Inklu­si­on mit Ausblick

Café Vil­la Remeis

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Villa Remeis
Der Ausblick von der Terrasse der Villa Remeis, Foto: Helke Jacob
Der gas­tro­no­mi­sche Betrieb des Cafés der Vil­la Rem­eis auf dem Rothen­berg ist in zwei­er­lei Hin­sicht bemer­kens­wert. Weni­ge Orte in Bam­berg bie­ten einer­seits eine der­art spek­ta­ku­lä­re Aus­sicht über die Stadt wie die Ter­ras­se des Cafés. Und ande­rer­seits sor­gen Men­schen mit psy­chi­schen Beein­träch­ti­gun­gen für die Zube­rei­tung der Spei­sen und zum Teil auch für den Ser­vice des Betriebs.

Men­schen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen ste­hen in der Küche des Cafés Vil­la Rem­eis, sta­peln Tel­ler in die Spül­ma­schi­ne, schnei­den Kuchen­stück­chen zurecht und kochen Kaf­fee. Zudem stam­men die dort ser­vier­ten Kuchen und Tor­ten aus eige­ner Bäcke­rei. Auch ihre Zube­rei­tung besor­gen Men­schen mit psy­chi­schen Pro­ble­men, die im Agnes Neu­haus Heim in der Otto­stra­ße woh­nen. Trä­ger ist der SkF – Sozi­al­dienst katho­li­scher Frau­en.

Villa Remeis
Bernd Bibel­rie­t­her vor der Vil­la Rem­eis, Foto: Hel­ke Jacob

Die expo­nier­te Lage des sozia­len Cafés, die archi­tek­to­nisch reiz­vol­le Vil­la und die Men­schen, die hier ihre Arbeits­kraft und auch ihr Kön­nen ein­brin­gen, so kann man sagen, ver­lei­hen dem Café Vil­la Rem­eis einen beson­de­ren Charakter.

Bernd Bibel­rie­t­her, Ein­rich­tungs­lei­ter des Agnes Neu­haus Hei­mes, sieht es so: „Vie­le Bam­ber­ger und auch Gäs­te der Stadt fin­den immer wie­der ihren Weg in die Vil­la Rem­eis. Wenn man hier oben ankommt und sich vor­her nicht infor­miert hat, um was für eine Art Ein­rich­tung es sich bei unse­rem Café han­delt, erscheint die­ses wie eine gän­gi­ge gas­tro­no­mi­sche Ein­rich­tung. Es spricht einer­seits für uns, nicht gleich vor­der­grün­dig als sozia­le Ein­rich­tung ein­ge­stuft zu wer­den. Dar­an sieht man, wie gut uns die Inte­gra­ti­on bereits gelun­gen ist. Ande­rer­seits wäre es aber trotz­dem schön, wenn unse­re Besu­che­rin­nen und Besu­cher wüss­ten, wer hin­ter der Tor­te, die sie essen oder hin­ter dem Getränk, das sie genie­ßen, steht. Näm­lich flei­ßi­ge Men­schen, die ihr Päck­chen zu tra­gen haben, die hier eine Struk­tur fin­den und die mit viel Hin­ga­be ihre Arbeit verrichten.“

Arbeits­all­tag gibt Struktur

Struk­tur braucht natür­lich jeder. Aber Men­schen mit psy­chi­schen Beein­träch­ti­gun­gen brau­chen ein­fach ein biss­chen mehr Struk­tur. Und des­halb muss der Arbeits­all­tag derer, die im Café Vil­la Rem­eis arbei­ten, gut geplant und getak­tet sein. Fein­ge­fühl, den Blick über den Café­be­trieb hin­aus auf die Men­schen sowie Gespür für psy­chi­sche Pro­ble­me sind dabei wesent­lich. Bei­de Aspek­te gehen Hand in Hand. Sonst wür­de nichts im Café Vil­la Rem­eis funktionieren.

Der Arbeits­tag für die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter im Café Vil­la Rem­eis beginnt um 8 Uhr im Agnes Neu­haus Heim. Dann fin­den sich die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner in der Küche ein. Zuvor hat sich das Team des Agnes Neu­haus Heims aber Gedan­ken gemacht, wer grund­sätz­lich zum Arbeits­feld „Kochen und Küche“ pas­sen könn­te oder ob jemand doch bes­ser in der ange­glie­der­ten Schrei­ne­rei, Wäsche­rei oder im Gar­ten­be­trieb auf­ge­ho­ben wäre.

