Knapp 4000 Aufführungen von etwa 350 Inszenierungen an ungefähr 70 Orten in ganz Oberfranken: Seit 30 Jahren ist die Oberfränkische Landesbühne des
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Spielzeitmotto „Die Liebe unter der Lupe“
Intendant Jan Burdinski im Interview: 30 Jahre Fränkischer Theatersommer
Knapp 4000 Aufführungen von etwa 350 Inszenierungen an ungefähr 70 Orten in ganz Oberfranken: Seit 30 Jahren ist die Oberfränkische Landesbühne des Fränkischen Theatersommers in der Region unterwegs. Im April ging sie in ihre 30. Spielzeit. Anfang August kommt der Theatersommer für mehrere Auftritte auch nach Bamberg. Im Interview mit Intendant Jan Burdinski haben wir uns den Spielplan genauer angesehen.
Herr Burdinski, was gibt es zur 30. Spielzeit besonderes im Spielplan?
Jan Burdinski: Besonderheiten sind unser Hauptstück, der Klassiker „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist, und, als europäische Komödie, in diesem Fall des polnischen Autors Alexander Fredro, das satirische Stück „Mann & Frau“. Damit kommen wir am 6. August auch nach Bamberg. Wir nennen es ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Singspiel, denn wir haben es mit eigenen Chansontexten und Musik bearbeitet.
Das Stück bedient das literarisch immer fruchtbare Thema der Ehe und zwar in der polnischen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Was kann die Handlung über die heutige Zeit aussagen?
Jan Burdinski: Gegenseitiger Betrug und Peinlichkeiten en masse kommen immer vor! Wobei in „Mann und Frau“ am Ende auch die Klärung der Verhältnisse steht, auch wenn sie beschämend für alle Beteiligten ist.
Warum haben Sie „Amphitryon“ als Hauptstück ausgewählt?
Jan Burdinski: Das Stück steht für mich in einer bedeutsamen Tradition des deutschen Theaters, das spätestens seit Lessing sehr stark der Aufklärung verpflichtet ist. Dieses Stück ist zeitlos in seiner Bespiegelung menschlicher Charaktere und dem Thema der Identitätskrise, wir wie sie auch heute wieder haben. Die hochphilosophische Frage der Suche nach dem Selbst, dieses „Wer bin ich?“ oder „Bin ich wirklich ich?“, behandelt das Stück in einer für das Publikum sehr vergnüglichen Form und macht sie verstehbar. Wobei bei solchen Lustspielen eine Tendenz zum Absturz beziehungsweise zur Tragödie auch immer sehr nahe ist. Beide Elemente, das des Komischen und das des Tragischen, verkörpert das Stück in einem permanenten Auf und Ab.
Hauptfigur Amphitryon ist Feldherr, der gerade die Athener besiegt hat, das Stück also auch ein Kriegsstück. Kommt Ihnen das im Angesicht aktueller Anlässe thematisch gelegen?
Jan Burdinski: Schon zu Beginn weist die von Guido Apel komponierte Musik darauf hin: Noch bevor man auf der Bühne Aktionen sieht, hört man aus der Ferne Kriegsgeschrei. Der Heldenwahn der Männer steht in auffallendem Kontrast zu den Äußerungen der Thebanerfürstin Alkmene. Ihr gibt Kleist eine gewichtige Stimme hinsichtlich seiner Kriegsskepsis. Aber am Schluss marschieren die Feldherren – unfreiwillig komisch – wieder vergnügt in den nächsten Krieg.
Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie den weiteren Spielplan zusammengestellt?
Jan Burdinski: Im letzten Jahr hatten wir das Thema „Lüge“. Diesmal haben wir das Thema „Liebe“ und das Motto lautet: „Die Liebe unter der Lupe“. Wir beleuchten dabei die verschiedensten Aspekte in unseren Stücken. Ein Allerweltsthema, ich weiß, aber sehr unerschöpflich und immer für Überraschungen gut. Schließlich betrifft es uns alle, nicht nur die Theaterliebhaber.
Am 1. August kommt der Fränkische Theatersommer mit „Gärten der Liebe“ zum ersten Mal in dieser Saison nach Bamberg, in die Kulturfabrik KUFA. Sie kündigen einen „musikalisch-literarischen Spaziergang“ an. Was heißt das?
