Zeitgenössischer Tanz hat in Bamberg im Vergleich zu anderen kulturellen Angeboten einen schweren Stand. Um die Vernetzung und Bekanntheit der Kunstform voranzutreiben, organisiert der Verein CON Bamberg das Tanzfestival „CON.NECT“ (8. bis 9. Juli, Jäckstraße 35). Hauptpunkt im Programm ist der Auftritt der Berliner Tänzerin Martha Kröger.
Martha Kröger hat derzeit eine Residence bei CON Bamberg inne. „In die Wende 1988 in Berlin hineingeboren worden zu sein, war der Grundstein für meinen Tanz zwischen den Welten“, sagt sie sie über ihre Herangehensweise an den zeitgenössischen Tanz. „Verständnis war für mich mehr als das gesprochene Wort. Ich habe immer schon nach anderen Ausdrucksmitteln gesucht, nach dem sinnlich Erfahrbaren, dem nicht Sagbaren, dem Verbindenden.“
Beim CON.NECT zeigt Martha Kröger ihr Projekt „Collapsing Beautifully: Meine Erinnerung ist genauso wertvoll, wie deine“. Darin behandelt sie unter anderem ihre ostdeutsche Herkunft. Über ihr Projekt haben wir mit ihr im Interview gesprochen.
Frau Kröger, was hat es mit Titel „Meine Erinnerung ist genauso wertvoll, wie deine“ auf sich?
Martha Kröger: In dem Stück geht es um individuelle Erinnerungen und kollektive Erinnerungen aus dem Leben in Ostdeutschland – also solche Erinnerungen, die in Personen und in bestimmten Orten eingeschrieben sind. Da die gesellschaftliche Erzählung über den Osten aber nach wie vor eine einseitig westdeutsch dominierte Erzählung ist, herrscht eine Art Gefälle im Wert der Erinnerungen. Ich selbst muss mir zum Beispiel trotz meiner Familienerinnerungen immer wieder anhören, als 1988 in Ost-Berlin Geborene überhaupt nicht wissen zu können, wie es ist, aus dem Osten zu kommen. Es wird nicht mit einem gesprochen, sondern über einen.
Geht es im Stück um eine spezielle Erinnerung?
Martha Kröger: In meinem Fall geht es um die Erinnerungen an eine bestimmte Brücke in Berlin – die Bösebrücke, auch Bornholmer Brücke genannt. Über sie verlief ein Grenzübergang zwischen Ost- und Westberlin und sie war 1989 die erste Stelle, die beim Mauerfall zwischen den beiden Stadtteilen geöffnet wurde. Meine Familie wohnte früher auf der Ostseite dieser Brücke. Vor allem mein Vater erzählt heute noch, wie er die Brücke und die Grenze jeden Tag betrachtete, und überlegte, wie es wohl gewesen wäre rüberzugehen. Ich fahre heute fast jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit drüber. Dabei sind die Erinnerungen meines Vaters bei mir, es ist, als ob ich über die Erinnerungen fahre. Das hat sich so lange angestaut, bis ich ein Stück darüber gemacht habe.
Was meinen Sie mit „angestaut“?
Martha Kröger: Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, in der Erinnerung und den Geschichten meines Vaters zu leben beziehungsweise in der nationalen Geschichte, die mit diesem Teil der Stadt zusammenhängt. Das Stück ist mein Versuch, eine eigene Erinnerung aufzubauen, an das Päckchen, das die deutsche Geschichte ist und das wir alle zu tragen haben. Darin möchte ich meine eigene Person werden und das in die Öffentlichkeit tragen.
Wie gießt man diese Dinge in eine Handlung?
Martha Kröger: Ich arbeite nicht so sehr mit einer Handlung, sondern eher mit Bildern. Ein Jahr lang haben mein Vater und ich Orte in Berlin und Leipzig abgefahren, die persönliche und kollektive Bedeutung haben. Wir haben sie abgefilmt und er hat dazu erzählt. Diese Filme und zusätzliches Archivmaterial aus verschiedenen Dokumentationen bringen wir bei der Aufführung mit Videoprojektionen auf die Bühne und in einen Dialog mit meinen Tanz- und Spielpassagen. Und Live-Musik haben wir auch.
Wie gestalten Sie die Tanzpassagen?
Martha Kröger: Es gibt Gefühlszustände, wie hinzufallen und immer wieder aufzustehen, oder nach Freiheit zu streben, die nicht unbedingt greifbar sind, die man aber gut in Körperbilder bringen und mit dem Körper relativ gut und klar ausdrücken kann. Ich komme ja aus dem Physical Theatre, bei dem Handlung oder eben Bilder in erster Linie durch körperliche Bewegungen ausgedrückt werden. Es geht dabei auch viel um den einen Ausdruck, den es in einem bestimmten Moment braucht. Ich arbeite also viel mehr mit Improvisation als mit festgesetzten Choreografien.
Ist das Stück zur Aufklärung eines Westpublikums gemacht?
Martha Kröger: Nicht nur. Ich habe tatsächlich die große Hoffnung, dass ich das Stück auf beiden Seiten zeigen kann, denn ich denke, es tut gut, wenn man sich im Osten verstanden fühlt. Ich selbst merke, wie gut es mir tut, in Bamberg mit Leuten zu reden und unsere Erfahrungen und Sichtweisen zu teilen.