Ande­rer­seits grei­fen aber auch alle Gebie­te inein­an­der. Denn ist im Gar­ten des Cafés Vil­la Rem­eis ein Stuhl kaputt, so repa­riert ihn jemand mit hand­werk­li­cher Bega­bung. Der Café­gar­ten muss gepflegt, die Blät­ter im Herbst zusam­men­ge­harkt oder im Früh­ling ein paar Töp­fe bepflanzt wer­den – da hel­fen am Gärt­nern Inter­es­sier­te. Und die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter der Wäsche­rei waschen die Arbeits­klei­dung der Rem­eis-Ser­vice­kräf­te oder bügeln die Geschirrtücher.

In der Küche des Hei­mes arbei­ten zwi­schen zehn und fünf­zehn Frau­en und Män­ner. Manch einer ist hoch moti­viert, der ande­re mög­li­cher­wei­se etwas lust­los – so ist das nun ein­mal. Letzt­end­lich klappt der Start aber immer. Da gibt es zum Bei­spiel den Sup­pen­chef, der sei­ne bes­ten Ein­topf-Rezep­te zur Ver­fü­gung stellt. Oder die Tor­ten­bä­cke­rin, die noch einen Extra­tipp hat, damit der Kuchen schön mür­be wird, und wei­te­re vie­le Hän­de, die den Teig kne­ten, Gemü­se schnei­den, Rha­bar­ber­creme rüh­ren oder Erd­bee­ren einzuckern.

Nicht sel­ten kommt es vor, dass Bernd Bibel­rie­t­her, der sein Büro nahe der Küche hat, geru­fen wird, um zu ver­kos­ten. Obwohl die Krea­ti­on schon schmeckt und der Ein­rich­tungs­lei­ter begeis­tert ist, ver­fei­nert der kri­ti­sche Sup­pen­chef nach dem Test sei­ne Spei­sen wei­ter, viel­leicht mit etwas gerie­be­nem Ing­wer oder frisch gemah­le­nem Pfef­fer. Und die Tor­ten­bä­cke­rin legt noch einen extra Blau­beer­kranz um einen Obst­ku­chen. Nicht umsonst sagt Bernd Bibel­rie­t­her, dass die Vil­la Rem­eis die bes­ten Kuchen und Tor­ten von ganz Bam­berg bietet.

Irgend­wann ist alles fer­tig und wird in einen Lie­fer­wa­gen ver­la­den. Je nach Jah­res­zeit wer­den bei­spiels­wei­se die weit­hin bekann­te Rem­eis­tor­te, eine Eigen­krea­ti­on der Agnes Neu­haus Heim-Küche, die Prei­sel­beer-Mohn-Tor­te oder ein gedeck­ter Apfel­ku­chen auf den Rothen­berg hin­auf trans­por­tiert. Natür­lich muss auch der Sup­pen­topf im Auto gut fest­ge­hal­ten werden.

Dann geht es oben auf dem Berg wei­ter. Zwei päd­ago­gi­sche Mit­ar­bei­te­rin­nen oder Mit­ar­bei­ter mana­gen den Café-Betrieb. Sie betreu­en die gehan­di­cap­ten Ser­vice­hel­fe­rin­nen und ‑hel­fer des Agnes Neu­haus Heims, lei­ten sie an, sie tei­len die Schich­ten ein und grei­fen gene­rell unter die Arme. Sie sind dafür da, dass der Betrieb rei­bungs­los läuft, aber auch dafür, um sen­si­bel auf die Bedürf­nis­se der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter zu reagie­ren, indem sie das the­ra­peu­ti­sche Kon­zept im Auge behalten.

So ver­geht die Zeit gleich­wohl arbeit­sam als auch kurz­wei­lig. Die Gäs­te dan­ken es ihnen. Diens­tags bis sonn­tags von 12 bis 18 Uhr hat das Café Vil­la Rem­eis geöff­net. Im Som­mer ser­viert man bei­spiels­wei­se Eis und Kalt­ge­trän­ke auf dem idyl­li­schen Frei­ge­län­de und im Win­ter fin­den die Gäs­te Zuflucht vor dem Wet­ter in den gemüt­li­chen Innenräumen.

Eine Vil­la für alle

Das Kon­zept des Betriebs in der Vil­la Rem­eis beschreibt Bernd Bibel­rie­t­her so: „Ich den­ke, dass wir mit unse­rem Kon­zept dem Wunsch von Karl Rem­eis Rech­nung tra­gen. Da ist der wun­der­ba­re Blick auf Bam­berg, das schö­ne Ambi­en­te im Inne­ren des Hau­ses sowie im Außen­ge­län­de, und natür­lich unse­re Mis­si­on, Men­schen mit Beein­träch­ti­gun­gen eine gesell­schaft­li­che Auf­ga­be zu geben. Im Lau­fe der Jah­re haben wir uns einen guten Ruf erar­bei­tet. Unse­re Gäs­te wis­sen unse­ren Ser­vice zu schät­zen. Und wenn eben ein­mal eine Bestel­lung auf­grund der Erkran­kun­gen, die unse­re Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter haben, etwas län­ger dau­ert, dann ist das eben so.“