Jan Burdinski: Zusammen mit dem Ensemble Lewandowski-Roux aus Stegaurach und Eltmann haben wir zuerst ein Riesen-Sammelsurium möglicher Stoffe zusammengestellt und daraus dann ein Programm von Liedern und literarischen Texten gestaltet. Schon bei den Proben und Vorbereitungen war viel Feuer und Spaß dabei – und zugleich eine große Entspanntheit. Und die bisherigen Rückmeldungen des Publikums sind toll. Beim Thema Liebe, gerade wenn es in der Kombination mit Musik präsentiert wird, findet einfach jeder einen oder mehrere Bezugspunkte.
Am 2. August folgt die Aufführung von „Der Professor“. Wie wird Liebe in diesem Solostück von Brian Parks dargestellt?
Jan Burdinski: Hier handelt es sich um die Liebe zur Wissenschaft, die einen Sonderling hervorbringen kann. Den haben wir in der Gestalt eines Universalgelehrten vor uns. Dieser hält in dem Stück so etwas wie eine skurrile Vorlesungsreihe über mehr oder weniger sinnvolle Themen. Auch verspricht er dem Publikum eine bahnbrechende neue Erkenntnis über eines der größten Rätsel der Wissenschaft.
Mit „Verliebt, verlobt, verschwunden“ geben Sie am 3. August in der KUFA hingegen eine Ein-Frau-Komödie.
Jan Burdinski: In diesem Fall geht es um eine Frau, die in einem Baumhaus Zuflucht nimmt. Der Grund? Ihr Bräutigam ist nicht zur standesamtlichen Trauung erschienen. Sie ist natürlich völlig verzweifelt und stürzt sich in eine Generalabrechnung mit allem Männlichen. Diese Komödie wird gespielt von Silvia Ferstl unter der Regie von Christoph Ackermann.
Sie verlangen von jedem Ihrer Ensemblemitglieder, früher oder später ein Solostück zum jeweiligen Spielplan beizutragen. Warum?
Jan Burdinski: Obwohl Frau Ferstl als erfahrene Schauspielerin bereits viele Berufsjahre hinter sich hat, ist dies ihr erstes Solostück. Eine solche Erfahrung ist ungemein wichtig, weil man mit einem Solo eine gewisse Schallmauer durchbricht und dabei ein anderes Zutrauen zu sich selbst gewinnt. Wenn man einen ganzen Abend lang einen Spannungsbogen halten und die Zuschauer in Bann ziehen kann, ist man auch weiterhin für größere Aufgaben gewappnet. Deshalb lege ich viel Wert darauf, dass unsere Leute immer wieder eine solch schwere Aufgabe mit Lust angehen.
Am 9. August zeigen Sie „Rohrmuffen und Nagellack“. Darin transportiert eine junge Frau linke, progressive, öffentlich deswegen oft verunglimpfte Themen wie Veganismus oder Gendern. Damit trifft sie auf einen, wie Sie in der Ankündigung schreiben, „fränkischen Betonkopf“. Auf wessen Seite ist das Stück mehr?
Jan Burdinski: Das Zweipersonen-Stück wurde extra für uns und die neue Spielzeit geschrieben. Autor Rainer Dohlus hat ein großes Gespür für Dialoge und fränkischen Humor. Der inhaltliche und sprachliche Schlagabtausch zwischen dem Fränkisch beziehungsweise Hochdeutsch der beiden Hauptfiguren, einer jungen weiblichen Bürokraft und einem älteren Heizungsbauer, lebt von diesem Kontrast. Darum ist das ältere fränkische Publikum vielleicht ein bisschen mehr auf der Seite des Mannes, das jüngere Publikum mehr auf der Seite der Frau.
In „Zwei Waagerecht“, mit dem Sie am 11. August in Bamberg sind, entwickelt sich eine Romanze aus dem verhältnismäßig trockenen Anlass eines Kreuzworträtsels. Wie geht das?
Jan Burdinski: Eine Frau und ein Mann lernen sich in einem Zugabteil kennen, weil sie beide das gleiche Kreuzworträtsel aus einer Zeitung vor sich haben. Beim Lösen der Rätsel entsteht ein gewisser Wettkampf oder anders gesagt, ein gewisser Paarkampf. Denn sie stehen nicht nur vor dem Kreuzworträtsel in der Zeitung, sondern auch vor den Lebensrätseln der jeweils anderen Person. Aber je länger es geht, desto mehr wird aus einer anfänglichen Abwehrhaltung ein interessiertes Kennenlernen – jedoch immer in der Schutzhaltung der Anonymität, weil sie ihre Namen nicht preisgeben. Eine zweistündige Zugfahrt mit Konsequenzen.
Wie bewerkstelligen Sie es, dem Publikum das Kreuzworträtsel vor Augen zu führen?
