Seit Jahren wachsen weltweite wirtschaftliche Risiken für Unternehmen. Sie haben sich inzwischen auf einem besorgniserregenden Niveau eingependelt. Eine vom Institut der deutschen
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Studie
Risiken für Bayerns Unternehmen wachsen
Seit Jahren wachsen weltweite wirtschaftliche Risiken für Unternehmen. Sie haben sich inzwischen auf einem besorgniserregenden Niveau eingependelt. Eine vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln erstellte Studie beleuchtet Risikowahrnehmung, daraus resultierende Standortprobleme und Gegenmaßnahmen der Unternehmen.
„Die Fachkräfteengpässe rücken auf Platz 1 der Risikoskala. 43 Prozent der Unternehmen sehen darin ein hohes Risiko für ihre Geschäftsabläufe“, wird Bertram Brossardt in einer Pressemitteilung zitiert, der Hauptgeschäftsführer der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Auf Platz zwei folgten demzufolge strukturelle Kostensteigerungen, etwa für Energie, Vorleistungen, Lagerhaltung oder Personal, die für 41 Prozent der Unternehmen ein hohes Risiko darstellten. Das zeige die vbw-Studie „Internationale Risiken für bayerische Unternehmen“, die vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln erstellt wurde. Sie beleuchtet Risikowahrnehmung, daraus resultierende Standortprobleme und Gegenmaßnahmen der Unternehmen.
Auf den Plätzen drei bis fünf der aktuellen Skala hoher Risiken stehen die Cyber-Kriminalität (39 Prozent), der Ausfall kritischer Infrastruktur (36 Prozent) und eine Finanzmarktkrise (29 Prozent). „Die Angst vor Cyber-Kriminalität, darunter Datendiebstahl oder das komplette Lahmlegen des Betriebs, belastet die Unternehmen immer stärker. Nicht nur der Russland-Ukraine-Krieg, sondern auch die geopolitischen Spannungen mit China haben die Gefahrenlage verschärft“, erklärt Brossardt.
Erstmals seien für die Studie Unternehmen nach der Relevanz der Risikofaktoren für Standort- und Investitionsentscheidungen gefragt worden und danach, ob diese ihr Geschäftsmodell gefährdeten, als Investitionshemmnis wirkten oder zu Auslandsverlagerungen führten. „Strukturelle Kostensteigerungen haben den größten Einfluss auf Standort- beziehungsweise Investitionsentscheidungen“, erklärt Brossardt. 26 Prozent der Unternehmen sehen Kostensteigerungen, etwa für Energie, als Gefahr für das Geschäftsmodell und 31 Prozent als Investitionshemmnis an. Auch viele weitere der hinterfragten Risikofaktoren beeinträchtigen Geschäftsmodelle und Investitionen der Unternehmen. „Das ist eine gefährliche Kombination, weil eine Anpassung des Geschäftsmodells in der Regel Investitionen erfordert. Die Studie zeigt, dass die Risikolage vor allem große und stark internationalisierte Firmen zu Auslandsverlagerungen veranlasst. Wir müssen die Kosten in den Griff bekommen, um eine Deindustrialisierung zu verhindern, Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unseres Industriestandorts zu ermöglichen und Bayern und Deutschland auf Innovationskurs zu halten“, so Brossardt.
Vielen Risiken könnten Unternehmen demzufolge nur sehr eingeschränkt selbst entgegenwirken. Am wenigsten gewappnet würden sie sich gegen schwierige Standortbedingungen, geopolitische Risiken und eine Finanzmarktkrise sehen. „Hier stößt die eigene unternehmerische Vorsorge an Grenzen. Für solche Herausforderungen brauchen wir verlässliche staatliche Risikostrategien und Rahmenbedingungen“, so Brossardt abschließend.
Die Studie ist Sie hier zu finden.
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Bedeutung von Sprache und Interaktion für kindliche Entwicklung
Studie: Universität Bamberg such Familien mit dreijährigen Kindern
Wie Kinder Sprache lernen und welche Bedeutung die kindliche Sprache und die Kommunikation mit den Eltern für die Entwicklung haben, wollen WissenschaftlerInnen der Universität Bamberg herausfinden. Der Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie sucht dafür Familien mit Kindern, die zwischen April 2019 und Juni 2020 geboren wurden.
Der Fokus der Studie liegt auf der frühen sprachlich-kommunikativen Entwicklung der Kinder und der Eltern-Kind-Interaktion in Familien, wie Studienleiterin und Psychologin Klara Hermes erklärt. „Wir bringen ein Bilderbuch und Spielsachen mit und bitten die Eltern, sich gemeinsam mit ihrem Kind zu beschäftigen. Diese Spielsituation wird auf Video aufgezeichnet und später ausgewertet. Bei der Interpretation schauen wir immer auf Gruppen von Kindern, niemals auf einzelne Kinder.“
Anschließend spielen die Kinder mit einer Mitarbeiterin verschiedene kleine und kindgerechte Spiele. Währenddessen füllen die Eltern einen Fragebogen aus. Teilnehmende können jederzeit eine Pause einlegen, einzelne Fragen auslassen oder den Besuch vorzeitig beenden. Da die Videos von deutschsprachigen Teams ausgewertet werden, sollte innerhalb der Familien überwiegend deutsch gesprochen werden.
Die Daten werden vertraulich behandelt und anonymisiert. „Es werden keinerlei personenbezogene Daten, durch die die Familie identifizierbar wäre, veröffentlicht“, sagt Hermes. „Nur das Forschungsteam hat Zugang zu diesen Daten.“
Die Ethik-Kommission der Universität Bamberg hat die Studie begutachtet und eine Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt. Auf Wunsch erhalten die Familien nach Projektende das Video. Für Kinder gibt es außerdem ein kleines Geschenk und jede Familie kann einen von drei Wertgutscheinen gewinnen.
