Ein sozialwissenschaftliches Forschungsteam von Forscherinnen und Forschern der Freien Universität Berlin, des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung sowie der Universität Bamberg zeigt, dass starke Emotionen zu Polarisierung führen. Sie haben am Beispiel der Covid-19-Pandemie analysiert, wie Wut unterschiedliche Arten von Polarisierung beeinflusst.
Bereits seit einigen Jahren beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine zunehmende gesellschaftliche und politische Polarisierung. Welchen Einfluss haben starke Gefühle, wie etwa Angst oder Wut, auf die Haltung zu gesellschaftlich relevanten Themen und die Einstellung gegenüber als gegnerisch empfundenen Gruppen? Diese Frage hat sich ein Forschungsteam der Freien Universität Berlin, des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung sowie der Universität Bamberg gestellt. Die Forscherinnen und Forscher haben analysiert, wie Wut unterschiedliche Arten von Polarisierung beeinflusst – und das am Beispiel der Covid-19-Pandemie. Das zentrale Ergebnis: „Die Erinnerung an wütend machende Ereignisse verstärkt bisherige Einstellungen – Menschen halten also noch mehr an ihrer Haltung fest“, erklärt Prof. Dr. Sabrina Mayer, Inhaberin des Lehrstuhls für politische Soziologie an der Universität Bamberg, die an dem Projekt beteiligt ist. „Gleichzeitig erhöht sich ihre Ablehnung von Menschen mit anderen Standpunkten.“ Daraus ableitbar ist laut der Forscherin auch: „Eine emotionalisierte Berichterstattung und Statements von Politikerinnen und Politikern, die Wut nutzen, um etwa die Impfbereitschaft bei ungeimpften Menschen zu erhöhen, sind kontraproduktiv.“
Wut verstärkt Abneigung gegen Corona-Impfmandat bei freiwillig Ungeimpften
Für die Studie, die im August im wissenschaftlichen Journal „Research & Politics“ erschienen ist, nutzten die Forscherinnen und Forscher ein Umfrageexperiment, bei dem sie 2.857 Personen zwischen 18 und 69 Jahren aus Deutschland befragten. Die Umfrage wurde im September 2021 durchgeführt, als das Zögern in Bezug auf Impfungen zu einem zunehmenden Problem wurde, die Befürwortung einer Corona-Impfpflicht in der Politik aber noch gering war. In der Befragung ging es um Polarisierung in Bezug auf die Unterstützung einer Impfpflicht und die Feindseligkeit zwischen Personen, die den Covid-Sicherheitsmaßnahmen zustimmten und denjenigen, die sie nicht befolgten. Bei der Auswertung unterschieden die Forschenden dementsprechend zwischen themenbezogener und gruppenbezogener Polarisierung. Während die themenbezogene Polarisierung zunehmend unterschiedliche und extreme politische Positionen beschreibt, erfasst die personenbezogene Polarisierung die wachsende Feindseligkeit gegenüber Mitgliedern anderer gesellschaftlicher Gruppen.
„Wut kann die Polarisierung in Bezug auf ein bestimmtes Thema verstärken, da sie zu einer verminderten kognitiven Verarbeitung und einem stärkeren Vertrauen in bereits bestehende Überzeugungen führt“, erklärt Dr. Christoph Nguyen, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, der Teil des Forschungsteams ist. Im Vergleich zu neutralen Bedingungen löst Wut im Rahmen der Studie bei bereits geimpften Personen eine stärkere Unterstützung einer Impfpflicht aus, wohingegen freiwillig ungeimpfte Personen eine verstärkte Abneigung gegen ein Impfmandat zeigen. Außerdem führt Wut zu mehr Feindseligkeit gegenüber Personen mit anderer Meinung zur Corona-Situation. Die Analyse von geimpften und ungeimpften Befragten zeigt, dass der Anstieg der personenbezogenen Polarisierung hauptsächlich bei Ungeimpften auftritt. Bei geimpften Personen verursacht Ärger keinen wesentlichen Anstieg der Polarisierung.
„Die meisten großen Krisen sind mit emotional aufgeladenen Situationen verbunden“, erklärt Christoph Nguyen. „Unsere Studie zeigt, welche Rolle Emotionen bei der Verstärkung der Polarisierung im Zusammenhang mit solchen hochgradig sensiblen und emotional geladenen Kontexten spielen.“ Ganz allgemein veranschaulichten die Befunde auch die Schwierigkeiten, mit denen politische Entscheidungsträgerinnen und ‑träger konfrontiert sind, wenn sie mit stark umstrittenen und emotional aufgeladenen Themen umgehen. „Während eine gesteigerte Wut hilfreich sein kann, um bereits befürwortende Bürgerinnen und Bürger zu mobilisieren, trägt sie wenig dazu bei, skeptische Menschen zu überzeugen und bewirkt eine wachsende Polarisierung in der Gesellschaft“, sagt Sabrina Mayer.