeigt sie, wie aus den Demonstrationen, die zu Beginn noch von großen Hoffnungen geprägt waren, ein Krieg entstand.
In „Gott ist nicht schüchtern“ lebt der junge Chirurg Hammoudi in Paris und verbringt dort die glücklichsten Jahre seines Lebens. Eines Tages muss er aber seinen Pass verlängern lassen und deswegen nach Syrien in seine Heimatstadt Deir az-Zour reisen. Es ist der Frühling 2011 und auf den Straßen protestiert die Bevölkerung friedlich für ein demokratisches Leben und gegen die Willkürherrschaft von Präsident Baschar al-Assad. Hammoudis Passverlängerung fällt allerdings bürokratischer Schikane zum Opfer und er darf nicht mehr ausreisen.
Amal ist eine Tochter der syrischen Oberschicht, die sich in Damaskus an den Demonstrationen beteiligt, um eine freiere Zukunft zu ermöglichen. Doch das Regime beschattet sie, nimmt sie fest und verhört sie.
Entlang der Ereignisse des sich entwickelnden Bürgerkrieges verwandeln sich die optimistischen Lebensläufe Hammoudis, Amals und ihres Freunds Youssef zu Fluchtbiografien. Alle drei fliehen über das Meer und erleben das Grauen überfüllter Boote, ertrinkender Menschen und der Insel Morias.
In Berlin, während ihrer Asylverfahren, treffen sie zufällig aufeinander. Amal hasst es, sich nicht auf Deutsch verständlich machen zu können und dass in den Behörden niemand außer den Security-Männern in der Lage ist, auch nur das primitivste Englisch zu sprechen. Sie hasst es, als Muslimin und Schmarotzerin angesehen zu werden, und sie hasst sich selbst.
Aktualität und Bamberg-Bezug
Für ihre erste Regiearbeit der aktuellen Spielzeit hat ETA-Intendantin Sibylle Broll-Pape zusammen mit Dramaturgie Petra Schiller eine Bühnenfassung des Romans erstellt, die sie nun außerdem inszeniert. Maßgeblich für die Entscheidung für dieses Projekt war vor allem die Aktualität der literarischen Vorlage und die Möglichkeit, sie auch auf Bamberg zu beziehen.
„Seit Jahren“, sagt Sibylle Broll-Pape, „wird auf dem Gebiet Syriens ein Stellvertreterkrieg geführt und die internationale Staatengemeinschaft ringt schon genauso lange um eine politische Lösung des Konflikts. Assad hat bis 2020 über 100.000 Menschen festnehmen lassen. Viele davon sind nicht wieder aufgetaucht. Der Foltertod von Zehntausenden ist bewiesen. Unzählige Zivilist*innen sind gestorben bei Giftgasangriffen, bei Attacken auf Wohnvierteln und gezielten Angriffen auf Spitäler und 12 bis 14 Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen gemacht.“
Tausende der fast 800.000 Syrerinnen und Syrer, die den lebensgefährlichen Fluchtweg über das Mittelmeer oder über Land Europa wagten, haben diesen nicht überlebt. Trotz dieser erschütternder Zahlen verharren solche Ereignisse in der westlichen Vorstellung oft nur in der Ferne der Nachrichtenwelt. Mit der ANKER-Einrichtung hat Bamberg allerdings eine Anlaufstelle für Geflüchtete. „Wir könnten allen dreien, Hammoudi, Amal und Youssef, hier auf den Straßen begegnen.“
Keine Diversität in der Besetzung
In der Inszenierung von „Gott ist nicht schüchtern“ übernehmen Antonia Bockelmann, Elias Reichert, Stefan Herrmann, Philine Bührer und Daniel Seniuk die Rollen. Auffällig an der Besetzung ist jedoch, dass niemand mit arabischen Wurzeln berücksichtigt wurde, obwohl das Stück vom Leben syrischer Geflüchteter handelt. Ist da Kritik aufgrund mangelnder Diversität nicht programmiert?
Sibylle Broll-Pape sagt dazu: „Die Autorin selbst verweist darauf, dass Erfahrung politischer Verfolgung, Vertreibung und Flucht nicht neu seien. In den 30er- und 40er-Jahren waren es beispielsweise vor allem Flüchtlinge aus Deutschland, die anderswo um Aufnahme baten.“
Olga Grjasnowas „Gott ist nicht schüchtern“ lehne sich sogar explizit an deutsche Exilliteratur an. „Es gibt Szenen, die direkt auf beispielsweise Werke von Erich Maria Remarque verweisen. Olga Grjasnowas jüdische Großmutter musste mit 14 Jahren vor den Nationalsozialisten aus Weißrussland fliehen, bis ihr Weg sie irgendwann nach Aserbaidschan führte und die selbst mit elf Jahren nach Deutschland kam. Das Thema geht uns also alle an und der Konflikt in Syrien kann stellvertretend für so viele andere Kriege verstanden werden. Außerdem haben wir beim Erstellen der Fassung, der Besetzung und den Proben ein Erzählkonzept entwickelt, das die ureigensten Mittel von Theater bedient und somit keine negativen Erzählmuster reproduziert.“
Warum Gott nicht schüchtern ist
Beim Gott, auf den sich der Titel „Gott ist nicht schüchtern“ bezieht, handelt es sich um Baschar al-Assad. „Und der ist tatsächlich nicht gerade schüchtern“, sagt Sibylle Broll-Pape. „Amal, Youssef und Hammoudi stehen im Zentrum der Geschichte. Ihre Generation ist die erste, die nichts außer der totalen Herrschaft des Assad-Regimes kennt, das wie eine gottgegebene Ordnung auftritt. Mehr noch: Assad ist größer als Gott, zumindest suggeriert dies seine Omnipräsenz, und sei es in Form von Porträts, die in jedem Winkel des Landes hängen, wie Vogelscheuchen, die die Menschen ängstigen und vertreiben sollen. So heißt es im Roman.“
Am 28. Januar um 19:30 hat „Gott ist nicht schüchtern“ Premiere.