Jan Burdinski: Die beiden verweisen immer wieder auf die Fragen, die vor ihnen liegen. „Sie irren sich bei 129 waagerecht.“ Oder: „Könnten Sie mir einen Tipp geben bei 23 senkrecht?“ Dabei hauen sie sich gegenseitig ihr Wissen um die Ohren, müssen sich aber Stück für Stück mehr offenbaren – ihre Erfolge und ihr Scheitern. Dabei verlieben Sie sich.
Die aktuelle Saison läuft seit April. Wie ist der Zuspruch des Publikums bisher?
Jan Burdinski: Es läuft ganz gut, allerdings mit ein paar negativen Überraschungen. Denn wir mussten einige Auftritte absagen. Wir hatten teilweise einfach zu wenige Tickets verkauft. Über die Gründe für dieses Fernbleiben des Publikums weiß ich allerdings nichts zu sagen. Bei anderen Stücken waren wir hingegen überrascht, wie viele Leute gekommen sind.
Sie bauen derzeit Gut Kutzenberg in Ebensfeld zu einem Theaterzentrum aus. Wie weit sind die Baumaßnahmen, wie viel werden sie kosten?
Jan Burdinski: Wir befinden uns gerade noch mitten in der Bauphase, die die etwa dreijährige Sanierung vorbereiten soll. Zehn Prozent der sehr hohen Sanierungskosten müssen wir selber tragen. Der Gewinn, den ein Theater wie das unsere, eine Landesbühne mit aufwändiger Logistik, abwerfen soll, kann im Jahresschnitt nicht sehr hoch sein und darum brauchen wir viel Zeit und Unterstützung. Vorsichtige Schritte sind derzeit angebracht bei gleichzeitiger Risikobereitschaft.
Was gibt Ihnen Hoffnung, die geforderte Summe zusammen zu bekommen?
Jan Burdinski: Unsere Chance, das zu schaffen, liegt in unserem engagierten Einsatz, in unserer Flexibilität und Mobilität. Wir versuchen, immer einen Ausgleich hinzubekommen zwischen den Theater-Kulturbedürfnissen in der Stadt und auf dem Land. Vieles konzentriert sich natürlich in der Region um Bamberg, Coburg und Bayreuth. Aber eben auch die Landstriche dazwischen wollen gefüllt sein mit anspruchsvoller Theaterkultur. Wir sind nach wie vor von einem nicht bezwingbaren Begeisterungswillen getragen, weswegen ich keinen Anlass zur Sorge habe.
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30-jähriges Bestehen
Fränkischer Theatersommer: „Das Experimentelle kam vielleicht ein bisschen zu kurz“
Seit 30 Jahren bereist und bespielt der Fränkische Theatersommer die nordbayerische Region. Nahezu 4000 Aufführungen mit mehr als 350 Inszenierungen hat die Wanderbühne mittlerweile absolviert – vornehmlich auf dem Gebiet der Komödie. Im Interview haben wir mit Intendant Jan Burdinski zurück und nach vorne geblickt.
Herr Burdinski, warum wurde der Fränkische Theatersommer 1993 gegründet?
Jan Burdinski: Stadttheater hatten und haben manchmal leider einen begrenzten Radius in ihrer Reichweite, was den ländlichen Raum angeht. Was meinem Empfinden nach damals also fehlte, war ein Theater-Zugang auf´s Land. Natürlich gibt es hin und wieder Dinge wie organisierte Busreisen aus der Provinz in größere Städte, um dort eine Theateraufführung zu besuchen, aber dass man auf die Landbevölkerung zugeht, zu ihr hinfährt und auf Dorfmarktplätzen oder ähnlichem spielt, kommt kaum vor. 1993 wurde dann die Idee an mich herangetragen, etwas dagegen zu unternehmen und mit einem Wandertheater die Fränkische Schweiz zu bespielen. Diese Anregung nahm ich auf und gründete ein eigenständiges Theater. Kurz darauf haben wir schon begonnen, die erste Spielzeit zu planen.
Muss man für ein ländliches Publikum anderes Theater machen als für städtisches?
Jan Burdinski: Vor allem muss man ein Mehr an spontaner Begeisterung für anspruchsvolles Komödienspiel wecken als man es bei einem theaterverwöhnten städtischen Publikum tun muss. Mit unserem Komödien- und Freilichttheaterformat war eine wichtige Voraussetzung hierzu erfüllt. Bei Problemstücken gilt es oftmals, Hürden zu überwinden und der Publikumszustrom ist eingeschränkter als in der Stadt. Experimentelles Theater hat es noch schwerer, beim Publikum anzukommen. Das ist manchmal bedauerlich, andererseits hütet diese Tatsache uns davor, überintellektuelles verkopftes Theater anzubieten oder einen Inszenierungsstil der Dekonstruktion zu pflegen, welcher das Publikum oft ratlos zurücklässt und in den wenigsten Fällen die Lust am Theater befördert.