Was wird erforscht?
Die Studie soll Wechselwirkungen zwischen der kindlichen sprachlich-kommunikativen Entwicklung, deren Bedeutung für andere Entwicklungsbereiche und Elternverhalten in der frühen Kindheit untersucht werden.
Eine Besonderheit der Studie ist laut Universität, dass Kinder mit unterschiedlichem Zugang zu Kommunikation und Sprache teilnehmen. Ein Teil der Stichprobe besteht aus Kindern mit einer dauerhaften Hörbehinderung. Für einen Vergleich sucht die Universität Bamberg Familien mit Kindern ohne Hörbehinderung. So sollen Rückschlüsse gezogen werden können, inwiefern sich Sprachentwicklung und Eltern-Kind-Interaktion im Kontext einer Hörbehinderung und im Zusammenhang mit verschiedenen Kinder-Merkmalen unterscheiden und in welcher Weise dies Einfluss auf die weitere Entwicklung der Kinder nimmt.
Interessierte können Kontakt über ein Online-Formular aufnehmen.
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Händlerbefragung zum Retouren-Management
Deutschland ist Retouren-Europameister
Die Bamberger Forschungsgruppe Retourenmanagement hat die erste europäische Händlerbefragung zum Retourenmanagement im E‑Commerce unternommen. Ergebnis: Deutschland ist Retouren-Europameister, europaweit hat kein Land eine höhere Retouren-Quote.
Wie viele Pakete schicken Kundinnen und Kunden im deutschen Onlinehandel zurück? Was sind die Gründe der Anzahl an Retouren und was geschieht mit den retournierten Waren? Fragen wie diese untersucht die Bamberger Forschungsgruppe Retourenmanagement bereits seit mehreren Jahren. Wie die Universität Bamberg am 7. September bekanntgab, hat das Team für eine Studie erstmals Onlinehändler auf europäischer Ebene befragt und die Resultate im Rahmen des „European Return-o-Meter“ (EUROM) veröffentlicht.
Die Studie liefert zahlreiche Erkenntnisse, die das bisherige Bild des Retourenmanagements im deutschen Onlinehandel verändern. „Der European Return-o-Meter schafft den bislang umfangreichsten und genauesten Einblick in die Praktiken deutscher E‑Commerce-Händler“, sagt Björn Asdecker, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bamberg und Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement.
Die Forschenden hätten insbesondere durch drei Faktoren eine höhere Ergebnisqualität im Vergleich zu Vorgängerstudien erreicht. So sei die Stichprobe diesmal besonders umfangreich, weil 411 Onlinehändler an der Umfrage teilgenommen haben. Insgesamt vereinen die in der Stichprobe vertretenen Unternehmen einen E‑Commerce-Umsatz von fast 60 Milliarden Euro. Zudem verantworteten sie den Versand und Rückversand von 1,25 Milliarden Paketen im Jahr 2020.
Zweitens verwendeten die AutorInnen der Studie eine neue Methodik, die zu präziseren Kennzahlen führt. Und drittens sei die Hochrechnung auf den Gesamtmarkt exakter, weil das Team auf neue, zuverlässigere Sekundärdaten zurückgreifen konnte.
Höchste Retourenquoten in Europa
„Die europäische Datenerhebung ermöglicht zum ersten Mal einen internationalen Vergleich“, sagt Dr. Björn Asdecker. Eine wesentliche Erkenntnis sei, dass Deutschland Retouren-Europameister ist. Über alle Warengebiete hinweg beobachtete das Forschungsteam in Deutschland die höchsten Retourenquoten. Drei mögliche Ursachen könnten sein: Viele Deutsche bestellen Waren per Rechnung (28,8 Prozent, EU: 9,9 Prozent), dies führe zu höheren Retourenquoten.
Zudem würden deutsche Onlinehändler sehr liberale Rücksenderegeln haben. Die Rückgabefrist betrug in der Stichprobe im Schnitt 51,7 Tage (Frist in der restlichen EU: 28,1 Tage).
Auch ist die Rücksendung in Deutschland der Regel kostenlos, wie 88,7 Prozent der befragten Onlinehändler bestätigten (EU: 52,4 Prozent).
Bislang unterschätzt: Retouren-Menge und Umweltwirkung
Laut der aktuellen Studie ist die Retouren-Quote und ‑Menge auf dem deutschen Gesamtmarkt höher als bisher angenommen. Nach diesen Berechnungen wurde im Jahr 2021 fast jedes vierte Paket im deutschen Onlinehandel zurückgeschickt, vor allem im Bereich Mode. Das sind schätzungsweise fast 530 Millionen Retouren-Sendungen, die rund 1,3 Milliarden Artikel enthielten.
Die Forschungsgruppe nahm bisher auch eine geringere Umweltwirkung der Rücksendungen an (850 Gramm CO₂ pro Artikel). Nun gaben die befragten Unternehmen den Fußabdruck mit circa 1.500 Gramm CO₂ pro retourniertem Artikel an. In diesem Szenario wären durch Retouren im Jahr 2021 in Deutschland geschätzt 795.000 Tonnen CO₂ entstanden. Diese Menge entspricht 5,3 Milliarden Kilometern, die man mit dem PKW zurücklegt.
„Bemerkenswerter ist aber fast noch, dass mehr als 80 Prozent der befragten Onlinehändler den ökologischen Fußabdruck gar nicht erfassen“, sagt Björn Asdecker. Weitere 15 Prozent konnten oder wollten keine Angabe machen. Den CO₂-Fußabdruck der Retoure messen weniger als 5 Prozent.