Karl Rem­eis (1837 bis 1882), der ehe­ma­li­ge Besit­zer der Vil­la, hat die­se einst Bam­berg mit fol­gen­der Auf­la­ge hin­ter­las­sen: „Ich wün­sche, dass die­ses herr­li­che Fleck­chen Erde allen stets zugäng­lich sein sol­le, auf dass recht vie­le, recht oft sich der so schö­nen Aus­sicht auf dem Punk­te erfreu­en mögen, wo ich so glück­li­che Tage ver­brach­te.“ Rem­eis war Jurist und Astro­nom – im Übri­gen ist er auch der Initia­tor der Stern­war­te am Ste­phans­berg – und Sohn Bam­bergs. Das Haus gehört seit dem Tod von Karl Rem­eis der Stadt Bam­berg und wur­de schließ­lich zu einem Café umfunk­tio­niert. 1997 ging die Pacht an den SkF, der sich dar­auf bewor­ben und letzt­end­lich auch den Zuschlag bekom­men hatte.

Eine Vor­gän­ge­rin von Bernd Bibel­rie­t­her hat den Grund­stein für das sozia­le Pro­jekt gelegt. Der jet­zi­ge Lei­ter des Agnes Neu­haus Hei­mes führt das Kon­zept fort und erwei­tert es ste­tig. 2020 hat der Diplom-Päd­ago­ge die Koor­di­na­ti­on über­nom­men. „Pünkt­lich zu Coro­na“, erin­nert sich der 44-Jäh­ri­ge. „Natür­lich haben alle Gas­tro­no­men in der Pan­de­mie­zeit ein schwe­res Los gehabt. Aber wenn man mit psy­chisch beein­träch­tig­ten Men­schen arbei­tet, bekommt die gan­ze Ange­le­gen­heit noch ein­mal einen ande­ren Stel­len­wert. Vie­le unse­rer Heim­be­woh­ne­rin­nen und ‑bewoh­ner haben die ver­än­der­te Situa­ti­on gar nicht ver­stan­den. Ihren Tag nicht mehr struk­tu­rie­ren und ihre Fähig­kei­ten nicht mehr ein­brin­gen zu kön­nen, das war für man­che ein ein­schnei­den­des Erleb­nis. Eini­ge haben es bis heu­te nicht geschafft, sich zu reinte­grie­ren. Für die­se haben wir ande­re Auf­ga­ben gefun­den. Ande­re konn­ten zurück­ge­won­nen und auch neue Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter gefun­den werden.“

Sei­ne Kli­en­tin­nen und Kli­en­ten kennt Bernd Bibel­rie­t­her gut und er hat ein Händ­chen für das Zusam­men­spiel aller Kom­po­nen­ten sei­ner Arbeit – auch in anstren­gen­den Zei­ten. „Für mich ist es wun­der­bar, wenn mein Team und ich unse­ren Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­nern Arbeits- und Lebens­mög­lich­kei­ten geben, in denen sie sich bewei­sen kön­nen, in denen jede und jeder sei­ne Kom­pe­ten­zen ein­brin­gen kann und in denen sie sich auf­ge­ho­ben füh­len. So kön­nen wir der Gesell­schaft, die mit­un­ter Vor­be­hal­te hin­sicht­lich Beein­träch­ti­gun­gen hat, zei­gen, was mög­lich ist.“

Bernd Bibel­rie­t­hers Auf­ga­ben umfas­sen natür­lich viel mehr Gebie­te als nur die Koor­di­na­ti­on des Cafés Vil­la Rem­eis. Hier­her kommt er aber regel­mä­ßig ein­mal pro Woche. „Ich habe mein Büro unten in der Otto­stra­ße im Agnes Neu­haus Heim. Wenn ich dann hier oben bin, ist das – neben aller Arbeit – auch immer etwas Groß­ar­ti­ges. Da ist der erwähn­te Blick und die schö­ne Atmo­sphä­re der Vil­la, aber auch mei­ne Leu­te – die Men­schen mit psy­chi­scher Beein­träch­ti­gung und die Päd­ago­gin­nen und Päd­ago­gen. Immer wie­der kann ich beob­ach­ten, wie ein­ge­spielt das Team ist. Die­se Rou­ti­ne tut unse­ren Heim­be­woh­ne­rin­nen und ‑bewoh­nern gut. Ich glau­be, unser Ver­ständ­nis von Inklu­si­on ist richtig.“

2014 hat das Café Vil­la Rem­eis den Baye­ri­schen Mit­ein­an­der­preis bekom­men. Nicht über Inklu­si­on zu reden, son­dern sie zu leben – das wird heu­te noch genau­so prak­ti­ziert wie vor acht Jahren.

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