Wurde der Fränkische Theatersommer also auch gegründet, um dieser Art des Theaters mit seinen eher leichteren Stücken etwas entgegenzusetzen?
Jan Burdinski: Nein, der Theatersommer wurde nicht aus einer Anti-Haltung heraus gegründet. Zugegeben: Ich bin kein großer Freund des sogenannten Regietheaters, bei dem der Regisseur oft mehr gilt als der Autor. Ein solches Theater- und Regiekonzept kann zwar gelingen, benötigt aber zum Verständnis oftmals eine umständliche Fußnoten-Dramaturgie in einem überdimensionierten Programmheft. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Diskurs mit dem Publikum dadurch keineswegs lebendiger wird.
Welches war das erste Stück, das der Theatersommer vor 30 Jahren auf die Bühne brachte?
Jan Burdinski: „Ritter Unkenstein“ von Karl Valentin. Ein Stück mit einem sehr trockenen Humor, das zeichnet Valentin generell aus, und köstlichen Dialogen. Das Bühnenbild war das primitivste und simpelste, was man sich vorstellen kann: Ein Tisch, ein Hocker und eine Burg-Turm-Attrappe, sonst nichts. Aber es war ein durchschlagender Erfolg. Wir konnten das Stück über viele Jahre spielen, weil es immer wieder gewünscht wurde.
Haben Sie sich zu Beginn Etappen-Ziele gesetzt, wie etwa in fünf Jahren dies und in zehn jenes erreichen zu wollen?
Jan Burdinski: Nein, soweit waren wir in den Anfängen nicht. Wir hatten keinerlei Förderung. Ich dachte damals, das Ganze ein oder höchstens zwei Jahre machen zu können und dann andere Theaterziele zu suchen. Aber da diese ersten beiden Jahre äußerst erfolgreich waren, kam irgendwann die Kommunal-Politik auf uns zu und ermutigte uns weiterzumachen. Das Versprechen, einen Trägerverein zur künftigen kontinuierlichen Förderung zu gründen, wurde von der Politik umgehend eingelöst.
Was hat sich die Politik von diesem Angebot versprochen?
Jan Burdinski: Das Interesse der Politik bestand in einer kulturell-touristischen Erschließung der Fränkischen Schweiz.
War das der Moment, in dem sich der Theatersommer etabliert hatte?
Jan Burdinski: Entscheidend war die Tatsache, dass wir uns mit unseren Theaterangeboten Jahr für Jahr steigern konnten, bis wir mit einem Umfang von 150 Aufführungen pro Saison bereits zu einer Art Landesbühne geworden waren. Diese Entwicklung zog wiederum das Interesse des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst auf sich – samt weiterer Förderung.
Hatten Sie damals schon eine Heimstätte wie heute mit Gut Kutzenberg in Ebensfeld?
Jan Burdinski: Nein. In den Anfangsjahren hatten wir fünf verschiedene Orte in der Region, an denen wir unsere Probemöglichkeiten, Requisiten, Technik oder Tourbusse unterbrachten. Es war ein Hin- und Hergerenne über viele Jahre. Als wir dann 2018 das Gut Kutzenberg als Schenkung erhielten, war dies ein sehr einschneidendes, hoffnungsvolles Erlebnis.
Sie mussten also 25 Jahre ohne festen Ort auskommen?
Jan Burdinski: Ja, 25 Jahre lang war die Kunst der Improvisation gefordert und dazu atemberaubend viel organisatorische und logistische Arbeit. Aber die Kraft der Begeisterung verleiht Zähigkeit im Durchhalten. Das gilt auch für das vor uns liegende Ziel, Kutzenberg zu einem anspruchsvollen Theaterzentrum auszubauen. Wir möchten mehr kammerspielmäßige Aufführungen und auch mehr Theaterpädagogik anbieten können. Das heißt aber nicht, dass wir unser oberfränkisches Wanderbühnen-Dasein aufgeben. Wir haben jetzt nur endlich einen Ort, an dem kompakt alle Bereiche, die ein Theater braucht, untergebracht sind.
Warum schließen sich Schauspielerinnen und Schauspieler dem Fränkischen Theatersommer an?