Bislang überschätzt: Retouren-Kosten und Entsorgungen
Überschätzt wurden bisher hingegen die Retouren-Kosten pro Artikel, die zahlreichen vergangene Studien bisher im Bereich von 10 bis 15 Euro angaben. Laut der aktuellen Studie verursacht ein zurückgeschickter Artikel im Schnitt nur 2,85 Euro Transport- und Bearbeitungskosten.
Dies liege einerseits daran, dass im Gesamtmarkt hauptsächlich Modeartikel retourniert werden, die sich kostengünstig bearbeiten lassen. Andererseits realisieren die führenden Händler mit vielen Rücksendungen extrem niedrige Kosten.
Außerdem werden laut aktueller Studie im deutschen Onlinehandel nur 1,3 Prozent der retournierten Artikel direkt durch die Händler entsorgt. „Der geringe relative Anteil darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in absoluten Zahlen 2021 trotzdem mehrere Millionen retournierte Artikel entsorgt wurden“, sagt Björn Asdecker.
Darüber hinaus wird die Entsorgung durch Wiedervermarkter und durch Kunden bei einer Erstattung ohne Rücksendung nicht erfasst. Die Zahl gibt also nur einen Teil des Problems wieder. Die meisten zurückgeschickten Artikel (93,2 Prozent) wurden als neuwertig verkauft.
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Studie
Hält Wut von der Corona-Impfung ab?
Ein sozialwissenschaftliches Forschungsteam von Forscherinnen und Forschern der Freien Universität Berlin, des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung sowie der Universität Bamberg zeigt, dass starke Emotionen zu Polarisierung führen. Sie haben am Beispiel der Covid-19-Pandemie analysiert, wie Wut unterschiedliche Arten von Polarisierung beeinflusst.
Bereits seit einigen Jahren beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine zunehmende gesellschaftliche und politische Polarisierung. Welchen Einfluss haben starke Gefühle, wie etwa Angst oder Wut, auf die Haltung zu gesellschaftlich relevanten Themen und die Einstellung gegenüber als gegnerisch empfundenen Gruppen? Diese Frage hat sich ein Forschungsteam der Freien Universität Berlin, des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung sowie der Universität Bamberg gestellt. Die Forscherinnen und Forscher haben analysiert, wie Wut unterschiedliche Arten von Polarisierung beeinflusst – und das am Beispiel der Covid-19-Pandemie. Das zentrale Ergebnis: „Die Erinnerung an wütend machende Ereignisse verstärkt bisherige Einstellungen – Menschen halten also noch mehr an ihrer Haltung fest“, erklärt Prof. Dr. Sabrina Mayer, Inhaberin des Lehrstuhls für politische Soziologie an der Universität Bamberg, die an dem Projekt beteiligt ist. „Gleichzeitig erhöht sich ihre Ablehnung von Menschen mit anderen Standpunkten.“ Daraus ableitbar ist laut der Forscherin auch: „Eine emotionalisierte Berichterstattung und Statements von Politikerinnen und Politikern, die Wut nutzen, um etwa die Impfbereitschaft bei ungeimpften Menschen zu erhöhen, sind kontraproduktiv.“
Wut verstärkt Abneigung gegen Corona-Impfmandat bei freiwillig Ungeimpften
Für die Studie, die im August im wissenschaftlichen Journal „Research & Politics“ erschienen ist, nutzten die Forscherinnen und Forscher ein Umfrageexperiment, bei dem sie 2.857 Personen zwischen 18 und 69 Jahren aus Deutschland befragten. Die Umfrage wurde im September 2021 durchgeführt, als das Zögern in Bezug auf Impfungen zu einem zunehmenden Problem wurde, die Befürwortung einer Corona-Impfpflicht in der Politik aber noch gering war. In der Befragung ging es um Polarisierung in Bezug auf die Unterstützung einer Impfpflicht und die Feindseligkeit zwischen Personen, die den Covid-Sicherheitsmaßnahmen zustimmten und denjenigen, die sie nicht befolgten. Bei der Auswertung unterschieden die Forschenden dementsprechend zwischen themenbezogener und gruppenbezogener Polarisierung. Während die themenbezogene Polarisierung zunehmend unterschiedliche und extreme politische Positionen beschreibt, erfasst die personenbezogene Polarisierung die wachsende Feindseligkeit gegenüber Mitgliedern anderer gesellschaftlicher Gruppen.
„Wut kann die Polarisierung in Bezug auf ein bestimmtes Thema verstärken, da sie zu einer verminderten kognitiven Verarbeitung und einem stärkeren Vertrauen in bereits bestehende Überzeugungen führt“, erklärt Dr. Christoph Nguyen, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, der Teil des Forschungsteams ist. Im Vergleich zu neutralen Bedingungen löst Wut im Rahmen der Studie bei bereits geimpften Personen eine stärkere Unterstützung einer Impfpflicht aus, wohingegen freiwillig ungeimpfte Personen eine verstärkte Abneigung gegen ein Impfmandat zeigen. Außerdem führt Wut zu mehr Feindseligkeit gegenüber Personen mit anderer Meinung zur Corona-Situation. Die Analyse von geimpften und ungeimpften Befragten zeigt, dass der Anstieg der personenbezogenen Polarisierung hauptsächlich bei Ungeimpften auftritt. Bei geimpften Personen verursacht Ärger keinen wesentlichen Anstieg der Polarisierung.