Jan Burdinski: Die Schauspieltätigkeit für eine reisende Landesbühne ist sicherlich beschwerlicher als die Arbeit für ein Standorttheater. Der Vorteil bei uns ist aber: Wir haben ein sehr unterschiedliches Publikum und bei uns kann man Franken sehr gründlich kennenlernen und kommt in Gefilde, die man wahrscheinlich noch nie gesehen hat. Auch bieten sich immer wieder Spielsituationen, die wegen ihrer Aufführungsorte geradezu abenteuerlich sind, zum Beispiel das Brückentheater in Bad Staffelstein, Theater in Höhlen und auf Burgen der Fränkischen Schweiz, Theateraufführungen auf Tanzlinden, auf Bauernhöfen oder auch in einem Kerwa-Festzelt. Hinzu kommt für Schauspielerinnen und Schauspieler: Wer sich einmal als Autor versuchen will, einen Kabarett-Text kreieren oder sich ein eigenes Stück auf den Leib schreiben lassen möchte, hat beim Fränkischen Theatersommer auch die Möglichkeit dazu. Diese Art der kreativen Mitwirkung ist an anderen Theatern weniger ausgeprägt. Was wir letztlich auf die Bühne bringen, ist also stark abhängig vom Ensemble und seinen Wünschen. Da sind wir freier und vielleicht sogar näher dran am Urerlebnis schöpferischen Theatermachens.
Wie haben Sie sich in den Jahren des Bestehens als Intendant verändert?
Jan Burdinski: Ich bin viel gelassener geworden. Den Umgang mit plötzlich auftauchenden Problemen sind wir gewohnt, das Auffinden von kreativen Lösungen ebenfalls. Wir unterscheiden uns in dieser Hinsicht von anderen Theatern so gut wie gar nicht.
Hilft Frustrationstoleranz für die Stelle des Intendanten?
Jan Burdinski: Das ist sogar allererste Voraussetzung. Alle machen Fehler, man selber natürlich auch. Man lernt mit der Zeit, die Schwierigkeiten der Logistik, der Organisation und der Probenabläufe zu vereinfachen beziehungsweise zu optimieren. Das Leitungsteam muss aus Sparsamkeitsgründen verschiedene Funktionen im Betrieb ausfüllen können, zum Beispiel Technik, Maske, Inspizienz oder Bühnenbild, weil uns die Mittel für weiteres Theaterpersonal fehlen. Der Sparzwang ist bei uns zwingender als an anderen Theatern.
Beginnen Sie nach 30 Jahren an eine mögliche Nachfolge in der Intendanz zu denken?
Jan Burdinski: Schon, aber auch da bleibe ich gelassen. Noch traue ich mir zu, jedes Jahr aufs Neue die Saison zu planen und zu gestalten. Wenn es mir die Gesundheit erlaubt und sie mir noch zehn weitere Jahre erhalten bleibt, widme ich mich der Theaterarbeit entsprechend länger. Ich sehe mich im positiven Sinne sehr herausgefordert und habe noch Ziele, wie den erwähnten Ausbau von Gut Kutzenberg. Ich möchte das Theater erst dann in andere Hände übergeben, wenn sich dort alles stabilisiert hat. Heute wäre das noch zu früh.
Was heißt stabilisiert?
Jan Burdinski: Wir gehen gerade ein Risiko ein mit dem Bau einer Funktionsscheune für die Technik, das Theatermobiliar, die Requisite und unseren Fuhrpark. Um unser Theaterzentrum überhaupt sanieren zu können, benötigen wir in einem ersten Schritt eine solche Scheune. Dieses Bauprojekt wird allerdings nicht gefördert, wir müssen also fleißig sein, um die Kosten in den nächsten Jahren einzuspielen. Wir hoffen, dass schon im Juni das Richtfest gefeiert werden kann.
In welchem wirtschaftlichen Zustand befindet sich der Theatersommer?
Jan Burdinski: In einem ziemlich soliden. Wir haben eine tolle Vorstandschaft, die sich sehr mit uns identifiziert und viel Freizeit aufbringt, damit der Betrieb erfolgreich weiterläuft. Auch sind wir ganz gut durch die Corona-Jahre gekommen, weil wir oft im Freien spielten und unsere Geschäftsstellenleiterin die geforderten Hygienekonzepte perfekt ausarbeitete. Da hatten es andere Theater ausnahmsweise einmal schwerer als wir.
Stand der Theatersommer schon einmal kurz vor Auflösung?
Jan Burdinski: Eine solche Situation gab es. Das war vor etwa 15 Jahren, als es im Ensemble zwischenmenschlich derart geknirscht hat, dass wir im Leitungsteam vor Verzweiflung fast die Lust verloren. Zum Glück konnten wir diese Zustände überwinden. Seitdem habe ich viel schärfere Augen dafür, was die Chemie in einem Ensemble betrifft.
Auch ein schärferes Durchgreifen?
Jan Burdinski: Nein, das ist nicht nötig. Gelassenheit hilft auch hier. Ich sage heute nur schneller „nein“. Es genügt meist ein offenes Gespräch. Ich kann mich auch nur an einen Fall erinnern, in dem ich einem Ensemblemitglied sagen musste: Unsere Wege trennen sich.
Was war das künstlerische Highlight der 30 Jahre?
Jan Burdinski: Es gab so viele Highlights, dass ich das nicht sagen kann. Ein persönliches Highlight war aber sicherlich, als meine damals 13-jährige Tochter nach dem kurzfristigen Ausfall einer Schauspielerin deren Rolle übernahm. Sie war glänzend.
Was würden Sie heute künstlerisch nicht mehr machen?
Jan Burdinski: Die Frage stelle ich mir nicht, da ich auch meine künstlerische Entwicklung als einen fortdauernden Lernprozess erlebe, der nach vorne gerichtet ist. Auch die eigenen Irrtümer im Laufe einer solchen Entwicklung sind nützlich und helfen beim Umsteuern beziehungsweise Korrigieren.
Was wollen Sie unbedingt noch machen?
Jan Burdinski: Ich würde gerne einmal in einem Autorenteam zu einem bestimmten Thema arbeiten, ein eigenes Musical schreiben, mich intensiver mit der Theatergeschichte auseinandersetzen, mich an experimentellere Stücke wagen, etwa an philosophisch-verspielte Theaterstücke aus dem Bereich des absurden Theaters. Auch Schnittpunkte zwischen Naturwissenschaft und Theater interessieren mich. Im übertragenen Sinne möchte ich mich auf eine neuartige Theater-Entdeckungsreise begeben, gerne mit Impulsen aus fremden Kulturen.
Also doch ein wenig Regietheater?
Jan Burdinski: Ja, vielleicht im Sinne eines Theaterlaboratoriums. Das Experimentelle kam bei uns in den 30 Jahren vielleicht tatsächlich ein bisschen zu kurz. Wir sind sehr darauf angewiesen, dass das Publikum auf dem Land voller Freude zu uns kommt und auch voller Freude wieder geht. Da kann man nicht erwarten, dass es jedes Experiment mitmacht. In einem festen Zentrum könnte man aber hinterher mit dem Publikum ins Gespräch kommen über das jeweilige Stück. Ich bin sicher, dass das Bedürfnis nach lebendigem Theater nicht tot zu kriegen ist – auch nicht in unserer digitalisierten Welt. Unser geplantes Kutzenberger Theaterzentrum möge dafür stehen.
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„Wir machen uns wieder an die großen Stücke ran“
Fränkischer Theatersommer
Die oberfränkische Landesbühne Fränkische Theatersommer ist nach eigenen Angaben zwar mit Einschränkungen, aber letztlich gut durch die Pandemie gekommen. Produktionen, die aufgrund ihres Aufwands in der Spielzeit 2021 nicht realisiert werden konnten, können nun gezeigt werden. Und es bleibt sogar noch Luft, andere Theatergruppen zu unterstützen.
Der Sommer 2022 ist für den Kulturbetrieb der erste Sommer seit zwei Jahren, den die Szene ohne Sorgen vor Pandemie-Beschränkungen auf sich zukommen lassen kann. Vergessen sind die Sorgen der zurückliegenden Sommer dabei aber nicht. Viele Kulturakteure mussten schwere organisatorische und finanzielle Rückschläge verkraften.