„Die meisten großen Krisen sind mit emotional aufgeladenen Situationen verbunden“, erklärt Christoph Nguyen. „Unsere Studie zeigt, welche Rolle Emotionen bei der Verstärkung der Polarisierung im Zusammenhang mit solchen hochgradig sensiblen und emotional geladenen Kontexten spielen.“ Ganz allgemein veranschaulichten die Befunde auch die Schwierigkeiten, mit denen politische Entscheidungsträgerinnen und ‑träger konfrontiert sind, wenn sie mit stark umstrittenen und emotional aufgeladenen Themen umgehen. „Während eine gesteigerte Wut hilfreich sein kann, um bereits befürwortende Bürgerinnen und Bürger zu mobilisieren, trägt sie wenig dazu bei, skeptische Menschen zu überzeugen und bewirkt eine wachsende Polarisierung in der Gesellschaft“, sagt Sabrina Mayer.
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Studie
Digital kompetenter Unterricht – mangelhafte IT-Infrastruktur
Eine heute veröffentlichte deutschlandweite Studie unter Beteiligung der Universität Bamberg zeigt Stärken und Herausforderungen beim digitalen Unterrichten in der beruflichen Bildung auf. Dieser zufolge sind berufliche Lehrkräfte digital kompetent, allerdings mangelt es in Beruflichen Schulen häufig an einer stabilen IT-Infrastruktur.
Berufliche Lehrkräfte sind digital kompetent, arbeiten souverän mit digitalen Endgeräten und fühlen sich durch das digitale Unterrichten nicht außergewöhnlich gestresst. Ihre größte Herausforderung während der Pandemie: Häufig mangelt es in Beruflichen Schulen an einer stabilen IT-Infrastruktur, zum Beispiel einer guten WLAN-Verbindung. Zu diesen Erkenntnissen gelangt ein Forschungsteam in einer deutschlandweiten Studie, die am 21. Februar 2022 vom Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung e.V. (BvLB) veröffentlicht wurde. Für die Studie kooperierte ein Verbund mit Forschenden der Universitäten Bamberg, Hannover und Osnabrück sowie der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd.
Erste bundesweite Erhebung in Beruflichen Schulen
„Bei der Studie handelt es sich um die erste bundesweite Erhebung unter Lehrerinnen und Lehrern an Beruflichen Schulen zum Thema digitale Transformation“, betont der Sprecher des Forschungsteams Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz. Er hat die Professur für Wirtschaftspädagogik an der Universität Bamberg inne und ging mit seiner Kollegin Prof. Dr. Julia Gillen sowie den Kollegen Prof. Dr. Uwe Fasshauer und Prof. Dr. Thomas Bals in einer Umfrage insbesondere den Fragen nach: Wie kamen berufliche Lehrkräfte durch die Pandemie? Welche Potentiale sehen sie im digitalen Unterrichten und Organisieren? Und wie steht es um die digitale Kompetenz von beruflichen Lehrkräften? Für die Studie „Erfahrungen und Perspektiven des digitalen Unterrichtens und Entwickelns an beruflichen Schulen“ (Digi-BS) wurden 3.074 berufliche Lehrkräfte in Deutschland zwischen Dezember 2020 und März 2021 befragt.
„Die technische Infrastruktur ist ein Schlüsselfaktor, um die digitale Kompetenz von Lehrkräften weiter zu stärken und das subjektive Stresserleben zu reduzieren“, stellt Karl-Heinz Gerholz als zentrales Ergebnis der Studie heraus. Die Digi-BS-Studie zeigt, dass eine stabile und nachhaltige IT-Infrastruktur an den Schulen noch nicht in der Breite vorhanden ist, wie sie eigentlich benötigt wird. Insbesondere WLAN-Verfügbarkeit und ‑stabilität sowie Support und passgenaue Weiterbildungsangebote fehlen.
Pandemie hat digitale Ausstattung enorm beschleunigt
Davon abgesehen zeichnet die Studie ein eher positives Bild der digitalen Veränderung an Beruflichen Schulen: Die Pandemie hat die digitale Ausstattung, etwa mit Tablets und Laptops, enorm beschleunigt. Berufliche Lehrkräfte haben die Phasen des Distanzunterrichts und hybriden Unterrichtens erfolgreich gemeistert. Sie verfügen unter anderem über eine ausgeprägte digitale Kompetenz, sind neugierig hinsichtlich digitaler Technologien und können digitalen Unterricht insbesondere auch im Austausch mit dem Kollegium gut umsetzen. Unterstützung wird also wesentlich vor Ort in den Beruflichen Schulen erlebt, die der Bildungsverwaltung wird als eher begrenzt wahrgenommen. Diese positiven Erfahrungen im Umgang mit den Herausforderungen der Pandemie, so der Mitautor Thomas Bals, „bestätigen erneut die Notwendigkeit einer umfassenden Autonomie der Beruflichen Schulen bei der Erfüllung ihres Bildungsauftrages.“
Arbeit und Freizeit überschneiden sich zunehmend, was die befragten Lehrkräfte nicht als besonders belastend erleben. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass das Stresserleben normal ist. Es ist davon auszugehen, dass das digitale Arbeiten zwar manchmal mit Stressempfinden einhergeht, dieses allerdings nicht wesentlich negativer und belastender als üblich wahrgenommen wird. Dieses Ergebnis ist für die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überraschend vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion um digitales Lernen und der damit zusammenhängenden Herausforderungen. „Berufliche Lehrkräfte haben die Herausforderungen in der Pandemie erstaunlich gut bewältigt und können somit als ‚Hidden Champions der Pandemie‘ beschrieben werden“, sagt Karl-Heinz Gerholz.
Die Studie macht in diesem Zusammenhang jedoch auch folgenden Zusammenhang deutlich: War die technische Ausstattung gut und haben Lehrkräfte eine digitale Selbstwirksamkeit, war ihr Stressempfinden gering. Schlechte technische Ausstattung führte dagegen zu sehr hohem Stressempfinden und persönlicher Überlastung.
Neue Arbeitsmodelle in der digitalen Transformation
Zudem leiten die Forschenden aus ihrer Studie ab, dass im Zuge der digitalen Transformation auch die Arbeitsmodelle von Lehrkräften in den Blick genommen werden müssen. „Wenn Unterricht und schulische Arbeit zunehmend in hybriden Räumen stattfinden, ist das Präsenzstundenmodell an der Schule nicht mehr zeitgemäß“, sagt Karl-Heinz Gerholz. „Die sich verändernden Verantwortungsbereiche von Lehrkräften müssen in den Arbeitsmodellen stärker berücksichtigt werden.“ Dies zu beforschen, ist das nächste Ziel der Forschungsgruppe Digi-BS. Die vollständige Studie ist hier zu finden.
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Studie
Geflüchtete lernen Deutsch am effektivsten in Sprachkursen
Geflüchtete erlernen die deutsche Sprache fast genauso schnell und genauso gut wie andere Neuzugewanderte, fast drei Viertel mit Hilfe eines Sprachkurses. Diese Ergebnisse ergab die Studie einer Soziologin der Universität Bamberg und ihres Teams für das DIW Berlin.
Da sie meist überstürzt aus ihrem Heimatland geflohen sind, haben sie bei Ankunft in Deutschland in der Regel keine Sprachkenntnisse. Dennoch erlernen Geflüchtete die deutsche Sprache fast genauso schnell und genauso gut wie andere Neuzugewanderte. Deutliche Verbesserungen bei den Deutschkenntnissen erzielen sie über Sprachkurse. Fast drei Viertel der Geflüchteten besuchen einen solchen. Andere Neuzugewanderte erlernen dagegen die deutsche Sprache häufiger über Alltagskontakte, zum Beispiel an der Arbeitsstätte. Dies sind die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die auf Geflüchteten- und Migrationsstichproben des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) basiert.
„Der Spracherwerb ist eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration“, betont Studienautorin Cornelia Kristen, die den Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Sozialstrukturanalyse, an der Universität Bamberg innehat. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Christoph Spörlein von der Universität Düsseldorf hat sie untersucht, unter welchen Umständen Zugewanderte in den ersten sechs Jahren nach dem Zuzug Deutsch lernen. Wichtiger als die Motivation sind demnach die Lerngelegenheiten, die sich den Zugewanderten im Alltag oder über gezielte Angebote bieten.
Über diese Lerngelegenheiten verbessern sich die Sprachkenntnisse deutlich, bei den Geflüchteten geschieht dies stärker über gesteuerte Lerngelegenheiten wie in Sprachkursen als über Alltagskontakte. „Viele Geflüchtete leben am Anfang in Sammelunterkünften und haben wenig Kontakt zu Personen, die deutsch sprechen. Das ergibt zunächst weniger Lerngelegenheiten. Umgekehrt nehmen sie aber häufiger an Sprachkursen teil als andere Zugewanderte“, erläutert Studienautorin Kristen. Rund 73 Prozent der Geflüchteten besuchen einen Sprachkurs, etwa die Hälfte aller Geflüchteten schließt diesen mit einem Zertifikat ab. Schon recht kurz nach ihrer Ankunft holen sie zu anderen Migrantinnen und Migranten auf, nach etwa 48 Monaten gibt es bei den Deutschkenntnissen keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen den beiden Gruppen.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass gerade die vielen Kursangebote, die Geflüchtete in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft wahrnehmen, eine wichtige Rolle bei ihrer frühen Integration spielen. „Die mittel- und langfristigen Erträge dieser Investitionen – wie eine schnellere Kontaktaufnahme zur Mehrheitsbevölkerung oder ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt – dürften die entstandenen Kosten bei weitem aufwiegen“, ist Kristen überzeugt. „Daher sollte die Politik auf allen Ebenen kontinuierlich an der Verbesserung des Angebots arbeiten, um nicht nur mehr Geflüchtete in Sprachkurse zu bringen, sondern auch dafür zu sorgen, dass höhere Niveaus erreicht werden.“
Weitere Informationen zur Studie sind hier zu finden.
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Studie
Universität Bamberg erforscht Mimik bei Schmerz, Ekel, Freude
Wie wirken sich Schmerz, Ekel und Freude auf den Gesichtsausdruck aus? Für eine Studie sucht die Universität Bamberg Versuchsteilnehmerinnen und ‑teilnehmer. Wer mitmacht, sollte sich aber auf etwas gefasst machen.
An der Mimik eines Menschen lässt sich seine Gefühlslage erkennen. Um die Einflüsse von Schmerz, Ekel und Freude auf den Gesichtsausdruck zu erforschen, ist die Professur für Physiologische Psychologie der Universität Bamberg auf der Suche nach Studienteilnehmenden.
Bei dieser Studie werden die drei Empfindungen Schmerz, Ekel und Freude bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch Berührungsreize und Bildmaterial ausgelöst und die mimische Reaktion aus mehreren Perspektiven gefilmt.
Die Studienteilnahme läuft in zwei Schritten ab. Im ersten Schritt klären die Forschenden in einem Telefongespräch, das etwa 20 Minuten dauert, ob die interessierten Personen für die Studie geeignet sind. Dann folgt die Versuchsdurchführung in einem Labor der Universität Bamberg am Markusplatz 3. Diese dauert ungefähr zwei Stunden.
Während des Versuchs werden bei den Teilnehmenden mit verschiedenen Reizen leichte Schmerzen ausgelöst, indem eine Hitze-Thermode auf dem Unterarm angebracht und eine Druckmanschette um den Unterschenkel gelegt wird. Die Schmerzen sind aber nur etwa so stark, wie wenn man sich leicht quetscht oder in heißes Badewasser eintaucht. Verletzungen können dabei nicht entstehen, betont die Universität Bamberg.