Auch die Wanderbühne des Fränkischen Theatersommer hat gelitten und musste Auftritte verschieben oder absagen. Aber Intendant Jan Burdinski weiß, dass es schlimmer hätte kommen können und ist froh, dass der Fränkische Theatersommer schnell gelernt hat, sich einzuschränken. „Wir haben einen Weg gefunden“, sagt er, „durch Ökonomisierung, mit wenigen Mitteln, über die Runden zu kommen. Ganz entscheidend dabei war, das haben wir in den letzten beiden Jahren gelernt, das Theaterbüro richtig zu führen – mit einer hellwachen Geschäftsführung. So sind wir auch ganz gut durch die Pandemie gekommen.“
Genau genommen kenne er sogar kein anderes Theater, das es besser durch die Covid-Zeit geschafft hat als der Fränkische Theatersommer. Wobei „besser“ hier unter Vorbehalt steht: „Wir haben bei den ersten Alarm-Meldungen nicht die komplette Spielzeit abgesagt, sondern schnell entsprechende Hygiene-Pläne entwickelt, flexibel auf Einschränkungen reagiert und teure Produktionen verschoben.“
Für die Saison 2022 hat der Fränkische Theatersommer diese Zurückhaltung aber aufgegeben. „Wir machen uns wieder an die großen Stücke ran“, sagt Jan Burdinski. Vier solcher Stücke, deren Größe entweder von ihrer kanonisierten Klassikerhaftigkeit kommt oder vom Ausstattungsaufwand, sind in den aktuellen Spielplan eingegangen. „Don Quijote und Sancho Pansa“ und das Musical „Höchste Zeit“ sind Wiederaufnahmen. Die Molière-Komödie „Arzt wider Willen“ – der französische Dramatiker wäre 2022 400 Jahre alt geworden – und „Volpone“ von Stefan Zweig sind Neuinszenierungen.
Seine Saison-Eröffnung gab der Fränkische Theatersommer am 20. Mai mit „Arzt wider Willen“. Über die bisherigen Vorverkaufszahlen könne man sich nicht beklagen, aber das Publikum scheine der wiedergewonnenen Möglichkeit zur Freizeitgestaltung durch Kultur noch etwas zurückhaltend gegenüberzustehen. „Ich weiß nicht, ob es noch an Corona liegt“, sagt Jan Burdinski, „aber die Leute müssen offensichtlich noch ein bisschen angestoßen werden. Wir müssen dem Publikum noch deutlicher vor Augen führen, dass man sich wieder ins Freie wagen kann und Sommertheaterkultur wieder möglich ist. Wir müssen die Leute an einen Punkt bringen, an dem sie sagen: „Ein Abend voll schöner Unterhaltung, an der Luft, mit vielleicht noch einem schönen Gespräch hinterher – das gönne ich mir.“
Hilfe für andere Theaterbetriebe
„Luxusprobleme“ mögen da andere Kulturakteure sagen, denn um über ein zurückhaltendes Publikum zu klagen, braucht man erst mal eines. „Ja“, sagt Jan Burdinski, „wir wissen das und haben gemerkt, dass während der Pandemie und jetzt in ihren Nachwehen Künstler nicht die Auftrittsfläche haben, die ihnen eigentlich gebührt.“
Deshalb hat sich der Fränkische Theatersommer entschieden, seine privilegierte Situation aus einer zufriedenstellend bewältigten Pandemie und einer beginnenden Sommer-Tournee zu nutzen, und andere Akteuren zu unterstützen.
Mit dem Projekt „Künstler*innen unterstützen Künstler*innen“ möchte der Theatersommer einer Amateurtheatertruppe und einer Gruppe aus dem Profibereich helfen. So sollen dem MainTheater aus Ebensfeld und ihrer „Ebensfelder Bier-Kömodie“ und dem Duo Mysik Fantastik für ihre Klangerzählungen „Im Dunstkreis des Helden“ inszenatorische beziehungsweise infrastrukturelle Unterstützung zuteil werden.
Leichtes, aber mit schwerem Unterton
Auf dem eigenen Spielplan der Saison 2022//2023 stehen unterdessen wie immer Komödien, Musicals, Kabarettshows und Chansonabende. Der Schwerpunkt liegt auf dem Leichten. „Unser Programm“, sagt Jan Burdinski, „ist diesmal sehr komödienlastig, wobei ich die Komödie keineswegs als Last sehe, denn sie hat die Fähigkeit, das Schwere mit einem Lachen vorzutragen.“
Ein Stück des Spielplans passt auf den ersten Blick jedoch nicht in diese Richtung, kommt es thematisch doch wesentlich ernster daher. Denn in „All das Schöne“ des englischen Dramatikers Duncan Macmillan geht es um die ständigen Suizid-Gedanken einer Mutter, mit denen sich Vater und Tochter auseinandersetzen müssen. Vielseitig sind die Versuche der Tochter, ihrer Mutter das Leben mit seinen schönen Seiten wieder schmackhaft zu machen.