Um Ekel und Freude hervorzurufen, müssen sich die Teilnehmenden Bilder entsprechenden Inhalts anschauen. Der Gesichtsausdruck wird dabei durchgehend aus mehreren Perspektiven gefilmt. Abschließend müssen noch einige Fragebögen zur Erfassung der Einstellungen gegenüber den Empfindungen von Schmerz, Ekel und Freude ausgefüllt werden.
Die Studie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und die Teilnehmenden erhalten eine Aufwandsentschädigung von 25 Euro.
Gesucht werden männliche und weibliche Personen, zwischen 18 und 65 Jahren,die gesund sein sollten, keine Schmerzerkrankungen haben und aktuell keine Medikamente einnehmen, die das zentrale Nervensystem beeinflussen. Wer interessiert ist, kann sich per E‑Mail unter mse-studie.physiolpsych@uni-bamberg.de anmelden. Weitere Informationen gibt es hier.
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Studie
Inklusion kann auf Kosten sozialer Integration gehen
Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten, ist Ziel eines inklusiven Schulsystems. Eine Studie hat nun jedoch gezeigt: Das Konzept der Schwerpunktschulen kann sich negativ auf das soziale Miteinander der Kinder auswirken.
Kurz vor dem heutigen „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung“ haben Marcel Helbig und Sebastian Steinmetz, Forscher am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) in Bamberg und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), eine Studie zu Inklusion und sozialer Integration veröffentlicht. Darin sind sie zu dem Ergebnis gekommen, dass sich das Schulkonzept der Schwerpunktschulen zu Lasten des sozialen Miteinanders auswirkt.
Die Daten ihrer Studie haben Helbig und Steinmetz in in Rheinland-Pfalz erhoben. Dort wird, statt ein breites inklusives Angebote zu machen, bei Inklusion fast ausschließlich auf Schwerpunktschulen gesetzt.
Rheinland-Pfalz setzt als einziges Bundesland bei der Inklusion von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf fast ausschließlich auf Schwerpunktschulen. Die Mehrheit der Bundesländer hat sich dagegen für eine flächendeckende Inklusion entschieden. In einigen Ländern wie Berlin, Hamburg oder Brandenburg gibt es Mischsysteme aus flächendeckender Inklusion und Schwerpunktschulen.
Der Anteil von Kindern aus einkommensschwachen Familien ist an den inklusiven Schwerpunktschulen in Rheinland-Pfalz seit 2012 überdurchschnittlich gewachsen. Vor allem in den Städten hat sich damit das Problem der sozialen Trennung im Grundschulwesen verschärft.
Die Studie weist nun mit Daten der amtlichen Schulstatistik nach, dass das Konzept der inklusiven Schwerpunktschule auf Kosten der sozialen Integration geht. Das liegt zum einen in der Entstehung dieser Schulen begründet. So wurden in Rheinland-Pfalz die sozial schwächeren Grundschulen als Standorte für Schwerpunktschulen ausgewählt. Dabei handelt es sich um Schulen, die bereits vor ihrer Umwandlung einen hohen Anteil von Kindern aus einkommensschwachen Familien hatten. So lag der Anteil von Kindern mit Lernmittelbefreiung an Schwerpunktschulen sechs Prozentpunkte höher als an Nicht-Schwerpunktschulen.
Inklusiver Unterricht an allen Schulen als Ziel
Seit 2012 hat sich die Armutsquote an den Schwerpunktschulen zum Teil überdurchschnittlich erhöht. Dies gilt vor allem für die städtischen Räume, wo sich der Unterschied beim Anteil armer Kinder zwischen Schwerpunktschulen und Nicht-Schwerpunktschulen auf 12 Prozentpunkte verdoppelte. Dies trifft in besonderem Maße in Nachbarschaften zu, in denen es weitere Grundschulen gibt.
„Wir vermuten” sagt Marcel Helbig, „dass vor allem Eltern aus der Mittelschicht die Schwerpunktschulen meiden und ihre Kinder auf andere Grundschulen in Wohnortnähe schicken.” Schwerpunktschulen in Rheinland-Pfalz müssen daher doppelte Integrationsarbeit leisten, eine pädagogische und eine soziale. „Das geht zu Lasten der Chancengerechtigkeit, verstärkt soziale Trennung und zeigt, dass halbherzige Inklusion nicht-beabsichtigte soziale Folgen haben kann.“
Zusammen mit Sebastian Steinmetz plädiert der Autor der Studie für die Überwindung der Schwerpunktschulen zugunsten eines inklusiven Unterrichts an allen Schulen. Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 wäre Deutschland ohnehin verpflichtet, Kinder und Jugendliche mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam zu unterrichten. Die Konvention sieht vor, dass inklusiver Unterricht in möglichst wohnortnahen Schulen angeboten wird. Schwerpunktschulen konterkarieren dieses Recht aber und verhindern einen systematischen Wandel hin zu einem inklusiven Schulsystem, da nur bestimmte Standorte diesen pädagogischen Auftrag übernehmen.
Rheinland-Pfalz ist neben Bayern und Baden-Württemberg Schlusslicht bei der Umsetzung schulischer Inklusion, wie eine im September 2021 erschienene WZB-Studie gezeigt hat.
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Große internationale Studie
Herkunft der Hauspferde endlich geklärt
162 internationale Forschende haben im Rahmen einer großen internationalen Studie Pferdeknochen aus ganz Eurasien zusammengetragen und analysiert – darunter Funde der Universität Bamberg.
Pferde wurden zuerst in der pontisch-kaspischen Steppe im Nordkaukasus domestiziert, bevor sie innerhalb weniger Jahrhunderte den Rest Eurasiens eroberten. Domestizierung bedeutet, dass Menschen Wildpferde zähmten. Das sind die Ergebnisse der Studie unter der Leitung des Paläogenetikers Prof. Ludovic Orlando vom französischen „Centre national de la recherche scientifique“ (CNRS) aus Toulouse. Er leitete ein internationales Team, dem unter anderem Forschende der Universitäten in Toulouse, Évry und Bamberg angehörten. Die Studie löst ein jahrzehntealtes Rätsel und ist am 20. Oktober im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlicht worden.
Von wem und wo wurden die modernen Pferde zuerst domestiziert? Wann haben sie den Rest der Welt erobert? Und wie verdrängten sie die unzähligen anderen Pferdearten, die es damals gab? Dank eines Teams von 162 Forschenden, die sich auf Archäologie, Paläogenetik und Linguistik spezialisiert haben, können diese Fragen endlich beantwortet werden.
Forschende analysieren DNA von 273 Pferden
Vor einigen Jahren untersuchte das Team um Ludovic Orlando die Fundstätte der Botai-Kultur in Zentralasien, die den ältesten archäologischen Nachweis für domestizierte Pferde lieferte. Die DNA-Ergebnisse waren aber nicht zufriedenstellend: Diese aus der Zeit vor 5.500 Jahren stammenden Pferde waren nicht die Vorfahren der heutigen Hauspferde. Neben den Steppen in Zentralasien erwiesen sich auch alle anderen vermuteten Ursprungsorte wie Anatolien, Sibirien und die Iberische Halbinsel als falsch. „Wir ahnten, dass auch der Zeitraum zwischen 4.000 und 6.000 Jahren nicht stimmen konnte, aber wir konnten keine Beweise dafür finden“, sagt Orlando. Das Forschungsteam beschloss daher, seine Studie auf ganz Eurasien auszudehnen und analysierte die Genome von 273 Pferden, die von 50.000 bis 200 vor Christus lebten. Diese Informationen wurden an der Université Toulouse III – Paul Sabatier und der Université d’Évry sequenziert und mit den Genomen heutiger Pferde verglichen.
Einzige deutsche Proben stammen aus Oberfranken
Die einzigen Proben von Pferdeknochen aus Deutschland, die analysiert wurden, stammen vom Hohlen Stein bei Schwabthal in Oberfranken. Diese hat ein archäologisches Team der Universität Bamberg während eines Forschungsprojekts im Jahr 2008 ausgegraben und datiert. Grabungsleiter Dr. Timo Seregély von der Professur für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie erläutert: „Wir haben dort Pferdeknochen von mehreren Tieren aus der Zeit um 2600 vor Christus gefunden, die im Zusammenhang mit einer Siedlung der schnurkeramischen Kultur aus der späten Jungsteinzeit stehen. Sie waren durch die direkte Lage am auffälligen Dolomitfelsmassiv des Hohlen Steins fantastisch erhalten und wiesen einen reichen Gehalt an alter DNA auf.“
Im Gegensatz zu Seregélys bisheriger Annahme ist nun nicht einmal mehr sicher, ob es sich bei den oberfränkischen Funden überhaupt um die Reste von domestizierten Pferden handelt. Es könnte sich ebenfalls um gejagte, damals noch in der Region lebende Wildpferde gehandelt haben. Die von Pablo Librado und Ludovic Orlando geleitete Studie kann diese Frage nicht sicher beantworten – dafür aber eine andere, unglaublich wichtige, wie Seregély bekräftigt: „Bisher ging man davon aus, dass Pferde bereits im frühen dritten vorchristlichen Jahrtausend bei der Expansion von Menschen aus den eurasischen Steppenregionen in zahlreiche Regionen Europas eine entscheidende Rolle bei der Mobilität spielten. Das ist nun klar widerlegt. Ob wir für diese große, sich über mehrere Jahrhunderte und einige Zwischenetappen erstreckende Migrationswelle nun eher Rindergespanne als Mobilitätsfaktor ins Auge fassen können, müssen spätere Studien zeigen.“
Explosionsartige Vermehrung der Pferde
Die Vorfahren der heutigen Hauspferde stammen hingegen aus einer späteren Zeit: In Eurasien, das einst von genetisch unterschiedlichen Pferdepopulationen bevölkert war, kam es zwischen 2200 und 2000 vor Christus zu einer dramatischen Veränderung. „Die Pferde, die in Anatolien, Europa, Zentralasien und Sibirien lebten, waren genetisch sehr unterschiedlich“, sagt Dr. Pablo Librado, Erstautor der Studie. Dann verbreitete sich ein einziges genetisches Profil, das es zuvor nur in der pontischen Steppe im Nordkaukasus gab. Es verdrängte innerhalb weniger Jahrhunderte alle Wildpferdepopulationen vom Atlantik bis zur Mongolei. „Die genetischen Daten deuten auch auf eine explosionsartige Vermehrung der Pferde hin, die in den letzten 100.000 Jahren ihresgleichen sucht“, fügt Orlando hinzu. „Damals übernahmen Menschen die Kontrolle über die Fortpflanzung dieser Tierart und produzierten Pferde in beträchtlicher Anzahl.“ Die Ausbreitung dieser Pferde ereignete sich zumindest in Asien gleichzeitig wie jene von Streitwägen mit Speichenrädern und indoiranischen Sprachen.
Doch wie lässt sich diese überwältigende Beliebtheit erklären? Die Forschenden fanden zwei auffällige Unterschiede zwischen dem Genom dieses Pferdes und dem Genom der Populationen, die es ersetzte: zum einen fügsameres Verhalten, zum anderen ein stärkeres Rückgrat. Das Forschungsteam vermutet, dass diese Merkmale den Erfolg der Tiere zu einer Zeit sicherten, als das Reisen mit Pferden weltweit zunahm.