„Ich empfinde das Stück nicht als beklemmend“, sagt Jan Burdinski. „Es macht zwar all die Fässer auf, die zum Thema gehören, aber es ist nicht düster. Es ist lebensbejahend. Bei der Mutter hat sich eine Mutlosigkeit soweit eingenistet, dass sich die Tochter berufen fühlt dagegen anzukämpfen. Sie will der Mutter die Augen öffnen für all das, was am Leben schön ist. Das Stück weist insofern auch über sich selbst hinaus, als dass es eine Problematik anspricht, die sich während der Pandemie ohnehin verschärft hat: die Zunahme von Depressionen. Das Stück „All das Schöne“ hat den Vorzug, dass es viele heitere Seiten aufweist und vielleicht gerade deshalb umso mehr unter die Haut geht.“
Stellt sich die Frage, ob sich auch das zweite derzeit alles beherrschende Thema im Saisonprogramm niedergeschlagen hat: Kommt der Ukraine-Krieg vor? „Ja, die totale Absage an Krieg und Gewalt findet auf subtile Weise in „Don Quijote“ seinen Platz. Und – ohne zu viel zu verraten – im Kabarett-Stück „Lügen haben lange Beine“ taucht ein gewisser Herr Putin auf.“
Inszenierungen in Bamberg
Anfang August kommt der Fränkische Theatersommer auf seiner diesjährigen Saisonreise zum ersten Auftritt nach Bamberg. Wie es sich in den letzten Jahren eingeübt hat, finden die Aufführungen auch 2022 wieder in den Räumen der KUFA in der Ohmstraße statt.
Los geht es am 3. August mit dem erwähnten Duo Mysik Fantastik. Christine und Caroline Hausen präsentieren eine von Flötenmusik untermalte Version der Abenteuer von Odysseus. Darin sind auch Werke des Bamberger Komponisten Horst Lohse enthalten.
In „Reise-Sehnsüchte“, mit dem der Theatersommer am 4. August in Bamberg auftritt, wird neben der Musikerin Beate Roux und dem Musiker Bogdan Lewandowski auch Jan Burdinski als Darsteller zu sehen sein. Der literarische Musikabend verbindet Werke berühmter Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit Musik von unter anderem Chopin, Mozart und Duke Ellington.
Am Tag darauf, dem 5. August, zeigt das Ensemble Claudia Schreibers Ein-Personen-Stück „Emmas Glück“. Darin kümmert sich die Bäuerin Emma, gespielt von Rebekka Herl, um den mit dem Auto verunglückten Max, ebenfalls gespielt von Rebekka Herl. Im Laufe des Stücks kommen sich die „beiden“ näher. Kann sich das Publikum hier also auf eine Interpretation der Fernsehsendung „Bauer sucht Frau“ einstellen? „Nein“, sagt Jan Burdinski lachend, „das ist ein ganz anderes Niveau. Neben viel Komik enthält das Stück auch Drama und Poesie.“
In „Der Traum von Las Vegas“, dem nächsten Bamberger Stück am 6. August, zeigen Sibylle Mantau und Siegfried Mai, was sie in Sachen Artistik, Jonglage und Varieté können und verbinden Shownummern mit Tanzeinlagen und Gesang.
Weiter geht es in der KUFA am 7. August mit „Zwei wie Bonnie und Clyde“. Die bekannte Geschichte über das Gangsterpaar – hier sind es zwei Frauen – legt der Theatersommer eher humoristisch aus. Das Stück lebt von den immer wieder scheiternden Versuchen von Jenny und Chantal, an Geld zu kommen.
Mit „Lügen haben lange Beine“ wird es am 11. August kabarettistisch. Silvia Ferstl und Christoph Ackermann lügen, hochstapeln und schwindeln sich in ihrem Programm durch die Weltgeschichte. „In diesem Kabarett-Stück gehen wir neben alltäglichen Lügen im privaten Rahmen auch auf die Problematik von Falschmeldungen und Fake News ein“, sagt Jan Burdinski.
In „Mortadella & Co.“, das der Theatersommer am 12. August in der KUFA zeigt, spielt Puppenspieler Thomas Glasmeyer im Stile von „Don Camillo und Peppone“ den Kampf um das Bürgermeisteramt in einem italienischen Dörfchen.
Am 13. August gibt es „Volpone – Der Fuchs“ zu sehen. In Stefan Zweigs Version der Komödie von Ben Jonson aus dem 17. Jahrhundert stehen Egoismus und Erbschleicherei der Bessergestellten im Mittelpunkt. Unter dem Vorwand sterbenskrank zu sein, lockt der reiche Volpone allerlei Geschäftspartner an und macht sich seinen Spaß daraus, deren Habgier zu entlarven.
Den Abschluss der Bamberg-Etappe des Fränkischen Theatersommers macht am 14. August das bereits erwähnte Stück „All das Schöne“.