Die Nature-Publikation ist online zu finden unter https://www.nature.com/articles/s41586-021–04018‑9
Weitere Informationen und Bilder sind zu finden unter https://www.cnrs.fr/en/origin-domestic-horses-finally-established
Studie der Universität Bamberg
Deutschland auf dem Weg in eine Politik der Lügen?
Politikerinnen und Politiker hören immer wieder die Unterstellung, dass sie lügen – auch aktuell im Bundestagswahlkampf. Erstmals hat eine Studie der Universität Bamberg untersucht, wie verbreitet postfaktische Annahmen in der deutschen Politik und im Journalismus sind.
„In einer postfaktischen Politik werden Fakten und ein Wahrheitsbezug zunehmend unwichtiger“, erläutert Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Olaf Hoffjann von der Universität Bamberg.
„Dies ist in Deutschland empirisch bislang kaum erforscht. Auch weltweit liegen hierzu nur wenige empirische Befunde vor.“
Deshalb haben er und Lucas Seeber vom Institut für Kommunikationswissenschaft eine Umfrage durchgeführt. Ein zentrales Ergebnis der bislang unveröffentlichten Studie ist, dass sich rund die Hälfte der Befragten als Teil einer postfaktischen Demokratie sieht. Zugleich erwarten mehr als 90 Prozent eine Politik, die ernsthaft, aufrichtig und mit Wahrheitsanspruch auftritt.
Bewusste Täuschung gilt als kritikwürdig
Die beiden Kommunikationswissenschaftler haben von Oktober 2020 bis Januar 2021 insgesamt 758 Personen aus drei Gruppen online befragt: Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Pressesprecherinnen und ‑sprecher sowie Journalistinnen und Journalisten. Die Auswertung der Umfrage hat insbesondere zu folgenden Ergebnissen geführt:
Die Befragten unterstellen Politikerinnen und Politikern selten Lügen (15 Prozent). Überraschend: Politiker unterstellen anderen Politikern häufiger (21,8 Prozent) Lügen, als dies deren Pressesprecher (5,1 Prozent) und sogar Journalisten tun (14,3 Prozent). Nur 1,2 Prozent denken, dass Lügen in der Politik legitim sind. Dagegen halten rund 32 Prozent sogenannten „Bullshit“ – das Ergänzen von ungeprüften Aussagen, die wahr sein könnten, um die These einer Aussage zu unterstützen – für weit verbreitet. Rund 5 Prozent der Befragten halten „Bullshit“ für legitim. Die Übertreibung in der Politik wird als weit verbreitet (rund 78 Prozent) und gleichzeitig von rund einem Drittel (33,8 Prozent) als eher legitim beschrieben. Olaf Hoffjann interpretiert: „Die bewusste Täuschung gilt offenbar als kritikwürdiger als ein gleichgültiges Verhältnis gegenüber der Wahrheit.“
50,8 Prozent der Befragten sehen sich als Teil einer postfaktischen Demokratie. Das heißt, sie unterstellen Politikerinnen und Politikern, dass ihnen der Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen eher unwichtig sei. Von den drei befragten Gruppen glauben vor allem Politikerinnen und Politiker nicht an eine faktische Politik (rund 55 Prozent). „Pointiert formuliert: Journalistinnen und Journalisten glauben eher an den Wahrheitsgehalt der Aussagen von Politikerinnen und Politikern als diese selbst“, sagt Lucas Seeber.
Mehr als neun von zehn Befragten verurteilen Lügen und „Bullshit“ (rund 94 Prozent). Akteure, die Emotionalisierung sowie Lügen und Bullshit als eher nicht legitim bezeichnen, werden in der Studie als „faktische Akteurinnen und Akteure“ bezeichnet.
Fast alle Vertreterinnen und Vertreter der AfD glauben an eine postfaktische Politik (88,9 Prozent) – mit Abstand der höchste Anteil unter den Befragten. Zugleich halten auch 90 Prozent der AfD-Befragten Lügen, „Bullshit“ und Emotionalisierung für eher nicht legitim.
Wahrheitskrise in der Politik wird verurteilt
„Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass eine knappe Mehrheit von Abgeordneten und Journalistinnen oder Journalisten eine Wahrheitskrise in der Politik wahrnimmt“, interpretiert Olaf Hoffjann. „Aber eine sehr deutliche Mehrheit verurteilt dies. Mit anderen Worten: Fast alle Befragten, die sich als Bürgerinnen und Bürger einer postfaktischen Politik sehen, sind darüber nicht glücklich.“ Wie aber reagieren Politikerinnen und Politiker, die der Konkurrenz unterstellen, sie würde unrechtmäßige Methoden einsetzen? „Untersuchungen in anderen Betrugsfeldern argumentieren spieltheoretisch, dass dies dazu führen könne, dass auch andere zu solchen Methoden greifen, um ‚Waffengleichheit‘ herzustellen“, erklärt Olaf Hoffjann. „Und dennoch: Das überwältigende Ausmaß, mit dem Praktiken wie Lüge und ‚Bullshit‘ abgelehnt werden, stimmt mich optimistisch.“
Befragt wurden insgesamt 758 Abgeordnete des Bundestages und aller Landtage, Mitglieder der Bundespressekonferenz und aller Landespressekonferenzen sowie Pressesprecherinnen und ‑sprecher von Parteien, Fraktionen und Ministerien auf Bundes- und Landesebene. Die Umfragedaten nähern sich an die realen Verhältnisse an, können streng genommen jedoch nicht als repräsentativ gelten.